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Im Zwielicht
Jede Nacht ist nur eine weitere Qual, die ich in meinem Leben ertragen muss.
Gerade noch war das Licht da und mit ihm die Hoffnung, an die ich mich immer aufs Neue klammere. Doch plötzlich wird alles finster. Ohne Vorwarnung. Wie immer.
Sie sind wieder da. Ich spüre sie. Ich höre Geräusche aus der Küche, neben meinem Schlafzimmer. Ein blechernes Scheppern. Tappende Schritte im Vorhaus.
Ich zittere, ohne, dass es kalt wäre.
- „Eine Tablette täglich. Sie werden sehen, danach geht es ihnen besser.“
„Bin ich wirklich verrückt?“
„Ich denke nicht. Ich glaube, Sie haben nur Probleme mit dunklen Räumen“ –
Im Dunkeln höre ich sie leise flüstern.
„Du liebes Kind, komm, geh’ mit mir!,“ (Meine Hände tasten wahnsinnig unter dem Kopfpolster nach der Taschenlampe.)
„Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir.“ (Die Lampe ist so klein, so ...)
„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt“ (Ich schalte sie an. Ein wohliger Lichtschein schießt in die Höhe, malt Schatten an die Wände.)
„Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!“ Sie lachen.
Ich stolpere aus dem Bett. Die Stimmen sind verstummt.
- „Sie meinen, ich bilde mir das alles nur ein?“
„Ja.“ –
Meine Taschenlampe spendet nur beängstigend wenig Licht. Ich bekomme keine Luft mehr. Die Angst treibt mir den Schweiß ins Gesicht.
Ich versuche möglichst viel Licht auf mich zu werfen, um nur ja nicht zu sehr im Dunkeln zu sein. Es ist keine Einbildung. Nicht jede Nacht ein neuer Wahnsinn. Immer der selbe.
Am Rande des Lichtscheins sehe ich sie stehen: zwielichtige Gestalten. Zwergenartige Wesen, mit puppenhaften Gesichtern. Manche denen von Engeln gleich, andere mit roter Nase, bunter Stirn. Sie haben keine Mützen auf, stattdessen bedecken sie ihre Köpfe mit Töpfen und Schüsseln. Ich muss gar nicht genau hinsehen, um zu wissen, dass es meine sind.
Es muss ein gutes Dutzend sein, das da vor mir steht, an der Grenze zu Licht und Schatten.
Sie grinsen mich an und tun sonst nichts. Genau das macht mich verrückt. Sie stehen nur da, mit den dämlichen Töpfen auf ihren Köpfen und sie warten.
Ich entsinne mich meiner vorbeugenden Maßnahmen gegen einen Stromausfall. Die Lampe immer noch auf mich gerichtet, beginne ich, Streichhölzer zu suchen. In der Nachttischlade finde ich sie. Langsam zünde ich die Kerzen an meinem Schreibtisch an. Es wird heller. Da höre ich ein Geräusch und drehe mich herum. Ein Zwerg in Dress steht dort, eine schier lächerliche Szene. Er öffnet den Mund. Ich kann seine fauligen Zähne sehen. „Spiel mit mir“, sagt er und wirft einen Ball. Er springt auf - einmal, zweimal, kommt in den Lichtkegel – und verschwindet nicht. Er rollt genau vor meine Füße und bleibt dann liegen. Ich schließe die Augen, will nicht hinsehen. Ich gehe zu den nächsten Kerzen, auf meinem Nachttisch und zünde auch diese an.
„Warum machst du Licht“, fragen sie mich. Wispernde Stimmen.
Ich höre nicht hin, fahre damit fort, mehr und mehr Kerzen anzuzünden. Das Licht vergrößert seinen Radius und die Gestalten weichen immer wieder zurück. Sie gehen nicht weg, sind zuerst hier, dann dort. Immer am Rande der Helligkeit, wo Licht und Schatten das Zwielicht zaubern.
„Magst du uns nicht?“ Eine Mädchenstimme, hoch und irgendwie traurig.
Ich zünde die Kerzen an, die ich auf einen kleinen Tisch in die Mitte des Raumes gestellt habe.
Manchmal frage ich mich, was ich machen würde, wenn diese Dinger sie einmal ausblasen sollten.
Die sanften Klänge verschwinden. Es schwingt Hass mit, sie fletschen die Zähne.
„Wir werden dich holen! Früher, als du glaubst. Und dann wirst du mit uns spielen. Für immer.“
Kurz darauf vollende ich mein Werk an der letzten Kerze und der Raum ist fast taghell erleuchtet.
Die Schemen sind weg. Nur die Töpfe liegen noch dort, wo sie gestanden sind.