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Irriducibili
Die Meute tobt. Die Spannung, die in der Luft liegt ist so intensiv, dass man sie auf der Haut spüren kann. Langsam ziehen sie den Weg zum Stadion hinauf. Über einen staubigen Pfad, vorbei an den kleinen Gemüseläden, die an diesem Sonntagnachmittag nicht geöffnet haben; dann erst erreichen sie die gepflasterte Straße. Am Horizont erscheint ihr Ziel. Das „Stadio Olimpico“. Es ist heiß. Der beißende Geruch von Schweiß steigt Beppe in die Nase, doch es stört ihn nicht. Wie lang hat er darauf gewartet. Wie lang hat er darauf gewartet wieder so von Leben erfüllt zu sein. Die Menge brüllt: „Lazio, Lazio, Lazio“, und ein Gefühl der Stärke breitet sich in ihm aus. Ein Gefühl von Kraft und von Gemeinschaft, wie er es nur hier spüren kann. Am Spieltag in der Gruppe der „Irriducibili“.
Das Lazio Logo, dass Paolo in die Luft hält wird geziert von einem Hakenkreuz.
Die Menge trägt ein weißes Banner vor sich her auf dem in großen schwarzen Lettern steht: „AS: AUSCHWITZ LAVOSTRA PATRIA I FORNI LE VOSTRE CASE“ „AS: Auschwitz ist eure Heimat, die Öfen euer Zuhause“. Ein beinahe schon historisches Spruchband. So traditionsreich wie der blanke Hass, der ihnen entgegenschlägt je näher sie dem Stadion kommen. Ihrem Stadion. Die Gegner sind bereits da. Sie recken ihre roten Schals voller Stolz in die Luft. Langsam nähern sich die Männer der Irriducibili dem Eingangstor. Die Polizei zwingt die restlichen Fans eine Gasse zu bilden, sodass der berüchtigste und gefürchtetste Fanclub ganz Italiens ungehindert in seine Kurve kommt. Doch niemand will schnell voran. Beppe start in die rot-gelbe Menge.
Die geringste Provokation einer der beiden Seiten könnte zu dem führen, worauf er sich seit Erwerb seiner Derby-Karte vorbereitet hat. Seine Halsschlagadern pulsieren. Jeder Muskel ist bis die letzte Faser angespannt. „fascio“ „Faschist“,der Ruf verhallt auf dem großen Stadionvorplatz. Es herscht Totenstille. Dann passiert es: „gustafavi!“ „Schwanzlutscher!“. Der Schrei unterbricht die Stille schlagartig. Lazio und AS Fans schreien sich an; die Polizei versucht alles unter Kontrolle zu halten. Eine Flasche schlägt nur wenige Meter neben Beppe auf dem Fußboden auf. Das braune Glas zersplittert unter lautem Klirren auf dem Asphalt. Dann löst sich Barone aus der Gruppe.
Wie ein ausgehungerter Pitbull stürmt er auf die AS Fangruppe zu. Die Polizeikette kann den beinahe zwei Meter großen Mann nicht aufhalten. Sein „Di Canio“ Trikot weht im Wind während seine Knöchel mit den Schneidezähnen eines AS Roma Anhängers kollidieren.
Der Knoten ist geplatzt. Das SS Lazio Gefolge rennt in die Menge. Es kommt zur Ausschreitung.
Alles was ihn belastete, alles was ihn zermürbte, die ganze Anspannung; alles ist verflogen. Adrenalin breitet sich in Beppes Körper aus. Völlig befreit fängt er an zu Kämpfen. Im Augenwinkel sieht er eine rote Mütze .Blitzschnell fährt er herum und reflexartig schlägt er zu. Blut bespritzt sein hellblaues Trikot; sein Handgelenk knackt, doch er spürt nichts. Mit jedem Tropfen Blut, der den grauen Asphalt befleckt schüttet sein Gehirn mehr Serotonin aus. Sein Sichtfeld ist verschwommen; sein Kopf glüht. Ein unbeschreibliches Gefühl der Freude breitet sich in ihm aus und erfüllt ihn bis in die Fingerspitzen mit Leben. Rage. Eine weiter Flasche zerschellt neben Beppes Füßen. Angetrieben vom Hass fliegt seine Faust durch die Luft und findet ihr Ziel im Gesicht eines weiteren AS Rom Fans. Seine Nase bricht unter lautem Knacken. Nichts kann ihn aufhalten, kein Gegner der Welt möge er auch noch so stark sein. Dann kommt der Höhepunkt. Ein Orgasmus der Gefühle.
Sirenen im Hintergrund. Die Sonne steht immer noch so hoch, dass man das blau-weiße Blinken kaum sehen kann. Der schwarze Knüppel fährt durch die Luft und trifft Gianni am Hinterkopf. In Beppes Kopf wird von der einen Sekunde auf die andere ein Schalter umgelegt. Er rennt. Rennt Richtung Stadtmitte. Er dreht sich nicht um. Wenn die Polizei hinzukommt heißt es jeder für sich. Die Sirenen werden leiser, Beppes Atem lauter. Nach zehn Minuten gönnt er sich die erste Verschnaufpause. Man kann die Fratelli d'Italia hören. Sie klingt elektronisch , konserviert, als wäre sie eingesperrt und könnte ihre volle Schönheit nicht entfalten. Beppe realisiert erst nach ein paar Sekunden, dass sein Handy klingelt.
„Barone“ steht in kleinen schwarzen Lettern auf dem Bildschirm. Er drückt auf den grünen Hörer. „Ja?“, meldet er sich. „Beppe!“, hört er Barones raue Stimme aus dem Hörer; er klingt ein wenig außer Atem, „ Haben sie dich nicht erwischt?“. „Nein.“, antwortet er. „ Hahaha diese Hurensöhne!“, sein Lachen klingt nicht wie ein fröhliches Lachen; tatsächlich klingt es nicht einmal wie das eines Siegers. „ Du Beppe die haben Carlo und Gianni einkassiert und von Emilio hab ich auch noch nichts gehört.“ Beppe antwortet nicht. In seinem Kopf fängt die Welt grade wieder an ein erkennbares Bild zu formen. Er setzt sich auf eine Bank. „ Beppe wir haben das Spiel zwar nicht sehen können, aber die AS Wichser wollen heute Abend ne Revanche. Warum sollten wir uns also die dritte Halbzeit entgehen lassen wenn wir schon die Erste und Zweite verpasst haben ?“wieder lacht er. „ Ja“, Beppe schweigt kurz, in seinem Kopf dreht sich immer noch alles um die Erlebnisse, die keine fünfzehn Minuten zurückliegen., „Wann?, Wo?“, fragt er dann. „Heute Abend um acht, den Ort schreib ich dir nachher, ich muss das noch klären.!“ „ Gut“ antwortet Beppe, „ bis später.“
Er drückt auf rot. Das Loch, in das er fällt ist so tief wie die Gefühle davor hoch waren. Seine Knöchel schmerzen und jetzt erst fällt ihm auf, dass seine Lippe blutet. Er läuft die Straße hinunter Richtung Innenstadt; läuft zurück in sein tristes Leben. Ein Leben ohne Arbeit, dass keine Höhepunkte kennt außer die Irriducibili. Er geht zwar nach hause, aber mit den Gedanken ist er schon wieder beim Abend. Er zieht sein verschwitztes Trikot aus und biegt dann in seine Straße.