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Kakophonie

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12.04.2007
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Kakophonie

Kakophonie oder wie heißt die Kunst der Klingeltöner? –
Fassung letzter Hand


"Die Love Parade war keine Naturkatastrophe,
sondern Menschen haben Fehler gemacht."
Rainer Sch.​

Nach Informationen durch gemeinhin wohlinformierte Kreise verweigert ein schuldbeladener Gully jede Aussage zum Unglück vom 24. Juli gegenüber den ermittelnden Beamten.

„When you're alone and life is making
you lonely you can always go
Downtown
…”, dröhnt’s mittags aus dem Radio,
dass Alice gackert’: „Frau Mama,
ich geh weg und du bleibst da!“,
um begeistert hinterm Rattenfänger her zu tänzeln. Freilich pfiff der nicht auf einer Flöte, sondern bediente sich modernen Instrumentariums. Folglich klang seine music auch gänzlich anders als die Musi der Ältern. Gebar diese manch’ liebes Mal feuchte Augen, so ergriff die Musi doch immer die Herzen, während der Rhythmus des Elektrophons in Blut und Bein überging – wie eben bei Missy Alice. Die hatte ihr Gehirn abgeschaltet und folgte innerem Drang. Trippelte hin, tapperte her als irgend ein niedlich tanzender Bär. In Trance, in kleinen Schritten und im Eiermarsch.

Bis s’e gerade jetz’ – has’de nich’ gesehn!? – weg is’.
Einfach weg!
Einfach so.
So einfach?
Und wat is’ dat da?
Ich werd nich’ mehr!
Hat doch wahrhaftig die Kanalisation geöffnet!

Wer zum Teufel mag den Kanaldeckel entfernt haben?
War et der da oder war’n’t die da?
War et die da oder war et dat da? –
Als könnte das Blag allein den Deckel tragen!

„Upwards!“, gaukelts Elektrophon und Petula Clark: „Just listen to the rhythm of the gentle bossa nova / you'll be dancing with 'em too before the night is over happy again / the lights are much brighter there / you can forget all your troubles forget all your cares …”, als Alice bereits abwärts flieht. Saust durch im Hully Gully. Je finstrer es wird, desto greller ihr Schrei. Was Alice als Sendung einer Rohrpost sieht, wirkt bedrohlich. Was sie erfährt, kann ihr nicht gefallen. Sollte niemand gefallen!

Ungleichzeitig krümmen Rücken sich vor Koprolithen. Zahnlose Mäuler betteln, Wärme zu spenden und gerecht zu verteilen. Ein wenig tröstlicher Gedanke des Wärmetodes, der alle gleich träfe, ließe sich nicht dieser und jener lebendige Kadaver einfrieren. Wenn auch niemand davon so recht satt wird, so wird er doch dem Mineralstoffwechsel letztlich wieder zugeführt, spätestens jetzt ein nützlich’ Glied der Gesellschaft, es sei denn, er wäre Koprolith.

„Behaupten Sie immer noch, der Tod wär ein Meister aus Tiutschiulant?!“, bellt das Alphatier, Koprolith eines planetarischen Reviers mit Hierarchien, die den Underdogs umso höher erscheinen müssen, je flacher die Hierarchen sich gäben.
„Historisch gesehn, ja“, antwortet gesenkten Blicks der Gefragte mit eingezogner Rute. „Prinzipiell aber …“
„Wissen Sie überhaupt, welche Schande Sie über unsern Planeten bringen mit Ihrer Todesunfuge?!“, schlägt das Alphatier theatralisch mit einem Donnerwetter in die andre Rede ein.
„Lassen Sie mich bitte ausreden, Euer Hoheit!“, bittet der Gefragte vorsichtig.
„Bitte“, knurrt es drohend zurück und übertrieben freundlich und umso gefährlicher: „Ich bitte doch recht herzlich darum, mein lieber Freund!“
„Historisch gesehn, ja“, hebt der Gebetene an, um anzufügen, „prinzipiell aber birgt jede Gesellschaft dieses Talent, was Sie schon mit dem Konjunktiv irrealis korrekt ausdrücken, Euer Hohlheit. - Man bräucht’s nur zu fordern und zu fördern.“

Also läutet das Gesetz: Ein Ziel habe jeder vor Augen, wenn er gleich blind wäre.
Doch schränkt das gleiche Gesetz ein: Wenngleich jeder sein Ziel vor Augen sehe, erreiche es doch nicht jedermann, wisse doch nicht jeder seinen Ellenbogen zu eignem Nutz’ und Frommen effizient und vor allem effektiv einzusetzen, um den im Wege Stehenden wegzuräumen, was vom Gesetz nicht weiter geläutet oder gar erläutert werden müsse, sollte doch der blödeste Hund einsehen, dass nur immer einer ganz oben ankommen kann, die große Masse aber das Fundament der Pyramide abgibt und in seiner Tragfähigkeit den Sinn ihres Daseins findet.

