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Thema des Monats Im Zwielicht

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27.01.2004
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Im Zwielicht

Jede Nacht ist nur eine weitere Qual, die ich in meinem Leben ertragen muss.
Gerade noch war das Licht da und mit ihm die Hoffnung, an die ich mich immer aufs Neue klammere. Doch plötzlich wird alles finster. Ohne Vorwarnung. Wie immer.
Sie sind wieder da. Ich spüre sie. Ich höre Geräusche aus der Küche, neben meinem Schlafzimmer. Ein blechernes Scheppern. Tappende Schritte im Vorhaus.
Ich zittere, ohne, dass es kalt wäre.
- „Eine Tablette täglich. Sie werden sehen, danach geht es ihnen besser.“
„Bin ich wirklich verrückt?“
„Ich denke nicht. Ich glaube, Sie haben nur Probleme mit dunklen Räumen“ –

Im Dunkeln höre ich sie leise flüstern.
„Du liebes Kind, komm, geh’ mit mir!,“ (Meine Hände tasten wahnsinnig unter dem Kopfpolster nach der Taschenlampe.)
„Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir.“ (Die Lampe ist so klein, so ...)
„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt“ (Ich schalte sie an. Ein wohliger Lichtschein schießt in die Höhe, malt Schatten an die Wände.)
„Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!“ Sie lachen.
Ich stolpere aus dem Bett. Die Stimmen sind verstummt.
- „Sie meinen, ich bilde mir das alles nur ein?“
„Ja.“ –

Meine Taschenlampe spendet nur beängstigend wenig Licht. Ich bekomme keine Luft mehr. Die Angst treibt mir den Schweiß ins Gesicht.
Ich versuche möglichst viel Licht auf mich zu werfen, um nur ja nicht zu sehr im Dunkeln zu sein. Es ist keine Einbildung. Nicht jede Nacht ein neuer Wahnsinn. Immer der selbe.
Am Rande des Lichtscheins sehe ich sie stehen: zwielichtige Gestalten. Zwergenartige Wesen, mit puppenhaften Gesichtern. Manche denen von Engeln gleich, andere mit roter Nase, bunter Stirn. Sie haben keine Mützen auf, stattdessen bedecken sie ihre Köpfe mit Töpfen und Schüsseln. Ich muss gar nicht genau hinsehen, um zu wissen, dass es meine sind.
Es muss ein gutes Dutzend sein, das da vor mir steht, an der Grenze zu Licht und Schatten.
Sie grinsen mich an und tun sonst nichts. Genau das macht mich verrückt. Sie stehen nur da, mit den dämlichen Töpfen auf ihren Köpfen und sie warten.
Ich entsinne mich meiner vorbeugenden Maßnahmen gegen einen Stromausfall. Die Lampe immer noch auf mich gerichtet, beginne ich, Streichhölzer zu suchen. In der Nachttischlade finde ich sie. Langsam zünde ich die Kerzen an meinem Schreibtisch an. Es wird heller. Da höre ich ein Geräusch und drehe mich herum. Ein Zwerg in Dress steht dort, eine schier lächerliche Szene. Er öffnet den Mund. Ich kann seine fauligen Zähne sehen. „Spiel mit mir“, sagt er und wirft einen Ball. Er springt auf - einmal, zweimal, kommt in den Lichtkegel – und verschwindet nicht. Er rollt genau vor meine Füße und bleibt dann liegen. Ich schließe die Augen, will nicht hinsehen. Ich gehe zu den nächsten Kerzen, auf meinem Nachttisch und zünde auch diese an.
„Warum machst du Licht“, fragen sie mich. Wispernde Stimmen.
Ich höre nicht hin, fahre damit fort, mehr und mehr Kerzen anzuzünden. Das Licht vergrößert seinen Radius und die Gestalten weichen immer wieder zurück. Sie gehen nicht weg, sind zuerst hier, dann dort. Immer am Rande der Helligkeit, wo Licht und Schatten das Zwielicht zaubern.
„Magst du uns nicht?“ Eine Mädchenstimme, hoch und irgendwie traurig.
Ich zünde die Kerzen an, die ich auf einen kleinen Tisch in die Mitte des Raumes gestellt habe.
Manchmal frage ich mich, was ich machen würde, wenn diese Dinger sie einmal ausblasen sollten.
Die sanften Klänge verschwinden. Es schwingt Hass mit, sie fletschen die Zähne.
„Wir werden dich holen! Früher, als du glaubst. Und dann wirst du mit uns spielen. Für immer.“
Kurz darauf vollende ich mein Werk an der letzten Kerze und der Raum ist fast taghell erleuchtet.
Die Schemen sind weg. Nur die Töpfe liegen noch dort, wo sie gestanden sind.

 

Eine schöne Geschichte. Hat mir gefallen.
Sprachlich als auch von der Stimmung.
Interessante Interpretation von Goethe. Sieht man so gesehen viel zu selten in der Rubrik Horror/Grusel.

 

Hi one


Hat mir gut gefallen. Stilistisch hast dus mittlerweile wirklich drauf, zum neidisch werden.

