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Jedida

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23.10.2004
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Jedida

Jedida- Eine Ätiologie
(im Stile der Heiligen Schrift)

Einst herrschte in Assur der mächtige König Sargon. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, als er König wurde, und regierte sechsundzwanzig Jahre in Assur. Seine Mutter hieß Joadann und stammte aus Babel. Unter der Herrschaft Sargons´ zogen die Assyrer in viele Kriege.
Insgesamt hatte Sargon fünfzehn Frauen, doch nur Jedida, seine erste Frau, liebte er wirklich. Doch gerade sie war es, die den König betrog.
Immer, wenn sich Sargon mit seinen Beratern zurückzog, um sich über die Lage in seinem Reich berichten zu lassen, holte sie sich einen Mann in das Königshaus und schlief mit ihm. Nach jeder Beratung eilten Diener zum König und berichteten ihm vom Ehebruch der Jedida. Doch er wollte seinen Dienern keinen Glauben schenken und fragte deshalb seine Frau: „Hast du dir einen Mann in das Königshaus geholt und mit ihm unsere Ehe gebrochen?“ Sie aber antwortete: „Nein mein Herr, ich habe mir keinen Mann in das Königshaus geholt und habe so auch nicht unsere Ehe gebrochen.“
Weil sie die Frau des Königs in Verruf gebracht hatten, ließ Sargon jeden Diener, der vom Ehebruch der Jedida berichtete, auf der Stelle töten.
Vier Jahre lang war es so, dass Diener ihm vom Ehebruch der Jedida berichteten, doch er sie, nach Befragung seiner Frau, wegen falscher Beschuldigungen hinrichten ließ. So musste sich der König ständig neue Diener für sein Königshaus suchen.
Eines Tages aber war, weil gerade Frieden herrschte, die Beratung sehr kurz. Sargon ging in seine Gemächer und wollte sich vor dem jährlichen großen Fest am Abend ausruhen. In seinem Bett sah er seine Frau zusammen mit einem Mann. Der König zerriss seine Kleider und schrie laut zum Himmel. Er bat um Vergebung für die zweihundertelf zu Unrecht verurteilten Diener. Auch seine Berater waren, durch seinen Schrei aufgeschreckt, in das Schlafgemach gekommen.
Sargon zog sein Schwert und tötete sofort den Mann, der mit seiner Frau im Bett lag. Auch sie wollte er töten, er rief: „Sie ist vom Dämon der Lust besessen.“
Doch Elas, ein Berater des Königs , hielt ihn zurück. Er wusste seit langem vom Ehebruch der Jedida und hatte einen Plan gefasst für den Fall, dass der König seine Frau beim Ehebruch überraschen würde.
Zu dieser Zeit nämlich war Sanherib, ein berüchtigter Ehebrecher, im Gefängnis von Assur eingesperrt. Dieser hatte auch die Frau des Beraters Elas verführt. Seit dem damaligen Tag wollte Maacha, Elas´ Frau, nicht mehr mit ihrem Mann schlafen. Nun sah dieser die Gelegenheit gekommen, um sich an Sanherib zu rächen. Er sagte nämlich zu Sargon: „Mein Herr, Sanherib ,der berüchtigte Ehebrecher ist im Gefängnis eingesperrt. Ich hörte, er schläft mit den Frauen auf eine Weise, dass sie nie wieder mit einem Mann Verkehr haben wollen, weil niemand sie so glücklich machen kann wie er. Warum holen wir ihn also nicht in das Königshaus und geben ihm den Auftrag, die Frau des Königs vom Dämon der Lust zu befreien. Wenn es ihm nicht gelingt, können wir ihn ja wegen Ehebruchs mit der Frau des Königs hinrichten lassen.“
Der König erwiderte: „Aber wenn Sanherib Erfolg haben sollte, wird Jedida auch mit mir nicht mehr schlafen wollen.“
Elas aber antwortete: „Ist es nicht Jedida, die der König als einzige seiner fünfzehn Frauen wirklich liebt? Was ist dem König also wichtiger ? - Dass seine Frau vom Dämon befreit wird, oder dass sie ihm weitere Nachkommen schenkt, wo er doch bereits neunzehn Nachkommen hat.?“
Diese Worte überzeugten Sargon. Elas aber wusste, dass Jedida´s Gelüste unstillbar waren und war sich sicher, dass selbst Sanherib diese Lust nicht stillen konnte.
Man brachte Sanherib zum König. Dieser sagte: „Siehe, Sanherib, meine Frau Jedida ist vom Dämon der Lust besessen. Oft holt sie sich andere Männer in das Königshaus. Ich hörte, du schläfst mit den Frauen auf eine Weise, dass sie nie wieder mit einem Mann Verkehr haben wollen, da niemand sie so glücklich machen kann wie du. Dein Auftrag sieht nun so aus: Schlafe mit meiner Frau in einer Weise, dass sie vom Dämon befreit wird und sie nie wieder begehrt, mit einem Mann zu schlafen. Dann bist du frei. Sollte es dir nicht gelingen , wirst du und auch meine Frau getötet.“
Sanherib aber hatte auch Jedida bereits verführt. Da er nun hörte, dass sie sich trotzdem noch andere Männer in das Königshaus holte, wusste er, dass ihre Gelüste unstillbar waren.
