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Königspatt
Der Hauptmann der Wache, kaum mehr als ein Bauer mit Schwert, stand zu Fuße des alten Königs Totenbett. In aller Herrgottsfrüh hatte man ihn aus dem Schlaf gejagt, als von den Wänden der Burg Schreie hallten: „Der König ist tot. Herr, steh uns bei. Der gute König ist tot.“
In einem alten Leinenhemd, das er zur Nacht zu tragen pflegte, stand er nur mit dem Schwert umgürtet im finstren Schlafsaal des alten, toten Herrschers. Für Beinkleider hatte die Zeit nicht mehr gereicht und müde kratzte er sich über die schwarzen Stoppeln seines Bartes.
Vier Stimmen hörte der Hauptmann in der Dunkelheit. Die wohltönende Stimme der Königin, die immer aus der Brust zu kommen schien. Dann das heisere Fisteln des dicken Bischofs; der Bibliothekar, der sich ausbat, ihn nicht so hart anzufassen, und eine andere, ein kräftiger Bass, die der Hauptmann nicht kannte. Riegel wurden vor die Tore gelegt. Die Königin schrie: „Ich traure! Seht ihr denn nicht, dass ich traure!“
Dann räusperte sich jemand und entzündete eine Kerze. Der Hauptmann legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes und ließ sie dort ruhen.
Das aschfahle Gesicht des Kanzlers war zu erkennen, der sprach: „Der König hat keinen Erben hinterlassen.“
„Und wessen Schuld war das wohl?“, fragte der Bibliothekar spitz.
„Kein Wunder, schaut sie euch an. Sie hat die Hüften eines achtjährigen Knaben“, brummte die Bassstimme.
„Mäßigt euch im Angesicht des Todes“, fistelte der Bischof.
Der Bibliothekar trat ans Bett und stieß dem König einen Finger in die Rippen. „Ich will nur sehen, ob der alte Sack wirklich tot ist.“
„Oh mein Gemahl! Mein armer, armer Gemahl“, schrie die Königin und warf sich inbrünstig auf den Leichnam.
„Hättest du das mal früher gemacht, dann hätten wir jetzt nicht dieses Schlamassel“, murmelte der Bibliothekar. „Also, Kanzler, was soll der Mummenschanz? Sollen wir entscheiden, wer das Land zu führen hat, oder wie hast du dir das vorgestellt?“
„Was heißt hier entscheiden?“, schniefte die Königin. „Von Rechts wegen kann es nur eine Nachfolgerin geben.“ Die Königin rappelte sich auf und rückte ihr Dekolleté zurecht.
„Ketzerei!“, schrie der Bischof, „dem Manne sei alles Land und Vieh untertan. Nicht dem Weibe!“
„Im Grunde genommen ist das ein Übersetzungsfehler“, sagte der Bibliothekar.
„Das Land ist nichts wert“, sagte der Bass. „Vielleicht zweitausend für das, was ihr an Äckern habt, noch mal zwei für die Burg, und naja, für die Knabenhüften leg ich vielleicht noch mal fünfhundert drauf.“
„Ketzerei!“, schrie der Bischof und hustete trocken.
„Schaut doch, was für ein jämmerliches Land ihr seid. Da steht eure Armee und nicht einmal der Stoff für ein paar Hosen war noch im Säckel.“
Der Hauptmann trat einen Schritt vom Bett zurück.
„Sucht das Beste für das Land“, sagte der Kanzler.
„Ihr habt es gefunden“, sagte der Bibliothekar.
„Es kann nur einen König geben und niemand anders wird den Raum verlassen als der König“, sagte der Kanzler und trat von der Kerze zurück in die Schatten.
Der Bischof zerrte an der Türe hinter sich. Die Königin sackte in die Knie, bereit, jederzeit in Ohnmacht zu fallen, doch als sie bemerkte, dass niemand, nicht einmal der Hauptmann, zu ihrer Rettung eilte, beschied sie sich, doch auf den Beinen zu bleiben.
„Das Land zerrisse es, verließe mehr als einer diesen Saal. Drum entscheidet ihr“, sagte der Kanzler und trat von der Kerze zurück in die Schatten.
Alle Augen ruhten auf dem Mann mit dem Schwert.
„Ihr könntet an meiner Seite sein“, flüsterte die Königin und strich um seine Wangen. „Jede Nacht brächte ich euch ins Paradies. Ich würde euch verwöhnen, wie noch kein Mann verwöhnt wurde, euer Schwert wäre stark und euer Leben ohne Sorgen.“
Die Königin roch nach Lavendel und presste ihre Brüste von hinten an den Hauptmann, ihre Finger glitten über die Hand, die auf dem Schwerte lag.
„Einen Mann Gottes zu töten, mein Sohn“, sagte der Bischof und räusperte sich heiser. „Willst du ins Fegefeuer? Zu den anderen Verdammten? Das Leben ist kurz und die Ewigkeit lang. Die Hure da, mit ihrem vertrockneten Schoß, ist die Finsternis. Ich –“, der Bischof hustete lang und furchtbar und spuckte schließlich etwas auf den Boden des Saales, „bin das Licht, mein Sohn.“
„Also wir haben hier ein klares Geschäft. Viereinhalb hab ich gesagt, dann leg ich noch mal viereinhalb drauf für mein bisschen Leben, dann hast du neun. Weißt du, was du mit neun machen kannst? Du brauchst nie wieder auch nur entfernt irgendetwas tun, was dir keine Freude bereitet. Du nimmst ein paar Hundert und kaufst dir so eine wie die da“, sagte die Bassstimme und zeigte auf die Königin. „Und dann nimmst du ein paar Hundert und kaufst dir einen schönen Ablassbrief und mit dem Geld, was dann noch über ist, kaufst du dir ein schönes Häuschen, irgendwo am Fluss, und Pasteten oder Konfekt und du und deine Nachkommen müssen nie wieder einen Finger krumm machen.“ Der Kaufmann streckte einen Finger aus und krümmte ihn. „Musst du nie wieder machen.“
Der Bibliothekar war blass und sein Reden brüchig. „Zieh dein Schwert nicht für mich“, sagte er. „Zieh es für das Land. Unter dem alten König war nur Finsternis und keine Gerechtigkeit. Wir können das Land nach unseren Vorstellung formen. Ein besseres Leben für jeden Einzelnen. Keine Fechtereien mehr mit anderen Fürsten. Keine Knechtschaft mehr für das Volk. Die Alten müssten nie wieder um Brot betteln und die Jungen ihre Körper nicht mehr verkaufen für ein Dach über den Kopf. Hilf mir, zieh das Schwert und erschlage das Alte. Und wir schaffen etwas Neues.“
Dem Hauptmann der Wache, wenig mehr als ein Bauer, brummte der Schädel von all den Gedanken, er überlegte hin und her, das schwere Lavendel der Königin in der Nase, und von all der Verantwortung, die das bisschen Stahl an seinem Gürtel trug, wurd’ ihm ganz schwer ums Herz und trüb im Kopf.
Da fragte er den Kanzler, der für seinen guten Rat bekannt war: „Kanzler. Was ratet ihr mir?“
Der Kanzler aber sprach aus den Schatten: „Ich kann euch nichts raten, denn ich starb mit ihm und bin bald tot und begraben. Doch denkt daran: Ihr müsst eine Entscheidung fällen. Nur einer darf diesen Raum hier lebend verlassen.“
Und da zog der neue König sein Schwert.