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Jäger, Sammler, Hobbybastler
Giesela sreckt mir zur Begrüßung ihren Hintern entgegen. „Guck mal, ganz neu!“, freut sie sich, wippt kokett hin und her und lüpft dabei ihr Shirt, damit mir das „Rifle“-Schild am Hosenbund auch ja nicht entgeht. Mein Neid hält sich in Grenzen, ich habe andere Sorgen. Obstkuchen für zwei Kindergeburtstage, zum Beispiel.
„Gieselchen, du wirst's mir jetzt nicht glauben, aber ich seh dich lieber von vorne. Komm rein, Kaffee ist schon fertig“, lotse ich meine Freundin in die Wohnung, bevor ihre gesäßwackelnden Begeisterungsstürme das ganze Haus rebellisch machen. Hier im Flur hört jeder einfach alles, und wenn man morgens im Treppenhaus niest, wünscht die ganze Nachbarschaft tagelang Gesundheit.
„Neue Jeans, schau an, schau an!“ Ein wenig muss ich Gieselas Neuerwerbung nun doch bereden, sonst ist sie eingeschnappt, ich kenn sie doch.
„Da hat sich deine Berlin – Dienstreise ja richtig gelohnt.“ Während Giesela den Kaffeetisch ansteuert, taxiere ich neugierig – na gut, weniger neu, als gierig – ihren mitgebrachten Beutel. Der scheint gut beladen, zieht, der Schwerkraft Tribut zollend, mächtig gen Boden.
„Haste denn Pfirsiche bekommen?“
Angesichts meiner beutelschleppenden Freundin ist das eine überflüssige Frage. Sauerkrautkonserven würde sie mir sicher nicht hinterhertragen. Und überhaupt ist es hier ungeschriebenes Gesetz, praktisch Ehrensache: Jeder, der bei der Kombinatsleitung antreten muss, trägt auf seinem privilegierten Hauptstadtausflug, einem Vermächtnis gleich, die Einkaufslisten von Kollegen und Freunden im Gepäck. Berlin ist schließlich das republikgebundene Konsum – Mekka. Was es dort nicht gibt, sucht man landauf, landab vergebens.
Das ist schon immer so, soweit ich zurückdenken kann. Und die Erklärungen dafür, dass es hier in der Provinz immer etwas gibt, was es nicht gibt, die sind vielfältig. Sie reichen von logistischen Unwägbarkeiten, ausgelöst durch die vier Feinde des Sozialismus – Frühling, Sommer, Herbst und Winter –, bis hin zu dem an Defätismus grenzenden Verdacht, es müsse an allerhöchster Stelle wohl ein paar Kompetenzprobleme geben.
Wie auch immer. Irgendwer musste schließlich verantwortlich sein.
Nachdem der liebe Gott die Welt erschaffen hatte, verteilte er als Abschluss und Sahnehäubchen seiner Bastelei auch materielle Segnungen. Auf dass seine Geschöpfe ein bescheidenes Auskommen oder auch Einkommen, so genau ist die mündliche Überlieferung da nicht, hätten und nur frohlockend zu ihm aufschauten.
Unendlichkeiten, nicht messbare Zeiten des Schraubens, Kleisterns und Zurechtrückens – von wegen sechs Tage! –, aufopferungsvolles Geben und Verteilen lagen hinter ihm. Und er freute sich eigentlich nur noch darauf, das Treiben auf seinem zusammengezimmerten Modellbausatz untätig entspannt genießen zu können. Da gewahrte der Alte ein Fleckchen Erde, welches, wohl weil die Anrufungen an seine Person von dort her nur dünn und spärlich zu ihm drangen, überhaupt nicht auf seiner Verteilerliste stand.
„Ach, das geht aber nun doch nicht, nein, nein“, brummelte der liebe Gott vor sich hin, griff zum Ausgleich für seine Schusseligkeit richtig tief in die Kontingentkiste und nahm sich vor, diesen bislang gottvergessenen Landstrich göttlich zu bedenken.
Gerade ersann er, die hohle Hand gefüllt mit Wohltaten der obersten Kategorie, ein logisches Raster, um seinen Gottessegen gleichmäßig und gerecht zu verteilen.
Da rief ihn seine Frau schon ein drittes Mal zum Essen.
„Mein Gott, nun komm schon, die Klöße werden kalt! Und denk nicht, dass ich deine Götterspeise ewig vor den Kindern beschütze!“
Auch als Chef des Universums konnte der Herr diese liebreizende Aufforderung nicht mehr einfach ignorieren. Stimmlage und Ton seiner Angetrauten waren stufenlos von lockenden Säuseleien hin zum Feldweibeljargon mutiert.
„Und mach dir die Hände sauber und schlepp nicht den ganzen Dreck aus dem Hobbykeller in die Wohnung!“
Alarmstufe Rot! Jetzt war er aber doch in Eile. Wenn sein Weib so richtig wütend, sie hier unten nicht mehr nur akustisch, sondern körperlich präsent würde, dann hätt sich's mit dem neuen blauen Biotop. Mit einem Wisch wär alles weg.
Und er müsste schon wieder von vorne anfangen.
Mit einer Hand drückte der Alte die Gegensprechanlage „Bin in einer Minute oben, Schatzi!“, während er mit der anderen seine Gaben direkt mittig auf Berlin pfefferte. Drei oder vier, vielleicht sogar fünf Wohltatskrümel blieben an seinem hart erarbeiteten Handschweiß kleben. Die strüffelte er achtlos und eilig im weiteren Umfeld der Hauptstadt ab. Nach Tisch, so beschloss Gott, würde er das schon wieder richten.
Seither ziehen Karawanen von Dienstreisenden samt langer Einkaufslisten durch Spree - Athen. Tonnenweise verschleppen sie Büchsenware, Paprikaschoten und Apfelsinen ins Hinterland. Und sie beten um ein baldiges Ende der göttlichen Mittagspause.
„Klar hab ich Pfirsiche.“ Giesela stellt sogar drei Büchsen auf den Tisch. „Und zwei Kompasse für deine Stifter dazu!“
„Kompasse? Für die Kinder?“
„Ja doch“, grinst Giesela und kramt noch zwei Bananen aus ihrem Beutel. „Damit kannste, aber nur in Berlin, die Himmelsrichtung bestimmen“, kichert sie. „Musste bloß auf die Mauer legen. Da, wo die Dinger dann angefressen sind, ist Osten.“
Jetzt lachen wir beide. Und Giesela packt ihre gelben Scheußlichkeiten wieder ein. Die hat sie nur für die Bebilderung ihres neuesten Kalauers gebraucht.
Wir mögen gar keine Bananen.