Die Story ist zwar nicht gruselig, aber selbst auf so wenig Zeilen verstehst du es dafür, den Prot zu charakterisieren, dem Leser seine Geistesschwäche nahe zu bringen.

Mehr hab ich nicht zu sagen.

Liebe Grüße
Tamira


Kleinkram:

Nicht jede Nacht eine neuer Wahnsinn.
ein

 

Hallo Alexandro!

Vielen Dank fürs Lesen. Es freut mich, dass es dir gefallen hat. Das mit Goethe war nur, weils ich gerad eim Kopf hatte ;)

Hey Tama!

Stilistisch hast dus mittlerweile wirklich drauf, zum neidisch werden.
:shy:
Auch dir einen Dank fürs Lesen. Freut mich, dass es so einen positiven Eindruck hinterlassen hat.

Grüße,
One

 

Hallo Eine-Woche!

Der Bezug auf Goethes Erlkönig ist ja schon mal interessant. Dennoch ist mir der Anfang mit dem eingebundenen Dialog etwas zu wirr, ist aber Geschmackssache.

Zwergenartige Wesen, mit puppenhaften Gesichtern. Manche denen von Engeln gleich, andere mit roter Nase, bunter Stirn.

Kann es sein, das der Prot. unter Drogen steht? Sehr horrormäßig kommt das nicht rüber, dafür aber schön bescheuert. :D

Den Verweis mit den Töpfen würde ich mir für den Schluss aufsparen und nicht schon mittendrin verraten, dass sie dem Prot. gehören. Nur so als Vorschlag.

Was mich etwas verwundert, warum hat der Raum keinen Lichtschalter, sodass der Prot. umständlich Kerzen anzünden muss? :confused:

Ansonsten finde ich die Kg recht gelungen, nicht sonderlich gruselig aber mit einem schönen Ende, das die Vermutung nahelegt, der Prot. sei geisteskrank (oder er ist ein zwanghafter Goethe-Fan, DAS wäre dann echt der Horror!!!).

Ciao, Marvin

 

Hi one weak!

Kurz gelesen, kurz kritisiert!
Stellenweise habe ich sogar Atmosphäre gespürt bei deinem kleinen Stück. Du hast einige Bildchen eingesetzt, die einprägsam sind und wirken. Der Ball, natürlich, die Töpfe. Das kann man sehen, weil man es kennt. Sehr schön!

Die Auflösung, wenn man denn überhaupt eine erwartet, kann nicht adäquat sein, bei dem wenigen Raum, der dir bleibt. Insofern ist das eine reine Erwartungssache. Ich war nicht enttäuscht.

Einzig der Einstieg hat mir ein wenig missfallen. Du lieferst in den ersten Sätzen krampfhafte Erklärungsversuche, die überflüssig sind und stören. In medias res!

Aber, wie gesagt, kurz geschrieben und kurz genossen.

War gut!

Grüße von dieser Seite!

 

Hi one.

Ja doch, hat was. Realität? Wahnsinn?
Sehr schön dargestellt!

Tatsächlich kam sogar ein wenig Spannung auf, als die Zwerge näher kamen. Der Schluss ist ebenfalls gelungen. Lässt genug offen zum Grübeln und nochmal Drüberlesen.

Gruß! Salem

 

Hallo allerseits!

@Marvin
Nur nebenbei; es heißt weak (=schwach), nicht week (=woche) ;)
Danke fürs Lesen.

Was mich etwas verwundert, warum hat der Raum keinen Lichtschalter, sodass der Prot. umständlich Kerzen anzünden muss?
Weil der Strom aus is, steht drinnen :)

@Hannibal

Stellenweise habe ich sogar Atmosphäre gespürt bei deinem kleinen Stück. Du hast einige Bildchen eingesetzt, die einprägsam sind und wirken. Der Ball, natürlich, die Töpfe. Das kann man sehen, weil man es kennt. Sehr schön!
Das freut mich!
Einzig der Einstieg hat mir ein wenig missfallen. Du lieferst in den ersten Sätzen krampfhafte Erklärungsversuche, die überflüssig sind und stören. In medias res!
Ja, ich gebs zu, ich wollte ein bisschen Hintergrund liefern. Läppisch, schon verstanden...
Ansonsten danke fürs lesen. Freut mich, wenn so kurzweiler ein wenig Freude bereiten ;)

@Salem

Tatsächlich kam sogar ein wenig Spannung auf, als die Zwerge näher kamen. Der Schluss ist ebenfalls gelungen. Lässt genug offen zum Grübeln und nochmal Drüberlesen.
Hehe, spannend also. Höre ich gern.
Auch dir Dank fürs Lesen.

Schönen Abend noch,
One

 

Ahoi Z-P!

Danke fürs Lesen.

dein Quickie ist einer der besseren.
Hui, das hör ich gern :shy:
Wie bereits erwähnt: ein Quicki mit überzeugendem Schluss/ Auflösung ist wohl wie ein Blinder auf dem Hindernisparkur (sorry, der Vergleich hinkt, weil der Blinde geht).
:lol:

Freut mich, dass es dir gefallen hat.
Einen schönen Abend noch,
One

 

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