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Joy
29. September
Heute sind wir am Katzenberg gewandert und haben dort etwas entdeckt. Auf dem Waldboden lag ein Ding, ich kann nicht sagen, was es war, ob Pflanze oder Tier. Ein Wesen, das aussah wie ein winziger Krake, dessen Kopf im Boden steckt. Joy hat sich hingehockt und das Handy aus der Hose geangelt. Dann hat sie eine Fotoserie geschossen, aus unterschiedlichen Winkeln, mal hell dann dunkler, mit Zoom und ohne. Das Wesen hat sich dabei nicht bewegt, fünf rosig glänzende Arme ragten in die Luft, ähnlich einem umgedrehten Seestern.
Joy fing an, mit einem Stock an den kleinen Armen rumzustochern. Heraus kam so ein milchiges Zeug. Ich meinte zu ihr, sie soll das Ding in Ruhe lassen, aber ich kenne Joy. Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat, ist sie nicht mehr zu stoppen. Trotzdem hab ich noch gesagt, dass sie es nicht anfassen soll. Mein Fehler, ich hätte es wissen müssen, und Joy hatte natürlich nichts Besseres vor, als genau das Gegenteil zu tun. Allein um mir zu zeigen, dass sie macht, was sie will.
Einen Tropfen von dem Milchzeugs hat sie mit dem Finger aufgenommen, ihn mit dem Daumen zerrieben und daran gerochen. Dabei hat sie die Luft durch die Nase gezogen, als hätte sie eine Straße auf dem Finger. Ab da wurde es richtig komisch, denn danach wirkte Joy weggetreten, wie benebelt. Sie hat die Hand nach dem Kraken ausgestreckt, als wolle sie ihn pflücken und dabei hat sie sich geschnitten oder das Ding hat zugebissen. Ich kann es nicht sagen, denn ich stand hinter ihr und habe nicht gesehen, was passiert ist.
Auf meine Frage hat Joy nicht geantwortet und wollte nur noch weg. Sie hat nicht mehr nach links oder rechts geschaut, bis wir beim Auto ankamen. Auf der Rückfahrt hat sie kein Wort gesagt, einfach nur gerade aus dem Fenster gestiert, als hätte ich was falsch gemacht.
Ich hab keine Ahnung, was genau und warum das passiert ist. Hoffe nur, dass Joy sich nichts gefangen hat, ein Bakterium, eine Alientollwut oder was auch immer.
3.Oktober
Heute Morgen war Joy wie ausgewechselt. Nach vier schlechten Tagen, an denen sie kaum ein Wort von sich gegeben hat und abends nach der Arbeit still und ernst vor sich hinbrütete.
Als ich heute aufstand, lehnte sie am Fensterrahmen neben der Heizung und schaute in den blauen Himmel. Mit beiden Händen hielt sie eine Tasse mit heißem Tee und nippte in kleinen Schlucken. Geröstetes Toastbrot und Fenchelduft standen in der Luft. Der Frühstückstisch war gedeckt, sie hatte alle Schätze des Kühlschranks ausgegraben. In der Mitte zwischen den Tellern stand eine Vase mit frisch gepflückten Astern.
Morgen, Langschläfer. Es ging ihr besser, auf ihren Wangen zeigte sich eine gesunde Röte, darunter das typische Joylächeln, das ich Tage nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Guten Morgen, das sieht echt toll aus. Ich nickte zum Tisch rüber. Wie lang bist du schon auf?
Weiß nicht, eine Stunde?
Ich zeigte auf die Blumen. Und wo gab es die?
Im Vorgarten von der Schmelzer.
Ich konnte es nicht glauben. Bist du irre?
Joy lachte. Sie stellte die Tasse ab, kam zu mir und flüsterte in mein Ohr.
Vollkommen irre. Vorsichtig knabberte sie an meinem Ohrläppchen, stieg mit nackten Füßen auf meine und hielt sich an meiner Hüfte fest.
