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Jobsuche in Berlin
„Nein, tut mir leid, erst im Frühjahr wieder. Jetzt ist eine schlechte Zeit… Es ist eher ruhig…“ „Vielen Dank trotzdem… Tschüß!“
Ich werde etwas finden! Ich lasse mich nicht entmutigen!
Und ich ziehe mal wieder meine Handschuhe an, die ich aus Höflichkeit in jedem Laden schon an der Eingangstür abstreife… Ich habe meine Handschuhe heute schon sechsundzwanzig Mal ausgezogen…
Etwa zehn Mal habe ich sogar einen Bewerbungsbogen für Mitarbeiter ausgefüllt.
Name… Telefonnummer… Wo schon gekellnert?... Wie lange?… Sprachen: Wie viele?... Wie gut?… Gesundheitspass?...
Immer wenn ich ihn ausfülle, denke ich, dass alles, was ich zu bieten habe, ganz gut klingt… Das müsste sie eigentlich überzeugen…
Ich sehe den ausgefüllten Bogen dann immer in großen Ordnern verschwinden und vermute stark, dass er nie wieder herausgeholt wird. Wenn sie ihn richtig durchlesen würden, würden sie sehen, dass ich schon allerhand Erfahrung im Service habe, und dass ich Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch spreche…
Ich weiß, dass sie nicht anrufen werden…
Aber ich bin nicht böse…
Auch nicht verzweifelt…
Ich weiß, dass ich etwas finden werde. Ich habe schon immer etwas gefunden, wenn ich wirklich gesucht habe. Und wenn es diesmal ein paar Tage länger dauert als erwartet, so finde ich das nicht schlimm.
Ich mag es, durch Berlin zu spazieren…
Ich trete hinaus auf den Bürgersteig, ziehe den Reißverschluss der Jacke bis ganz oben hin zu, versuche, mein Gesicht noch etwas tiefer dahinter vor der Kälte zu verstecken, und laufe weiter die Oranienburger Straße entlang.
Ich entdecke so vieles hier, was ich noch nicht kannte. Geschäfte, Galerien, Hotels… Ich wohne nur einen Stadtteil weiter, in Friedrichshain, aber trotzdem könnte ich einem Touristen hier nicht einmal sagen, wo er die nächste Post findet…
…ist mein Gedanke, als ich angesprochen werde…
„Entschuultiken Siiieh… Wo iste hiere tie Auguuststraaaße?“
„Oh das tut mir leid, ich weiß nicht wo hier eine Post ist…“
„Äh, ewie bittähe…?“
„Nix für ungut… Ich kenn mich hier nicht so gut aus…“
Sie wird ihren Freunden zu Hause in Spanien oder Südamerika erzählen, wie seltsam die Deutschen so sind… Sie bleiben nicht nur immer an roten Ampeln stehen, sie verstehen auch deine Fragen nicht richtig…
Das war keine Absicht… Ich bin nur gerade so in Gedanken versunken… Und es kostet etwas Konzentration und Kraft, sich nicht entmutigen zu lassen…
Ich muss schmunzeln, als ich kurz nach dieser seltsamen Unterhaltung am Las Cucarachas vorbeikomme… Mexikanische Küche… Sieht sehr nett aus…
Ich schnalle also mein Herz nach oben, lege ein freundliches Lächeln auf, und ziehe zum siebenundzwanzigsten Mal meine Handschuhe aus…
„Hallo, ich wollte mal mal fragen, ob Sie eventuell jemanden für den Service brauchen…?“
„Frühschicht…?“, fragt mich die zarte Schwarzhaarige, die sogar noch kleiner ist als ich…
„Frühschicht?!...“ entgegne ich…
Der Groschen fällt...: „Ja, ich könnte die Frühschicht machen… Klar! Noch bis April habe ich unbegrenzt Zeit…“
„Das klingt gut. Meine Kollegin geht nämlich gerade in die Babypause…“ sagt die Schwarzhaarige. Sie ist mir sympatisch „…und da suchen wir noch jemanden, der mit mir zusammen die Frühschicht übernimmt…“ sagt sie, und schenkt mir einen musternden Blick, um herauszufinden, ob sie gerne mit mir zusammenarbeiten würde…
Und ich weiß, ich habe gewonnen…
Ich schreibe wieder die Standard-Daten auf, diesmal mit dem guten Gefühl, dass sie wirklich jemand lesen wird… Name: Susann N…; Telefon: 030 - …; Erfahrung: Eiscafés und Cocktailbars in Leipzig und auf Kreta; Sprachen: Englisch, Französisch ….
Ich überreiche ihr stolz den Zettel, und weiß, dieses Mal habe ich mir nicht umsonst die Handschuhe ausgezogen…
Sie schenkt mir ein freundliches Lächeln, und wir beide wissen, dass es nicht das letzte ist…
Euphorisiert von der Freude gehe ich wieder hinaus in die Kälte, wo ich die Spanierin wieder treffe, die mich nach dem Weg gefragt hatte.
Ich lächle sie an „Ich glaube, die Auguststraße ist dort ganz hinten, bis zur nächsten Ampelkreuzung geradeaus, und dann rechts abbiegen…“
„Oh, vielene Dannke…“ Sie schenkt mir ein noch viel schöneres Lächeln als gerade eben meine zukünftige Kollegin… Und wird ihren Freunden jetzt wohl doch etwas Nettes über die Deutschen erzählen können…
Ich kaufe mir eine Packung Lachs-Sushi an der nächsten Ecke, weil heute Happy-Hour-Angebot ist… Und weil ich das Gefühl habe, etwas feiern zu können…
Und just klingelt mein Telefon…
„Hi, ich bin’s, Du warst doch gerade im Las Cucarachas… Der Chef würde dich gern morgen treffen, um dich kennen zu lernen…“
„Ja, ich komme gern… Um eins… Super…“ Sie musste mein Grinsen doch fast schon durchs Telefon hindurch hören... „Tschühüß…“
Und ich schwinge die Plastiktüte, in der mein Lachs-Sushi liegt, freudig durch die Luft, und weiß, warum ich mich nie entmutigen lasse… Weil es nämlich immer klappt… Auch wenn erst beim siebenundzwanzigsten Mal…
Und wer beim siebenundzwanzigsten Mal noch das gleiche Lächeln wie beim ersten Mal auflegt, der wird immer einen Grund zum Lachs-Sushi essen haben…