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Körperleere
Achtung: Diese Geschichte nimmt Bezug auf Gropers "Lehrkörper" und macht nur Spaß, wenn man diese kennt.
Heute gibt es ein Fest im Kollegium, und da der Herbst so warm wie lange nicht mehr ist, können wir sogar draußen feiern. Wir haben alle mit angepackt, um das Fest so schön wie möglich zu gestalten, mit einem von uns zusammengestellten Buffet, gebastelten Dekorationen und Bier vom Fass. Als Höhepunkt hat jemand eine Band geordert, und so sitzen wir gutgelaunt im Garten des Rektors.
Die Band spielt auf, und ich versuche, mich in die Musik fallen zu lassen. Ich schließe die Augen und genieße die letzten Strahlen der Herbstsonne, doch bei dieser Band bleibt der Musikgenuss gering. Irgendwie spielen alle so uninspiriert; wahrscheinlich alles Typen, die sich nebenbei ein paar Euros verdienen müssen, vielleicht Journalisten oder Heilpraktiker oder so.
Schade, dass wir nicht Louis angeheuert haben! Er unterrichtet an einer anderen Schule und gehört zu meinem Bekanntenkreis, wie viele Lehrer, teilweise noch vom Studium. Vielleicht hat er früher mal von einer Musikerkarriere geträumt, doch inzwischen hat er sich anscheinend damit abgefunden, das alltäglich gebrauchte Geld mit Unterricht zu erwirtschaften. Aber Musik ist wesentlich in seinem Leben, und so spielt er in mehreren Bands. Selbst auf seinem Fünfzigsten war er nicht nur das gefeierte Geburtstagskind, sondern immer wieder auf der Bühne.
Louis hätte hier mit Spaß agiert und uns alle mitgerissen. So lauschen wir höflich bis zur Pause und setzen unsere Gespräche wieder fort. Einer der Musiker fällt besonders auf. Er ist im gleichen Alter wie Louis, doch ungepflegt mit strähnigen Haaren und einer Hose, in die sein massiger Bauch nicht passt. Seine Nase ist gerötet, und seine Mundwinkel sind ein wenig nach unten gezogen, so dass sich ein Ausdruck von Ekel abzeichnet.
Trotzdem fragt er Dagmar an unserem Tisch, ob er sich zu uns setzen kann. Sie kann nicht „nein“ sagen, hat sie noch nie gekonnt, und der Musiker setzt sich neben sie. Er gliedert sich nicht in unser Gespräch ein, sondern reißt das Thema an sich. Anscheinend mag er keine Pädagogen, doch im Kontrast dazu doziert er über Alkohol, mit hörbar schwerer Zunge. Anscheinend hat er davon schon einiges genossen. Betreten schaut mich Dagmar an. Ist denn die Pause nicht bald vorbei?
Er liebt zu provozieren, das wird schnell klar. Und er scheint auch zu spüren, dass er stört. Vielleicht genießt er sogar unsere hilflose Empörung und wiegt sich doch in Sicherheit, weil wir von klein auf zu Höflichkeit erzogen worden sind. Ich muss an Louis denken, der vor Lebenslust strotzt und längst schon mit uns singen würde; dieser Mann verkörpert nur eine Leere.
Er flirtet weiter mit Dagmar, obwohl sie ihn nicht ermuntert.
„Ich bin doch nur eine alte Flunder.“, sagt er und lächelt vielsagend.
„Und ich bin kein junger Harung“, kontert sie.
Die Pause ist vorbei. Er geht.