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Jack O'Grady: Toller Name für einen miesen Gaul
Ich müsste so langsam echt mal pissen. Bestimmt schon seit ‘ner halben Stunde. Allerdings hatte ich noch keine Zeit, um aufs Klo zu gehen. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, mir die Fresse polieren zu lassen.
Kowalski nimmt wieder Maß und holt aus. Ein Wunder, dass ich noch keine Zähne spucke. Meine einzige Abwechslung, die ich im Augenblick habe, ist die Berechenbarkeit dieses Hinterhofschlägers. Jedes Mal, wenn er sein rechtes Auge zukneift, ist meine rechte Gesichtshälfte dran. Und beim linken Auge kriegt die linke Seite dann ihre Abreibung. Der Reihe nach auf Kinn, Kiefer und Jochbein. Je-des-Mal!
Kowalski hört irgendwann auf. Entweder ist ihm das Spiel zu langweilig geworden, oder seine Fingerknöchel tun zu sehr weh. Wurde auch Zeit.
„Ich soll dir ausrichten, dass Mr. Slater nicht länger auf seine Kohle warten will, du Pfeife. Hast du kapiert?“
Mein Gesicht fühlt sich an wie ein Pfund Gehacktes, schön frisch und blutig. Trotzdem schaffe ich ein schiefes Grinsen.
„Was du nicht sagst, Prinzessin. Und ich dachte schon, er wollte mir einen Heiratsantrag machen.“
Blöd! Weiß ich! Aber da meine Hände an den Stuhl gefesselt sind, bleibt mir als Waffe nur meine große Klappe. Vorerst jedenfalls.
Kowalski scheint ebenfalls der Ansicht zu sein, dass es ziemlich blöd ist, eine dicke Lippe zu riskieren, wenn man gefesselt auf einem Stuhl sitzt. Was sonst soll der harte Schwinger in meine Magengrube bedeuten, den ich als Antwort kassiere.
„Das Lachen wird dir vergehen, wenn du die fünftausend Piepen nicht auftreibst, die du Mr. Slater schuldest, du witziges Kerlchen.“ Wumm! Dieses Mal hat Kowalski mir doch tatsächlich mal direkt eins auf die Nase gezimmert. War ja eine richtige Abwechslung.
„Drei Tage, O’Grady. Dann ist Zahltag. So oder so!“
Kowalski spuckt verächtlich auf den dreckigen Boden und dreht sich zur Tür. Offenbar war‘s das jetzt für ihn.
„Hey Kowalski. Hätte Slater mir das nicht auch am Telefon sagen können?“
„Mister Slater ist der Meinung, dass du besser verstehst, was man dir in deinen dämlichen irischen Schädel reinprügelt. Deshalb unser kleines romantisches Date.“
„Ach so, nicht Slater wollte mir einen Heiratsantrag machen, sondern du. Ich hatte ja keine Ahnung von deinen Neigungen, sonst hätte ich mich extra fein für dich gemacht und mein rosa …“
Kowalski läuft rot an und kommt auf mich zu. Blöd – wie gesagt.
Als ich wieder zu mir komme, liege ich mit dem Gesicht im Dreck. Wenigstens war Kowalski so nett, mich loszuschneiden, nachdem er mir ziemlich deutlich gemacht hatte, dass er meine Art von Humor nicht witzig fand.
Ich sehe mich erstmal um. Scheint eine Art Schuppen oder Lagerhaus zu sein. Kisten und Fässer stehen im Halbdunkel an den Wänden. Keine Ahnung, wo ich überhaupt bin. Meine Erinnerung an den Abend ist verschwommen. Ich weiß noch, dass ich Fat Eddys Kneipe verlassen hatte und zu meinem Appartement wollte, als mir jemand aus ‘ner schmierigen Seitengasse heraus hinterrücks eine überzog.
Das nächste, was ich sah, war Kowalskis Schlägervisage und den Eimer in seiner Hand, mit dem er mir eine eiskalte Dusche verpasst hatte, bevor er mich in die Mangel nahm.
