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Im Schatten des Vollmondes
Der Abend war gerade angebrochen und ich hatte schlechte Laune, denn den Ärger den ich in der Schule bekommen hatte, brachte ich leider mit nach Hause.
"Faule Socke!", schalte mich meine Mutter.
"Dummes Erwachsenengesabbel", sagte ich und musste ohne Essen ins Bett.
"Wäre bloß mein Vater hier.", dachte ich voller Trauer, doch der war vor zwei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen.
In dieser Nacht konnte ich wieder nicht einschlafen und so dachte ich an die Geschichten von Poe, Stevensen, Oscar Wilde und Bram Stoker, die wie gute Freunde mein langweiliges Leben erträglich machten.
Meine Augen fielen für einen Augenblick zu, als ich sie schwerfällig öffnete, war mein Zimmer mit Nebel gefüllt. Eine schwarze Kutsche mit vier Rappen stand da, wo sich sonst mein Schreibtisch befand.
Wie hypnotisiert stieg ich in die Kutsche, wo wohlige Wärme mich umfing und ich sofort einschlief.
Betäubt erwachte ich, als das erste Licht der Morgensonne den Himmel des Borgopasses rot färbte, und als dichter Schnee die Sicht unmöglich machte, hatte ich das Gefühl, als ob die Kutsche fliegen würde.
Ich wusste - ich bin in Rumänien, der Heimat meines Vaters.
Tief unten im Tal hörte ich die Wölfe heulen, als ob sie ahnten, dass ihr neuer Herr und Meister nicht mehr fern sei und in meinen Kopf hörte ich die dunkle Stimme meines Vaters sagen:
"Denke daran mein Sohn, in meinen Land reisen die Toten schnell."
"Bin ich denn tot?" dachte ich verwundert.
Die Reise verlief wie im Flug. Felsen und Bäume huschten an meinem Fenster vorbei und plötzlich sah ich auf den Berg das Schloss meines Vaters. Wenig später betrat ich die Eingangshalle des Hauses, als mir drei weißgekleidete Frauen entgegenkamen. Ein eisiger Hauch umfasste mich.
Ihre Gesichter kamen mir irgendwie bekannt vor.
Waren das nicht meine ehemaligen Lehrerinnen aus der Grundschule?
Aber wie sollte dies möglich sein?
Es wurde mir ein Brief überreicht, in dem stand, dass ich der Erbe dieses Schlosses sei. Als Geschenk bekam ich einen Hund, der auf mich aufpassen würde. Mir stockte der Atem, das war kein Hund, sondern ein riesiger grauer Wolf.
Seltsam, ich verspürte keine Angst als er auf mich zukam, mir zur Begrüßung die Hand leckte und mich mit seinen dunklen Augen vertrauensvoll ansah.
Wochen vergingen - ich war "Herr des Schlosses".
Hier konnte ich machen was ich wollte.
Mein Wolf immer an meiner Seite.
Die Bibliothek umfasste Tausende von Büchern und wenn am Abend das Kaminfeuer rotglühend brannte, wurden ihre Geschichten an der stuckbeladenen Decke zum Leben erweckt.
Aber meine größte Freude bestand darin, die drei weißen Furien mit meinem Wolf durch die langen Gänge des Schlosses zu jagen bis sie kreischend vor Wut durch den Kamin verschwanden.
Ich war glücklich.
So vergingen Monate und auf einmal merkte ich eine merkwürdige Traurigkeit in mir, die nicht zu erklären war.
Als ich in einer klaren, kalten Vollmondnacht auf die schneebedeckten Berge der Kaparten blickte, hörte ich von Weiten die Stimme meines Vaters:
"Du bist hier kein Gefangener, wenn du zu deiner Mutter zurückwillst, brauchst du dir dies nur wünschen, jederzeit kannst du hier zurückkommen."
Meine Lider wurden schwer und als ich die Augen aufschlug, befand ich mich Zuhause im Zimmer meiner Mutter und es roch aus der Küche nach Bratkartoffeln.
Hatte ich dies alles erlebt oder war das Erlebte nur ein Traum?
Aber wieso waren meine Hände und Ohren so kalt gefroren, als ob ich von draußen käme?