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Jugendsünden

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27.08.2007
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Jugendsünden

Nach sechs Jahren treffe ich Jade wieder. Sie entdeckt mich, glücklicherweise, denn ich hätte sie nie erkannt. Ich hätte wahrscheinlich beim Anblick der dicken Frau erschrocken gedacht, ihre tote Mutter sei wiederauferstanden. Als jemand in der Bowlingbahn neben mir mit schriller Stimme: „Oh mein Gott, Hayley, bist du das?“, ruft, drehe ich mich verwundert um. Ich erwarte hier niemanden, der mich kennen könnte. Vor mir steht eine unglaublich fette Frau im rosa Frotteeanzug, kleine Kinder stolpern um sie herum. Auf der Bank ruht sich erschöpft ein ebenso dicker Mann mit Vollbart aus, auf seinem Schoß hockt ein Kleinkind, den Daumen im Mund.
„Hi!“, sage ich vorsichtig, denn ich habe jetzt eine leise Ahnung, wer der rosa Fleischberg vor mir ist. Ich schiele auf den Monitor, wo alle Spieler ihren Namen eintragen. „Mom“ steht bei ihr.
„Ich bin’s, Jade!“, schreit sie und zerrt mich an sich.
Jade.
Ich schaue sie an, ihr breites Gesicht, ihre seltsame blonde Hochsteckfirsur mit einer Art Dutt, der wie Gehirnmasse aus ihrem Kopf zu quellen scheint. Früher hatte sie braune Haare. Früher war sie dürr wie eine Heuschrecke.
„Was machst du hier?“, ruft sie und gibt gleichzeitig Anweisungen nach rechts und nach links.
„Geh mit deinem Bruder auf’s Klo! Willst du noch ein Soda, mein Schatz?“
„Ich bin hier auf einem Ausflug mit …“ Ich suche nach den passenden Worten. „Mit den Heimbewohnern, bei denen ich jetzt arbeite.“ Ich deute auf Elias hinter mir, der mit seinen nach innen gedrehten Beinen zur Bowlingbahn humpelt. Mit kieksenden Stimme schreit er: „Und los!“ Die Bowlingkugel knallt laut auf die Bahn und rollt langsam zum Ende. Zwei Kegel fallen wie in Zeitlupe um. Elias und die anderen aus dem Heim johlen ekstatisch.
Jade starrt sie ungeniert an.
„Die Verrückten gehören zu dir?“ Es ist mehr eine Feststellung, als eine Frage. Schon immer hat sie unverblümt Bemerkungen dieser Art losgelassen. Jade hat nie eingesehen, warum das, was ihr in den Kopf kommt, nicht auch zu ihrem Mund heraus soll.
„Sie sind entwicklungsbehindert, nicht verrückt“, sage ich mit fester Stimme.
„Haha“, lacht Jade. „Immer noch lustig, die alte Hayley!“
Das kleine Kind auf dem Schoss des bärtigen Mannes fängt an zu heulen.
„Gib ihr’n Nuckel, Jeremy!“ befiehlt Jade. „Das ist Hayley, du weißt doch, meine alte Freundin. Hab‘ dir doch von unseren Streichen erzählt!“
Jeremy hebt seine Hand ein Stückchen hoch. Jade strahlt mich an. Hinten fehlen ihr zwei Backenzähne. „Ein netter Kerl“, sagt sie plötzlich leise. „Alles habe ich ihm natürlich nicht erzählt.“
Ich nicke.