Er erklärte dem König: „Großer Sargon! Niemand, auch ich nicht, ist in der Lage, Jedida vom Dämon der Lust zu befreien.“
Doch Sargon hörte ihm nicht zu. Er sagte: „Ich gebe dir eine Woche Zeit, um meine Frau vom Dämon zu befreien.“
Sanherib erwiderte: „Also gut, mein Herr. Ich werde es versuchen. Niemand darf aber während dieser sieben Tage im Königshaus sein. Nur ganz mit ihr allein bin ich in der Lage, Jedida vom Dämon zu befreien.“
Der König war damit einverstanden. Sofort schickte er alle Diener aus dem Königshaus fort. Auch er und seine Berater gingen hinaus.
Nun war Sanherib allein mit Jedida im Königshaus.
Er sagte zu ihr: „Jedida! Da du dir seit unserer Begegnung immer noch Männer in das Königshaus holst, müssen deine Gelüste unstillbar sein, denn keine Frau vor dir wollte, nachdem ich mit ihr geschlafen habe, noch einmal mit einem Mann Verkehr haben, weil niemand sie so glücklich machen kann wie ich. Ich weiß also, dass es mir unmöglich ist, deine Begierde zu unterdrücken. Aber wenn du nach sieben Tagen immer noch nach anderen Männern verlangst ,wird der König uns beide töten lassen. Daher will ich, um meines und auch um deines Lebens Willen, trotzdem versuchen, dich vom Dämon der Lust zu befreien.“
Er ließ sich die weichsten Seidentücher aus ganz Assyrien bringen und gebrauchte sie beim Verkehr mit der Frau des Königs.
Doch selbst nach vier Tagen war ihre Lust noch nicht gestillt.
Sanherib sagte: „Es ist, wie ich befürchtet habe – Deine Lust ist wahrhaftig unstillbar. Deshalb müssen wir einen anderen Weg finden, um dem Tod zu entfliehen.“
Er suchte sich fünf wunderschöne Frauen aus Assur und brachte sie in das Königshaus.
Er erklärte Jedida: „Des Königs Wunsch ist es doch, dass du nie wieder begehrst, mit einem Mann zu schlafen. Anstatt also deine Begierde mit Männern auszuleben, musst du versuchen, dies mit den schönsten assyrischen Frauen zu tun.“ Sanherib zeigte den Frauen in den folgenden drei Tagen, wie sie sich miteinander vergnügen konnten.
Nach dem die sieben Tage vergangen waren ,kam Sargon mit seinen Dienern und Beratern in das Königshaus zurück.
Er fragte: „Nun, wie ist es? Ist meine Frau vom Dämon der Lust befreit?“
Sanherib antwortete: „Ja, großer Sargon. Ich habe Jedida vom Dämon befreit.“
Darauf sagte der König: „So bist du nun frei. Geh wohin du willst.“
Doch Elas wollte nicht glauben, dass Sanherib es geschafft hatte Jedidas Lust zu stillen. Er versuchte ihn aufzuhalten.
Er rief: „Sanherib lügt, die Frau des Königs ist nicht vom Dämon befreit! Er darf nicht freigelassen werden!“
Doch Sanherib erwiderte: „War es nicht der Wunsch des Königs, dass Jedida nie wieder begehrt, mit einem Mann zu schlafen?“
Sargon sagte: „Wahrhaftig, dies war mein Wunsch.“
Da sagte Sanherib: „Ihr werdet sehen, dass Jedida nicht mehr nach einem Mann verlangt. Also lasst mich nun gehen.“
Elas ließ ihn daraufhin ziehen. Doch er war weiterhin nicht überzeugt davon, dass Jedidas Lust gestillt war.
Kurz vor dem Ende der nächsten Beratung über die Lage in Assur zog er sich zurück. Er ging zum Schlafgemach des Königs. Als Elas die Tür öffnete, sah er Jedida im Bett zusammen mit einer wunderschönen Frau. Doch kein Mann war im Zimmer. Da es der Wunsch des Königs war, dass Jedida nie mehr begehrt, mit einem Mann zu schlafen, konnte Elas der Frau des Königs nichts vorwerfen und musst einsehen, dass Sanherib den Wunsch des Königs erfüllt hatte.
Bis zum Tode Sargons´ war es nun so, dass sich Jedida während den Beratungen die schönsten Frauen von Assur in das Königshaus bringen ließ.
Aber auch andere Männer, die von ihren Frauen betrogen worden waren, verlangten nach Sanherib. Er sollte mit den Frauen auf eine Weise schlafen, dass sie nie wieder nach einem Mann verlangten.
Mit diesen Frauen tat Sanherib dasselbe wie mit Jedida. Denn auch mit ihnen war er jeweils sieben Tage allein.
Doch er ging nicht so wie in früheren Tagen vor, als er selbst mit den Frauen schlief. Damals war es ja immer so, dass die Frauen nach der Verführung durch Sanherib nie wieder nach einem Mann verlangten , und sie so ihre Begierde nicht ausleben konnten.
Doch weil er alle Frauen liebte, zeigte er ihnen nun, wie sie sich mit anderen Frauen vergnügen konnten.
So wurde der Wunsch der Männer erfüllt: Ihre Frauen begehrten nicht mehr, mit Männern zu schlafen. Doch anders als früher konnten die Frauen nun dennoch ihr Verlangen stillen, mit anderen Frauen.
So verbreitete sich durch Sanherib diese neue Art des Verkehrs zweier Menschen , nämlich jene zwischen zwei Frauen, in ganz Assyrien, und darüber hinaus bis in alle Länder der Erde.

