Was ist neu

Jäger, Sammler, Hobbybastler

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19.04.2008
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Jäger, Sammler, Hobbybastler

Giesela sreckt mir zur Begrüßung ihren Hintern entgegen. „Guck mal, ganz neu!“, freut sie sich, wippt kokett hin und her und lüpft dabei ihr Shirt, damit mir das „Rifle“-Schild am Hosenbund auch ja nicht entgeht. Mein Neid hält sich in Grenzen, ich habe andere Sorgen. Obstkuchen für zwei Kindergeburtstage, zum Beispiel.
„Gieselchen, du wirst's mir jetzt nicht glauben, aber ich seh dich lieber von vorne. Komm rein, Kaffee ist schon fertig“, lotse ich meine Freundin in die Wohnung, bevor ihre gesäßwackelnden Begeisterungsstürme das ganze Haus rebellisch machen. Hier im Flur hört jeder einfach alles, und wenn man morgens im Treppenhaus niest, wünscht die ganze Nachbarschaft tagelang Gesundheit.
„Neue Jeans, schau an, schau an!“ Ein wenig muss ich Gieselas Neuerwerbung nun doch bereden, sonst ist sie eingeschnappt, ich kenn sie doch.
„Da hat sich deine Berlin – Dienstreise ja richtig gelohnt.“ Während Giesela den Kaffeetisch ansteuert, taxiere ich neugierig – na gut, weniger neu, als gierig – ihren mitgebrachten Beutel. Der scheint gut beladen, zieht, der Schwerkraft Tribut zollend, mächtig gen Boden.
„Haste denn Pfirsiche bekommen?“
Angesichts meiner beutelschleppenden Freundin ist das eine überflüssige Frage. Sauerkrautkonserven würde sie mir sicher nicht hinterhertragen. Und überhaupt ist es hier ungeschriebenes Gesetz, praktisch Ehrensache: Jeder, der bei der Kombinatsleitung antreten muss, trägt auf seinem privilegierten Hauptstadtausflug, einem Vermächtnis gleich, die Einkaufslisten von Kollegen und Freunden im Gepäck. Berlin ist schließlich das republikgebundene Konsum – Mekka. Was es dort nicht gibt, sucht man landauf, landab vergebens.
Das ist schon immer so, soweit ich zurückdenken kann. Und die Erklärungen dafür, dass es hier in der Provinz immer etwas gibt, was es nicht gibt, die sind vielfältig. Sie reichen von logistischen Unwägbarkeiten, ausgelöst durch die vier Feinde des Sozialismus – Frühling, Sommer, Herbst und Winter –, bis hin zu dem an Defätismus grenzenden Verdacht, es müsse an allerhöchster Stelle wohl ein paar Kompetenzprobleme geben.
Wie auch immer. Irgendwer musste schließlich verantwortlich sein.

Nachdem der liebe Gott die Welt erschaffen hatte, verteilte er als Abschluss und Sahnehäubchen seiner Bastelei auch materielle Segnungen. Auf dass seine Geschöpfe ein bescheidenes Auskommen oder auch Einkommen, so genau ist die mündliche Überlieferung da nicht, hätten und nur frohlockend zu ihm aufschauten.
Unendlichkeiten, nicht messbare Zeiten des Schraubens, Kleisterns und Zurechtrückens – von wegen sechs Tage! –, aufopferungsvolles Geben und Verteilen lagen hinter ihm. Und er freute sich eigentlich nur noch darauf, das Treiben auf seinem zusammengezimmerten Modellbausatz untätig entspannt genießen zu können. Da gewahrte der Alte ein Fleckchen Erde, welches, wohl weil die Anrufungen an seine Person von dort her nur dünn und spärlich zu ihm drangen, überhaupt nicht auf seiner Verteilerliste stand.
„Ach, das geht aber nun doch nicht, nein, nein“, brummelte der liebe Gott vor sich hin, griff zum Ausgleich für seine Schusseligkeit richtig tief in die Kontingentkiste und nahm sich vor, diesen bislang gottvergessenen Landstrich göttlich zu bedenken.
Gerade ersann er, die hohle Hand gefüllt mit Wohltaten der obersten Kategorie, ein logisches Raster, um seinen Gottessegen gleichmäßig und gerecht zu verteilen.
Da rief ihn seine Frau schon ein drittes Mal zum Essen.
„Mein Gott, nun komm schon, die Klöße werden kalt! Und denk nicht, dass ich deine Götterspeise ewig vor den Kindern beschütze!“
Auch als Chef des Universums konnte der Herr diese liebreizende Aufforderung nicht mehr einfach ignorieren. Stimmlage und Ton seiner Angetrauten waren stufenlos von lockenden Säuseleien hin zum Feldweibeljargon mutiert.
„Und mach dir die Hände sauber und schlepp nicht den ganzen Dreck aus dem Hobbykeller in die Wohnung!“
Alarmstufe Rot! Jetzt war er aber doch in Eile. Wenn sein Weib so richtig wütend, sie hier unten nicht mehr nur akustisch, sondern körperlich präsent würde, dann hätt sich's mit dem neuen blauen Biotop. Mit einem Wisch wär alles weg.
Und er müsste schon wieder von vorne anfangen.
Mit einer Hand drückte der Alte die Gegensprechanlage „Bin in einer Minute oben, Schatzi!“, während er mit der anderen seine Gaben direkt mittig auf Berlin pfefferte. Drei oder vier, vielleicht sogar fünf Wohltatskrümel blieben an seinem hart erarbeiteten Handschweiß kleben. Die strüffelte er achtlos und eilig im weiteren Umfeld der Hauptstadt ab. Nach Tisch, so beschloss Gott, würde er das schon wieder richten.
Seither ziehen Karawanen von Dienstreisenden samt langer Einkaufslisten durch Spree - Athen. Tonnenweise verschleppen sie Büchsenware, Paprikaschoten und Apfelsinen ins Hinterland. Und sie beten um ein baldiges Ende der göttlichen Mittagspause.

