- Beitritt
- 15.07.2004
- Beiträge
- 837
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
Jola und das Monster aus der Bananenkiste
*für die allerbeste Jola und den allerbesten Jonas der Welt*
„Pfui, Spinne!“, ruft Jola lauthals und galoppiert mit ihrem Steckenpferd einmal um den Küchentisch.
„Och Jölchen, du hast ja noch nicht mal probiert“, sagt Papa und rührt hektisch in der Tomatensoße.
„Doch nicht die Nudeln“, antwortet Jola. „Die sind nicht pfui. Die sind mittel. So wie immer, wenn du sie kochst.“
„Fräulein! Meine Spaghetti sind weltweit berühmt. Deine Mutter hat mich überhaupt nur geheiratet wegen meiner legendären Spa…“
Aber weiter kommt Papa nicht, weil Jola einen waghalsigen Todessprung mit dreifacher Drehung macht. Das Steckenpferd fällt scheppernd zu Boden und bricht sich dabei natürlich ein Bein. Jetzt muss es leider erschossen werden. Aber nur im Spiel. In Wirklichkeit erschießt Jola nämlich keine Steckenpferde.
„Also?“, fragt Papa. „Was genau ist denn jetzt Pfui, Spinne?“
Jola verdreht die Augen und seufzt laut. Papa hat heute offenbar wieder seinen Blitzmerker-Tag.
„Die Spinne da. Die ist pfui.“
Sie zeigt in die Ecke zwischen Kühlschrank und Küchenbuffet. Da, wo nie jemand aufräumt. Mama nicht. Papa auch nicht. Und Jola schon gar nicht. Weil es dort so aussieht, als würden da fette, schwarze, haarige Spinnen wohnen.
Und die Spinne, auf die Jola jetzt zeigt, ist die fetteste, schwärzeste und haarigste von allen. Sie sitzt reglos auf einer Bananenkiste.
„Tuuuuuiiiii“, schreit Jonas, der auf seinem Babystuhl sitzt und an einer Babymöhre lutscht. „Tui Tinne!“
Papa hebt beschwichtigend die Hände.
„Ach Kinder. Was habt ihr denn? Die ist doch goldig. So ein hübsches Exemplar.“ Und dann macht er: „Miez, miez, miez“, so als wäre das Ding an der Wand ein niedliches Kätzchen und kein achtbeiniges Ungeheuer.
Also manchmal spinnt Papa ein bisschen.
„Wir sollten sie Tabea nennen“, sagt er. „Ich finde sie sieht total aus wie eine Tabea.“
Und manchmal, findet Jola, manchmal spinnt Papa total.
„Batea!“, schreit Jonas begeistert und spuckt dabei durchgekaute Karottenstückchenmatsche über den ganzen Tisch. „Batea!“
Jola schnauft geräuschvoll. Manchmal ist es echt schwierig, wenn Mama noch bei der Nachbarin Kaffee trinkt und man deshalb die Vernünftigste in der Familie ist.
Aber jetzt hat Jola keine Zeit, sich darüber weiter Gedanken zu machen. Denn Jola glotzt Tabea an. Und Tabea Jola. Aus ganz vielen kleinen unheimlichen Spinnenaugen. So, dass man davon eine Gänsehaut bekommt.
„Papi. Kannst du sie wegmachen?“, fragt Jola mit ihrer Bitte-bitte-Stimme.
Papa seufzt. Dann nickt er, bückt sich und zieht seinen Hausschuh aus.
„Wegmachen!“, schreit Jola. „Nicht töten!“
„BATEA TICHT TÖDEN!“, fällt Jonas schrill ein.
Papa seufzt noch einmal, bückt sich und zieht seinen Hausschuh wieder an.
„Du kannst sie einfach in die Hand nehmen und nach draußen setzen“, schlägt Jola vor. „Der Papa von Isabell macht das immer so mit Spinnen. Und im Urlaub hat er sogar einen Skorpion weggetragen.“
„So, so“, knurrt Papa und schaut zuerst auf seine Hände und dann auf Tabea. „Macht Isabells Papa also immer so.“
Jola nickt.
„Wenn du dich nicht traust, können wir ihn ja anrufen.“ Was eigentlich eine richtig gute Idee ist, schließlich wohnt Isabell nur zwei Straßen weiter.
Aber davon will Papa absolut nichts wissen.
„Ich werde ja wohl noch mit einer blöden Spinne fertig“, murmelt er und tritt einen Schritt näher an Tabea heran.
„Donnerlittchen! Ist die gewachsen? Die war doch gerade noch viel, viel kleiner.“
„Bestimmt“, sagt Jola. Aber nur, damit Papa sich nicht vor ihr und Jonas zu schämen braucht. Denn die Spinne ist noch genauso groß wie zuvor.
„Nun ja. Hilft ja alles nichts!“, meint Papa schließlich. Er geht zur Spüle und zieht sich mit entschlossener Miene einen Gummihandschuh über die linke Hand.