Da ruft erfreut das Alphatier und wedelt zugleich begeistert die Rute: „Fördern und fordern!“, dass keckfrech ein Welpe spottet: „Dem Schönen und Reichen ein Schonen und Schmeicheln. Dem Harten reichlich, kein Erbarmen dem, der zu weichlich!“, dass sich Nackenhaare sträuben und die Rute zum Sturme wedelt. Zum Dank wird der Welpe mit den knorrigen Worten „wer hat dich Würmchen denn gefragt?“ vom Alphatier fest im Nacken gepackt und geschüttelt, dass einem das Lachen vergeht. Geht mir weg mit’m Welpenschutz!

Der eine träumt.
Traumlos der andre.
Der Welpe hat ausgeträumt.
Ein unnützer Fresser weniger in Rudel, Meute und Revier.
„Musste das sein, Euer Hohnheit?!“, hört Alice sich selbst.

Ziellos streben die Geschwister Angsthaas und Mutwilli auf den Gemeinplatz, ins Vergnügen oder in die Leichenhalle. Ficken, bis die Leibeshülle weich wird. Zungen verstummen vor der Zeit. Gebettet unter weinenden Kerzen, fremden Blumen, Kränzen und Düften, doch vor allem liebevoll gestreichelt, erfährt mancher im Zerfall Zuneigung, die ihm im Leben versagt geblieben ist. Der Tod ist der Meister des Lebens.

Selten stinkt ein Fisch allein. Die Gemeinschaft der Alpha- und Betatiere klingelt bis dato unerhörte Töne: Die Wiedergeburt des Requiems aus der Unfähigkeit zu trauern.
Horror wohl bekannter Orte.
Wie viel Kunst steckt eigentlich in Klingeltönen?
Dass Schmerz sie bereiten, verspürt besonders das hündische Ohr.

„Musste das sein, Euer Hohnheit?!“, vernimmt Alice nicht allein - dem widerspräche die Meute der Höllenhunde, welche hinter ihr her stürzt als lärmend-fröhliche Korona. Alle getrieben von innerer Kraft, aus Wut und vor Angst, dass Opfer und Meute eins werden. –
Oder wär es doch ein Vakuum, das diese kleine unfriedliche Gesellschaft in die Rohrpost hineinzöge, dass es nie zu einem Ende käme? Da weitete sich die Röhre schier unendlich, nur um sich gleich wieder zu verengen und dieses Mal bis hin zum Punkt. Weitete sich wieder und wieder, um sich jedes Mal zu verengen, als stürzte die Meute in ein atmendes Wesen.

Die schönste aller Welten in wabernden Wolken schwülwarmen Dampfes täte sich auf, darinnen auf meckernden Schäfchenwolken frohlockend zerstreute Engelein nicht nur Hosianna sängen, sondern

„Singt ein fröhlich Liedchen
für’n Appel und’n Ei!
Läg der Apfel offen,
kämen die Larven frei.
Wär’ das Ei zerbrochen,
würd’s Spiegel oder Rühr -
sängen gleich der Amsel
zwanzig stumm – wofür?“

Wissen S’e überhaupt, dat alle Engel niedlich sind, ausgenommen natürlich die Wache vorm Paradies oder –das?

Die spielten die Harfe im Hafenkonzert mit Bläsern, Pauken & Trompeten, dazu Ma’janne & Michel + die stampfenden Stinkstiefel volkstümelnder Shitparadierender, die zudem den Rhythmus durch Händeklatschen verstärkten.

