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Immer wenn es dunkel ist

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30.10.2004
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Immer wenn es dunkel ist

Immer wenn es dunkel ist​

Die Menge tobt. Schreie und der drückende Geruch von verbrauchter Luft und Schweiß erfüllen den Raum. Trotz der schwachgelben Beleuchtung kann man die Gestalten nur schemenhaft erkennen. Sie scheinen einen Kreis zu bilden, schmutzige, geknüllte Geldbündel werden in die Höhe gestreckt. Es sieht aus als würden sie winken.

Jetzt geht’s rund. Warte nur ab.​

Weit ab von all diesem Treiben sitzt ein Mann an einem Schreibtisch. Er besitzt eine recht schwache, aber rüstige Tischlampe, die ihm bei seiner Arbeit hilft. Er schreibt irgendetwas in ein Notizbuch. Zwei stämmige Gestalten stehen hinter ihm. Sie bemühen sich cool zu bleiben, doch in Wirklichkeit suchen ihre Augen im Schutz der Sonnenbrillen den ganzen Raum ab.

Ah, du bist besser als erwartet!

Durch die geöffneten Hallentore kann ich Helikopter sehen. Die Menge scheint sehr betucht zu sein.
Du scheinst überhaupt gut zu sein. Ich erinnere mich, mir hat man einst auch so viel Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Ein Mann im Trainingsanzug steht mit einem blutgetränkten Handtuch hinter Dir. Allem Anschein nach ist er zufrieden. Dein nackter Oberkörper glänzt in dem faden Licht. Man sieht richtig wie stark Du geworden bist.

Block, block, Kuckuck! Hier bin ich! Links rechts unten oben Ellenbogen​
Deine Fäuste fliegen ja regelrecht, diese Geschwindigkeit. Das Blut deines Gegenübers scheint dagegen wie in Zeitlupe zu Spritzen. Der Menge scheint es zu gefallen, sonst würde sie nicht derartig schreien. Dein Widersacher sinkt auf den Boden, fast leblos brechen seine Knie ein, ein schmerzverzerrter Gesichtsausdruck ist trotz deiner Deformierungsversuche erkennbar. Ungläubige Augen verlieren das Bewusstsein. Du bist sichtbar stolz, Du hast heute Nacht hart gearbeitet. Dein Atem geht schwer.


Hah, hah, das war’s. Ich habe es geschafft.​

Der Trainer deines Gegners bemüht sich beinahe herzerwärmend um seinen Schützling. Doch dieser wird das wohl erst einmal nicht registrieren können. Du hast ganze Arbeit geleistet. Jetzt kannst Du Deine Frau und Deine beiden Söhne wieder für eine Woche über die Runden bringen. Euer Leben ist hart, aber ihr seid glücklich. Ein Glück, dass sie nichts hiervon wissen. Schließlich hast Du Deinen Job verloren und „arbeitest“ jetzt im Untergrund.

Wie viel ich wohl dieses mal bekommen werde, Maggie hat ja bald Geburtstag.​

Du und Dein Trainer, ihr geht jetzt zum Buchmacher .Die einen sind enttäuscht, die anderen überglücklich. Du scheinst eine lohnende Investition zu sein, Bruderherz. Vielleicht werden Deine Kinder eines Tages genauso stark sein wie Du.

Das ist ja mehr als erwartet! Davon können wir ja sogar richtig Weihnachten feiern! Das wird ein Fest!!​

Irgendjemand scheint überhaupt nicht glücklich zu sein mit deinem Ergebnis. Er sieht aus als hätte er viel Geld verloren. Davon hätte er sich bestimmt den nächsten Ferrari in die Garage gestellt. Er nähert sich Dir. Von Hinten. Fehler Nummer zwei. Achte nach einem Kampf immer darauf, was hinter deinem Rücken passiert.

Was…? Ich….

Du sinkst langsam zu Boden. Trauer, zerstörte Träume. Und das Letzte, was deine Augen aufflammen lassen, ist Liebe. Bedingungslose Liebe zu deiner Frau, zu deinen Kindern. Und die Hoffnung, sie eines Tages wieder zu sehen.

Maggie...

Er steckt die rauchende Waffe wieder ein, als würde es zum Geschäft gehören. Langsam leert sich die Halle, die Lichter werden mit einem lauten Klacken ausgeschaltet, die Tore geschlossen. Irgendjemand wird Dich morgen früh schon finden.


EPILOG​
„Hallo Brüderchen! Lange nicht gesehen!“
- „Du? Was..? Du hast es gesehen?“
„Ja. Ich habe Dich schon eine ganze Weile beobachtet.“
- „Ich habe Dich so sehr vermisst!“, Tränen benetzten sein Gesicht, und er fuhr fort: „Weißt Du, seit Du weg warst, warst Du immer mein Vorbild…“
„Nein. Das war schon immer so. Und genau das war dein Fehler, meine zu wiederholen. Erinnerst Du Dich? Mir ist exakt dasselbe widerfahren.“
Er senkte sein Haupt um dann wieder aufzublicken und zu sagen: „Willkommen zu Hause.“


Zwei Menschen, verwandt und doch verschieden. Vorbild und Schützling. Beide machen denselben Fehler. Eine Botschaft? Vielleicht. Wenn, dann an diejenigen, die Idole haben.