Unsere Häuser standen genau nebeneinander. Ich sage hier Häuser, obwohl sie ja, technisch gesehen, Wohnwagen waren. Aber Mutter und Tanta Marjorie hatten versucht, diesen düsteren Katen eine persönliche Note zu geben. Tante Marjorie hatte einen kleinen Gartenzaun errichtet und dahinter verschiedenes Grünzeug angebaut. Vor unserem Wagen standen ein paar Stühle und ein Klapptisch, wo Marjorie und Mutter saßen und vorgaben, wichtige Unterhaltungen zu führen. In Wirklichkeit warteten sie auf Kunden. Tante Marjorie lauerte auf willige Opfer, die sich ihre trostlose Zukunft prophezeien lassen wollten und meine Mutter präsentierte sich für Freier. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie da warteten und schwatzten. Tanta Marjorie - riesig und gewaltig, in einen ihrer geblümelten Kaftane gehüllt. Mit ihren tiefliegenden kleinen Schweinsäuglein und ihrer winzigen, seltsam eingesunkenen Nase erweckte sie immer den Eindruck, als ertrinke sie in ihrem eigenen Fett. Mutter hockte daneben wie eine knorrige Wurzel, ihr mageres Dekolleté großzügig zur Schau gestellt.
Ganz früher hat sich meine Mutter für Gott prostituiert. Da stand sie noch unter dem Einfluss von meinem Vater, einem durchgeknallten Baptistenpfarrer. Für ihn ging sie jeden Sonntag früh los und klingelte bei den Leuten an der Tür. Mit einem frischen: „Haben Sie die Bibel gelesen, Sir?“, eröffnete sie das Gespräch, welches letztendlich darauf hinauslief, den Leuten ein paar der religiösen Pamphlete meines Vaters aufzuschwatzen. Als ich klein war, hat sie mich öfters mitgenommen, so ein herziges Mädchen macht sich ja immer gut, besonders bei alten Damen.
„Wir sind Gottes Botschafter und zeigen der Welt ein strahlendes Antlitz“, bleute sie mir ein. Die Welt strahlte aber nicht zurück. Als uns wieder einmal jemand mit einem „Verpisst euch, ihr blöden Fotzen“, die Tür vor der Nase zuschmiss, muss sie entschieden haben, dass dies nicht der richtige Weg war, einer Neunjährigen den notwendigen gesellschaftlichen Schliff beizubringen. Von da an durfte ich zu Hause bleiben und sie selbst stellte ihre Klinkenputzerei auch bald ein, da mein Vater mittlerweile mit einem jüngeren Schäfchen der Gemeinde auf und davon war.

Jade und ich wussten Bescheid über unsere Mütter. Von irgendetwas muss der Mensch ja leben. Die meisten aus dem Park lebten vom Beschaffen und Wiederverkaufen dubioser Gegenstände. Zu Marjorie kamen alle. Sie las aus Teeblättern, Karten und Kaffeesatz, manchmal auch aus der Hand. Sie versprach nicht zu viel und nicht zu wenig. Meine Mutter war nicht weniger effizient. Während ich mit Jade vor dem Wagen saß und wir uns gegenseitig die Fußnägel lackierten, konnten wir die Verkaufsgespräche verfolgen. Jade lauschte andächtig, mir war es peinlich. Ich war mit fünfzehn noch Jungfrau, Jade hatte dieses Stadium schon seit ein paar Jahren hinter sich gelassen.
An einem Nachmittag erschien ein brutal aussehender junger Mann. Auf die geschäftsmäßige Frage meiner Mutter antwortete er nur mit einer Art Grunzen. Dann fiel sein Blick auf mich.
„Was kostet’s mit der?“, fragte er und starrte mich gierig an. Meine Mutter schob sich energisch vor mich. „Meine Tochter ist tabu!“, sagte sie.
Der Typ blickte sie verächtlich an. „Warum soll ich dich alte Schachtel nehmen, wenn hier draußen was viel Besseres herumsitzt?“, fragte er.
„Dann gehst du mal jetzt lieber, Freundchen!“, antwortete meine Mutter drohend. Marjorie quetschte sich aus ihrer Tür und stemmte die Hände in die Fettschichten auf ihren Hüften.
Sie sah gefährlich aus, für die, die sie nicht kannten. Der Typ ging weg, aber nicht, ohne mir vorher zuzuzwinkern und sich in den Schritt zu greifen. Keiner sagte etwas, aber es war klar, dass hier noch nicht das letzte Wort gesprochen war.

