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India Palace
Das „India Palace“ ist das beste Restaurant in Neukölln. Das Essen ist mittelmäßig, die männliche Bedienung fett, verschwitzt und unfreundlich, wenn sie sich überhaupt mal auf der „Terrasse“ blicken lässt, das heißt bei den fünf abgenutzten Holztischen unter der schimmeligen Markise auf dem Gehweg, auf denen sich die benutzten Teller und Schüsselchen der Vor- und Vorvorgäste stapeln. Der Chef im schmutzigen Hemd in der offenen Küche ist mit vier Bestellungen komplett in der Scheiße, genauso wie seine Bedienung, sein Schweiß strömt und spritzt wie das Fett in den Pfannen, die Gewürzschalen fliegen. Seit 15 Jahren hat sich das Ding nicht verändert, im Gegensatz zu den sonstigen Lipopetten, Lollipops und Lokalitäten, die in der Gegend seit ein paar Jahren überall wie Pilze aus den lange leeren Läden schießen. Die beste Zeit für einen Besuch im „India Palace“ ist Sonntagabends, besonders wenn es regnet und das Wasser über den schwarzverkrusteten Stoff des Vordachs auf die Rückenlehnen der Stoffpolster rinnt. Dann ist nur noch die Seite am Fenster besetzbar, der Blick auf die massiv befahrene und bewanderte Herrmannstraße frei, das Öl und die Abgase vermischen sich mit den Bierfahnen und dem kalten Rauch der ur-berliner Eckkneipen, in denen Langzeitarbeitslose täglich von 9 Uhr morgens an ihre Stütze in „Schulle“ investieren, mit der Döner-Kotze der Studenten an der Ecke, Rückkehrer aus einer 36 stündigen Nacht von Freitag bis Sonntag, wo die letzten Rohrkrepierer der Menschheit durch Heroinspritzen puffen, wo Kalle-ohne-Auge mit blutiger Stirn und aufgeriebener Stimme „So sehen Sieger aus“ grölt, wo Bernd und Mimi nach einer Woche Maloche ihre 14jährige Tochter Sandra - Schwanger im Vierten - wöchentlich einmal fragen wie’s geht und Kampfhund Herbert sein eben Geschissenes frisst, wo die Hitze des Sommertages zu stickiger Schwüle zusammenschmilzt, da ergießt sich die Atmosphäre Neuköllns mit dem Regen über den schmucklosen Schriftzug „India Palace“ auf der Stoffbedachung in die Sitzkissen der Klappstühle, sickert in saturiertes Schwammgewebe, weicht verhärtetes Sitzfleisch. Essen und Bedienung? Halt’s Maul! Hier sind wir alle in der Scheiße. Lies meinetwegen Dein Buch, wenn Du den Intellektuellen raushängen lassen willst, aber quatsch nicht die Tischnachbarn an! - Ich steh‘ drauf! Endlich hat die ganze neuberliner Nettigkeit mal ein Ende, das ganze Heitschibumbeitschibummbumm der Aufstrebenden und Motivierten, der eifrigen Familien- und Unternehmendsgründer, der Macher in ihrer Wahlheimat, aus der sie was „machen“ wollen, der schönen Denker, der Guten und Hilfsbereiten, der Menschen, das ganze Pack der so genannten Kreativen und der Ferienhauptstädter, zu dem ich selbst auch schon geworden bin, wir alle fressen hier das gleiche wie Herbert der Kampfhund. Wir nennen es Chicken Korma, Chicken Vindaloo, Palak Panir, Malai Kofta, 72, 302, 46 and what not, es kommt, wenn überhaupt, mit langer Verspätung, in verschiedenen Farben und mit verschiedenen Beilagen, gespickt mit safrangelben Körnchen, genannt Reis, plattem Knusperbrot, scharf, genannt Papadam oder dick aufgebläht im siedenden Fett, dann heißt es Batura, aber was wir tatsächlich fressen – und wir fressen mehr als wir essen, wir Tiere - ist unser eigener Mist; und wir stöhnen genüsslich dabei hmhmhm, sabbern und schmatzen, eilig eifrig leckerlecker lobend lecker labend lecker loslegend.