„Klar hab ich Pfirsiche.“ Giesela stellt sogar drei Büchsen auf den Tisch. „Und zwei Kompasse für deine Stifter dazu!“
„Kompasse? Für die Kinder?“
„Ja doch“, grinst Giesela und kramt noch zwei Bananen aus ihrem Beutel. „Damit kannste, aber nur in Berlin, die Himmelsrichtung bestimmen“, kichert sie. „Musste bloß auf die Mauer legen. Da, wo die Dinger dann angefressen sind, ist Osten.“
Jetzt lachen wir beide. Und Giesela packt ihre gelben Scheußlichkeiten wieder ein. Die hat sie nur für die Bebilderung ihres neuesten Kalauers gebraucht.
Wir mögen gar keine Bananen.

 

Hi Butterblume,
hm, das kommt mir offen gestanden so vor, als ob die ganze Geschichte nur darauf abzielt, irgendwie diesen altbackenen Witz von der Banane auf der Mauer loszuwerden. Das hat doch so einen Bart …
Eigentlich lese ich gern was über das Leben in der DDR, aber das war nichts für mich. Das liest sich wie etwas, dass 1990 die Leser des Eulenspiegels begeistert hätte. Ich weiß, dass es schwer ist, solche DDR Erinnerungsgeschichten zu schreiben. Sind sie ernst, haben sie immer was von Polizeistaat, wollen sie witzig sein, lassen sie die DDR immer als eine Art burleskes Kasperletheater erscheinen. Aber trotzdem, so richtig warm werde ich damit nicht.

Sorry. Vielleicht gefällt es ja anderen.

LG
Sammamish

 

Hi, Sammamish,
ich danke Dir fürs Lesen und Deine Rückmeldung.
Dass Dir das nicht zusagt, tut mir leid. Mein Anspruch ist es aber auch nicht, einen Mythos über Unerschrockenheit und Kampfgeist zu bedienen, sowas gibts schon genug, sondern einfach ein Stück von dem damals allgegenwärtigen Galgenhumor zu zeigen. Der ist übrigens nicht systemgebunden. Die "altbackenen Witze" (nicht einer, drei!), die sind zwar altbekannt, aber mit Sachen über Robotron, z.B., kann ja doch keiner was anfangen.
Diese oft plumpen "Witze" sind im Nachhinein nur mäßig bis gar nicht lustig, sie beschrieben eben die Befindlichkeiten, aber das dann ziemlich punktgenau.
Ein Beispiel:

"Kennst Du die LOKOFEILOW-Methode? Nein? Na, erst wird ein Stahlblock gegossen und dann feilt man da die Lokomotive raus."

Da kann heut keiner mehr drüber lachen, beschrieb aber konkret die Schwierigkeiten, an Rohmaterial zu kommen. Und ich kann diesen flapsigen Witz in seiner damaligen Realitätsabbildung wirklich nur bestätigen. Wenns halt keinen Rundstahl mit den benötigten Maßen gab, wurde die nächst höhere Größe passend gemacht, musste ja weitergehen mit der Produktion.
Insofern: Hinter dem "Bart" der Sprüche versteckt sich oft mehr, als man meint.