Von da an kam er dauernd. Er lungerte an unserem Wagen herum, ging sogar ein paarmal mit meiner Mutter hinein. Sie konnte es sich nicht leisten, auf Kunden zu verzichten. Jedesmal, wenn er wieder herauskam, grapschte er nach seinem Schwanz in der Hose und hielt ihn fest, wenn er an mir vorbeiging. Als sei er zu schwer, um allein in der Hose zu hängen. Dabei schaute er mich an und leckte sich die Oberlippe.
Der Typ hieß Slater und war Mitglied einer neuen Gang, die hoffte, sich in unserem Park als neuen Markt zu erobern. Dabei gab es bei uns gar nicht so viel zu holen, lauter langweilige Leute, die den Kristallen noch nicht so verfallen waren, wie viele andere. Einige soffen nur, oder kifften ein bisschen. Alle hatten Angst vor ihm, aber Jade hasste Slater mit einer überraschenden Inbrunst. Meine heimliche Erklärung dafür war, dass sie eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit war, die er mir entgegenbrachte. Dabei hätte ich gern darauf verzichtet.


An einem Samstag im August war der Park wie ausgestorben. Mutter und Marjorie waren einkaufen gegangen, ein Vergnügen, das sie sich einmal im Monat gönnten und von dem sie mit Ramsch und Firlefanz beladen zurückkamen.
In der Mittagshitze war es hier menschenleer, abgesehen von dem alten Bill Myers am anderen Ende der Straße. Wie immer saß er in seinen alten Bademantel gehüllt in seinem Rollstuhl und starrte in die flimmernde Ferne. Gestrandet, wie ein gespenstischer, verkrüppelter Wächter auf isoliertem Außenposten. Fast alle Männer hockten bei Ross in der Bude, um irgendeinen Boxwettkampf zu sehen. Ross hatte vor nicht allzu langer Zeit einen Kabelanschluss "erworben", so dass sein Wagen seitdem als eine Art kulturelles Zentrum des Parks genutzt wurde.
Slater tauchte wie der Leibhaftige aus einer Staubwolke auf.
„Hi, Honey“, sagte er und griff mir in die Haare. „Hast du ein bisschen Zeit für mich?“
„Lass los“, sagte ich mürrisch. „Meine Mutter ist nicht da.“
„Ich will auch nicht zu deiner Alten.“ Er beugte sich zu mir herunter und blies mir seinen ranzigen Atem ins Gesicht. „Deine Mutter bringt es nicht mehr. Eigentlich sollte ich mein Geld zurück verlangen.“ Er tat, als überlegte er. Dann zog er mit einem Ruck mein Kinn hoch.
„Vielleicht kannst du das ja wieder gutmachen.“
„Hau ab!“, sagte ich wütend, aber es wurde mir langsam mulmig. Die Stille des Ortes, gepaart mit der schwülen Hitze und meiner knappen Kleidung wurde mir plötzlich bewusst.
Er zerrte mit einer Hand die Tür unseres Wohnwagens auf, schaute sich kurz um und wollte mich hineinschieben. Ich fing an, mich zu wehren. Ich trat ihn gegen sein Schienbein und konnte dennoch nicht verhindern, dass ich bereits halb im Wagen hing.
„Keine Zicken, du kleine Nutte“, schnaufte er über mir und presste mich auf den Fußboden. Ich wollte um Hilfe schreien, aber seine dreckige Hand schob sich auf meinen Mund. Sie roch nach verbranntem Tabak und etwas undefinierbar Ekligem. Seine Zunge glitt wie ein Stück kalte Leber in meinen Mund. Plötzlich gab es ein knirschendes Geräusch und Slater wurde ganz schlaff.
Über uns stand Jade, mit einem Baseballschläger in der Hand.
„Das Arschloch ging mir schon lange auf die Nerven“, sagte sie.
Vielleicht, ja wahrscheinlich lebte er noch, aber das konnten wir nicht in Kauf nehmen. Jade wusste Rat, wie immer. Auf ihre eigene Weise.


Es war lächerlich einfach. Außer Bill Myers, der eine Woche später eine Lungenembolie hatte, sah uns kein Mensch. Es war so erschreckend einfach, dass ich schon fast wieder an die Existenz Gottes, oder zumindest an die eines Schutzengels glaubte. Wir schleiften Slater ein kleines Stück in den Wald und öffneten die verrosteten Deckel der Klärgrube die schon seit Bestehen des Parks vor sich hin stank. Wir ließen ihn hinein gleiten, hier würde ihn keiner suchen. Sie wurde aller Jubeljahre einmal entleert.
Am Abend fragte jemand meine Mutter, ob sie Slater gesehen hätte.
„Was weiß ich denn, wo das Schwein ist.“, meinte sie schulterzuckend
Jade und ich lackierten uns die Nägel und ließen uns von Marjorie eine glorreiche Zukunft prophezeien. Danach fragte uns keiner mehr. Einmal hörten wir das Gerücht, er sei von einer rivalisierenden Bande kalt gemacht worden, aber beweisen konnte es keiner.
Ein Jahr später starb Marjorie und Jade zog weg, zu ihrem Freund.