Um ehrlich zu sein, bin ich nicht mal besonders überrascht. Ich kenne Finnegan Slater. Jeder, der in Yonkers wohnt und Geld braucht, kennt ihn. Und seinen Gorilla und Mann fürs Grobe auch – Leon Kowalski.
Mühsam rappele ich mich auf und wanke zur Tür. Dem Fischgeruch, Meeresrauschen und leisen Klingeln einer Boje nach bin ich irgendwo am Hafen. Na toll. Das heißt ungefähr sechs Meilen bis zur nächsten Busstation.
Ein Gutes hat mein unfreiwilliger Nachtspaziergang allerdings. Die klare, kalte Luft pustet meine von Alkohol und Schlägen benommene Rübe wieder frei und gibt mir Zeit, meine Optionen durchzugehen.
Fakt ist, ich schulde dem miesesten Kredithai, den es in der ganzen Gegend gibt, viertausend Dollar plus tausend Dollar Zinsen. Und Finnegan Slater lässt keinen Schuldner vom Haken, egal, ob man das Geld nun für seine herzkranke Großmutter oder die Aussteuer seiner einzigen Tochter braucht. Oder wie in meinem Fall für einen todsicheren Tipp beim Pferderennen, der leider nicht ganz so „todsicher“ war, wie mir der angebliche Insider beteuert hatte.
Ich gebe zu, dass eine Wette beim Pferderennen vielleicht nicht der beste Grund ist, sich vier Riesen von ‘nem Typen wie Slater zu leihen. Keine Ahnung, welcher Teufel mich da geritten hat. Normalerweise bin ich nicht so leichtsinnig und unvernünftig.
Na schön – wenn ich drüber nachdenke, bin ich immer so leichtsinnig und unvernünftig.
Aber dieses Mal hätte ich es besser wissen müssen. Die Außenseiter gewinnen nie, egal wie hoch die Wetten stehen. Und genauso war es ja auch mit „Midnight Marvel“. Toller Name, mieser Gaul!
Und jetzt habe ich drei Tage Zeit, meinen Deckel bei Slater auszulösen. Sonst war mein Treffen mit Kowalski heute Abend tatsächlich ein Heiratsantrag verglichen mit dem, was dann kommt.
Ich bin todmüde und habe einen Bärenhunger, als ich endlich wieder in meinem gewohnten Teil der Zivilisation ankomme. Ich schwanke noch, ob ich geradewegs zurück zu Fat Eddy gehen und meinen Hunger mit Bourbon stillen, oder zur Abwechslung vielleicht wirklich mal was essen sollte.
Das hell erleuchtete Schaufenster von Liu Shang’s Chinarestaurant nimmt mir die Entscheidung ab. Noch bevor ich so richtig geschnallt habe, dass der Laden noch geöffnet hat, läuft mir bereits der Sabber im Mund zusammen.
Ein weiterer Beweis dafür, dass mein Maul wieder mal schneller reagiert als mein Hirn.
Scharf gewürzte Fleischstreifen mit Reis wären jetzt genau das Richtige. Außerdem machen die da so Teiggemüsedinger, deren Namen man zwar nicht aussprechen kann, die aber glatt einen Mord wert wären. Antonio, dem der Pizzaladen an der Ecke meines Blocks gehört, behauptet zwar felsenfest, die würden einem da garantiert Hund oder Katze vorsetzen, aber ich wette, der italienische Fettwanst ist nur neidisch auf die Kohle, die der alte Shang mit seiner Fressbude macht.
Außerdem hab ich dem Drecksitaker schon hundert Mal gesagt, er soll sich zurück in sein Spaghettifresserland scheren, wenn er mit den kleinen, gelben Schlitzaugen nicht klarkommt. Scheiß Rassist!
Der Laden ist fast menschenleer. Kein Wunder um die Uhrzeit. Ich suche mir einen Tisch hinten in der Ecke und lasse mich stöhnend nieder. Die Bedienung hab ich früher schon ein paar Mal gesehen. Ein süßes, zierliches Ding. Hat was von ‘ner Porzellanpuppe. Schmale Hände, zarte Finger, pechschwarzes Haar und schlank wie der Putzstock von ‘nem 30-06 Springfieldgewehr.
