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Interaktivität mit meinen Engeln
Peter Paul jonglierte durch die Strassen Duisburgs. Düster war es, Lust hatte er keine, aber es versprach es seinen Engeln. Schon seit Wochen war er zu Hause geblieben, hatte sich zugetrunken, hatte nichts zustande bekommen als ein paar billige Taschenspielertricks, mit denen er ein paar Nutten in der Strasse unterhielte. Aber er hatte Kraft gewonnen. Er war angeschlagen, der Papierkorb quillte seit Monaten über und kein Bleistift war angespitzt.
Aber heute würde es passieren. Er freute sich schon wahnsinnig darauf.
Peter Paul hatte Angst im Dunkeln spazierenzugehen. Und Duisburg war bestimmt nicht seine Lieblingsstadt. Aber heute war er Gott und seinen Engeln hatte er es versprochen. Außerdem machte es Spaß, Gott zu spielen.
Er spazierte über Kreuzungen, ohne auf mögliche Autos zu achten. Heute war er unverwundbar.
Er wanderte auf die Rhein-Ruhr-Halle zu, ein großes Spektakel sollte ihn erwarten, und tatsächlich: ein Feuerwerk in den buntesten Farben bildete ein Gesicht und ruhte über der Halle.
Na, denen werde ich es zeigen: Peter Paul hatte ein Jahr lang geübt und konnte jetzt tatsächlich auf Händen gehen. Jetzt hatte er die Engel ausgetrickst. Mit seinen Füßen öffnete er die Tür der Halle und tanzte einen flotten adabmal mit seiner Mathelehrerin, die von jeder Perspektive aus wunderbar aussah.
Er fühlte sich auch wunderbar. Doch schon fühlte er wunderbar die mahnenden Blicke seiner Engel.
Sie hatten sich noch nicht abgewendet. Doch er hörte sie murmeln:
"Was sooooooooolllllllll denn die Scheiße?"
"Seeeeeltsaaaam."
Ein langer Pfeil traf genau seine Archillessehne. Er schrie auf, fiel, doch wurde er dadurch nur stärker. Ja, er hatte Blut verloren, der Platz hier schien nicht zu gefallen. Er musste hier weg.
Er stand wieder mit beiden Beine auf der Erde. Langsam torkelte er zum Theater am Marientor. Unheimlich kam es ihm hier vor.
Das moderne Theatergebäude vermochte ihn früher noch einzuschüchtern. Aber heute ist es alles anders. Ihm ist eine neue Kraft beschert worden.
Diese Kraft vermag sogar Sicherheitstüren zu öffnen. Er trat in das stille Theater ein und schnippste mit seinen Fingern.
Die Bühne erwachte zum Leben. Godot ist gekommen. Der gute Godot. Das lange Warten ist nicht umsonst gewesen. Überschwenglich begrüßten sich die beiden, küssten sich auf Arabisch und kochten irischen Kaffee.
Das Theater stürzte ein, er musste raus. Schreiend verließ er das Gebäude. Einem herabfallenden Balken konnte er gerade noch ausweichen, aber Godot wurde lebendig begraben.
Er hörte Engel, die ihm zuriefen:
"Auuuuuuthenzität."
"Siiiiiinnnnnlos."
"Na gut", rief er drohend gen Himmel, "dann bekommt ihr jetzt Authenzität! Aber ihr müsst mich nach Barcelona tragen."
Nachts ist es kalt in Duisburg. Peter Paul spürte eine kalte Brise seine Beine berühren. Doch es waren keine Luftströme.
Engelshände umarmten seine Körper, erwärmten seine kalte Brust, verschlossen seine Archillesferse, ließen ihn schweben. Ein wahnsinniges Gefühl ließ ihn tanzen, höher und höher flog er. Schon verlor er beinahe das Theater aus den Augen.
"Ich bin zurück", vernahm man seine jetzt fast engelsgleiche Stimme.
"Diese Flüchtigkeitsfehler", hörte er.
"Ein Schnellschuss", entgegnete es ihm.
Aber selbst das war jetzt egal. Noch bevor er den Atem Spaniens küsste, spazierte er
die Ramblas rauf und runter, trank einen Batido de Vanilla im Eixample und schwamm noch im November im Mittelmeer.
"Ich bin zurück. Danke. Meine Engel."