„Wir wohnen in Willow’s Hill“, sagt sie mir jetzt stolz. Willow’s Hill ist der nächste Ort nach dem Park und wird von der allgemeinen Bevölkerung in einem Atemzug genannt. Aber die Bewohner von Willow’s Hill sind von einem kindischen Dünkel auf ihre bessere Adresse erfüllt.
„Toll“, bemerke ich. Ich bringe es nicht fertig, ihr zu sagen, wo ich jetzt wohne.
„Was machst du denn mit den Irren?“, fragt sie interessiert.
„Ich betreue sie“, antworte ich. „Das ist mein Job.“ Es hat keinen Zweck, mit Jade über das Wort „Irre“ zu streiten.
„Jeremy“, schreit sie nach hinten. „Hayley wird dafür bezahlt, mit den Verrückten zu kegeln, stell dir das mal vor!“
Jermey nickt bewundernd.
„Na, das müsste mir mal passieren“, sagt sie und lacht. Sie sieht wirklich aus wie ihre Mutter.
„Mensch, hatten wir einen Spaß, was?“, sagt sie plötzlich und knufft mich mit ihrer fleischigen Hand. “Was wir alles so angestellt haben!“
In meiner Erinnerung höre ich noch einmal das fast friedliche Plätschern, mit dem Slaters Gesicht untertaucht. Ich höre die Geräusche aus unserem Wohnwagen und Tante Marjories tiefe Stimme, die großartige Schicksale aus schmierigen Händen liest. [
„Klar, Jade.“ Ich lächele. „Wir hatten eine Menge Spaß.“

 

hallo!

Die Geschichte hat mir gut gefallen. Zwar finde ich den Titel nicht so ganz passend, einen besseren wüsste ich jetzt aber auch nicht auf die Schnelle.

du zeichnest gekonnt ein trostloses Bild und der Ausdruck »White Trash« kommt mir in den Sinn. Der kurze Ausflug in die Untiefen des missionierens hat mich übrigens ein bisschen aus der Geschichte geschleudert. Das klang stilistisch so anders für mich. In dem Zusammenhang ist mir auch das »verkaufen« der Pamphlete aufgefallen. diese christlichen Missions-Schriften, auch Traktate genannt, wird man zum einen niemandem gegen Geld verkaufen können, zum anderen dürfen die (das steht meistens sogar drin) normalerweise auch gar nicht verkauft werden. Sie sind zum verschenken da. Anders wäre es glaube ich bei Zeugen Jehovas, die Abonnements von »Erwachet« oder »Wachtturm« verkaufen können. Dadurch hängt das Bild »sich für Gott prostituieren« ein wenig schief.

sehr gelungen fand ich das Zusammentreffen der beiden Frauen beim Bowling. Hier hast du manches nur angedeutet, was vollkommen genügt. gelungen, obwohl eigentümlich, auch, dass sich eine der beiden aus diesem Trailerpark mehr oder weniger befreien konnte, sozusagen aufgestiegen ist und plötzlich ein wenig von oben herab beobachtet. Hayley hat Jade wirklich etwas zu verdanken, aber trotzdem sind sie inzwischen sehr weit voneinander entfernt. Jades Verklärung der Vergangenheit spricht ebenfalls Bände.

Wirklich eine gelungene Geschichte. Ich habe sie sehr gerne gelesen.

Georg

 

Hallo Schrei - Baer,
danke fuer deinen Kommentar. Ja, der Titel ist nicht so die Wucht, das ist wahr. Zuerst hatte ich es "Trailer Park Girls" genannt, aber das erschien mir dann zu offensichtlich und ausserdem habe ich eine leichte Abneigung gegen englische Tiel fuer deutsche Geschichten.

Danke fuer deinen Hinweis mit dem "Verkaufen". Du hast Recht, die verkaufen das ja nicht. Sie wollen ja nur deine "Seele" , nicht dein Geld. Ich habe es jetzt durch "aufschwatzen" ersetzt.


