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Kakao
Ich bin Jacks Gallenblase
(Chuck Palahniuk - Fight Club)
Benzin vermischt mit gefrorenem Orangensaftkonzentrat ergibt Napalm. Die erste Regel lautet, dass man nicht darüber redet. Und vor allem solltest du wissen - nicht fürchten, sondern wissen - dass du eines Tages sterben wirst. Interessant, oder?
Nein, natürlich nicht. In diesem Moment interessierte mich eher, warum zum Geier ich ausgerechnet jetzt daran denken musste. Vielleicht sollte ich nicht mehr so oft ins Kino gehen, vielleicht litt ich auch unter einem unterschwelligen Seifenfetischismus - ich glaube aber, der wahre Grund für meine Gedanken lag darin, dass mir dieses Arschloch gerade gehörig die Fresse polierte.
"Das is meine Perle, klar? Die hast du nicht anzufassen!" Ich versuchte zu nicken, spuckte Blut und dachte an Kurt.
...
"Weißt du, der Trick ist, du musst die Milch nach dem Kakaopulver ins Glas kippen. Sonst klumpt dir die Scheiße einfach zu."
"Also erst das Pulver?"
"Erst das Pulver. Oder du machst die Milch vorher warm. Das geht auch."
"Warte, das muss ich mir aufschreiben. Hast du mal nen Stift?" Kurt hatte keinen Stift. Natürlich nicht. Immerhin war er gerade dabei, mit einer Zange ein Loch in einen Zaun zu schneiden. Hektisch, aber keinesfalls fahrig nahm er sich Masche um Masche vor, bis er schließlich ein ausreichend großes Loch geschaffen hatte.
"Komm, gehen wir." Wir zogen unsere schwarzen Motorradmasken über und kletterten durch das Loch in den Hof. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, woher er das konnte, aber Kurt brauchte nur einen Schraubenzieher und dreiundvierzig Sekunden, um die Karre aufzubrechen und den Motor anzulassen. Irgendwas musste er mir all die Jahre immer verheimlicht haben.
"Also, du kannst natürlich nicht irgendwelche Milch nehmen", sagte er, nachdem wir die vordere Schranke des Parkplatzes durchbrochen hatten und mit quietschenden Reifen in die Nacht brausten. "Je frischer, desto besser, weißt du."
"Ja, das is klar. Wie durchsichtige Cola." Ich habe nie so ganz kapiert, woher seine Begeisterung für Kakao kam. Fakt ist aber, dass ich diese Geschichte schon an die tausend Mal gehört hatte. Gleich würde er mit dem Löffel anfangen...
"Der Löffel sollte ein Loch haben, damit das Zeugs nicht so rumwirbelt beim Rühren. Ist schlecht für den Geschmack."
"Loch. Klar. Hier links."
"Viele nehmen einfache Plastiklöffel, aber ich schwöre da auf Metall. Nichts rührt besser, als Solinger Löffel."
"Links hab ich gesagt."
"Was? Ach so... Moment." Handbremse, Lenkrad, Gas und Gegenlenken erzeugt Gummiabrieb. Einfache Formel. "Das Wichtigste ist aber die Schokolade. Ich meine, du kannst die besten Vorraussetzungen haben - nen tollen Löffel, Milch direkt aus der Kuh und ein Glas aus... Glas - aber wenn die Schokolade scheiße ist, kannst du den Rest in die Tonne kloppen."
"Halt mal kurz. Da is ein Automat, ich brauch Kippen."
...
Das Telefon klingelte. Nicht meins, Kurts.
Ich saß auf dem Beifahrersitz und sah ihn fragend an. In seiner Linken eine Bierdose, in der Rechten das Lenkrad. Eine dritte Hand hatte er nicht. Ein kurzes Schulterzucken. "Nimm mal das Lenkrad." Dann ging er ran.
"Hallo? ... Nee, im Auto ... störst nicht, hier is eh Autobahn, da verpass ich nichts ... Schweiz ... ja, Schweiz ... scheiß drauf, so weit is das auch nicht ... Schalt mal hoch, der hat fünf Gänge." Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass das Letzte an mich gerichtet war. Dann schaltete ich. "Warum? Na, wegen der Schokolade ... ja, sicher ... okay, ich bring dir was mit ... ja, hab dich lieb ... Was? Ach, du mich auch ... Ja." Ich wusste gar nicht, dass er soziale Kontakte pflegte. Kurt hatte mir echt eine Menge Sachen aus seinem Leben vorenthalten. Irgendwann würde ich ihn mal drauf ansprechen. Er legte auf und steckte das Handy zurück in seine Tasche. Ein kurzer Schluck aus der Dose und seine Konzentration galt wieder der Straße.