Lächelnd bringt sie mir eine Tasse Tee und legt mir dann die Karte vor die Nase. Während ich mir aus dem schlecht übersetzten Kauderwelsch was zu futtern raussuche, fällt mir die leichte, blauviolette Schwellung unter ihrem Auge auf, die das Rouge nicht ganz übertünchen konnte. Mein Kiefer verkrampft sich, als ich das sehe. Ich lege die Karte zur Seite und deute mit dem Finger auf ihre Wange.
„Wer war das, Schätzchen?“
Die Kleine lächelt verlegen und schaut dann zu Boden, während sie irgendwas in ihrem komischen Tsching-Tschang-Tschong murmelt. Schließlich sieht sie flehend zu mir auf.
„Ist gut alles, Mister, Sir. Sie wollen bestellen jetzt, Sir?“ Ihre kirschrote Unterlippe zittert.
Na ja, geht mich ja auch nichts an. Ich bestelle meinen Kram und sehe ihr nach, wie sie eilig in Richtung Küche abzischt. An der Tür zur Küche kommt ihr ein Chinamann mit einem langen, schwarzen Zopf entgegen, der sie herrisch anschnauzt. Als sie sich verschreckt an ihm vorbeidrückt, gibt er ihr mit der flachen Hand einen ziemlich heftigen Klaps auf den Hinterkopf.
Sieht so aus, als hätte ich den mutigen Helden gefunden, der Frauen schlägt, die nicht mal hundert Pfund auf die Waage bringen.
Die Kleine kommt schließlich mit einem Tablett voll dampfender Schüsseln und Töpfe zurück. Gott, riecht das gut. Und trotzdem ist da etwas, was mich von den Köstlichkeiten ablenkt. Während das Porzellanpüppchen das Essen vor mir aufbaut, wandert mein Blick zurück zur Küchentür. Dort steht Mr. Frauenschläger und grinst boshaft zu mir rüber, als er meinen Blick sieht.
„Wer ist der Schleimbeutel da hinten, Süße?“
Die Chinesin fängt wieder an zu zittern.
„Bitte, Mister! In Ordnung sein, Sir.“
„Kleines, ich hab‘ dich nicht gefragt, ob in Ordnung sein, sondern wer der Drecksack da hinten ist.“ Ich lege ein bisschen Stahl in meine Stimme. Wirkt meistens. Hier auch.
Die Kellnerin schluchzt leise und sieht mir dann traurig in die Augen.
„Ist Sohn von Boss, Mister. Er wollen mich … ich will nicht. Seitdem er schlagen oft, wenn mich sehen.“ In Porzellanpüppchens Augen legt sich neben ihre Verzweiflung auch eine ziemlich deutliche Prise Hass.
Mit kaum unterdrücktem Zorn sehe ich zu Zöpfchen rüber. Meine Knöchel treten weiß auf meiner geballten Faust vor. Nicht nur ‘ne Niete bei den Miezen, sondern obendrein auch noch ein schlechter Verlierer, der zu dämlich ist, ein „Nein“ zu kapieren. Solche Typen machen mich wütend. Sehr wütend!
Ich brauche ein Ventil. Aber ich kann jetzt schlecht meine 45’er ziehen und das Magazin in „Sohn von Boss“ grinsenden Schlitzaugenschädel leerballern. Also schaufele ich mir eine volle Gabel dieser kleinen, roten Chilischoten in den Mund, die heißer brennen als die Hölle. Und während das Zeug meinen Mund in einen Hochofen verwandelt, beginnen die Schrauben und Zahnräder in meinem Oberstübchen zu rattern.
Nach einer knappen halben Stunde bin ich mit Essen fertig. Meine Fresse brennt wie Feuer, die Schüsseln sind leer und Porzellanpüppchen kriegt ein nettes Trinkgeld. Ich gebe ihr zehn Dollar und werfe ihr dabei mein umwerfendes Schlafzimmertiger-Lächeln zu. Beides kriegt der gelbe Drecksack mit. Natürlich wird er ihr die Kohle abnehmen, sobald ich aus dem Laden rausgelatscht bin. Und mein Grinsen wird sie mindestens eine saftige Ohrfeige kosten. Sorry, Baby, ich mach’s wieder gut.