Freut mich, dass es dir zugesagt hat!

gruss, sammamish

 

Hej sammamish,

mir hat die Geschichte sehr gefallen.

Eine kritische Anmerkung habe ich, die aber mit Vorsicht zu genießen ist, weil ich sie nicht richtig begründen kann:

Packe die Gelegenheit beim Schopfe!
Vielleicht ist es die Tatsache, dass dieser Satz ohne einen gewissen Kontext auf mich flach und ganz unwahrsagerisch wirkt. Oder es ist das etwas gestelzt klingende "Packe" und "Schopfe". Ich weiß es nicht, aber mir gefällt der Absatz besser ohne diesen Satz.

Hat mich gefreut,

Viele Grüße
Ane

 

Hallo sammamish, schön wieder von dir zu lesen,

Das kleine Kind auf dem Schoss de bärtigen Mannes fängt an zu heulen.
Des

die hoffte, sich in unserem Park eine goldene Nase zu verdienen.
Es ist unfair, jetzt gerade, das rauszupicken, wenn viele gute Stellen im Text sind, viele starke Stellen. Aber, bitte: Lass doch diese zu Tode gerittenen Redewendungen einfach weg. „Goldene Nase verdienen“ – das hat mal echt so einen Bart. Genau wie der „kreisen wie Satelliten herum“-Anfang. Das sind, finde ich wirklich, Makel in deiner Sprache, die sonst ausgezeichnet ist.

und von dem sie, mit Ramsch und Firlefanz beladen zurückkamen.
Komma weg oder noch eins nach „beladen“

Willow’s Hill ist der nächste Ort nach dem Park und wird von der allgemeinen Bevölkerung in einem Atemzug genannt.
Ehm, der Sinn des Satzes ist nicht ganz klar. Wird „Willow’s Hill“ zusammen ausgesprochen? Du meinst glaub ich, dass man nicht unterscheidet zwischen Willow’s Hill und „dem Park“.

Ist eine bittere Geschichte. Die Ich-Erzählerin tut Buße, jedenfalls kommt es mir so vor, indem sie die Behinderten betreut und alles tut, um nicht so zu werden wie ihre Mutter. Und Jade, die zumindest körperlich in die Konfektionsgröße ihrer Mutter geschlüpft ist, sie bleibt eben undurchschaubar. Erinnert sie sich noch? Ist es komplett weg?
Trailer-Park ja, gutes Setting dafür. Die Figuren gewinnen Konturen, vielleicht bis auf Slatter, der ein bisschen schwarz/weiß ist, brutal halt, mehr nicht, aber das ist schon okay. Man hätte auch noch mehr auf die beiden Mütter eingehen können, aber aus Sicht der Erzählerin, die ja beschränkt bleibt als Kind und die -hat man das Gefühl – auch nicht zuviel verraten will, passt das dann.
Starke, bittere Geschichte.
Gruß
Quinn

 

Hallo sammamish!

Eventuell wiederhole ich schon Gesagtes, aber das macht dir sicher nichts aus.

Der Einstieg: "Nach sechs Jahren treffe ich Jade wieder." => ist ja okay, nur wissen wir das jetzt. Dann kommt: "ich erwarte hier niemanden, der mich kennen könnte." => Naja, wie schon gesagt, wir wissen schon, dass sie da Jade trifft. Das solltest du anders aufbauen.

"kreiseln wie Satteliten" => Ein Satellit hat nichts mit einem Sattel zu tun.

"denn ich habe keine Ahnung, wer der rosa Fleischberg vor mir ist." => Auch hier, Punkt eins: Wir wissen aber schon, wer das ist. Das ist Jade.

"Früher war sie spindeldürr wie eine Heuschrecke." => Ein doppelter Vergleich ist unklug. Entweder war sie dürr wie eine Spindel oder dürr wie eine Heuschrecke.

"gib gleichzeitig Anweisungen nach rechts und nach links.
„Geh mit deinem Bruder auf's Klo!" => gibt. Außerdem kein Zeilenumbruch und statt des Punktes ein Doppelpunkt. Aufs geht auch ohne Apostroph.

"Der Bowlingball" => Ist wohl eher eine Kugel.

