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Inventur

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22.07.2002
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Inventur

Grau. Über dem Fluß hing Nebel.
Wie ich es mir ausgemalt hatte, die „graue Hölle“.
Ich sah mich um. Tausende in groben Lumpen eingehüllte Gestalten die mein Schicksal teilten.
Es stank!
Stumpfsinnig ließ ich die Öde auf mich einwirken, nahm das Bild der kaputten, gebrochenen, habgierigen, diebischen Leidensgenossen in mich auf. Noch schliefen sie....
Hier konnte man ein Keuchen, da ein Husten und dort ein Ächzen hören.
Ich ließ meine Blicke umherschweifen, regte sich jemand, näherte sich jemand mir? Nichts, nur graue Würmer auf dem schlammigen Boden.
Weiter hinten konnte man gerade noch ein paar herumlaufende Gestalten erkennen. Diebe?
Waren sie gefährlich? Kamen sie näher?
Gespannt starrte ich in ihre Richtung, rührte mich nicht. Langsam wandte ich mich ab, schaute mich um, ich entdeckte meinen Teller; eine Konservendose, dort meinen Becher aus Weißblech in den ich mit dem langen Zimmermannsnagel meinen Namen feinsäuberlich eingeritzt hatte.
Nicht, dass es Diebe davon abhalten würde ihn ebenfalls zu stehlen, ich versuchte mir lediglich einzureden es würde seinen Zweck erfüllen.
Wieder ein Blick in die Runde, ich fixierte einige Gestalten die umherschlichen, versuchte ihre Absicht zu ergründen. Es stank.
Die Pappe unter mir die mich vor dem Schlamm schützen sollte, völlig durchnäßt, ebenso die Zeltplane, die mich wie ein schützender Cocon vor der Kälte der Nacht bewahrt hatte. Es war kalt.
Wieder sah ich mich um. Es war reges Treiben entstanden , gespanntes Erwarten, Angst durchdrang meinen Körper.
Ich schreckte hoch, griff mit den Händen nach dem Brotbeutel.
Ich fand ihn. Gespannt fuhr ich mit der rissigen Hand hinein, schob die Socken beiseite.
Dort ich konnte meinen Schätze ertasten. Erleichterung durchströmte mich. Nun, da ich auch dies gefunden hatte ließ ich meine Augen erneut wandern. Ich fror.
Müde Männer schälten sich aus den Zeltplanen, starrten habgierig auf meinen Utensilien. Ich wandte mich ab, griff nach dem Beutel mit meinem Rasierzeug, lang nicht mehr benutzt, schon seit Tagen, vielleicht Wochen nicht mehr.
Ich zog Handtuch, Mantel und Hut zu mir, häufte sie auf, beschützte sie.
Unter mit ertastete ich meinen Zwirn.
Es war kalt, übler Geruch lag über dem Lager.
Dann legte ich Schreibblock und Stift beiseite.

 

Hallo Prodi, vielleicht habe ich Deine Story nicht mit voller Aufmerksamkeit gelesen (in diesem Fall: sorry!) - aber irgendwie habe ich den roten Faden nicht gefunden, bzw. nicht begriffen. Ist Deine Hauptfigur einer, der sich nur aus Neugierde unter das Bettlervolk gemischt hat? als Beobachter? Um nicht aufzufallen, hat er sich wochenlang nicht rasiert? Er will beschreiben, was er sieht? - Ist es so??

Vielleicht noch eine Ungereimtheit im Text: "...nahm das Bild der kaputten, gebrochenen, habgierigen, diebischen Leidensgenossen ...": für mich sind kaputte, gebrochene Menschen Wesen, denen jede Eigeninitiative fehlt (bzw. genommen wurde); also passive Menschen. Im Gegensatz dazu treffen Beschreibungen wie "habgierig" und "diebisch" gefühlsmäßig eher auf aktive Menschen zu. Kannst Du das nachempfinden? Beste Grüße. Ernst Clemens

 

Lieber Ernst Clemens,
ich möchte dir ersteinmal für deine Kritik danken.
Ich kann verstehen, dass es doch recht schwierig ist den "roten Faden" aufzunehmen. Das liegt wohl daran, dass die Geschichte aus den Eindrücken eines Gedichts entstanden ist, dass ich vor langer Zeit einmal gelesen habe.
Ich habe versucht die Situation eines Kriegsgefangenen zu Ende des zweiten Weltkrieges in all seiner Drastigkeit zu schildern. Ich merke nun aber auch, dass die bloße Erwähnung des Wortes "Lager" in der letzten Zeile die Rahmenbedingungen wohl nicht treffend genug beschreibt.
Um auf deinen zweiten Kritikpunkt anzusprechen, so finde ich, dass gerade der Kontrast zwischen diesen, so verschiedenen, Aspekten des menschlichen Charakters die Unmenschlichkeit der Situation unterstreicht.Gruß Prodi

 

Hallo Prodi!

Alles Gute zum Geburtstag! :)

Daß das Lager, in dem Deine Geschichte spielt, irgendetwas mit Krieg zu tun hat, habe ich mir beim Lesen schon gedacht. Aber daß es sich um ein Lager mit Kriegsgefangenen handelt, darauf wäre ich nicht gekommen.
Ich denke aber, das könntest Du mit wenigen Worten noch in den Text einbauen, ein oder zwei Hinweise zusätzlich sollten ja reichen. Vielleicht in Verbindung mit dem letzten Rasieren... ;)

Daß man in solchen Lagern höllisch auf seine Sachen aufpassen muß, stimmt auf jeden Fall. Und so finde ich auch die gegensätzlichen Charaktereigenschaften nicht verkehrt, zumindest nicht aus Sicht des Protagonisten.
Ich habe KZ-Berichte gelesen, die zeigen, daß jeder in solchen Lagern, der noch um sein Leben kämpft und sich noch nicht aufgegeben hat, schaut, daß er die nötigen Dinge auftreibt, und sei es durch Stehlen vom Nachbarn. Es steht da ganz deutlich drin, daß jemand, der nicht mehr derartig kämpft, bereits dem Tod geweiht ist, daß der dann spürt, daß er es nicht mehr braucht... Ich erinnere mich da zum Beispiel an eine Szene, in der alle im Raum still wurden, als ein Mann, abgemagert bis auf die Knochen, seine Zigaretten herschenkte, die er mühsam gesammelt hat. Er rauchte nicht, aber Zigaretten sind Zahlungsmittel in solchen Lagern, die man gegen Eßbares tauschen kann. Als er diese herschenkte, wußten alle, er würde bald sterben. Und als er dann tot war, fielen sie wie die Ratten über seine Habseligkeiten her. - So ist es im Lager und diese Situation, die Du beschrieben hast, kann ich mir gut vorstellen. Wobei in Kriegsgefangenenlagern wahrscheinlich weniger Menschen sterben als in KZs und sie größere Aussicht darauf haben, wieder freizukommen. Aber die Trostlosigkeit und Not der Menschen ist bestimmt ähnlich.


Zwei Dinge, die ich noch ändern würde:

"Dort ich konnte meinen Schätze ertasten"
- Dort konnte ich ...

"griff nach dem Beutel mit meinem Rasierzeug, lang nicht mehr benutzt, schon seit Tagen, vielleicht Wochen nicht mehr."
- würde nach "Rasierzeug" einen neuen Satz anfangen - bzw. siehe meinen Tip von oben. ;)

Alles liebe,
Susi :)

 

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