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Im Licht der Dunkelheit
Er packte sie mit seiner großen Hand an ihrem Oberarm, um sie schneller hinter sich herziehen zu können. Außer Atem riskierte sie einen Blick nach hinten. Und dort stand er. Seine Augen, sie waren getaucht in einer Mischung aus Trauer und Hass, folgten den Rennenden, seine rechte Hand umklammerte mit festem Griff ein Messer. Sie hatte den Fehler begangen ihn zu betrügen, er den Fehler sie zu lieben.
Nun begann er hinter ihnen herzurennen. Sein Blick versteinerte sich. Auch sie konzentrierte sich wieder auf das Rennen, obwohl sie wusste, dass sie es verdient hätte. Er, welcher sie am Arm packte, war verängstigt, behielt aber den Überblick über die Situation. Auf der linken Seite des Korridors erblickte er eine schmale Treppe, die nach unten führte. Er stoppte kurz und sah seinem Mädchen tief in ihre grünen Augen. Sie verstand ihn auch ohne Worte, und so rannten sie gemeinsam die Treppe hinab. Je tiefer die Stufen führten, desto heller wurde es, was beide erstaunte, ihnen aber auch ein Gefühl der Sicherheit gab. Dieses Gefühl verschwand jedoch schnell, da sie bereits seine Schritte hinter sich hörten. Dem Verfolger und den Gejagten lief der Schweiß am heißen Gesicht hinunter.
Die beiden, wobei sie nun die antreibende, die ziehende Kraft war, öffnete eine weiße Tür, die sie am Ende der Treppe fand und in ein dunkles Zimmer ohne Fenster führte. Einige große Kartons standen ihnen im Weg, boten aber auch die Möglichkeit, sich dort zu verstecken, was sie tun würden. Sie konnten nur hoffen, dass er sie dort nicht finden würde und schließlich die Jagd nach ihnen aufgeben würde. Nachdem sie sich ein kurzes Bild des Raums machen konnten, schloss er die Tür. Alles war voll und ganz in Dunkelheit gehüllt. Sie zog ihn hinter einen Stapel von drei Kartons. Zusammen hockten sie da, hielten sich in den Armen. Ihr Atem ging schwer, seine Brust hob und senkte sich pausenlos. Sie konnte seinen Herzschlag hören. Er konnte ihren hören. Das war das erste Mal, dass sie sich so nahe waren. Hier, verborgen in der Dunkelheit; verbunden durch Angst. Sie konnten diesen Augenblick nur kurz genießen, denn dort waren wieder die Schritte. Ihre Herzschläge wurden wieder schneller und lauter.
Auch sein Herzschlag vor der Tür wurde lauter, doch nicht so laut, dass sie es in ihrem Versteck hätten hören können. Er wusste, dass sie in diesem Zimmer waren. Er konnte ihren Angstschweiß riechen. Sein Griff um das Messer wurde noch fester. Er wollte sie töten. Beide. Er wollte sich an ihnen rächen. Doch konnte er es tun? Sollte er es tun? Wie versteinert stand er vor der Tür, das Messer fest in seiner rechten Hand. Zögerlich ging seine linke Hand der Türklinke entgegen.
Im schwarzen Zimmer schien es, als würde die Zeit nicht vergehen wollen. Sie wussten, dass er vor der Tür stand. Der Schatten seiner Füße fiel durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Boden, was sie hätten sehen können, wenn sie sich nicht noch näher an die Wand hinter den Kisten gedrückt hätten.
Der dunkle Raum erhellte sich, als die Tür langsam geöffnet wurde. Das einfallende Licht konnte ihnen die Angst nicht nehmen – im Gegenteil.
Sein Herz pochte, das Messer in seiner Hand zitterte, während er die Tür öffnete. Es würde seine Erlösung sein. Als er daran dachte beruhigte er sich und sein Griff wurde wieder fester. Schnell schlug er die Tür auf und betrat das dunkle Zimmer. Er fiel. Er fiel in einen schwarzen Abgrund. Die Erlösung war ihm verwährt.