 

Hallo Mike,

ich weiß zwar nicht, was eine Ätiologie ist, aber das ist letztlich auch egal.
Deine Geschichte beinhaltet eine für Männer bedrohliche und eine für Männer erotische Fantasie. Bedrohlich die Idee, die Frauen könnten sich der Männerwelt endgültig versagen und sich einander zuwenden, erotisch die Fantasie der lesbischen Liebe, die bei vielen Männern voyeuristisches Verlangen weckt.
Und doch ist dies eine gänlich unemanzipierte Geschichte, denn bei aller Lustbefriedigung, die dem geliebtem Wesen Weib zugestanden wird, so bleiben sie im männlichen Besitz.

Aber wahrscheinlich darf man erotische Geschichten nicht nach dieser Prämisse lesen. Oder braucht Mann das Patriarchat, um auf seine Kosten zu kommen? ;)

Lieben Gruß, sim

 

Für den Kritikerkreis geschrieben von Woltochinon (29)


Betrachtungen über Mike Renners

„Jedida“


Der Text ist eine Ätiologie, er wird, das zeigt der Inhalt, in die Reihe ätiologischer Sagen gestellt, die ein bestimmtes Ereignis, eine Entwicklung, deutend beschreiben.
Der historische Aspekt, der mit einer Sage verbunden wird durch die Ausdrucksweise biblischer Texte vermittelt, ein angemessenes sprachliches Stilmittel.