Ich finde Fat Eddy in seiner Kneipe. Als er mich reinkommen sieht, schenkt er mir einen Bourbon ein, noch bevor ich richtig durch die Tür bin. Er kennt mich halt einfach zu gut. Dieses Mal bin ich jedoch nicht nur wegen seines Gesöffs hier.
„Hey Eddy, kannst du mir mal zwei Gefallen tun?“
Eddy grunzt. Je nach Tonlage bedeutet das Ablehnung, Zustimmung, Verachtung, Spott oder Anerkennung. Für Außenstehende nicht immer leicht, das richtig zu deuten. Aber auch ich kenne ihn gut und kann seine Grunzlaute übersetzen.
„Danke, Partner. Du müsstest mir mal deinen alten Packard leihen. Und deine Abgesägte brauch ich auch.“
Eddy grunzt wieder, dieses Mal eindeutig überrascht. Er sieht sich um, aber am Ende des Tresens schnarcht nur der alte Säufer Spencer seinen Rausch aus. Ansonsten ist der Laden leer. Also greift Eddy unter die Theke und holt eine doppelläufige Schrotflinte mit abgesägtem Lauf hervor, die er mir wortlos rüberwirft. Als nächstes fliegt ein Schlüssel hinterher. Ich könnte meine Eier darauf verwetten, dass mich jeder, wirklich jeder andere zumindest gefragt hätte, was ich vorhabe. Eddy nicht, denn er weiß, dass ich einen guten Grund habe, um was es auch geht. Er kennt mich halt einfach zu gut.
Zehn Uhr morgens. Wird auch Zeit, dass der Laden aufmacht. Ich schlendere rein und sehe mich interessiert um. Da kommt auch schon eine ältere, gemütliche Verkäuferin angewatschelt.
„Willkommen bei Showroom Costumes, Sir. Diese Woche gibt es Ermäßigung auf Cowboy- und Indianer-Kostüme. Wollen Sie sich erst einmal in Ruhe umschauen oder suchen Sie etwas Bestimmtes?“
Ich grinse die Verkäuferin an und schiebe mir lässig den Zahnstocher in den Mundwinkel, auf dem ich immer dann rumkaue, wenn ich keine qualmen kann.
„Sie haben’s erfasst, Lady. Ich suche tatsächlich etwas Bestimmtes.“
Scheiße, ist das warm unter dem verdammten Ding! Außerdem juckt‘s wie der Teufel. Immer wieder kratze ich mich. Dieses Mal sind sie zu zweit. Damit hatte ich zwar nicht gerechnet, aber jetzt ist es zu spät. Ich muss eben schnell sein.
Es hatte mich den ganzen Tag und bestimmt fünfzig Meilen kreuz und quer durch die Stadt gekostet, um ihre Spur aufzunehmen. Aber was soll’s, ich bin Privatschnüffler. Das gehört schließlich zum Kleingedruckten bei dem Job.
Aber die Rumgurkerei hat auch ihr Gutes. Erstens ist es mittlerweile fast dunkel, und zweitens dürften die zwei Vollidioten inzwischen genug zusammengesammelt haben.
Da! Na endlich!
Sie steigen in ihren Buick und fahren los. Wahrscheinlich zu ihrem nächsten „Kunden“. Sehr schön. Langsam werde ich ungeduldig. Ich warte drei Autos ab und fädele mich dann hinter ihnen ein.
Nach einer Viertelstunde sind sie am Ziel. Ein mieser, runtergekommener Vorort.
Ich halte knapp fünfzig Yards hinter ihnen und steige aus. Während ich mich nähere, schaue ich zu Boden und ziehe mir den Hut runter und das Halstuch vors Gesicht. Die beiden sehen mich nicht mal kommen. Verdammt! Sie sollen mich aber sehen! Zumindest flüchtig wiedererkennen.
Also die nicht ganz so subtile Tour. Ich ziehe die Schrotflinte unter dem Mantel hervor und spanne beide Hähne.
„Stopp, Mister!“ Das wirkt. Die zwei Deppen drehen sich gleichzeitig zu mir rum. So perfekt wie diese Tänzerinnen im Theater mit den albernen rosa Tüllgardinen um die Hüften.
