Im Bann des Todes
Im Bann des Todes
„Scheiße, schon wieder einer von diesen Tagen, an denen man nichts zu Papier bringt. Ich verstehe es nicht. Ich hätte doch vorhin vor lauter Ideen nur so schreien können. Und jetzt? Nichts. Wieder mal eine Schreibblockade, ich dreh durch.“
Unruhig saß der Erzähler in seinem Sessel am großen Arbeitstisch und überlegte. Doch was in seiner Fantasie herumschwirrte passte einfach nicht in seine Geschichte. Es war zu simpel für einen so großen Helden wie den in seiner Story.
„Ich brauche eine verdammt gute Idee, dann läuft doch der Rest wie von selbst. Verdammt, hätte ich mir vorher bloß einen Leitfaden zurechtgelegt.“
Unruhig goss er sich einen Kaffee ein und warf ein Zuckerstück nach. Er konnte schwarzen Kaffee nicht leiden, der war viel zu bitter und würde ihm noch mehr den Kopf verdrehen.
„Er wird Eddie heißen. Ist das der richtige Name für ihn? Vielleicht sollte ich einen anderen nehmen. Nein, ich denke, dass der Name passen wird“, grübelte er leise vor sich hin.
„Was macht ihn aus? Oh man, ich weiß ja nicht mal, welche Waffe er tragen soll. Soll er überhaupt eine Waffe tragen?“
Er kannte viele Geschichten, in denen die Helden keine Waffen trugen.
Aber den Gedanken, dass sein großer Eddie keine Waffe tragen würde, verwarf er schnell wieder
Da wäre einfach zu wenig Aggressivität.
Es wäre einfach „uncool“!
Klar, Eddie könnte zaubern, aber das wollte er nicht.
Wenn er schon Gott seiner Figuren in der eigenen Geschichte spielen durfte, konnte er auch über ihre Waffen entscheiden. Und dieser Eddie brauchte unbedingt eine!
„Nur, was für eine?“, fragte er halblaut in den Raum.
Doch wie zu erwarten war, bekam er von seiner Stehlampe keine Antwort.
„Ich weiß ja nicht mal, wie ich ihn beschreiben soll“, ächzte er.
„Eddie, du bist echt einer meiner schwierigsten Charaktere, die ich jemals niedergeschrieben habe. Verdammt, ich brauche Ideen.“
Erschöpft stand der Erzähler auf und streckte sich.
Er streckte sich so sehr, dass sein Rückrad laut knackte, so als ob es sein Unbehagen ausdrücken wollte und ging langsam in das Esszimmer seiner großen Wohnung, schaltete den Fernseher an und machte sich ein Bier auf.
„Nicht mal mit dem Fernsehprogramm habe ich heute Abend Glück, nur Blödsinn “, fluchte er laut. Bier trinken sollte er auch nicht, wenn er in einer Schreibblockade steckte. Davon würde es nur schlimmer werden.
Er erinnerte sich noch daran, wie er damals getrunken hatte, als er noch ein junger Schriftsteller war. Meist war er in einer Phase, in der ihm nichts einfiel, aber unter Alkoholeinfluss kamen ihm komische Sachen in den Sinn. Und es passierte darauf auch eine komische Sache.
Nachdem er sich am Abend fast den Schädel weg getrunken hatte, wachte er morgens auf und erinnerte sich an einen komischen Traum.
Der Geschichtenschreiber machte seinen Computer an und las, was er unter Alkoholeinfluss geschrieben hatte.
Es war ein eigentlich gut gelungener Text, nur gab es da einen Haken. In der Nacht zuvor hatte er jedes einzelne Detail geträumt. Das dunkle Pferd, das fast fliegend mit seinem Begleiter, dem König des Todes, über den Erboden ritt. Der anfangs so blaue Himmel war mit großen Wolken verhangen und wurde immer dunkler. Es gab nur bei Beginn des Traumes Pflanzen und Bäume in der Einöde, in der der König ritt. Es schien fast so, als ob alles zu Grunde ging, weil der Vater des schwarzen Lichtes die Erde in der ewigen Wüste, in welcher der Traum stattfand, berührt hatte. Es war unheimlich. Jede einzelne Kleinigkeit hatte er geträumt.
Als er den Text las, den er geschrieben hatte, war ihm nicht wohl.
Wenn er ehrlich war, hatte er sogar verdammt große Angst und wünschte, er hätte diesen Text nie geschrieben.
Sämtliche Haare stellten sich in seinem Nacken und auf den Armen auf, weil die Nacht so real war. Als ob er seine eigene, aus der Fantasie erschaffene Welt durchlebte. Die knochigen Finger des Königs … das tödliche Lächeln in seinem Gesicht … sein Erscheinen … wie ein leiser Schatten …
„Nein“, schrie er plötzlich.
Er hatte gar nicht gemerkt, dass sich seine Hand in das Kissen vergriffen hatte und jetzt einen heftigen Krampf auslöste.
„Mist“, fluchte er, „ich wusste, dass es ein Fehler war, wieder über diese Nacht nachzudenken. Verdammt komische Sache.“
Als sich der Geschichtenschreiber wieder beruhigt hatte, ging er zu seiner Kaffeemaschine und goss sich erneut ein.
