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Inkonsequenz
Ich liege wach in meinem Bett und blicke auf den beinahe Fremden der neben mir schläft.
Eine große Unlust überkommt mich bei dem Gedanken an die letzten Stunden, die ihr mir zweckdienliches Ende in weniger als zwanzig Minuten fanden.
Der Versuch, jetzt über Sinn und Zweck meiner Handlungsweise nachzudenken, scheitert an meiner Unruhe.
Vielleicht ist es die Erwartung Miguels, die mich wach hält.
Eine Stunde im Dunkel harre ich aus ohne zu denken, frierend, da es mir widerstrebt mit diesem Körper eine Decke zu teilen.
Dann fährt ein Auto an, ich höre die Tür, den Schlüssel in die Schale auf der Kommode fallen.
Eilig aber leise, darauf bedacht den Schlafenden nicht zu wecken, schließe ich die Schlafzimmertür hinter mir und renne wie auf Katzenpfoten die Treppenstufen runter.
Als oft berührte Finger den Schalter der Stehlampe im Wohnzimmer anschalten, kann ich aus meiner Entfernung in ein Gesicht blicken, welches das Pendant zu dem bildet, das mit seinem zugehörigen Körper in meinem Bett liegt. Es ist oft schon betrachtet und vertraut.
Miguel lächelt und bleibt als mein Fixpunkt auf den ich mich zu bewege stehen, meinen Namen wie seinen Blick in Freude sprechend.
„Anatol.“
Ich bleibe zwei Schritte vor ihm stehen, und betrachte sein von der Reise abgemühtes Gesicht, das dennoch Herzlichkeit und Liebe für mich trägt.
Ich schließe die Augen und unternehme den Versuch die körperliche Nähe seiner Umarmung auszuschöpfen.
Mit einem bitteren Lächeln gehe ich aus diesem Moment heraus, nicht wissend, welche Intention in meinem Gegenüber dieses Mal in dem kurzen Kontakt steckte.
„Dein verlorener Sohn ist wieder da. Er war bei seinem Vater.“, sagt er halblaut, mich mit einem beinahe verletzenden Lächeln ansehend.
Ich senke den Blick, den Kopf leicht schüttelnd, „Sag so etwas nicht.“, flüstere ich.
Aber er kauft mir den Reuigen nicht ab, legt seine Hand unter mein Kinn und reißt meinen Kopf hoch.
„Meine Schuld ist es nicht, dass du allein bist.“
Ich schließe erneut die Augen. „So allein bin ich nicht, wie du denkst.“
Die Weichheit seines Gesichtes lässt eine schnelle Entgleisung seiner Züge zu, und Zorn brennt seine Merkmale wie Narben hinein.
Der Fokus seines Blickes gleitet von mir ab, seine Hand sinkt langsam von meinem Kinn herunter, und seine Befürchtung treibt ihn die Treppe hoch
Ich bleibe an seiner Stelle stehen und sehe zu, wie er meinen vorigen Weg abschreitet, höre das Öffnen der Schlafzimmertür und sehe ihn dann wieder zurückkehren, sich auf die unterste Stufe setzend und sich am Geländer mit der Rechten haltend.
Ich sehe im Licht, das ihn an seinem Platz nur noch geschwächt erreicht, Fassungslosigkeit und eine unspezifische Angst.
Langsam sinke ich auf das Sofa.
„Miguel... wie geht es deinem Vater?“
„Besser. Besser seit er dich nicht mehr ertragen muss.“, flüstert er, kaum hörbar, dann mich direkt ansehend und in gehobener Lautstärke: „ Es ginge jedem besser, der sich von dir trennte.“ Mit Wut und Tränen auf dem Gesicht, hält er mich mit seinem Blick fest.
Mitleid wollte ich nie zulassen, aber genau dieses, für mich und ihn, durchfährt mich und lässt mich zu ihm eilen, ihn gegen seinen Willen in meine Arme schließen, worauf er los schluchzt.
„Schlag es dir doch aus dem Kopf.“, flüstre ich ihm erregt ins Ohr, selbst den Tränen nah, seinen Kopf in meinen Händen an meine Brust drückend, „Du dummer Junge.“
Und mit einem tiefen Luftholen lässt er zu getröstet zu werden, von mir, wie damals, als er fünf war, und sein Knie durch einen Fall vom Fahrrad blutete. Vor Enttäuschung bebend liegt er an meiner Brust, wie damals mit zwölf, als seine Noten schlecht waren. Seine Tränen durchnässen mein Hemd wie die des Fünfzehnjährigen, der sich in den Lebensgefährten seines Vaters verliebt hatte, und es niemanden sagen konnte. Seine Lippen zittern wie vor drei Jahren als er sich entscheiden musste, ob er mit seinem Vater gehen sollte, der sich von seinem Lebensgefährten getrennt hatte, oder bei letzterem blieb, mit dem er nach seinem Durchfallen im Abitur eine Nacht verbrachte. Eine solche wollte er immer wieder, der andere, Ältere jedoch bereute die gleiche, da der Jüngere ihm Jahre wie ein Sohn gewesen, nur nicht blutsverwandt- und ihn damals an den Gegangenen, der einen Verlust bedeutete, erinnerte.