"Wie wärs mit einem Alphorn?", fragte ich.
"Was?"
"Na, für deine Freundin."
"Gute Idee, Tina wird sich freuen. Warte, ich schreibs auf. Nimm mal kurz das Steuer."
...
Ich warf einen Blick auf meine aufgeschürften Hände.
"Also, wie gesagt, sobald wir da sind, besorgst du uns Sprit für die Rückfahrt und ich kümmer mich um die Schokolade. Hörst du zu?" Blut vermischt mit Dreck gibt eine sehr interessante Farbe. Ich malte mit meinem Zeigefinger einen Kreis auf meine Handfläche. Mussten diese Kinder auch ausgerechnet da spielen?
"Wenn du beim Aussteigen aufgepasst hättest, wie ichs dir gesagt hab, wär das nicht passiert. Hör auf, an dir rumzuspielen und pass auf. Also, die Schokolade..." Ich hasse Radfahrer. Denken, sie wären die Tollsten, nur weil sie die Luft nicht verpesten. Alles dämliche Pseudoweltverbesserer. Ich wär diesem Jungen nicht ausgewichen.
"Bitterschokolade ist gut, Vollmilch ist besser. In Milch aufgelöst gibt das den besten Kakao, den man sich denken kann." Ich meine, hätte ich die Wahl gehabt, entweder ein kleines Kind zu treffen oder einen erwachsenen Mann, der gerade aus seinem Wagen steigt, hätte ich das Kind genommen. Weniger Körpermasse gleich weniger Widerstand. Ich pulte gedankenverloren an den kleinen Hautfetzen.
"Alter, du gehst mir auf den Sack", sagte Kurt. "Ich geh dir ein Pflaster holen." Er stand auf und marschierte an die Theke. Ich blieb an unserem Tisch sitzen und säbelte an meinem Schnitzel. Kinder werden einfach viel zu hoch angesehen in unserer Gesellschaft. Klein, lieb und unschuldig. Von wegen. Wer einmal gesehen hat, was eine Horde Kleinkinder bewaffnet mit Fingerfarben aus seiner Wohnung machen können, denkt da anders. Drei goldene Regeln, wenn du nach dem Schlussmachen nicht renovieren willst.
Erstens: Fang niemals was mit ner Kindergärtnerin an.
Zweitens: Sag ihr niemals Dinge wie "Manchmal wünschte ich, ich wäre eine Frau. Dann hätte ich meine eigenen Titten und bräuchte deine nicht mehr."
Drittens: Wenn du das doch mal sagen solltest, vergewisser dich, dass sie dir deinen Wohnungsschlüssel zurückgibt, bevor sie abhaut.
Ich hätte Lisa damals echt niemals zugetraut, dass sie zu so einer Sache fähig sein könnte. Sie war es und ich brauchte neue Tapeten. Und ein neues Türschloss.
"Hier, Verbandszeug hatten die nicht. Reicht das?" Kurt warf mir eine Rolle Klopapier und etwas Tesafilm auf den Tisch.
...
Mischt man Schokolade mit Milch, erhält man Kakao. Eiswürfel dazu und man hat einen kühlen Kakao. Ich glaube, mit genügend Eis kann man die ganze Welt kühlen.
"Wir sind da", sagte Kurt und trat auf die Bremse. Vielleicht wurde in dieser Fabrik tatsächlich mal Schokolade hergestellt. Mittlerweile sah es aber so aus, als wäre das einzig Süße in diesen Hallen das Blut der Ratten.
"Hier gibt’s Schokolade?"
"Die beste der Welt."
"Nur um sicher zu gehen - ich meine, du scheinst mir einiges an dir verheimlicht zu haben - du willst nicht einfach nur hier einbrechen und Kohle klauen, oder? Das wäre nicht unser Ding."
