Immer haben die anderen Schuld!
Immer haben die anderen Schuld. Was soll dieses Selbstmitleid? Wie lange willst du dich noch hinter deinen selbstgefälligen Illusionen verstecken und das Leben an dir vorbeiziehen lassen? Gestern hast du auf die gefühlslose Gesellschaft gezeigt, vorgestern waren deine konservativen Eltern dran, wer ist es morgen?
Von zuviel Druck sprichst du. Die heutige Welt ist dir zu kalt, zu feindlich, des Lebens nicht wert. Niemand würde auf deine Bedürfnisse eingehen, niemand würde deinen labilen Zustand erkennen, die Sensibilität und Zeit besitzen, sich mit deinen Problem auseinander zusetzten. Ja, und? Steht auf der Stirn der anderen Leute „Psychiater“ oder „Messias“ geschrieben? Sie haben alle selbst ihre kleinen hässlichen Probleme, mit denen sie jeden Tag aufs neue einen Kampf auf Leben und Tod ausfechten müssen. Wie kannst du auch nur einen Augenblick verlangen, dass sie sich auch noch um dich kümmern sollen.
Diese Welt ist kein Zuckerschlecken, sie ist das härteste, was du je erleben wirst, aber wache erst einmal aus deinen süßen Träumen auf. Ich kann ihren verfaulten Gestank nicht mehr ertragen. Sie gehören nicht in diese Realität. Möglicherweise fängst du dann auch mal an, deine Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Natürlich, du wirst merken, du bist kein Superstar und wirst zu 99 Prozent auch nie zu einem werden. Aber wenn du dich nur ein einziges Mal aufmerksam im Spiegel betrachten würdest - ohne ein Hochglanzmagazin als Vergleich daneben zu legen - dann würdest du merken, dass du eine Schönheit bist. Deine Ecken und Kanten sind nicht verschwunden, aber erst sie geben dir Charakter. Durch eine, zwei Schönheitsoperationen und einer erfolgreich abgebrochenen Magersucht kann jeder zum Topmodell werden, aber dich wird keiner nachahmen können. Wenn dich jemand im Bus anlächelt, dann ist es nicht, weil du irgendeinem alltäglichen Massenideal folgst, sondern weil diese Person in dich sieht, dir als unvollkommene Kunst begegnet und genau darin diesen unvorstellbar hohen Wert sieht. Er sieht dich! Abstrahiert von Ängsten und Druck nicht in diese Gesellschaft zu passen. Er sieht eine kleines Veilchen zwischen tausenden von leblosen Steinen.
Nein, ich kann das nicht! Traurig und müde sehe ich in den Spiegel. Ich versuche es ja. Ich versuche mich nicht mit anderen zu messen. Ich versuche mit mir zufrieden zu sein. Aber dadurch werde ich immer noch nicht schöner oder besser. Schon öfters habe ich versucht ein anderer Mensch zu werden. Loszulassen von meinem alten Leben. Aber die Gesellschaft, sie hat mich nicht gelassen. Ich habe extra versucht, noch netter zu den anderen zu sein. Aber was hat es gebracht? Nichts! Ich habe nicht einmal erwartet, dass ich etwas zurückbekomme. Das soll man ja auch gar nicht. Aber es hat nicht funktioniert. Es muss doch irgendwann auch mal wieder etwas zurückfließen! Wozu lebe ich sonst? Haste letztens von dem Attentat gehört? Computerspiele und gewaltverherrlichende Musik sollen daran Schuld gewesen sein? Ha, das ich nicht lache. Die bringen mir vielleicht bei, dass ich auch durch geschlossene Türen schießen kann, das war’s dann aber auch. Vielleicht sollte ich es auch mal machen.
Du hast es einfach nicht verstanden, oder? Du verfällst einfach wieder in deine alten Verhaltensmuster. Wen wolltest du soeben in deinen ewigen Tagträumen erschießen? Die Gesellschaft?!
Stimmt, tut mir leid, das war ein Fehler. Nicht die Gesellschaft bringe ich zum verstummen, sondern dich!