„Er wird Eddie heißen, vielleicht schließt er sich später sogar einer Gruppe an. Ich weiß noch nicht. Schließlich gibt es für einen Helden auch Probleme, die er nicht alleine meistern kann. Sogar in meinen Geschichten.“
Grinsend ging der Erzähler zurück ins Arbeitszimmer und überlegte krampfhaft, was Eddie für eine Waffe tragen würde. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen und sah in den leeren Raum.
Plötzlich schrie er: „ Ich hab es! Ja, ich hab es. Er wird einen Taifun tragen! Ich werde das so kreieren, dass das Ding wie eine Schusswaffe aussieht. Ja, das ist es!“
Nachdem er in derselben Stunde auch die Charakterzüge von Eddie fand, verließ ihn wieder der Mut. Klar, er könnte sich freuen, doch etwas genauso Schwieriges wartete noch auf ihn. Der Gegenpart, das Böse. Das, was versucht, die Geschichte aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das fehlte und er wusste, dass das noch harte Arbeit werden könnte, sollte ihm nichts einfallen.
Seine Wanduhr, ein Erbstück seines Großvaters, fing plötzlich an zu schlagen und er fuhr, fast zu Tode erschrocken, herum und sah die Uhr an, als ob sie was im Schilde führte. Das Komische an dieser Uhr war, dass sie nur um Mitternacht schlug. Ihm konnte es egal sein, schließlich brauchte er noch seinen Antagonisten.
Als er überlegte, schwankten seine Gedanken immer wieder zurück zu der seltsamen Nacht. Er bekam es mit der Angst zu tun und zwang sich, nicht wieder drüber nachzudenken. Er fühlte, dass sein Hemd am Rücken klitschnass geschwitzt war. Plötzlich kam ihm eine Idee und er beachtete seine Kleidung keine Sekunde mehr.
„Hey“, sagte er laut, „ich könnte den Traum mit einbauen. Es reicht zwar nicht für die ganze Geschichte, aber zumindest das Böse lässt sich daraus nehmen.“
Zwar hatte er noch großen Respekt davor, das Böse seines eigenen Albtraums mit in die Geschichte einzubauen, aber eigentlich war es schon beschlossene Sache.
Was blieb ihm anderes übrig? Er war ein Autor mit einer Schreibblockade, die größer zu sein schien, als er sich vorgestellt hatte.
Vielleicht war es auch Absicht.
Absicht seiner eigenen Fantasie.
Als er sich völlig von dem Gedanken befreit hatte, dass es schlecht sei, das Böse aus diesem Traum zu stehlen und in seine Geschichte einzubauen, fing er an zu schreiben.
Er schrieb und schrieb und schrieb.
Er war total mit seiner Beschreibung des Bösen vertieft, dass er nicht einmal merkte, wie es in seinem Arbeitsraum dunkler wurde. Und kälter.
Zu sehr war der Erzähler von seiner Idee fasziniert, nachdem der Tag doch so schlecht angefangen hatte.
Er schrieb und schrieb und schrieb. Wäre er nicht wie besessen dabei gewesen, „Ihn“ zu beschreiben, wäre ihm sicher aufgefallen, dass er mittlerweile schon 20 Seiten geschrieben hatte.
Es wurde noch kälter.
Und dunkler.
Nur das schwache Licht seines Monitors schimmerte gegen die Wände und seinen Körper, als ob es diesen zu durchdringen versuchte. Doch noch etwas anderes bildete sich an der Wand ab. Ein kleiner Schatten, der sich leise aber gefährlich ausbreitete und immer größer wurde.
Wäre er bei Verstand gewesen, hätte er bestimmt mitbekommen, dass sich ihm leichte Schritte näherten.
Es waren keine gewöhnlichen Schritte, wie die eines normalen Schuhs. Es schepperte.
Nicht laut, aber doch so, dass man es erkennen konnte. Ausgerechnet er hätte es erkennen müssen, da er dieses Scheppern doch grade in seine Geschichte eingebaut hatte. Er schrieb. Mehr und mehr.
.Der Schatten huschte etwas an den Wänden und entfaltete sich schließlich in seiner vollen Größe ganz nah am Schreibtischstuhl des Erzählers.
Jetzt konnte man wieder ein Scheppern vernehmen. Es kam nicht von irgendwelcher Schuhbekleidung. Das war der rechte Plattenhandschuh einer anderen Person im Zimmer.
Auch das hätte der Geschichtenschreiber erkennen müssen. Er hatte soeben diesen rechten Handschuh, der vom König des Todes getragen wurde, in seine Geschichte eingebaut und war stolz darauf, wie gut er ihn beschrieben hatte.
Knochige Finger, die aus dem Handschuh herausragten, berührten leicht seine Schulter.
Zu spät erkannte der Geschichtenschreiber, dass es keine gute Idee war, das Böse aus seinem Traum zu nehmen. Zu nehmen, um es in seine Geschichte einzubauen. Eine Geschichte, die zwischen der Realität und seiner Fantasie aus den Fugen geraten war.