"Nein, wenn ich sage, ich will Schokolade, dann will ich Schokolade. Außerdem ist es kein richtiger Einbruch. Ich meine, hier ist seit Jahren kein Mensch mehr. Niemand wird es merken, wenn ich mal einen Blick in die Vorratshallen werfe." Kurt lachte und stieg aus. "Du weißt, was du zu tun hast?" Ich nickte.
...
"Hab ich dir schon gesagt, dass das meine Perle ist?"
"Hast du." Eine einfache Aufgabe. Mit dem Wagen ne Tanke suchen und vollmachen. Verbleites Super an Säule vier.
"Und warum hast du meine Perle dann angepackt?"
"Ich... ich wusste nicht... dass sie dir..." Es ist ganz einfach. Man muß nur möglichst unauffällig aussehen und dann so tun, als hätte man seine Brieftasche im Wagen vergessen. Einsteigen, Gas geben. Klappt normalerweise sogar, wenn man mitten in der Nacht der einzige Kunde ist.
"Ach, das wusstest du nicht? Warum meinst du wohl, liegt sie auf meinem Tresen?"
"Das hier ist ne Tanke. Ich dachte..." Blut spucken "Ich dachte, sie wäre zu verkaufen..." Ja, eigentlich kein Problem, so eine Sache. Blöd nur, wenn genau in dem Augenblick, in dem man fliehen will, irgendein LKW die Ausfahrt blockiert, weil der Fahrer zu dämlich zum Rangieren ist. Und dann, nur ein paar Minuten später, sitzt man im abgeschlossenen Verkaufsraum der Tankstelle, während der Pächter die Bullen anruft und sich dabei für einen Augenblick wegdreht. Ein kleiner Augenblick ist eine große Versuchung, wenn man so etwas offen auf dem Tresen liegen sieht.
"Verkaufen? Dass ich nicht lache! Erst willst du mir meinen Sprit klauen und dann noch meine Perle. Die ist für meine Frau, klar? Hat sie sich verdient."
"Ja, natürlich..." Noch ein Schlag in mein Gesicht und dann flog die Tür auf. Kurt hatte mich gefunden.
...
"Der ist noch nichmal Schweizer." Kurt warf einen Blick auf den Führerschein des am Boden liegenden Pächters.
"Das würde seinen Akzent erklären."
"Was für ein Akzent?"
"Gar keiner. Das ist es ja. Lass uns gehen. Die Bullen sind gleich hier."
"Was ist das?"
"Ne Perle. Für seine Frau. Vermutlich ein Imitat."
"Weißt du, wie schwer es ist, ein Alphorn zu finden?"
"Was?"
"Für Tina, du Nase. Ich denke, ich werde ihr stattdessen eine echte Schweizer Perle mitbringen." Er steckte die kleine Kugel in seine Tasche und wandte sich zur Tür. In diesem Moment erwachte der Tankstellenpächter. Er befühlte die Beule an seinem Kopf und setzte sich langsam auf.
"Wollt ihr Geld?"
"Wofür hältst du uns? Für Diebe?" Kurt drehte sich herum und fuhr den Mann scharf an. "Wir sind nur hier, weil wir die Schokolade abholen wollten. Für den Kakao."
"Also kein Geld?"
"Wozu? Wir haben, was wir brauchen."
Als ich einsteigen wollte, hätte ich mich beinahe auf die Tüte gesetzt. Sie war tatsächlich voll mit Schokolade. Ich warf sie auf den Rücksitz, stieg in den Wagen und schnallte mich an. Als die Polizei kam, waren wir schon längst weg.
...
"So, das war doch gar nicht so schwer."
"Naja." Ich betrachtete meine Hände und im Rückspiegel mein Gesicht. "Ich hab ganz schön was abbekommen."
"Das ist ja wohl dein Ding, oder? Ich meine, es hat dir ja keiner gesagt, dass du die Perle von dem Kerl anpacken sollst. Da hat er schon Recht, wenn er dir dafür die Fresse poliert."
"Ja, vermutlich hast du Recht. Was machen wir jetzt? Nach Hause?"
"Wir haben die beste Schokolade der Welt. Für guten Kakao braucht man außerdem ein schönes Glas und einen Löffel. Am besten mit einem kleinen Loch und aus Stahl. Das hab ich zu Hause."
"Na, dann lass uns fahren."
"Aber wir brauchen Milch. Am besten frisch." Ich musste grinsen, denn ich wusste, was nun kommen würde. "Glaubst du, der Sprit reicht bis Holland?"