"Schoss de bärtigen Mannes" => Schoß des

"Nuckel!" befiehlt Jade." => Komma fehlt.

"Jeremy hebt seine Hand ein Stückchen" => Moment, wer ist Jeremy? Du hast den Namen bisher nicht erwähnt, also kann deine Protagonistin (und Erzählerin) ihn nicht kennen.

"Jade strahlt mich an. Hinten fehlen ihr zwei Backenzähne." => Könnte die Protagonistin das nicht nur erkennen, wenn Jade den Mund so aufreißen würde wie beim Zahnarzt?

Es folgt die Beschreibung des Trailerparks und seiner Bewohner. Ich greife ein wenig vor: Die Beschreibung wirkt so, als ob dort wirklich nur der allerletzte Abschaum leben würde (vergleichbar etwa damit, wenn bei uns in Deutschland jemand sagen würde: Nur Abschaum kassiert Hartz IV). Das finde ich reichlich unfair gegenüber jedem Armen, der weder kriminell noch süchtig ist.

"aber, Jade hasste Slater" => Ohne Komma.

"gegangen, ein Vergnügen, dass sie sich" => das

"von dem sie, mit Ramsch und Firlefanz beladen" => Ohne Komma.

"Ross hatte vor nicht allzu langer Zeit einen riesigen Fernseher „erworben" und war seitdem der Krösus des Parks." => Also, auch wenn diese Zeit etwa zwanzig Jahre zurückliegt - ein Fernseher ist doch ziemlich das erste, was sich die Leute kaufen, die in Wohnwagen leben und nichts anderes tun wollen, als sich irgendwie zu betäuben, oder? (Da die Geschichte in Amerika spielt, könntest du stattdessen sagen, dass er sich einen illegalen Kabelanschluss gelegt hat. Im Free-TV soll dort drüben ja nichts laufen.) Und "Krösus" finde ich unpassend.

"Wir schleiften Slater ein kleines Stück in den Wald, öffneten die stinkenden, verrosteten Deckel und ließen ihn in die Klärgrube gleiten, die seit Bestehen des Parks vor sich hin stank." => Auch das würde ich andersherum formulieren. Jetzt denkt man erstmal: Was sind denn das für Deckel da im Wald?

"Schwein ist", meinte sie schulterzuckend" => Punkt fehlt.

"„Toll", äußere ich meine Bewunderung." => Eine solche Zusammensetzung von Dialog mag ich generell nicht.

"„Na, das müsste mir mal passieren", lacht sie." => Man kann keine ganzen Sätze lachen.

"Ich lächele sie an." => Lächle reicht und passt besser zum Stil.

Abschließende Frage: Warum nicht in Spannung/Krimi? Versuchte Vergewaltigung, Totschlag. Passt doch bestens.

Hauptkritikpunkt ist für mich, dass alles zu sehr nach gewolltem "White Trash" klingt. Das kommt bei mir nicht realistisch an. (Praktisch von oben herab geschrieben, sorry.)
Ansonsten ein interessanter Text.

Grüße
Chris

 

Hallo Ane, danke fuer's Lesen! Den von dir erwaehnten Satz habe ich rausgenommen, denn eigentlich braucht es ihn nicht, das stimmt. Liegt wohl auch daran, dass icheigentlich nicht so richtig weiss, was Whrsagerinnen so sagen!

Hallo Quinn,
danke auch dir fuer deine Anmerkungen. Die zwei bemaengelten Ausdruecke habe ich geaendert. Manchmal rutschen einem im Eifer des Gefechts doch zu abgedroschene Phrasen rein.
Der Satz mit "Willow's Hill" ist wohl ein bisschen ungeschickt. Iche meine damit, dass es sozusagen eine etwas bessere Adresse ist, zumindest fuer die, die dort wohnen. Ihnen ist es wichtig, dass sie nicht mehr im Park wohnen. Dem rest der Welt, die ohnehin woanders leben ist das voellig egal. Fuer sie ist das Eine so schlimm wie das Andere.
Freut mich, dass es dir ansonsten gefallen hat. Die Fehler habe ich verbessert.


