In der Stadt
Heute war ich mit dem Fahrrad in der Stadt, denn ich hatte Zeit und das Wetter war gut. Da ich von außerhalb komme, aus einem kleinen Dorf zirka vier Kilometer weit weg, überquerte ich die Umgehungsstraße kurz vor der Stadt, die für den Zivilverkehr nicht gesperrt war, und nahm den Radweg neben der Straße stadteinwärts, vorbei am Feuerwehrhaus - alle Fahrzeuge waren da, es war kein Bombenangriff erfolgt. Ich fuhr weiter die Straße entlang, was keine Probleme bereitete, da keine Straßensperre errichtet war und ich nicht kontrolliert wurde. Inzwischen war ich auf der Höhe des Parks rechts der Straße angekommen, Soldaten waren dort nirgends zu sehen, nur einige Mütter mit ihren Kindern und ein paar Jogger. Ich fuhr weiter, vorbei an intakten Häusern und Gärten mit grünen Bäumen, bis die Straße am Gebäude der Versicherungsgesellschaft, das keine Bombenschäden hatte, auf die Hauptstraße traf. Ich bog rechts ab und folgte der leicht ansteigenden Straße hinauf bis zur Polizeiwache, ohne bis dahin von einem Scharfschützen erschossen worden zu sein. Nach der Wache verließ ich die Hauptstraße wieder nach links in Richtung der nächsten Kreuzung. Bis dahin war ich keinem einzigen Panzer begegnet. An der Kreuzung angekommen fuhr ich rechts, und auch hier war alles ruhig. Keine Schreie einer Frau, die von Soldaten vergewaltigt wurde, und auch hier keine Straßensperren, nur ein Mann mit einem Pudel an der Leine. So kam ich problemlos an die Bank. Das große Gebäude stand, der Geldautomat funktionierte. Es war inzwischen wärmer geworden und man konnte unbesorgt die frische Luft einatmen, von verfaulenden Leichen war nichts zu riechen. Ich nahm mein Geld und fuhr weiter zum nahen Supermarkt, um ein paar Lebensmittel zu kaufen. Alles, was ich brauchte, war da, die Preise waren niedrig und lange anstehen musste ich auch nicht. Ich verließ den Supermarkt wieder; es war nur der normale Verkehr zu hören, keine Schüsse. Auch sah ich immer noch keine Soldaten, nur ein paar lebende Kinder, tote sah ich nirgends. Ich stieg wieder auf mein Fahrrad und fuhr die nicht umkämpfte Straße zurück Richtung Polizeiwache, ohne, dass ich dabei vor MG-Feuer hätte in Deckung gehen müssen. Den Weg zur Versicherung überlebte ich, und so bog ich dort wieder auf die unverminte Straße, auf der ich schon gekommen war. Der Park, jetzt links von mir, bot immer noch das gleiche Bild wie zuvor; es war wohl kein Kind beim Spielen auf eine Mine getreten. Wieder passierte ich die Feuerwehr und überquerte die Umgehungsstraße, ein Artillerieangriff hatte nicht eingesetzt und Bomber waren auch nicht zu sehen. Ich war nun wieder von freien Feldern umgeben, irgendwelche Gruben für Massengräber fielen mir aber nicht auf. Und so kehrte ich unverletzt wieder heim, verbrachte den restlichen Tag mit irgendwelchen Dingen und konnte irgendwann ohne Angst ins Bett gehen. Albträume hatte ich keine.