„Fünfhundert nackte Seelen
käm’n gerade noch davon.
Doch niemand knippste’n
Strom ab dem Elektrothron.
Aberwitzig viele
stürben tausendmal den Tod,
der auf aengstem Raume
mit Berührung droht.“

Hinwiederum ritten andere Engelchen blöde grinsend oder verlegen lächelnd, je nach Standpunkt des Betrachters - wer mag das entscheiden? - auf rosig quiekenden Schweinchen und hielten, da sie verkehrt herum rittlings auf dem prallen Leben säßen, verkrampft an den aufrechtstehenden, quasi entringelreihten Schwänzen sich fest
(oder - jetzt stockt der Traum, stolpert übern Einwand - steuerten die Putten mittels der Schwänze die Schweine?, oder wären es Joysticks von schweineähnlichen Maschinen? Aber nein, nein, drei Mal nein!, es gibt kein Grübeln während des Albtraums).
In den rosafarbenen Bäuchen der Schweine steckte jeweils ein Dreizack, gehalten von je zwei Teufeln - den geklonten Söhnen Luzifers, wäre das die Hölle im Zeitalter der Reproduktion?,
der darum doch auch Herr der Unterwelt wäre, mit allen Wassern & Feuern der Himmel & Höllen und allem was dazwischen läge,
darum dass Menschen immer Furcht vor der unbekannten Weite, Tiefe und Wildnis der Gewässer haben - deren Mäuler Feuer speien in dieser dunstig düstern Welt –
und die Reittiere allmählich in Spanferkel verwandelten und kraftvoll in Richtung Fegefeuer und Hölle drängten, einen feuchtfröhlichen Grillabend zu gestalten.
Das Fegefeuer erkenne ich als eine Imbissstube, die Hölle hingegen als ein bekanntes Fastfoodrestaurant mit Pampe aus der Pampa und panierten Meeresfrüchten. Dazu betörte uns der Klassiker „… So go downtown things will be great when you're / downtown no finer place for sure / downtown everything's waiting for you …”

Endlich! käme Alice auf einem stinkenden Haufen Mistes zu liegen.

Nur langsam gewöhnten sich die Augen ans spärliche Licht, das durch eine kleine Öffnung hoch oben in den Schacht hineinfände – der fehlende Kanaldeckel? Auf dem Boden vermeinte sie zwischen Pfützen aus Urin und Haufen aus Kot, - und also schmeckte die Luft auf der Zunge, neben der Bitternis der Gebrüder Schimmel und Pilz, - (erb-)ärmliche Gestalten zu erkennen, die stumpfsinnig in ihren abgetragenen und zerfetzten Stoffen hockten oder lägen, lallten oder stöhnten, seufzten oder heulten. An die hundert Leute oder auch mehr, soeben noch stolz erhobenen Hauptes und doch schon kopflos, Wohlhochgeborene und doch in den niederen Stand gestürzt und verwesend, Reiche und Edle vereint mit lichtscheuem Gesindel, Bürger, Bauer, Bettelmann, dass Lichtenbergs Physik der Gesellschaft verifiziert würde: Nicht jeder, der Hochwohlgeboren, sei Hochwohlgestorben,
die Armen liefen barfuß, die Reichen und Schönen barbusig.
Alle fänden Einlass und doch nicht den Ausgang, würden auf bekannte Weise hinein- & hinabbefördert, Gesunde wie Kranke, Starke, Schwache und Gebrechliche, Männer, Frauen und auch Kinder, Schwuchteln und Tunten, Hünen und Zwerge, Dicke und Dünne, Breite und Schmale. Alle würden sie zu Hungerleidern und auf diese Weise gleich skelettiert. Skelettiert fänden sie die Solidarität der Sumpfblüten und Pissnelken. Auf den Haufen und zwischen den Pfützen krabbelte so mancherlei Getier, welches für gewöhnlich das Licht meidet und die Sicherheit der Düsternis sucht. Kakerlaken, La cucaracha klappernd, krabbelten über Händ‘ und Gesichter. Ratten fräßen nicht nur die spärliche und zerfetzte Kleidung, sondern offensichtlich auch die Gliedmaßen einiger Gestürzter an. Es handelte sich in all der Kakophonie um einen Kerker, in den Alice während des Albtraums blickte. Da stänk' es durchs Fensterlein zum Himmel, dass Gottvater sich Nase und Ohren verschlösse – nicht aber den Schacht. Dessen ist Alice nun sicher.

„Ums arme Licht der Seelen
schwirr’n die Motten schon,
zerfräßen die dürft’gen
Stoffe der Klarheit.
Versprächen nur die reine
und volle Wahrheit
und sich im Stillen
größtes Lob und höchsten Lohn.“

Aus dem Elend aber ragte die Gestalt eines ellenlangen Kerls mit breiter Brust, der trüg’ einen verreckenden Freund auf den Armen. Eben der hätte das letzte Geheimnis entdeckt. Mit den Worten „Ich kann es Dir nicht sagen, Freund. Künde ich Dir das Gesetz der Erde, so setztestu Dich nieder, um zu weinen“ würd’ er zu Erde.