Hallo Chris, auch dir danke fuer deine,wie immer, sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Text. Die Fluechtigkeitsfehler habe ich verbessert und auch ein paar andere sprachliche Sachen, die dir auffielen.
Die "Satteliten" ( Ups...) habe ich ganz rausgenommen, den Tip mit Kabelanschluss fand ich sehr gut.

Es folgt die Beschreibung des Trailerparks und seiner Bewohner. Ich greife ein wenig vor: Die Beschreibung wirkt so, als ob dort wirklich nur der allerletzte Abschaum leben würde (vergleichbar etwa damit, wenn bei uns in Deutschland jemand sagen würde: Nur Abschaum kassiert Hartz IV). Das finde ich reichlich unfair gegenüber jedem Armen, der weder kriminell noch süchtig ist.


Ja, das ist ein "weites Feld" sage ich mal. Sicher kannman sie nicht alle ueber einen Kamm scheren. Meiner Meinung nach kann man auch Trailer Park und Hartz IV ueberhaupt nicht vergleichen. Dazwischen liegen schon noch Welten. Und leider sind Trailer Parks, nach allem was ich weiss und erfahren habe, kriminelle Moloche und nicht nur von guten Menschen besiedelt, die Earl Grey trinken. Und es waere mir auch seltsam vorgekommen, eine Trailer Park in rosigen Farben darzustellen. ( Im uebrigen sind ja weder Jade, noch Hayley oder ihre Muetter oder selbst Slater drogensuechtig oder Alkoholiker)


Hauptkritikpunkt ist für mich, dass alles zu sehr nach gewolltem "White Trash" klingt. Das kommt bei mir nicht realistisch an. (Praktisch von oben herab geschrieben, sorry.)

Es ist auch "White Trash" Ich wollte einfach mal etwas schreiben, was nicht in der mitteleuropaischen Wohlstandszone angesiedelt ist. Dass es von oben herab klingt, wollt ich nateurlich nicht. Andererseits ist es ja "Hayleys" Perspektive, die sich sozusagen aus der Gosse befreit hat.


Abschließende Frage: Warum nicht in Spannung/Krimi? Versuchte Vergewaltigung, Totschlag. Passt doch bestens

Ja, die Schubladen der Kg.de Rubriken. Da bin ich immer so unsicher. Stellt man es zu Spannung, schreit wieder jemand, es waere nicht atemberaubend genug, usw, usf. Sonstige ist immer so ein sicherer Hafen. :)


Danke euch allen fuer eure guten Hinweise!


Gruss, sammamish

 

Hallo sammamish!

Sicher kann man Trailerparks und Hartz IV nicht vergleichen. Aber in Deutschland gibt es nunmal nichts Vergleichbares mit Trailerparks.

Dennoch finde ich diese Pauschalisierung: "Und leider sind Trailer Parks, nach allem was ich weiss und erfahren habe, kriminelle Moloche" => unfair.
Rosige Farbe braucht es nicht, aber auch nicht dieses "nur schlecht, nur schlimm, nur kriminell".

"Im uebrigen sind ja weder Jade, noch Hayley oder ihre Muetter oder selbst Slater drogensuechtig oder Alkoholiker" => Nein, nicht unbedingt (allerdings ist Hayleys Mutter Hure, Jades was-weiß-ich, aber auch nicht unschuldig, Slater unzweifelhaft kriminell [und dem würde ich wirklich keinen "netten Zug" andichten, wie gero es vorschlägt] und er nimmt sicher Drogen oder trinkt.
Entschuldige, ich habe die entsprechende Textstelle nicht zitiert. Das hole ich nach: "lauter langweilige Leute, die den Kristallen noch nicht so verfallen waren, wie viele andere. Die meisten soffen nur, oder kifften ein bisschen." => Das ist der Knackpunkt, die Pauschalisierung in deinem Text, die mich besonders stört. Da sind es: alles Süchtige.
(In Amerika kann man so viel leichter als in Deutschland unverschuldet in die Armut rutschen. Und schlimmer als denen in den Trailerparks geht es doch den echten Obdachlosen, denjenigen, die in der Kanalisation leben u.s.w. Aber trotzdessen sie unter solchen Bedingungen leben müssen, sind weder alle kriminell noch süchtig.)
Entschuldige, wenn ich darauf rumreite.

