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Isoliert Mittendrin
Nie war ich großartig mit Armut in Verbindung gekommen. Natürlich bemerkte ich die Bettler auf den Straßen und ab und zu warf ich ein paar Centstücke in ihre Hüte mit Löchern, die sie den Passanten hinhielten. Und mir entgingen auch nicht die Diskussion über Hartz 4, das ja einige in die Armut stürzen sollte. Mir entging das alles nicht, aber wirklich realisieren tat ich es nicht.
Meiner Meinung nach war jeder selbst für sein Glück zuständig und nicht der Staat.
Und außerdem, Armut in Deutschland gab es ja gar nicht. Punkt.
Bis mir eine Freundin einen Nachhilfejob vermittelte.
Es war ein grauer Apriltag und es waren nicht viele Menschen unterwegs. Stirnrunzelnd schaute ich im Bus auf den Zettel in meiner Hand. Ich hatte weder je etwas von die Straße gehört, noch war ich je in der Gegend gewesen. Mühsam hatte ich den Stadtplan studiert und stieg nun an der Haltestelle aus, wobei ich hoffte, dass sie richtig war.
Eine halbe Stunde irrte ich zwischen baufälligen Häusern und stillgelegten Baustellen entlang.
„ Entschuldigen sie, ich suche die Heinzboldstraße. Wissen sie wo das ist?“, fragte ich einen Mann auf der Straße. Er hob abwehrend die Hände und stammelte: „ Ich – ich nicht verstehen.“ Der Mann eilte davon. Zwei andere verstanden nur Bruchstücke meines Deutsches, bis ein dritter mir helfen konnte. Mühsam eilte ich an unzähligen gleich ausshenden Kiosken vorbei, bis ich endlich vor der richtigen Haustür stand. Mein Blick strich an Özans, Galliks und Gülcis vorbei, bis ich den richtigen Namen fand.
Die Treppen knarrten unter meinen Schritten, als ich das dunkle Treppenhaus empor stieg. Ich musste ganz nach oben und kam an keinem einzigen Fenster vorbei. Nur ein dunkler, mit Spinnenfäden behangener, Tunnel. Ich wollte jetzt schon wieder weg von hier.
„ Ah, hallo“, begrüßte mich die Frau freundlich und ihr Kopftuch verrückte etwas, sodass man den Ansatz ihrer dunklen Haare erkennen konnte. Ich musste meinen Kopf einziehen, da der Eingang selbst für mich zu niedrig war.
„ Eine Moment, bitte“, sagte die Mutter meiner Nachhilfeschülerin und ich versuchte den sprachlichen Fehler zu überhören. Drei kleiner Kinder rannten unter meinen Beinen entlang oder an mir vorbei. Ich folgte der Mutter in die Küche. Die Decken der Wohnung waren niedrig und die Fenster klein. Die Mutter erzählte mir in gebrochenem Deutsch, sie habe 5 Kinder, aber ich konnte bei aller Mühe nicht mehr als zwei Zimmer in der Wohnung zählen. Ein kleiner runder Tisch diente der Familie zum Essen und die die 3 Jährige und der 16 Jährige teilten sich das gleiche Zimmer.
Meine Nachhilfeschülerin war 10, seit einem halben Jahr in Deutschland, und hatte die größten Probleme mir zu folgen. Ich drosselte das Tempo meiner Sprache. Traurig bemerkte ich, dass sie kaum mitkommen konnte in der Schule. Und die Eltern konnten noch weniger Deutsch.
Nach zwei Stunden hatte ich dem Mädchen ein paar Artikel und in Ansetzten das Präteritum beigebracht. Die Eltern wollten, dass ich wiederkam und ob zwei Euro die Stunde reiche. Ich versuchte höflich zu sein, auf keine Frage direkt zu antworten, und antwortete stets, ich hätte im Moment viel zu tun.
Als ich erneut durch das dunkle Treppenhaus ging, klopfte mein Herz wie wild. Alles verunsicherte mich, so viel Fremdes umgab mich.
Ich kannte den Geruch der Gewürze nicht, die ein Kioskhändler verkaufte und verstand kein Wort der Sprache, die auf der Straße gesprochen wurde. Ich fühlte mich verloren, als wäre ich gerade in einem fremden Land angekommen.