„Doch schon die Videoten
klärten das Problem –
Vielhundertmal liefs und
keiner hätt’s je gesehn?
Der Lemming schritt’ inmitten
allzu großer Zahl!
Bildet sich die Masse,
wirds Denken reine Qual.“

Fröhlich pfiff der Pied Piper als die Meute der Schnauzer und Pinscher ihrer Bestimmung folgte und über die Ratten herfiele - wobei sie anderes Fleisch, selbst Aas nicht verachteten. Da reckte sich der Riese zu einer Höhe von elf Ellen, dass die Breite der Brust an die neun Spannen gäbe. Zugleich ergösse sich ein Sturzbach aus Tränen hinab, um Not und Elend dieser Welt zu ersäufen. Nach einem gewaltigen Schrei aber wäre seine Rede: “Us two bin get hard time killin’ dog but now feelin’ like nothin’ on earth”, bevor er Alice seinen Namen gäbe “who go down first is loser. So ya wanna be high up on da wall take ma piggyback service ’n’ call me Gil” – dass Alice antwortete “eye’m miss Liddell, but call me pleasance”, bevor sie Huckepack genommen würde.

„Wofür säng wer ein Liedchen
für’n Appel und’n Ei?
Den Apfel fräßen Motten
und wir ständ’n blöd dabei.
Vor gespielter Rührung zum
bezahlten Trost gibts
Nur die starke Lösung,
die alles Leben achtet
und alles Leben liebt.“

Auf ginge es, dem Licht entgegen.

Ein jeder träumt.
Keiner ist traumlos.
Einige vergessen ihren Traum.
Andere verraten oder verkaufen ihn.
Mancher geht daran zugrunde.

„… abwärts“ hört Alice wen rufen, „upwards!“ antwortet Gil und erklimmt mit seiner Last den Lichtschacht, dass sie mit der Oma träumt „.And you may find somebody kind to help and understand you / someone who is just like you and needs a gentle hand to guide them along / so maybe I'll see you there / we can forget all our troubles forget all our cares …”

Am Rand stehn Leute. Sind tief bewegt, doch dann erschrocken und entsetzt als der Riesenkerl mit der Frau im Gepäck heraussteigt aus dem Schacht. Kopfschütteln ist und einer zeigt auf den andern, dass es plappert:
„War es der da oder war’n es die da? – Ich war’s nicht!“ –
„War es die da oder war es das da?“ – als könnt’ ein Kind den Kanaldeckel entfernt haben!

Gil aber interessiert die Schuldfrage nicht. Ihn zieht’s in die ferne Heimöde Uruk – wie auch Alice sich nach der Mutter sehnt. Brav dankt sie Gil und erhofft ein Wiedersehen, als ein schwarzer Vogel herniedersteigt und ihr in die Nase pickt, dass Alice zusammenschrickt. Gil aber weiß es besser, sagt ihr aber nicht, dass dieser Wunsch unerfüllt bleiben muss. Aufgebracht flattert die Amsel davon.

Zuhaus sitzt derweil die Frau Mama:
„’s Kind ist weg und ich bin da …“,
als das Radio gestört wird „So go downtown / things'll be great when you're / downtown don't wait a minute more / downtown everything's waiting for you // Downtown…town’s down … downwards”

dass sie vom Schlag getroffen wird, als eine unbekannte Missus den Raum betritt und gagat: „Mummy more better than canalis over here get plenty kaukau“, um schließlich zu gackern:
„Freue dich, oh Frau Mama,
bin immer fort, doch immerdar.“

Derweil erzählen Forschung und Lehre vom upward trend nicht nur der city und eine Motte schwingt sich auf zur Anwältin der Gebrechlichen, denn wer könnte sich leisten, einen Deal sausen zu lassen?

«Cry baby cry
Make your mother sigh
She's old enough to know better.»

The Beatles, Cry Baby Cry

Nachtrag

Der Geist der Weihnacht weht übern Burgplatz und der Schultheiß hält ein Grußwort, worinnen es heißt: „Ich möchte die Möglichkeit wahrnehmen, mich persönlich bei den Betroffenen zu entschuldigen und zeigen, dass ich mich meiner moralischen Verantwortung stelle. … Es tut mir unendlich leid, ich kann es nicht rückgängig machen ...“ Er werde sich „einer eventuellen Verantwortung stellen“, schließt das Grußwort des ehrenwerten Mannes - und was sagt dieser Mensch damit? Hat er sich mit dieser Sammlung von Allgemeinplätzen überhaupt entschuldigen können oder nur seine Hände in Unschuld reinigen wollen? Und kann eine Tat nicht nur vom Betroffenen entschuldigt werden? Kann nicht der Schuldige allein um Entschuldigung bitten?