Ich lasse ihnen eine kleine Schrecksekunde. Eine wirklich ganz kleine. Dann drücke ich ab.
Die beiden Läufe der Flinte krachen wie der Donner des Jüngsten Gerichts und die Zwei heben vom Boden ab. Weit weniger elegant, als sie sich zu mir rumgedreht haben, knallen sie ein paar Schritte weiter auf den Boden. Der eine ist schon weggetreten. Der Größere von beiden röchelt benommen vor sich hin und spuckt Blut.
Soll sich nicht so anstellen, die Pussy!
Ich hatte extra nur Steinsalz geladen und außerdem einen Lappen vor die Läufe gebunden. Ein paar hässliche blaue Flecken, vielleicht ein oder zwei gebrochene Rippen, wenn’s hochkommt. Hätte ich die Buckshots drin gelassen, die Eddy normalerweise für seine Kneipenkanone nimmt, hätte man ihre Überreste jetzt aus den Bäumen kratzen können.
Der Große sieht noch kurz mit flatternden Augenlidern zu mir hoch. Sehr schön. Ich verpasse ihm einen sehr unsanften Tritt in den Magen und ziehe ihm dann die Flinte durchs Gesicht. Das reicht. Normalerweise wäre ich nicht so grob gewesen, aber der Scheißkerl hat’s verdient. Kann er mal sehen, dass es kein Spaß ist, vermöbelt zu werden, wenn man wehrlos ist.
Ich beuge mich zu ihnen runter und filze sie ausgiebig. Als ich das dicke Bündel Kohle in einer der Innentaschen finde, pfeife ich anerkennend. Wow – das hat sich echt gelohnt.
Zeit für einen Snack.
Porzellanpüppchen ist ein wenig überrascht, mich direkt am nächsten Abend schon wiederzusehen. Nervös sieht sie zur Küche rüber, doch die Drecksau ist ausnahmsweise Mal nicht da. Perfekt! Ich hab echt Schwein heute Abend.
„Hör zu, Süße. Das klingt jetzt vielleicht ziemlich komisch … aber … vertraust du mir?“
Ich sehe ihr tief in die Augen. Dieses Mal ganz ohne Schmonzes und aufgesetztes Gehabe. Ein offener, ehrlicher Jack-O’Grady-Blick.
Sie erwidert ihn einen Moment. Dann strafft sie ihre Schultern und nickt mir zu. Eine leichte, kaum wahrnehmbare Geste. Trotzdem, mir ist das Antwort genug.
„Gut, Kleines. In…“
„Ich … Jiao.“
„Häh?“
„Nicht Süßes … nicht Kleines … ich Jiao.“
Verdammt, diesen Satz hat sie ganz schön energisch gesagt, wenn man bedenkt, dass sie mir gerade mal bis zur Brust reicht. Ich kann mir nicht helfen – da ist es wieder, mein unzerstörbares, irisches Grinsen.
„Also gut. Jiao. Ich möchte, dass du so in zehn Minuten zu diesem Dreckskerl gehst, der dich immer schlägt. Du heulst ihm was vor, sagst ihm, dass es dir leidtut und bittest ihn, dir zu vergeben. Dann lockst du ihn auf den Hinterhof. Zu den Abfalltonnen. Den Rest überlässt du mir. Wird Zeit, den Müll rauszubringen.“
Jiao sieht mich an. Einfach so. Und ehe ich mich versehen kann, zuckt ihr kleines, zartes Porzellangesicht nach oben und sie haucht mir einen Kuss auf die Backe. Dann dreht sie sich um und geht in Richtung Küche. Ich sehe ihr nach. Na gut – ich glotze auf ihren kleinen, knackigen Hintern, der unter dem Seidenfummel, den sie trägt, wirklich prächtig zur Geltung kommt.
Sláinte! Allein schon der Gedanke, Jiao etwas Gutes zu tun, ist die ganze Mühe wert.