„Isabells Papa macht das aber ganz ohne Handschuh“, stellt Jola klar.
„Eine reine Schutzmaßnahme“, entgegnet Papa. „Für Tabea. Spinnen sind nämlich extrem empfindlich. Ich will nicht, dass sie erschrickt, wenn ich sie wegtrage. Spinnen hassen nämlich das Gefühl von großen Menschenfingern, die auf ihrer Haut krabbeln.“
Jolas Herz macht einen kleinen Hüpfer vor Glück, weil sie einen Papa hat, der so freundlich zu Tieren ist.
Papa pirscht sich derweil auf Zehenspitzen an Tabea ran. Ganz langsam streckt er seine Hand nach der Spinne aus. Er bewegt sich wie beim Stopp-Essen, wenn Zeitlupe angesagt ist.
Tabea zuckt kurz mit dem rechten Vorderbein.
Mit einem spitzen Schrei weicht Papa zurück.
„Himmel. Das ist aber mal eine richtig empfindliche Spinne“, sagt er schwer atmend und schüttelt sich wie ein nasser Hund. „Ich glaube, da hole ich besser ein Glas. Sicher ist sicher. Also für Tabea.“
„Batea!“, brüllt Jonas freudestrahlend und sieht so aus, als würde er sie am liebsten an seine mit Möhrensabber besudelte Brust drücken.
Papa hat inzwischen ein leeres Marmeladenglas und ein Stück Papier geholt und schleicht sich ein zweites Mal an die Spinne heran. Mit einer raschen Bewegung stülpt er das Glas über die Stelle, wo Tabea hockt, und schiebt dann schnell den Zettel vor die Öffnung.
„Jaaaaaaaa!“, schreit Papa, als hätte er gerade das entscheidende Tor bei einem wichtigen Fußballspiel geschossen. „Habe ich das Biest am Ende doch noch erwischt. Niemand entkommt dem Papa! Hörst du, Höllentier! Niemand!“
Er sieht aus, wie ein Großwildjäger, der gerade einen menschenfressenden Tiger gefangen hat.
„Glaubst du nicht, dass Tabea sich fürchtet, wenn du so laut krakelst?“, fragt Jola.
Aber Papa schüttelt den Kopf: „Das ist doch der Spinne egal. Die ist ja schließlich nicht aus Zucker.“
„Nee, die ist aus Spinne“, murmelt Jola und wundert sich, dass Papa so gar nicht mehr auf Tabeas Gefühle Rücksicht nimmt.
Der reckt mittlerweile das Glas hoch wie einen Pokal.
„Wollt ihr mal sehen?“, ruft er. „Jola. Jonas. Wer von euch will das garstige Ungeheuer mal anschauen, das Papa so heldenhaft gefangen hat?“
Wild fuchtelnd hält er das Glas den beiden Kindern direkt vor die Nase.
„Teine Tinne!“, sagt Jonas.
„Was?“, fragt Papa zu Jola gewandt. „Was redet dieses Kind da bloß?“
„Teine Tinne!“, sagt Jonas noch mal.
Und er hat recht. Jola sieht es ganz genau. Das Glas ist leer.
„Tabea ist da nicht drin“, stellt Jola fest. „Nur Luft.“
„Gibt es doch gar nicht“, sagt Papa und schaut selber nach. „Ich habe doch ganz sicher …“
Er hat das Glas jetzt ganz dicht vor sein Gesicht gedrückt. Es sieht fast so aus, als wolle er nun selber hineinkriechen. Plötzlich wird er kreidebleich.
„Sie ist doch nicht etwa …?“ Er sieht Jola flehentlich an. „Sag bitte, dass sie nicht auf meinem Rücken sitzt.“
Bevor Jola antwortet kann, beginnt Papa ganz merkwürdig zu quietschen. Er springt auf und ab, durch die ganze Küche, und sieht aus wie ein Flummi mit Armen und Beinen.
„Nein, sitzt sie nicht“, sagt Jola schnell, bevor Papa noch anfängt, sich auf dem Boden hin und her zu wälzen. „Sie sitzt wieder in der Ecke auf ihrer Bananenkiste.“
„Gott sei Dank!“, seufzt Papa erleichtert.
„Tatane!“, ruft Jonas gutgelaunt. „Tinne. Batea. Tatane.“
Mit einem Mal schlägt sich Papa die Hand vor den Mund.
„Um Himmelswillen!“, flüstert er. Nun ist endgültig alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen. „Banane. Banane. Die Spinne wird doch nicht etwa …?“
Papa breitet seine Arme aus und stellt sich schützend vor Jola und Jonas. Die Augen sind zu Schlitzen verengt und auf seiner Stirn glitzern Schweißperlen.
Jetzt bekommt es Jola ein bisschen mit der Angst zu tun.