Nach etlichen Pärchen mit Dreadlocks bis zum Arsch und einem Lächeln bis zum Himmel - göttlich geerdet sagt man - denen das Abräumen nicht schnell genug ging und die darum wieder gingen, kommen zwei stinknormal aussehende Kurzhaarblonde - sie und er - und reden über zu viel Arbeit und zu wenig Urlaub, aber etwas paddeln wäre vielleicht noch drin – was sie noch normaler und dadurch noch sympathischer macht. Ich gebe unsere Speisekarte rüber - der Kellner ist mit dem Heraustragen eines einzigen Bieres schon mehr als beschäftigt - und mahne zur Geduld. Die Karte, besser das Buch, das die Speisen auflistet, ist so dick, zumindest der Ledereinband, dass es locker als Abendlektüre dienen kann - auch ohne Essen. An dem überfüllten Tisch rechts neben uns findet sich ein Althippiepaar ein, die es auf Französisch tatsächlich schaffen den Keller zum Halten zu bringen, bevor dieser abwinkt und wieder abdampft, mit dem home service und der Styroporkiste wieder herausschießt, zu dessen Auto, an dem die Polizei gerade ein Knöllchen wegen Parken in zweiter Reihe anbringt, was den Chef aus der Küche rennen lässt, armwedelnd im verrußten Hemd, ehemals weiß mit blauen Nadelstreifen, mit feiner Fistelstimme haspelnd – das Knöllchen ist schon wieder verschwunden – „Danke, Danke!“, bevor er wieder in die Küche flitzt. Nachdem ich mit Fanny ein paar Worte auf Französisch wechsle, fragen die Althippies - glücklich jemanden gefunden zu haben, der ihre Sprache spricht - ob wir für ihr Söhnchen (17) und ihr Töchterchen (18) vielleicht zwei Zimmer in einer WG wüssten, Budget 750. Neukölln goes international. Der kategorische Imperativ der Antigentrifizierung gebietet postwendend Nein zu sagen, ich lasse mir aber lächelnd ihre Nummer aufdrücken, immerhin habe ich selbst eine Wohnung mit altem Mietvertrag (die Höhe der Miete macht Sozialfälle neidisch), die untervermietet werden will, wenn ich mein altes Viertel wegen meines neuen und lukrativen Jobs in Paris nicht mit meiner Anwesenheit beehren kann. Inzwischen sind auch unsere Biere auf dem inzwischen auch abgeräumten, aber von Reis und Gemüse mit roter Soße noch übersäten Tisch angekommen. Im Vorbeigehen zerdrückt der Kellner mit dem Daumen ein Stück kalte gegarte Paprikaschote und verschmiert es auf der Tischplatte, ursprünglich mit der spontan entstandenen Intention, das gute Stück zu reinigen. Ich schlage mein Buch auf. red-rag and pink-flag / blackshirt and brown / strut-mince and stink-brag / have all come to town // some like it shot / and some like it hung / and some like it in the twot / nine months young. Die Sache wird gemütlich. Die beiden Blonden links setzen gerade an von ihrem soeben verlebten Schwedenurlaub zu erzählen als eine aus der Warthestraße auf die Hermannstraße biegende Fahrradfahrerin mit einem Knall von einem Taxi umgenagelt wird. In einer heillosen Schrecksekunde, springen Hilfslustige auf und strömen Schaubereite zu. Zeitgleich kommt mein Vindaloo-Huhn. Der Kellner, glücklich darüber endlich eine gute Nachricht zu bringen, verkündet enthusiastisch: „So!“ Ich bin sonst Vegetarier und außerdem streng gegen Massenhühnerhaltung, woher das mir mit Schwung kredenzte Tier mit Sicherheit stammt, aber das Teil sprach mich spontan auf der Karte an und man muss tun, was das Bauchgefühl sagt. Some like it shot, some like it killed on the road. Ich sehe noch die Blutlache von dem zerplatzten Schädel auf der place de la République vor einigen Wochen, damals auch ne Radfahrerin, vom Müllwagen erfasst, einsames Flattern der Silberfolie über steifen Beinen. Aber dennoch, die Vindaloo-Volaille muss rein, ich futtere trotz meines von der allgemeinen Aufregung unter Schock stehenden und sich wehrenden Magens, stopfe und würge etwas nach, dann geht‘s. Die ehemals Radfahrende zu Boden vor dem noch heißen Benz-Kühler, rührt sich aber noch, es sah wohl zunächst schlimmer aus. Auch die Nachbarn links erreicht ihr Mutton mit Blaulicht und Sirene nach weiteren - nun ganz von selbst und ohne das Ahnen des Kellners lang gewordenen fünf Minuten. „Ist aber auch ne beschissene Ecke“ – „Ja, und die fahren alle wie die Bekloppten.“ – Das allgemeine Blabla zur Beruhigung des Magens und der Moral, wie ein Amuse-Gueule, eine Auster nach einer Achterbahnfahrt, délicieux, Champagnerblasen im Blut, noch ne Gabel Scheiße, sauf wenn du willst, aber halt endlich das Maul!