Hatte auch überlegt, dich zu wecken. Joy war so nah und ganz bei mir. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, ging ich los, wiegte sie von einem Bein aufs andere in einem unbeholfenen Bärentanz. Joy lachte mich an und tanzte mit. Bei jedem Schritt spürte ich warme Beine, die sich an meine drückten. Als sie ihren Kopf an meine Brust legte, überwältigte mich der warme Duft in ihren Haaren. Da war Joy plus etwas anders, eine aufregende und neue Note. Ich vergrub meine Nase in ihren Locken und sog den Duft ein, versuchte das Besondere daran herauszufiltern. Es gelang mir nicht, alles was ich fand, war ihr betörender Duft und wenn es etwas gab, das neu war und fremd, fügte es sich harmonisch ein und verbarg sich dahinter.
Joy schlang die Arme um meinen Hals und küsste mich. Ungewöhnlich um die Uhrzeit, denn früh morgens tun wir das selten, zumindest nicht so. Gierig drang ihre Zunge in meinen Mund und spielte mit meiner. Sie stieß zu, ließ die Spitze fordernd um meine kreisen. Für eine kleine Ewigkeit verloren wir uns in diesem Spiel. Wild rangen die Zungen in meinem Mund, es war schön, und zugleich viel zu viel.
Ich zog den Kopf zurück und schnappte nach Luft. Noch nie hatte Joy so geküsst und noch nie hatten ihre Küsse so geschmeckt, mich derart sehnsüchtig gemacht nach dem, was da noch kommen mochte. Ihre Wangen glühten, ich wollte mehr von der neuen Joy.
Mit geschlossenen Augen spitzte ich den Mund. Joy erwiderte nicht, dann spürte ich ihre Zähne an meiner Unterlippe und einen kleinen Biss. Ich schrie auf und wollte sie von mir wegdrücken, doch sie hielt dagegen, tippte mit der Fingerspitze auf meine Nase und lächelte. Auf ihrer Unterlippe stand ein Tropfen Blut, sie lächelte und zwinkerte mit einem Auge. Wie kann ich ihr böse sein?
Schatz, ich bin verloren.
‒ Ich weiß.
5. Oktober
Sobald Joy zur Tür hereinkam, stellte sie die Tasche auf den Stuhl und fiel mir um den Hals. Da war sie wieder, die besondere Note. Ich drückte meine Nase an ihren Nacken und kostete ihren Duft aus.
Sie ließ nicht mehr los, ihre Hände sanken tiefer, kleine Blitze stachen in meine Lenden. Fast unmerklich begann sie, ihren Hügel an mir zu reiben und stöhnte leise, als ihr die Antwort entgegenkam. Mit wenigen Schritten waren wir beim Sofa. Halb im Liegen gelang es mir, Hose und Shirt auszuziehen. Joy streckte die Arme hoch und ich streifte ihr T-Shirt darüber. Als ich ihren Slip durchriss, lachte sie und gab mir einen Klaps, der dazu führte, dass ich noch verrückter nach ihr wurde. Sie schubste mich auf den Rücken und stieg auf mich. Ich spürte ihre Nässe, Joys Brust strahlte vor Hitze, sie schloss die Augen. Mit einem tiefen Seufzen setzte sie sich langsam auf mich.
Auf ihrem Arm sah ich einen roten Flecken, der im Rhythmus ihrer Stöße pulsierte. Mein Denken hatte ausgesetzt und ich nahm es als etwas, über das ich später nachdenken konnte. Mit jedem Stoß fiel sie schwerer auf mich, ich spürte ihr Zittern, die Ankündigung des kommenden Ausbruchs. Wie von Sinnen drückte ich mich ihr entgegen, spürte das Ziehen und Prickeln unmittelbar davor, das kaum auszuhalten ist. Sie wurde laut und wand sich, ich bäumte mich auf, nichts ließ sich noch zurückhalten.
Kurz darauf fiel sie neben mich, ihr Atem wurde gleichmäßig. Ich strich ihr durchs Haar, kämmte es mit den Fingern hinter die Schultern. Sie öffnete die Augen und sah mich an, etwas Fremdes lag in ihrem Blick. Ich schaute genauer hin, ihre Pupillen hatten einen rötlichen Schimmer angenommen, nein, sie waren dunkelrot, das Grünbraun war beinahe verschwunden. Durch meinen Bauch fuhr ein Ruck.
Willst du da nicht mal jemanden draufschauen lassen?
Joy schüttelte den Kopf. Es ist ein Geschenk! ‒ Findest du nicht auch?
