Immer wenn es dunkel ist
Die Menge tobt. Schreie und der drückende Geruch von verbrauchter Luft und Schweiß erfüllen den Raum. Trotz der schwachgelben Beleuchtung kann man die Gestalten nur schemenhaft erkennen. Sie scheinen einen Kreis zu bilden, schmutzige, geknüllte Geldbündel werden in die Höhe gestreckt. Es sieht aus als würden sie winken.
Weit ab von all diesem Treiben sitzt ein Mann an einem Schreibtisch. Er besitzt eine recht schwache, aber rüstige Tischlampe, die ihm bei seiner Arbeit hilft. Er schreibt irgendetwas in ein Notizbuch. Zwei stämmige Gestalten stehen hinter ihm. Sie bemühen sich cool zu bleiben, doch in Wirklichkeit suchen ihre Augen im Schutz der Sonnenbrillen den ganzen Raum ab.
Durch die geöffneten Hallentore kann ich Helikopter sehen. Die Menge scheint sehr betucht zu sein.
Du scheinst überhaupt gut zu sein. Ich erinnere mich, mir hat man einst auch so viel Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Ein Mann im Trainingsanzug steht mit einem blutgetränkten Handtuch hinter Dir. Allem Anschein nach ist er zufrieden. Dein nackter Oberkörper glänzt in dem faden Licht. Man sieht richtig wie stark Du geworden bist.
Der Trainer deines Gegners bemüht sich beinahe herzerwärmend um seinen Schützling. Doch dieser wird das wohl erst einmal nicht registrieren können. Du hast ganze Arbeit geleistet. Jetzt kannst Du Deine Frau und Deine beiden Söhne wieder für eine Woche über die Runden bringen. Euer Leben ist hart, aber ihr seid glücklich. Ein Glück, dass sie nichts hiervon wissen. Schließlich hast Du Deinen Job verloren und „arbeitest“ jetzt im Untergrund.
Du und Dein Trainer, ihr geht jetzt zum Buchmacher .Die einen sind enttäuscht, die anderen überglücklich. Du scheinst eine lohnende Investition zu sein, Bruderherz. Vielleicht werden Deine Kinder eines Tages genauso stark sein wie Du.
Irgendjemand scheint überhaupt nicht glücklich zu sein mit deinem Ergebnis. Er sieht aus als hätte er viel Geld verloren. Davon hätte er sich bestimmt den nächsten Ferrari in die Garage gestellt. Er nähert sich Dir. Von Hinten. Fehler Nummer zwei. Achte nach einem Kampf immer darauf, was hinter deinem Rücken passiert.
Du sinkst langsam zu Boden. Trauer, zerstörte Träume. Und das Letzte, was deine Augen aufflammen lassen, ist Liebe. Bedingungslose Liebe zu deiner Frau, zu deinen Kindern. Und die Hoffnung, sie eines Tages wieder zu sehen.
Er steckt die rauchende Waffe wieder ein, als würde es zum Geschäft gehören. Langsam leert sich die Halle, die Lichter werden mit einem lauten Klacken ausgeschaltet, die Tore geschlossen. Irgendjemand wird Dich morgen früh schon finden.
- „Du? Was..? Du hast es gesehen?“
„Ja. Ich habe Dich schon eine ganze Weile beobachtet.“
- „Ich habe Dich so sehr vermisst!“, Tränen benetzten sein Gesicht, und er fuhr fort: „Weißt Du, seit Du weg warst, warst Du immer mein Vorbild…“
„Nein. Das war schon immer so. Und genau das war dein Fehler, meine zu wiederholen. Erinnerst Du Dich? Mir ist exakt dasselbe widerfahren.“
Er senkte sein Haupt um dann wieder aufzublicken und zu sagen: „Willkommen zu Hause.“
Zwei Menschen, verwandt und doch verschieden. Vorbild und Schützling. Beide machen denselben Fehler. Eine Botschaft? Vielleicht. Wenn, dann an diejenigen, die Idole haben.
Blandon