Ich hab mich gefreut, dass Du gelesen hast und natürlich über Deine Ansichten zur Geschichte. Ich lass mir das natürlich durch den Kopf gehen, vielleicht schreib ichs noch mal um, ohne Bananen.;)

LG butterblume

 

Hallo butterblume!

Nachdem der liebe Gott die Welt erschaffen hatte,
Dieser ganze (kursiv) Einschub wird nicht von deiner Protagonistin erzählt. Kommt also aus dem "Off".
Ich würde daher die letzten zwei Sätze streichen...
Seither ziehen Karawanen von Dienstreisenden samt langer Einkaufslisten durch Spree - Athen. Tonnenweise verschleppen sie Büchsenware, Paprikaschoten und Apfelsinen ins Hinterland. Und sie beten um ein baldiges Ende der göttlichen Mittagspause.
... und evtl. etwas anhängen, was die Vergesslichkeit Gottes noch ein Mal (als Erklärung für die Engpässe in der DDR) hervorhebt. Z.B. Gott findet weder Stift noch Zettel, um ein Memo an sich selbst zu schreiben.
Also den Fokus des Off-Erzählers bei Gott lassen, und nicht am Ende plötzlich auf die DDR richten.

Liebe Grüße

Asterix

 

Hi, Asterix,
vielen Dank für Deine Rückmeldung. Du hast recht, an der Stelle hakt es mit der Erzählrichtung, oder wie das heißt. Ich habs mal mit Überarbeiten versucht, um die Erzählperspektive eindeutiger zu kriegen. Bin mir aber noch nicht sicher, deshalb quetsch ich den Text erst mal hier in den Thread.
Die Bananen sind immer noch drinne. Da hab ich zum Austausch zwar ein paar Ideen, aber ich find momentan keine wirklich besser.
Ich kopiers jetzt mal rein und bedanke mich noch mal bei Euch, Asterix und sammamish.
LG Butterblume


Jäger, Sammler, Hobbybastler

Giesela sreckt mir zur Begrüßung ihren Hintern entgegen. „Guck mal, ganz neu!“, freut sie sich, wippt kokett hin und her und lüpft dabei ihr Shirt, damit mir das „Rifle“-Schild am Hosenbund auch ja nicht entgeht. Mein Neid hält sich in Grenzen, ich habe andere Sorgen. Obstkuchen für zwei Kindergeburtstage, zum Beispiel.
„Gieselchen, du wirst's mir jetzt nicht glauben, aber ich seh dich lieber von vorne. Komm rein, Kaffee ist schon fertig“, lotse ich meine Freundin in die Wohnung, bevor ihre gesäßwackelnden Begeisterungsstürme das ganze Haus rebellisch machen. Hier im Flur hört jeder einfach alles, und wenn man morgens im Treppenhaus niest, wünscht die ganze Nachbarschaft tagelang Gesundheit.
„Neue Jeans, schau an, schau an!“ Ein wenig muss ich Gieselas Neuerwerbung nun doch bereden, sonst ist sie eingeschnappt, ich kenn sie doch.
„Da hat sich deine Berlin – Dienstreise ja richtig gelohnt.“ Während Giesela den Kaffeetisch ansteuert, taxiere ich neugierig – na gut, weniger neu, als gierig – ihren mitgebrachten Beutel. Der scheint gut beladen, zieht, der Schwerkraft Tribut zollend, mächtig gen Boden.
„Haste denn Pfirsiche bekommen?“
Angesichts meiner beutelschleppenden Freundin ist das eine überflüssige Frage. Sauerkrautkonserven würde sie mir sicher nicht hinterhertragen. Und überhaupt ist es hier ungeschriebenes Gesetz, praktisch Ehrensache: Jeder, der bei der Kombinatsleitung antreten muss, trägt auf seinem privilegierten Hauptstadtausflug, einem Vermächtnis gleich, die Einkaufslisten von Kollegen und Freunden im Gepäck. Berlin ist schließlich das republikgebundene Konsum – Mekka. Was es dort nicht gibt, sucht man landauf, landab vergebens.
Das ist schon immer so, soweit ich zurückdenken kann. Und die Erklärungen dafür, dass es hier in der Provinz immer etwas gibt, was es nicht gibt, die sind vielfältig. Sie reichen von logistischen Unwägbarkeiten, ausgelöst durch die vier Feinde des Sozialismus – Frühling, Sommer, Herbst und Winter –, bis hin zu dem an Defätismus grenzenden Verdacht, es müsse an allerhöchster Stelle wohl ein paar Kompetenzprobleme geben.
Wie auch immer. Irgendwer musste schließlich verantwortlich sein.