Kowalskis Augen fallen ihm beinahe aus seinem geschwollenen Schädel, als ich geradewegs zur Tür von Finnegan Slaters „Pfandleihhaus“ reinkomme. Er will sicher irgendwas Nettes zu mir sagen, aber das fällt ihm reichlich schwer mit seinem bandagierten Kiefer. Kein Wunder – so ‘ne Schrotflinte in die Fresse stopft einem leicht das Maul.
Bevor er etwas Dämliches tut, zum Beispiel seine Kanone ziehen, hebe ich beschwichtigend die linke Hand. Ich würd‘ ja beide Hände heben, aber die andere Hand brauche ich, um den Kohlensack auf meiner Schulter zu halten.
„Beruhig dich, Prinzessin. Ich hab hier ein Geschenk für Slater. Schone lieber deine ramponierte Visage.“
Wenn man vom Teufel spricht. Slater kommt aus dem Nebenraum. Er hat einen ziemlich wütenden Ausdruck im Gesicht. Und eine ziemlich große Tommy Gun Maschinenpistole in den Händen.
„Was willst du hier, O’Grady? Ich bin grad nicht in Stimmung für Spielchen. Du hast also besser einen verdammt guten Grund, hier reinzuschneien, sonst mach ich ein beschissenes Nudelsieb aus dir.“
„Ruhig Blut, Slater. Ich habe nicht einen, sondern elftausend gute Gründe, um hier zu sein.“
Slaters Kinnlade fällt beinahe Richtung Kohlenkeller.
„Verdammt, woher weißt du …“
Ich lasse den Sack auf meiner Schulter mit Schwung zu Boden fallen.
„Schau mal hier rein, Prinzessin. Na los.“
Kowalski würde mir am liebsten die Haut abziehen, aber als braver Bluthund, der er nun mal ist, sieht er unschlüssig zu seinem Herrchen rüber.
„Mach schon“, zischt Slater, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Kowalski reißt grob den Sack auf und das Söhnchen vom Boss poltert unsanft auf den Teppich. Kowalskis Augen schaffen das Unmögliche und werden noch größer.
„Ich werd verrückt! Das ist die Ratte! Der verdammte Hurensohn mit der Schrotflinte! Du… du…“ Ich lasse ihm zwei Tritte, bevor ich Kowalski zurückschubse.
Slater sieht unschlüssig zu dem Chinesen auf dem Boden.
„Bist du sicher?“
„Der Dreckskerl trug einen Hut und ein Halstuch, aber ich erkenne seinen schwarzen Haarzopf! Verdammte Schwuchtel!“
„Beruhig dich, Kowalski. Das regeln wir später. Jetzt erst zu dir, O’Grady. Dann spuck mal deine Geschichte aus.“
Ich lehne mich lässig an die Wand und zünde mir eine Lucky an.
„Na ja, nachdem dein … „Kompagnon“ mich so freundlich daran erinnert hat, dass ich dir fünf Riesen schulde, wollte ich meine Schulden natürlich so schnell wie möglich begleichen. Ich bin also auf dem Weg zu Kowalski. Und was sehe ich da? Gerade, als ich in Sichtweite bin, lassen sich Kowalski und ein anderer Gentleman von dem Typen hier aus den Socken pusten.“
Ich sehe mit einer Mischung aus Verachtung und Bedauern zu Kowalski rüber.
„Armer Kowalski. Wie hast du den Kerl da doch gleich genannt? Schwuchtel? Und dann lässt du dich ausgerechnet von einer „Schwuchtel“ so aufmischen? Wie ein blutiger Anfänger.“
Ich weiß – wieder mal meine große Klappe. Aber bevor die Sache aus dem Ruder läuft, hebt Slater die Hand und pfeift den vor Wut zitternden Kowalski zurück.
„Quatsch schon weiter.“
„Ich dachte, der Kerl hätte deine Leute kalt gemacht. Also ich ihm hinterher. Er arbeitet drüben in East Farlane in so ‘ner Chinesenwäscherei. Und als er aus seinem Wagen steigt, hab ich ihm eins übergezogen und bin geradewegs zu dir. Samt deiner Kohle. Ich war so frei und hab sie gezählt. Elftausenddreiundfünfzig Dollar. Kein müder Penny fehlt.“
Mit einem breiten Grinsen ziehe ich die dicke Geldrolle aus der Manteltasche und werfe sie neben Söhnchen auf den Boden.