Unmöglich. Ich muss schon wieder übers Paddeln reden, Westhavelland, Bootsfahrer, die illustre Gesellschaft in Grütz, der Campingplatz, die herrliche Natur, auch Blond und Blond zwischen Vaxholm, Vidingö, Värmdö, von Malmö nach Stockholm 85, mehr als von Berlin über Stralsund (29) und Fähre (39), die spinnen die Schweden, wie die Deutschen, mit der Bahn. Und weil wir schon über Geld sprechen, lasse ich den Platzhirsch raus und erzähle von meiner Wohnung und den acht Jahren, die ich schon drin, und dem alten Mietvertrag und damals noch 250 für Ikea bei Einzug - was sie blass werden lässt - zahlen in der Leine schon zehn warm pro Meter hoch zwei, ich noch drei. Aber er, sagt er, will was, möchte Infrastruktur, kulturelles Angebot, wenn schon Stadt, denn schon weggehen, Kino, nette Leute, Kneipen, wenn schon Neukölln mit Unfall und Junkies und Herbert und etc. „Das möchte ich schon!“ Hat sich auch verändert das Viertel, Leute wie euch, sag ich, oder mich, hätten wir „damals“ noch nicht hier im India Palace getroffen, oder die zwei Franzacken-Hippies gleich rechts. Und dann geht’s gleich los über Immobilien und Preise und Politik und er zitiert Pispers über nasses Wasser und heißes Feuer und Raubtierkapitalismus, diesen übertriebenen Pleonasmus verblendeter Schönredner und Wünschelrutengänger der eigenen Gier. Was tun? Hinterfotzig das Leben, Wollen, Werden, Glücklichsein, pity this busy monster, menschenunähnlich. Er hat ein schlechtes Gewissen sagt er, mit seinem Job und seinen 10 warm pro Meter hoch zwei. Normale Entwicklung leiderleiderleider wir zerstören, wir vertreiben, wir ver- und entmieten das Leben, vorne schön, hinten fotzig, hinterfotzig, wir gentrifotzieren, fotzen uns wohl, some like it shot. Und dann die Kinder, some like it in the twot, Korruption der Scheiße und des Lebens wie es ist, was soll man tun und bieten? Kein besseres Leben? Neun Monate jung? Dann die Offenbarung: Schweiß von des Kellners Stirn klingt tropfend stumpf in Messingschälchen wie Gebetsgong und Mühlen der Zeit, kleingemahlen und würzig scharf, Vindaloozeit, fünf Feuerwehrwagen, Großalarm, Absperrung, wenn sie sie gar nicht mitnehmen ist es ein schlechtes Zeichen, die Zeit tropft wie fettige Soße in ein Glas ohne Boden, liegt sie noch da? Oder schweißnasses Schimmelwasser, nasses Markisenrinnen, Träufeln in aufgeschwemmte Schwämme, magenüberfülltes futtern fressen stopfen Anstatt abzunehmen wird das Chickenmuttonsoßereis immer mehr schwillt an quillt über Tische triefen die Scheiße steht uns bis zum Kinn aus allen Poren blubbert tropft speichelt wichst was raus, wir lächeln blubbernd sabbernd reden Tacheles; in Schweden alles sauteuer Immobilien der Wahnsinn, aber nur 15% Eigenkapitalrendite, muss mir erst mal erklären was das wieder heißt, dann bläht die nächste Blase sich vor mir auf und wir sehen alles untergehen, wir Genies, aber zunächst bläht es sich auf, blubbernd, safrangelb, vindaloogelb, kochend brodelnde Zeitblase, Soße des Da, bis ich merke, es ist meine Hirnblähung, die sich mit der des Blonden paart, zwei Nacktschnecken einander in den Wülsten liegend, kackebraun, kopulierend, dann die Überflutung des Neokortex, groß wie das ganze Eckhaus die Blase unserer Hirnkotliebe, es droht wie ein Tsunami aus mir auszubrechen, leihen ohne zurückzuzahlen, wo besitzen, ich auch ich auch, wir feinen bürgerlich-integrierten Antikapitalisten, von werweißwo Dahergeschwommenen! Oder ein Boot, wie ein König in seinem schwimmenden Königreich, von Havel bis Hamburg, von April bis November hunderte Rentnerkönige, in ihrer eigenen Blase. Und in Berlin, alles wird teurer, nur für wen? Jobs gibt‘s keine außer Promo- und Telefonfragescheiße. Häuslein bauen, auf dem Lande? Mir reicht mein Bafög schon zum Abbezahlen. Mir fällt das Muttermal auf dem Oberschenkel von Blond neben mir auf und ihre schönen Beine braun schwedenbraun Vaxholm braun Vindaloo spicy mir fällt auf dass ich ihren Mund gerne küssen würde füllen mit meinem überquellenden safrangelben blubbernden ihren nürnberger Schmalmund mit der Angestelltenschmalzunge oder Akademikerin wo ist der Unterschied beide sind schleimproduzierend den liebelispelnden Spitzlippen ihre schon bediente zum Platzen gefüllte Kehle füllen überfüllen ersticken mit mir und meinen neun Monate alten Wünschen some like it in the twot some like it in the Fot meine überpralle Kehle ihre mit der Zunge vom Anus aus durch das ganze breiigbraune Safranbreiige das Gaumenzäpfchen kitzeln futtern fressen fotzen streicheln Linda und Marcel blond wie wir dunkelblond sonnengebrannt abgepaddelt durchgeschwedet die Stadt stellen wollen das Gestell Berlin hier noch 35% Freiheit genannt Eigenkapitalrendite 15% Zukunft ich stelle mir vor wie sie stöhnt ganz nah bei ihr schönes Lachen ihr Freund Marcel diese badenwürtembergische Flachzange ist höchstens für Fisten und sklavisch-versaute Misshandlung gut, wäre aber auch schön. Als wir den „India Palace“ nach drei Stunden wieder verlassen wollen sie uns ihre Nummer auch noch geben, ich sage Ja und meine Nein, natürlich, und der Meister der gestapelten Dreckteller bekommt drei Euro extra, vielzuviel, nur um ihn zu motivieren, bloß nichts zu ändern.