Grüße
Chris

 

Hallo Gero, beim nochmaligen Durchlesen ist mir aufgefallen, dass die Geschichte wirklich sehr "fettlastig" ist. Ich glaube, es liegt daran, dass in Amerika Armut oft durch Fettheit gezeichnet ist, eine Art Umdrehung frueherer Zustaende. Dicke Koenige gibt es nicht mehr, heute sind die Armen dick.
Aber ich habe das "unmenschlich fett" herausgenommen, das war zu viel.
Danke fuer deinen Kommentar!


Hallo Chris,
ja, das meine ich natuerlich nicht, dass sie alle kriminell sind. Armut macht noch keine Kriminellen. Und das man hier schneller in die Armut rutschen kann ist wahr, braucht man sich nur die ganzen Zwangsversteigerungen ansehen.
Der Gedanke an Obdachlose ist interessant - da denkt man eigentlich nur "ach, die Armen", wohingegen bei Trailerparks sofort der Gedanke "White Trash, also Bodensatz der Gesellschaft autaucht. Vielleicht weil Obdachlose so am Ende sind, dass sie niemandem mehr gefaehrlich wer,den koennen?
Egal, das fuehrt wohl jetzt zu weit, ich habe die zitierte Stelle auch ein wenig abgemildert.


Viele Gruesse,
sammamish

 

Hallo sammamish!
viel hab ich nicht mehr hinzuzufügen- habe die geschichte gespannt gelesen; sauer aufgestoßen ist mir der "rosa Fleischberg" - das war mir ein bisschen zu heftig
ansonsten hast du es geschafft, dass ich mir klare bilder von den situationen machen konnte;

2 Dinge:
- "Was machst du hier?", ruft sie und gibt ......
- "Haben Sie die Bibel gelesen, Sir?"

besonders mochte ich den sehr klein wirkenden Schritt vom Klinkenputzen zur Prostitution :)

hab ich sehr gerne gelesen

schönen abend

kröte

 

Hallo Kroete,
( wie kommt man eigentlich auf so einen nick?)
danke dir fuer's Lesen und die Fehlersuche. Tausendmal gelesen und doch nicht bemerkt!

Schoen, dass es dir gefallen hat.
gruss, sammamish

 

Hallo Sammamish,

ich schrieb es ja bereits bei einer früheren Kritik, ich mag deine 'Schreibe':)
Das erste, woran ich nach dem Lesen denken musste, war eigenartigerweise der Film 'GrüneTomaten', trotzdem die Inhalte anders sind. Bei mir stellte sich nur das gleiche Gefühl ein.
Etwas hat mich irritiert, und zwar, dass man sich in sechs Jahren so sehr verändern kann, dass einen die eigene Freundin fast nicht mehr erkennt? Kann ich mir fast nicht vorstellen. Aber alles andere schon, weil du mit deiner Sprache Bilder erzeugst, eindeutige Bilder. Diese Tristesse in dem kleinen Ort ist nachvollziehbar und auch die Fettheit der Leute. Ich finde das nicht übertrieben. Interessant fand ich bei deiner Darstellung, dass die Verhaltensmuster aus der Kindheit ins erwachsene Leben übernommen werden.
Der Mann von Jade spielt eine untergeordnete Rolle. So wie ihre Mutter die Bestimmerin war, ist sie es auch. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Jade sich sehr verändern wollte, bei Hayley war das eher zu spüren. An ihrem Beruf und dem Unbehagen, als sie die Freundin trifft, ist das gut zu spüren.
Was ich immer wieder bewundere, sind deine Milieubeschreibungen. Ich empfinde sie perfekt.

Hat mir wieder sehr gut gefallen!
Lieben Gruß,
jurewa

 

Hallo Jurewa, danke fuer deinen Kommentar.
Den Film habe ich noch nicht gesehen, kenne aber den Titel und weiss, dass es irgendwie um verschiedene "Frauengenerationen" geht. Muss ich mir mal holen.

Dass sie sich stark veraendert hat, versuchte ich durch die gefaerbten haare, andere Frisur und Koepermasse zu zeigen. Ich denke schon, dass man sich auch in sechs Jahren bis zur Unkenntlichkeit veraendern kann ( wohl aber mehr im schlechteren, als im guten Sinne ...)

freut mich, dass es dir gefallen hat!

gurss, sammamish

 

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