8. Oktober
Ich kann nicht sagen, wie lange ich geschlafen habe. Ich wachte auf, als Joy damit anfing, meine Körpermitte zu bearbeiten. Mit einem Schlag war alles wieder da, die ganzen letzten Tage fühlten sich an wie ein irrer Trip. Einer, den ich auf keinen Fall missen möchte.
Es stachelt mich an, wenn ich das Begehren einer Frau spüre. Bei manchen ist es nur ein Blick oder eine Berührung. Bei Joy ist es der Geruch, und was sie dann zu mir sagt.
Wenn sie einmal in Fahrt ist, gibt es für mich kein Halten mehr. Dann bin ich bereit für die nächste Runde, den nächsten Rausch, das endlose Besaufen am anderen, über alle Kräfte hinaus.
Joy lächelte mich an ohne aufzuhören, sie wusste es. Bei dem anschließenden Ritt stützte sie die Hände auf meinen Schultern ab und gurrte leise und rhythmisch.
Die roten Flecken sind auf ihrem ganzen Körper verstreut. In der Mitte einiger Rötungen wölbte sich eine zarte Spitze heraus, wie bei einer Blüte, die kurz davor ist, aufzugehen. Spätestens da wusste ich, ich hatte Joy nicht mehr nur für mich, ab jetzt würde ich sie teilen müssen mit dem, was in ihr wuchs. Wie zur Bestätigung sah ich zum ersten Mal, wie sich eine rote Knospe auf ihrem Arm öffnete und ihr Innenleben offenbarte. Heraus ragten zwei feuchte Fortsätze wie kleine Eidechsenschwänze.
Als sie ihren Arm auf meine Haut legte, ließ ich es geschehen. Auch den lustvollen Schmerz, als die Kleinen mich berührten und zubissen, als wäre das selbstverständlich.
‒ Sind sie nicht wunderschön?
11. Oktober
Ich genieße, wie sie mir ihren Duft darbietet, das Stöhnen, wenn ich langsam mit der Zungenspitze ihre zarten Hautfalten nachfahre. Ich will Neuland entdecken, bis sie ganz von Sinnen ist, ihrer Perle Namen sagen, sie anhauchen und mit Versprechen umkreisen, bis sie sich emporhebt, weil sie den Kitzel des Verzögerns nicht mehr aushält.
Erst wenn ich spüre, dass sie mich will, wenn sie ihre Hände in mein Haar gräbt und durch das Begehren ihr Rücken rund wird, dann bin ich da. Dann sehe ich den Schweiß, der auf ihren Lenden glänzt und die pulsierenden Flecken daneben, die ihr so viel Lust bereiten. Wenn sie kommt, werden die Punkte dunkelrot und einige der reifen öffnen sich. Die kleinen roten Schwänze rudern suchend durch die Luft.
Ich bin hier.
Es ist ein Teil von ihr, so wie ich zu ihr gehöre.
12. Oktober
Ich kann ohne Joy nicht mehr sein. Ich will das Zittern spüren, wenn meine Handfläche über ihre Seidenhaut streicht, beinahe ohne sie zu berühren. Wenn meine Fingernägel sachte über Berge und durch Täler streichen, mühelos federleicht, nicht beliebig und nicht zu fordernd – nein, nicht zu Beginn. Wir kosten die Lust aus, genießen den Rausch bis zum letzten Tropfen.
Ich male Kreise an ihren Bauchnabel, drehe flüchtige Wirbel in kurze Locken und ziehe Schlangenlinien hinunter zu den schmalen Füßen. Dabei umstreichle ich die roten Knospen, warte geduldig, bis sie aufblühen und die Früchte, wie wir sie nennen, ihre dünnen Schwänzchen auf die Suche schicken. Ich bin der, den sie suchen, der sie nähren wird und gedeihen lässt. Ich lasse mich finden, schaue zu, wie sie die Haut öffnen und mein Blut saugen.
13. Oktober
Der Schmerz, der mich anfangs erwartet, lässt mich schaudern und doch weiß ich, dass ich nicht widerstehen kann, denn diese neue Art der Lust ist meine Droge, der ich nichts entgegenzusetzen habe. Ich war noch nie so lange auf cloud nine, kenne kein größeres Glück als das, was ich mit Joy empfinde. Die neue Joy, die ein Wirt ist für etwas Unbenanntes und doch auch ganz die Alte.