„Was ist denn mit Tabea?“
Anstatt zu antworten, packt Papa plötzlich Jola, hebt sie in die Luft und stellt sie mitten auf den Küchentisch. Danach macht er dasselbe mit Jonas. Und schließlich – Jola traut kaum ihren eigenen Augen – klettert er selbst hinauf.
Einen Moment lang ist sich Jola nicht sicher, ob sie wach ist oder träumt, so merkwürdig ist das alles.
Zu dritt stehen sie auf dem Tisch und starren auf die Spinne.
„Manchmal kommt es vor, dass sich Giftspinnen aus Südamerika in Bananenstauden verstecken und auf diesem Weg nach Deutschland gelangen“, erklärt Papa, ohne Tabea aus den Augen zu lassen. Die sitzt einfach nur reglos da, so, als ginge sie die ganze Sache überhaupt nichts an.
„Aber wir kaufen immer Bio-Bananen“, sagt Jola, weil sie weiß, dass das Mama sehr wichtig ist.
„Das kann auch bei Bio-Bananen passieren“, flüstert Papa. „Gerade bei Bio-Bananen.“
„Passiert das denn oft?“, erkundigt sich Jola. „Dass man auf diese Weise eine Giftspinne in die Küche bekommt.“
„Nein. Eigentlich nie“, gibt Papa zu.
„Na dann!“, sagt Jola und will wieder vom Tisch klettern.
Aber Papa hält sie mit festem Griff zurück. „Ich möchte da kein unnötiges Risiko eingehen. Und ich will deiner Mutter nicht erklären müssen, warum ausgerechnet du ...“
„Was willst du mir nicht erklären?“, fragt Mama, die in diesem Moment ihren Kopf durch die Zimmertür steckt. „Und warum in aller Welt steht ihr zu dritt auf unserem Küchentisch?“
„Wegen Tabea“, antwortet Jola.
„Natürlich!“, sagt Mama. „Warum auch sonst.“
„Batea“, ruft Jonas. „Tiftig!“
„Also, Schatz“, beginnt Papa zu erklären und wirkt plötzlich ein klein wenig unsicher. „Es könnte sein, dass sich in diesem Moment eine hochgefährliche, exotische Giftspinne in unserer Küche befindet. Deswegen dachte ich, dass es eventuell hier oben sicherer für die Kinder ist.“
„Ja, dann“, sagt Mama. „Clever. Denn Spinnen können ja bekanntlich auch gar nicht klettern.“
Sie geht zum Kühlschrank und fischt sich ein Stückchen Honigmelone heraus, in das sie genussvoll reinbeißt.
„Meint ihr die da?“, sagt sie kauend und zeigt auf Tabea, die immer noch auf ihrem angestammten Platz hockt.
Die Spinne zuckt erneut mit dem Vorderbein. Es sieht fast so aus, als würde sie Mama zuwinken.
„Genau die“, sagt Jola. „Papa hat geglaubt, dass es eine Giftspinne aus Südamerika ist, die in der Bananenkiste nach Deutschland gekommen ist und von jetzt an in unserer Küche wohnt“, fasst sie die vergangene halbe Stunde zusammen. „Am Anfang fand er sie noch total süß. Aber ich glaube, das ist inzwischen vorbei. Und beinahe hätte er sie gefangen, aber eben nur beinahe. Ich glaube aber, dass Isabells Papa darin ein bisschen besser ist, weil der macht das auch ohne Handschuh. Sogar bei Skorpionen. Aber dafür kann mein Papa besser als jeder andere laut quietschend durch die Küche springen. Und das ist ja auch toll.“
„Tustig“, ruft Jonas.
Als Jola fertig erzählt hat, klettert sie endlich vom Tisch.
Papa ist knallrot geworden, sagt aber kein einziges Wort.
„Wahnsinn, was ihr mit Papa immer für Abenteuer erlebt“, lacht Mama, während sie Jonas ebenfalls vom Küchentisch herunterhebt. „Aber wenn es euch beruhigt, diese Spinne kommt auf gar keinen Fall aus Südamerika. Die kommt noch nicht einmal aus der Bananenkiste.“
Papa verschränkt die Arme und bleibt einfach stehen, wo er ist. Er sieht aus wie eine Statue aus Marmor.
„Hätte aber sein können“, murmelt er ganz leise.
„Nee, Schatz", sagt Mama. „Diese Spinne wohnt hier schon ewig. Weil wir die Rumpelecke nie aufräumen. Aber sie ist harmlos. Ab und zu rede ich sogar mit ihr."
Also manchmal spinnt Mama ein bisschen.
„Und ich weiß, dass klingt jetzt ziemlich albern“, kichert sie plötzlich, „aber ich habe sie Maximilian getauft. Denn ich finde sie sieht total aus wie ein Maximilian.“
Und manchmal, findet Jola, manchmal spinnt Mama total.