Slater sieht mich aus schmalen Augen an. Ich kann förmlich sehen, wie der Geldhai im Geiste eine Münze wirft, ob er mir glauben soll oder nicht.
„Warum hast du die Moneten nicht selbst eingesackt? Erzähl mir jetzt nicht, dass du ein guter Katholik bist.“
Ich schwöre, das habe ich mich auch gefragt. Wieder und wieder. Es gibt da einen ziemlich großen Teil von Jack O’Grady, der dem kleinen Teil von Jack O’Grady für seine Ehrlichkeit in den Hintern tritt. Auch wenn Söhnchen sicher eine andere Meinung zu meiner „Ehrlichkeit“ haben dürfte. Dennoch – elftausend Kröten sind kein Pappenstiel. Selbst wenn ich Slater ausbezahlt hätte, hätte ich mir mit den restlichen sechs Riesen ein paar ganz nette Wochen machen können.
Aber noch während ich das denke und mir dafür in den Hintern beißen will, sehe ich wieder Jiao vor mir, und wie ihre Unterlippe gezittert hat, als sie zu dem Scheißkerl rüber gesehen hat, der da jetzt auf Slaters Teppich bewusstlos rumliegt.
Ich werd wohl auf meine alten Tage weich.
Egal, Slater braucht eine Antwort.
„Ich bin vielleicht kein Chorknabe, aber Schulden sind Schulden. Und ich klaue nicht das Geld von armen Schluckern. Das überlasse ich Kanalratten wie euch.“
Slater grinst und lässt endlich die Maschinenpistole sinken. Dass ich ihn gerade eine „Kanalratte“ genannt habe, scheint ihn jedenfalls nicht sonderlich zu stören.
„Na sieh mal einer an, wen haben wir denn hier? Den letzten irischen Heiligen. Da kann ich ja wohl von Glück reden.“
Söhnchen wacht inzwischen langsam auf und fängt an, in das Taschentuch zu würgen, das ich ihm in sein Maul gestopft habe. Slater beugt sich runter und betrachtet ihn wie etwas, was man an einem heißen Tag vom Reifen seines Autos kratzt.
„Ich kann Leute nicht ausstehen, die mein Eigentum und meine Geschäfte nicht respektieren. Und das werde ich dir sehr gründlich beibringen. Und wenn ich gründlich sage, meine ich gründlich.“
„Wo wir grad beim Thema Geschäfte sind, Slater – was ist eigentlich mit meinen Schulden?“
Slater dreht sich langsam zu mir rum.
„Denkst du, ich erlasse dir einfach so deine Schulden? Mach dich nicht lächerlich. Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren, O’Grady. Und so, wie ich die Sache sehe, hast du mir meine sechstausend Dollar sicher zurückgebracht, als du deine fünftausend bei mir beglichen hast.“
Strike!
„Yep, sehe ich ganz genauso. Ich kann mir übrigens denken, warum der Typ dich beklauen wollte.“
„Ach ja? Dann schieß mal los.“
„Ich tippe auf Wettschulden. Das hier hab ich bei ihm gefunden.“
Ich hole den Wettschein aus meiner Tasche und werfe ihn Söhnchen auf die Brust.
„Der gelbe Sack hat auf’s falsche Pferd gesetzt. „Midnight Marvel“ - kann ja nur schiefgehen.“
Slater verzieht sein Gesicht und schüttelt den Kopf.
„Ich würde nie auf etwas wetten, was ich nicht selbst vorher frisiert habe.“
Dann sieht er zu mir rüber.
„Ich frage meine Klienten normalerweise nicht, wofür sie sich Geld von mir leihen. Genauso wenig lasse ich sie aber auch so davonkommen wie dich. Wenn wir also schon mal bei den großen Ausnahmen sind: wofür wolltest du eigentlich die Piepen von mir?“
Ich bin schon auf dem Weg zur Tür, als ich mich nochmal kurz umdrehe.
„Für meine herzkranke Großmutter. Wofür denn sonst?“