Und dass der Sieger nicht immer gewinnt.​

Blandon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Blandon,

irgendwie scheint mir dein Text weniger von der gesellschaftlichen Realität als von "Rocky" inspiriert zu sein.
Nicht, dass die Geschichte über den Mann, der seine letzte Chance in illegalen Boxkämpfen sucht und dabei zum Opfer eines Mordes wird, nicht Charme hätte, nicht, dass es nicht Arbeitslosigkeit gäbe und die Betroffenen sich manchmal an letzte Strohhalme hängen. Aber mir erscheint die Geschichte eher ein Cineastenalbtraum zu sein.
Der Bruder scheint schon vor deinem Prot in die ewigen Jagdgründe verschwunden und jetz tals machtloser Schutzengel in der Szenerie des schnellen Wettgeldes zu wachen.
Wo also findet sich "Gesellschaft" in dieser Geschichte wieder? In dem uns Lesern abgenommenem Prozess des Fazits, dass ein Sieger nicht immer gewinnt?

Vielleicht bin ich aber auch wieder einmal einfach nur zu blöd für die Geschichte. Einen gesellschaftlichen Spiegel kann ich jedenfalls nicht entdecken.

Lieben Gruß, sim

 

Dankeschön für deinen Kommentar, Sim!

Zum Einen danke ich Dir für deine positive Kritik und die fast korrekte Interpretation (ich hab mich wirklich schwer getan den Text verständlich zu machen), zum Anderen dafür, dass Du mich in der Aussage bestätigst, dass diese Geschichte hier nicht so ganz richtig ist. Sie war vorher (vielleicht ist sie es sogar noch??) im Abteil "Philosophisches" zu finden. Dort habe ich den Hinweis bekommen, dass sie dort nicht so ganz glücklich platziert sei und hier besser aufgehoben wäre. Vielleicht erbarmen sich ja einmal die Admins meiner und versuchen sie zuzuordnen, oder die Leserschaft gibt mir den Wink mit dem Zaunpfahl. Ich bin in der dieser Frage leider hoffnungslos überfordert, tut mir leid...

Blandon

PS: Blandon mit n am Ende ;-)

 

Hallo Blandon,

da beobachtet jemand seinen Bruder, der denselben Fehler macht, wie er selbst, also nicht aufpasst und deshalb erschossen wird. Das wirkt leider alles sehr klischeehaft, auch der Hinweis auf Frau und Kinder. Erst dachte ich, Du willst darauf abzielen, dass sich da Leute (zer-)schlagen lassen, um über die Runden zu kommen, aber anstatt so etwas als unzivilisiert abzutun bejubeln die Massen dies und ermöglichen erst diese Subkultur (wobei da nicht nur die Subkultur kritisch zu sehen ist). Aber dieser Aspekt verschwindet und Dein Schluss gibt dann auch noch das vor, was man letztendlich selbst merkt. Ein weiteres Problem ist: es wird kein Spannungsbogen aufgebaut.

Leider diesmal keine gute Nachricht von mir.

Tschüß... Woltochinon

 

hello Blandon,

die Geschichte scheint mir ein wenig wie mit dem Boxhandschuh geschrieben ;-)
Frau und Kind und der Sieger gewinnt nicht immer - mag nett sein, aber alles andere scheint um dieses 'Fazit' drumherumgebaut zu sein und ich muss nicht einmal selber darauf kommen. Das Leben ist wie ein Boxkampf?

Viele Grüsse vom gox

 

Erst einmal ein freudiges Dankeschön für die Kritik!

Ich seh' schon, man sieht, wie arg konstruiert das Ganze ist. Ich habe mich mit diesem Text auch ernsthaft schwer getan, und zur Veröffentlichung - wie ich zu meiner Schande gestehen muss - war ich nicht zufrieden mit dem Ergebnis, doch wusste ich auch nicht, wie ich das gewisse Etwas einbauen sollte. Hier habe ich mich zum ersten mal ernsthaft damit auseinandergesetzt, eine Botaschaft zu nehmen und die Geschichte drumherum zu bauen, am besten etwas, mit dem ich mich auskenne ;-)
Die Kernaussage sollte eigentlich die sein, dass Idolen blind gefolgt wird, ihre Fehler werden übersehen und man macht dieselben (Fehler 1 in diesem Fall [Nr.2 wird ja genannt]: Das Absinken in diese Szene aus Geldmangel). Es ist quasi als Ermutigung an Schützlinge, ihren eigenen Weg zu gehen, anstatt zu anderen aufzuschauen. Aber ebenso richtet sich diese Geschichte an die Vorbilder, denn man muss sich seiner Situation bewusst werden und auch stets so handeln, dass man mit gutem Gewissen weiterleben kann und andere auf seine Fehler aufmerksam zu machen, damit diesen nicht dasselbe Schicksal wiederfährt. Und was hätte sich da eher angeboten als die Geschichte zweier Brüder? Wie dem auch sei, ich entschuldige mich hiermit für die Veröffentlichung einer Geschichte, mit der nicht einmal ich zufrieden bin.
Und das Leben mag wie ein Boxkampf sein, aber das sollte eigentlich nicht die Kernaussage sein ^^ .....

Blandon

 

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