Die Ausdrucksweise

„Er war dreiundzwanzig Jahre alt, als er König wurde, und regierte sechsundzwanzig Jahre in Assur. Seine Mutter hieß Joadann und stammte aus Babel.“

- Die Erwähnung von Herrschaftsdaten und verwandtschaftlichen Beziehungen entspricht biblischen Texten des Alten Testaments, z.B. 2. Könige 15.
Allerdings fehlt der wichtige Hinweis auf den Vater des Königs.
Eine andere Möglichkeit der `Eröffnung´ wäre: Und Sargon war 23 Jahre alt. als er König wurde (angelehnt an 2. Könige 12).


„„Hast du dir einen Mann in das Königshaus geholt und mit ihm unsere Ehe gebrochen?“ Sie aber antwortete: „Nein mein Herr, ich habe mir keinen Mann in das Königshaus geholt und habe so auch nicht unsere Ehe gebrochen.““

- Diese Konstruktion ist ein schöner Parallelismus, ein Stilmittel altgriechischer Literatur und der Bibel. Der Satz wird wiederholt und ergänzt (klimaktischer Parallelismus). Schade, dass dieses Stilmittel nicht öfters, dem Vorbild entsprechend, verwandt wurde (entsprechendes gilt für die Konjunktion `und´).

„Der König zerriss seine Kleider und schrie laut zum Himmel“

- Eine typisch alttestamentliche Art des Ausdrucks von Verzweiflung (s. a. 1. Mose 37.34).


„Zu dieser Zeit nämlich war Sanherib, ein berüchtigter Ehebrecher“

- Hinweis auf eine „Zeit“ ist biblischer Stil (es begab sich aber zu der Zeit - Lukas 2.1).


„Sie ist vom Dämon der Lust besessen.“

- Dämonen als Erklärung passen zu alttestamentlicher, heidnischer Zeit.


„Elas aber antwortete: „Ist es nicht Jedida, die der König ...“

- Guter Gegensatz zur ‚modernen’ Ausdrucksweise (Aber Elas antwortete: Der König liebt doch nur Jedida wirklich, als einzige seiner fünfzehn Frauen)

„Dieser sagte: „Siehe, Sanherib, meine Frau Jedida ist“

„Siehe“ typischer, ‚alt’ wirkender Satzanfang, (s. Jesaja 52.13.).

„Er erklärte dem König: „Großer Sargon! ...“

„„Des Königs Wunsch ist es doch, dass du nie wieder begehrst“

- Die Anrede einer Person durch „Großer“ und die Verwendung von ‚begehren’
unterstützt den besonderen sprachlichen Flair, den diese Sage kultivieren will.
Leider folgen keine besonderen sprachlichen Konstruktionen mehr, der Inhalt (z.B. Nennung des Dämons) weist aber weiter auf den biblischen Kontext hin.


Psychologie:

„Weil sie die Frau des Königs in Verruf gebracht hatten, ließ Sargon jeden Diener, der vom Ehebruch der Jedida berichtete, auf der Stelle töten.
Vier Jahre lang war es so, dass Diener ihm vom Ehebruch der Jedida berichteten, doch er sie, nach Befragung seiner Frau, wegen falscher Beschuldigungen hinrichten ließ. So musste sich der König ständig neue Diener für sein Königshaus suchen.
Eines Tages aber war, weil gerade Frieden herrschte, die Beratung sehr kurz. Sargon ging in seine Gemächer und wollte sich vor dem jährlichen großen Fest am Abend ausruhen. In seinem Bett sah er seine Frau zusammen mit einem Mann.“


- In den ersten zwei Zeilen wird eine glaubhafte, ‚übersteigerte’ Geduld des Königs vermittelt, sein Vertrauen wird demonstriert.
Doch das es vier Jahren und eines Zufalls bedarf, um die ständigen Anschuldigungen der Diener (wie mutig, da sie hingerichtet werden) gewissermaßen unfreiwillig zu überprüfen, dass ist nicht plausibel. Spätestens bei „So musste sich der König ständig neue Diener für sein Königshaus suchen“ beginnt der Leser zu zweifeln, der König wird ja nicht als jemand hingestellt, der aus irgendeinem Grund ‚betriebsblind’ ist. Ungefähr alle sieben Tage geschieht ein Ehebruch, das muss der König schon früher bemerkt haben.