Sie hat es angenommen, wie auch ich es begrüße und füttere, weil es mich und meinen wachsenden Hunger nach Joy sättigt.
Ich bin mir sicher, es wird sie nicht töten, weil es von uns lebt, wie wir mit ihm. Kein Symbiont tötet seinen Wirt und kein Wirt einen Organismus, der ihm so viel Glück beschert. Abrufbar, beliebig oft. nicht wahr?
16. Oktober
Wenn bei Joy die Knospen aufgehen, dauert es ungefähr eine Woche, bevor die Früchte ausgereift sind und abfallen. Anfangs sind es nur zwei Schwänzchen, am Ende der Woche sind es fünf. Wir sammeln die Früchte auf, bevor sie vertrocknen und halten sie im Kühlschrank frisch. Sie schrumpfen etwas zusammen, ziehen die Arme ein und warten.
Entweder bin ich immun oder kein geeigneter Wirt, denn ich bekomme keine Flecken und somit keine Früchte.
Früchte deiner Lenden.
‒ eher Luststerne.
‒ Das gefällt mir.
21. Oktober
Heute waren wir wieder wandern und haben genau vierzehn Luststerne verteilt. So viele sind es noch nie gewesen. Wir setzen sie ein wenig zurück vom Weg ins feuchte Gras, wo sie sich halten, bis sie von glücklichen Menschen gefunden werden.
Wenn ich an die Zeit davor denke, ist da zum großen Teil nur grauer Nebel. Rückblickend empfinden wir unser altes Leben als fade und stumpf. Wir sind vollkommen sicher, dass unsere Gegenwart sehr viel besser ist und wir jetzt das Richtige tun. Denn wie könnten wir anderen dieses Maß an Erfüllung und damit letztlich den Sinn ihrer Existenz vorenthalten?
26. Oktober
Joy sagt, dass es manchmal zu viel wird, dass die Luststerne ihr zu viel Glück bescheren, wenn es sie wie ein Tsunami überrollt. Und dass sie lernen muss, das zu steuern, um den Verstand über Wasser zu halten. Aussetzen dürfen wir nicht, das hält sie noch weniger aus. Sie braucht Zeit, es muss sich langsam aufbauen. Deshalb muss ich vorsichtig sein, nicht zu schnell und zu direkt. Sehnsüchtig wartet sie auf die Erlösung, das unaufhaltsame Bersten, das die Lust für einen Moment tötet und den ungeheuren Druck ablässt. Für einen kurzen Zeitraum hat sie dann einen klaren Kopf, sagt sie. Ich helfe dabei, weil es das Beste ist, was ich für sie tun kann.
31. Oktober
Joy geht es schlecht, seit zwei Tagen ist sie krankgeschrieben und liegt im Bett. In den Nachrichten sagen sie, es gebe Anzeichen einer neuen Epidemie, die sich sprunghaft ausbreitet und droht, zur Pandemie zu werden. Die Bilder, die sie von den roten Schwänzchen zeigen, sind eindeutig.
Es gab erste Tote, sie haben es untersucht. Ein unbekannter Organismus, der seine langen Fadenwurzeln durch alle inneren Organe treibt, an Nervenbahnen andockt und die Steuerung der Impulse übernimmt. Es scheint kein denkendes Zentrum zu existieren, der Organismus handelt instinktiv und kennt nur ein Ziel: Fortpflanzung. Mit brutaler Konsequenz, auch um den Preis des Verlustes der Wirtin, denn er befällt nur Frauen, wie ich bereits vermutet hatte.
Die Medikamente, die sie verordnet haben, betäuben die Sinne, dämpfen die permanente Lust und unterdrücken den Schmerz. Mehr können sie momentan nicht tun, ohne den gesamten Organismus massiv zu schädigen. Es gibt keine Heilung, sie forschen daran. Fühle mich leer und verloren.
1. November
In der Nachbarschaft haben sie gestern die erste Frau geholt. Ich habe das durch unser Badfenster beobachtet. Sie stiegen zu viert aus einem Transporter und trugen gelbe Anzüge mit Handschuhen und großen Hauben mit abgedichtetem Visier. In den Nachrichten reden sie von Isolierstationen, von unmöglicher Triage und vom Aussterben der Menschheit.
Ich weiß nur, ich werde sie immer lieben.
Es klopft an der Tür …