Nachdem der liebe Gott die Welt erschaffen hatte, verteilte er als Abschluss und Sahnehäubchen seiner Bastelei auch materielle Segnungen. Auf dass seine Geschöpfe ein bescheidenes Auskommen oder auch Einkommen, so genau ist die mündliche Überlieferung da nicht, hätten und nur frohlockend zu ihm aufschauten.
Unendlichkeiten, nicht messbare Zeiten des Schraubens, Kleisterns und Zurechtrückens – von wegen sechs Tage! –, aufopferungsvolles Geben und Verteilen lagen hinter ihm. Und er freute sich eigentlich nur noch darauf, das Treiben auf seinem zusammengezimmerten Modellbausatz untätig entspannt genießen zu können. Da gewahrte der Alte ein Fleckchen Erde, welches, wohl weil die Anrufungen an seine Person von dort her nur dünn und spärlich zu ihm drangen, überhaupt nicht auf seiner Verteilerliste stand.
„Ach, das geht aber nun doch nicht, nein, nein“, brummelte der liebe Gott vor sich hin, griff zum Ausgleich für seine Schusseligkeit richtig tief in die Kontingentkiste und nahm sich vor, diesen bislang gottvergessenen Landstrich göttlich zu bedenken.
Gerade ersann er, die hohle Hand gefüllt mit Wohltaten der obersten Kategorie, ein logisches Raster, um seinen Gottessegen gleichmäßig und gerecht zu verteilen.
Da rief ihn seine Frau schon ein drittes Mal zum Essen.
„Mein Gott, nun komm schon, die Klöße werden kalt! Und denk nicht, dass ich deine Götterspeise ewig vor den Kindern beschütze!“
Auch als Chef des Universums konnte der Herr diese liebreizende Aufforderung nicht mehr einfach ignorieren. Stimmlage und Ton seiner Angetrauten waren stufenlos von lockenden Säuseleien hin zum Feldweibeljargon mutiert.
„Und mach dir die Hände sauber und schlepp nicht den ganzen Dreck aus dem Hobbykeller in die Wohnung!“
Alarmstufe Rot! Jetzt war er aber doch in Eile. Wenn sein Weib so richtig wütend, sie hier unten nicht mehr nur akustisch, sondern körperlich präsent würde, dann hätt sich's mit dem neuen blauen Biotop. Mit einem Wisch wär alles weg. Und er müsste schon wieder von vorne anfangen. Mit einer Hand drücke der Alte die Gegensprechanlage
„Bin in einer Minute oben, Schatzi!“, während er mit der anderen seine Gaben direkt mittig auf Berlin pfefferte. Drei oder vier, vielleicht sogar fünf Wohltatskrümel blieben an seinem hart erarbeiteten Handschweiß kleben. Die strüffelte er achtlos und eilig im weiteren Umfeld der Hauptstadt ab. Nach Tisch, so beschloss Gott, würde er das schon wieder richten.

Giesela gehört erst seit Kurzem zur Karawane der Dienstreisenden, die samt langer Einkaufslisten durch Spree – Athen zieht, Tonnenweise Büchsenware, Paprikaschoten und Apfelsinen ins Hinterland verschleppt und um ein baldiges Ende der göttlichen Mittagspause betet.
Mit Fachkompetenz, spitzen Ellbogen, einem druckfrischen Parteibuch und ihrem Frausein hat sie im innerbetrieblichen Reiselotto den Jackpot geknackt.
„Klar hab ich Pfirsiche.“ Giesela stellt sogar drei Büchsen auf den Tisch. „Und zwei Kompasse für deine Stifter dazu!“
„Kompasse? Für die Kinder?“
„Ja doch“, grinst Giesela und kramt noch zwei Bananen aus ihrem Beutel. „Damit kannste, aber nur in Berlin, die Himmelsrichtung bestimmen“, kichert sie. „Musste bloß auf die Mauer legen. Da, wo die Dinger dann angefressen sind, ist Osten.“
Jetzt lachen wir beide. Und Giesela packt ihre gelben Scheußlichkeiten wieder ein. Die hat sie nur für die Bebilderung ihres neuesten Kalauers gebraucht.
Wir mögen gar keine Bananen.

 

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