„Er bat um Vergebung für die zweihundertelf zu Unrecht verurteilten Diener.“

- Wenn der Herrscher so um die Diener trauert, ein großes Unrechtsbewusstsein entwickeln kann (also nicht ein Herrscher ist, der Kraft seiner Macht einfach töten lässt), dann hätte er besonderen Grund gehabt, seine Frau eher und zu kontrollieren.

„Auch sie wollte er töten, er rief: „Sie ist vom Dämon der Lust besessen.““

- Interessant, dass er hier nicht die Schuld bei ihr sucht, sie hat ihn ja in aller Ruhe angelogen, sondern gewissermaßen ein Schicksalsschlag (von Dämonen besessen zu sein) ihr Verhalten erklärt. Diese Rationalisierung würde man eher als einen zweiten Schritt, nach einer persönlichen Betroffenheit erwarten. Die Einführung des ‚Dämons’
ist angebracht, da sich diese Männer nicht vorstellen können, dass sich eine Frau aus eigenem Entschluss nicht nur mit ihnen begnügen will.

„Zu dieser Zeit nämlich war Sanherib, ein berüchtigter Ehebrecher, im Gefängnis von Assur eingesperrt. Dieser hatte auch die Frau des Beraters Elas verführt.“

- Der notorische Ehebrecher, Verführer von Frauen der Elite, lebt noch?

„Er fragte: „Nun, wie ist es? Ist meine Frau vom Dämon der Lust befreit?“
Sanherib antwortete: „Ja, großer Sargon. Ich habe Jedida vom Dämon befreit.“
Darauf sagte der König: „So bist du nun frei. Geh wohin du willst.““

„Elas ließ ihn daraufhin ziehen. Doch er war weiterhin nicht überzeugt davon, dass Jedidas Lust gestillt war.“

- Der König verlässt sich auf das Wort eines Ehebrechers, der Berater übernimmt die Entscheidung, ob Sanherib gehen darf. Bei einem absoluten Monarchen nicht glaubwürdig.

„Bis zum Tode Sargons´ war es nun so, dass sich Jedida während den Beratungen die schönsten Frauen von Assur in das Königshaus bringen ließ.“

- Soll sie wirklich so sensibel sein und nur ihrer Lust nachgehen, wenn der ihr Mann in einer Beratung ist? Er weiß doch, was sie treibt... (Wahrscheinlich war der König auch eher wegen Kriegszügen abwesend - siehe Eingangsabsatz - weniger wegen Sitzungen).

Natürlich kann man anführen, dass sich Personen nicht immer verhalten, wie man es üblicherweise erwartet. Aber da es bei diesem Text um die Darstellung einer plausiblen - wenn auch fiktiven - Beschreibung geht, wie es zur lesbischen Liebe kam, ist psychologische Schlüssigkeit angebracht. Der psychologische Aspekt der Geschichte muss so wahrscheinlich sein, dass ihn der durchschnittliche Leser als Glaubwürdig empfinden kann. Das ‚sagenhafte’ steht dann auf einem festen Grund.


Gesamtbetrachtung:

Abgesehen von den Fehlern in der psychologischen Konstruktion ist die Geschichte durchaus interessant. Eine prinzipielle Frage wird behandelt: Wie kommt es zu Abweichungen im menschlichen Verhalten, in diesem Fall der lesbischen Liebe. Ein zum Stil und Erzählumfeld passender Lösungsansatz wird vorgestellt: Ausgangspunkt ist die Besessenheit mit einem Dämon, Jedida (1), ein durch eine Veranlagung vom Schicksal getroffener Mensch, ist ihm ausgeliefert, erscheint überhaupt als zur Passivität gezwungenes Wesen, im Gegensatz zu den beschriebenen Männern. Aber das Schicksal allein führt nicht zu einer sexuellen Präferenz, der Mensch muss seinen Teil dazu beitragen, dass sich so eine Besonderheit etabliert (selbst wenn es die Lehrstunde bei einem Mann ist). Eine weitere Aufschlüsselung zeigt den direkten und den passiven Förderer der Veranlagung. Wollte man diese Personen archetypisch spezifizieren, könnte man den ‚Liebeslehrer’ Sanherib (2) als den Vertreter der Kräfte beschreiben, der etwas Ungewöhnliches in seine Schranken verweist, indem es in gewisse begrenzende Regeln gefasst wird. Der König würde den durch Gesetzgebung Macht ausübenden Teil der Gesellschaft repräsentieren, der letztlich eine Verhaltensweise sanktioniert. Elas (3) wäre der typische Opportunist, der eine Situation zu seinem persönlichem Nutzen missbraucht: Die Schwierigkeiten mit seiner Frau Maacha (4) erwecken in ihm Rachegelüste, die Gunst der Stunde soll ihm helfen, dem Verführer seiner Gattin den Tod zu bringen. Solche Bezüge auf Charaktersymbolik sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten, wenn keine direkten Hinweise im Text gegeben werden, die eine solche Interpretationsrichtung wahrscheinlich machen. Über allem steht das typisch menschliche Bedürfnis Dinge durch Erklärungen verständlich und akzeptabel, auch weniger bedrohlich erscheinen zu lassen.

Wie ist die dargestellte ‚Lösung’ des Problems ungezügelten sexuellen Verlangens mit Ehebruchfolge einzuschätzen?

Aus männlicher Sicht ist die beschriebene Verlagerung sexueller Aktivität die Möglichkeit den Anschein zu erwecken, dass sich eine gewisse Normalität eingestellt hat, auch wenn die Frau den Mann abweist, weil er nicht so für sie sorgen kann, wie sie nun weiß, das es möglich ist. Außerdem ergibt sich eine selbstbetrügerische Ehrenrettung, die Frau nicht an einen Konkurrenten verloren zu haben. Es zeigt sich hier eine stark maskuline Sichtweise (5): Die Frau wird nicht aus Abneigung den Männern gegenüber lesbisch, sondern als Folge deren Ansprüche auf Treue und Wahrung männlichen Anspruchs auf Alleinbesitz der Frau. Wenn eine Frau schon aus dem sexuellen Wirkungsbereich der Männer ausbricht, wird dieser Schritt wenigstens von Männern initiiert.
Das Zurückgreifen auf solche männlichen Bedürfnisse gibt der Geschichte einen archaischen und glaubwürdigen Charakter. Man kann sich vorstellen, dass diese Sage (wäre sie wirklich historisch gewachsen) aufgrund des männlichen Wunschs ‚das Gesicht zu wahren’ so entstanden wäre, wie es der vorliegende Text repräsentiert.

Fußnoten:


1) Die verwendeten Namen sind biblischen Ursprungs.
Jedida (`Geliebte Gottes´ - nomen est omen, trifft hier nicht zu). Eigentlich Frau eines jüdische Königs (König Josia).


2) Sanherib, Nachfolger Sargons (705 v Chr.) Der Sohn wäre also der Verführer der Mutter, das erinnert an Ödipus - leider gibt es keinen direkten Hinweis in der Geschichte, dass dieser Aspekt geplant ist. Er könnte die Geschichte interessanter (und komplizierter) machen.


3) Elas, Vater Hoseas (der König Pekach erschlug).

4) Maacha (`Bedrückung´). Die hat Elas sicher empfunden, weil seine Frau sich ihm verweigerte.

5) Eine weitere stark männlich geprägte Sichtweise ist die Idee, es gäbe Männer, die so gute Liebhaber sind, dass eine Frau ausschließlich mit ihnen Verkehr haben möchte. Als textinterne Fiktion ist diese Meinung durchaus akzeptabel, auch wenn man sie in den Bereich der Männerfantasien einordnen kann.


Kritikerkreis, März 2005.

(Fehlerliste per PN übermittelt)

 

Diese Geschichte wurde im Kritikerkreis vorgestellt.
Wir würden uns über weitere Anmerkungen zu diesem Text freuen.

Das Kritikerteam.

 

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