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In der Bar
Ich sitze allein in der Bar. Vor mir ein Bier. Hinter mir ein Bild von einer unbekannten Künstlerin. Abstrakte Kunst. Das Bild gefällt mir sogar.
Gegenüber sitzt ein Pärchen. Frisch verliebt. Es sieht zumindest so aus. Es ist lange her, dass ich hier zu zweit war. Mit meiner Freundin an meiner Seite. Acht Jahre. Jeden Abend bin ich hier. Und jeden Abend sehe ich neue Gesichter. Ich folge ihren Gesprächen. Ich kann sie nicht hören. Ich lese von ihren Lippen. Die meisten sind glücklich. Sie erzählen sich aus ihrem Leben. Viele junge Leute sind hier. Mit meinen 43 Jahren falle ich auf. Ab und an beobachtet man mich. Ich drehe mich weg, trinke mein Bier. Ich will nicht erkannt werden. Ich sehe mir das Pärchen weiter an. Sie reden über ihr anstehendes Familientreffen. Er ist nervös. Sie ganz locker. Sie zahlen. Und gehen. Mein Blick fällt auf die Frau die hinter ihnen sitzt. Erst jetzt sehe ich sie. Sie ist hübsch. Mitte dreißig schätz ich. Sie sitzt alleine da. Auffällig hier. Alleine geht man in keine Bar. Nicht in diese. Sie hat es trotzdem getan. Sie packt ein Buch aus. Sie liest. Ein dickes Buch. Aus der Ferne kann ich nicht erkennen, was sie liest. Ihr Antlitz fesselt mich. Ich kann mich nicht mehr lösen. Ich sitze da und starre sie an. Sie sieht mich nicht. Mein Glück. Andernfalls würde sie vielleicht gehen. Ich versuche ihren Augen zu folgen. Sie liest schnell. Plötzlich und unerwartet schaut sie auf. Unsere Blicke treffen sich. Für einen kurzen Moment bin ich gelähmt. Dann schaue ich sofort weg. Ich will nicht erkannt werden. Sie steht auf. Sie geht auf mich zu. Ich will weg. Nicht erkannt werden. Zu spät. Direkt auf mich zu. An mir vorbei. Ich atme auf. Sie geht zur Kasse und zahlt. Dann wieder zurück. Ich studiere zum Schein die Speisekarte. Eigentlich folgen meine Augen nur ihr. Sie packt ihr Buch wieder ein und geht. Wieder bin ich allein. Mein Bier vor mir. Um mich herum heitere Gesichter. Sie lachen, scherzen, reden. Ich nicht.
Ich schaue mir das Bild hinter mir an. Abstrakte Kunst. Es gefällt mir sogar.