„Ich möchte die Möglichkeit wahrnehmen, …“ eine gedoppelte Möglichkeit, er möchte etwas tun – warum tut er’s nicht endlich? Wird da nicht wieder gekränkt und beleidigt durch „möchte“ und „Möglichkeit“, beide vom Verb „mögen“ abgeleitet, das eine sein Konjunktiv II, wir können hier getrost Konjunktiv irrealis sagen, das andere seine Substantivierung. Der Konjunktiv verrät, wenn ich könnte, würde ich mich entschuldigen …, die Substantivierung, dass etwas sein kann (aber nicht muss) im Gegensatz zu Wirklichkeit und Notwendigkeit. Da schließt sich nahtlos die größte Lüge an, wenn er „WAHR“nehmen möchte: „… wahrnehmen, mich persönlich bei den Betroffenen zu entschuldigen“. Persönlich! Hätt' er's mal besser „unpersönlich“ durch einen Sprecher verlautbaren lassen, dann hätten wir wenigstens die Vorstellung, dass er außer seiner Geschäftsphilosophie noch eine andere Moral und Verantwortung kennt. Die Scham.

Wie immer geht die Lüge mit der Übertreibung hausieren: „Es tut mir unendlich leid, …“ Nicht für fünf Minuten tut’s ihm leid. Leid tut ihm, dass vielleicht der Umsatz nicht mehr stimmt. Oder gerade deshalb stimmt, weil die Leute so blöde und neugierig sind, auch eine geschallert zu bekommen.
Leid tut ihm, dass sein guter Ruf, sein Name beschädigt wird.

Schön, dass er nix rückgängig machen kann - ist er doch nicht der liebe Gott … Aber es muss ja eh noch alles geklärt werden: Schuld und Sühne, quatsch: Schuld und Schande!

 

Also:

„When you're alone and life is making
you lonely you can always go
Downtown …”, dröhnt’s mittags aus dem Radio,
dass Alice gackert’: „Frau Mama,
ich geh weg und du bleibst da!
Alice hört also auf den Rat aus dem Radio und normalerweise sagt dies doch die Mutter zum Konrad, nicht?

Bis s’e gerade jetz’ – has’de nich’ gesehn!? – weg is’.
Einfach weg!
Einfach so.
So einfach?
Und wat is’ dat da?
Ich werd nich’ mehr!
Hat doch wahrhaftig die Kanalisation geöffnet!
Nun ist die Alice in einem ganz anderen land und ist darüber sehr verwundert, nicht? den dort ists ziemlich wunderlich.
spätestens jetzt ein nützlich’ Glied der Gesellschaft, es sei denn, er wäre Koprolith
, denn das ist versteinerte Kacke und die braucht kein Mensch.

In den nächsten zwei Absätzen geht es um die Gesellschaftsstrukturen von versteinerter Kacke, ah...

Ziellos streben die Geschwister Angsthaas und Mutwilli auf den Gemeinplatz, ins Vergnügen oder in die Leichenhalle. Ficken, bis die Leibeshülle weich wird. Zungen verstummen vor der Zeit. Gebettet unter weinenden Kerzen, fremden Blumen, Kränzen und Düften, doch vor allem liebevoll gestreichelt, erfährt mancher im Zerfall Zuneigung, die ihm im Leben versagt geblieben ist. Der Tod ist der Meister des Lebens.
Party in der leichenhalle, Endzeitstimmung!!

Die schönste aller Welten in wabernden Wolken schwülwarmen Dampfes täte sich auf, darinnen auf meckernden Schäfchenwolken frohlockend zerstreute Engelein nicht nur Hosianna sängen, sondern

„Singt ein fröhlich Liedchen
für’n Appel und’n Ei!
Läg der Apfel offen,
kämen die Larven frei.
Wär’ das Ei zerbrochen,
würd’s Spiegel oder Rühr -
sängen gleich der Amsel
zwanzig stumm – wofür

Was ist eigentlich mit dir los?

Wissen S’e überhaupt, dat alle Engel niedlich sind, ausgenommen natürlich die Wache vorm Paradies
hehe

Nur langsam gewöhnten sich die Augen ans spärliche Licht, das durch eine kleine Öffnung hoch oben in den Schacht hineinfände – der fehlende Kanaldeckel? Auf dem Boden vermeinte sie zwischen Pfützen aus Urin und Haufen aus Kot, - und also schmeckte die Luft auf der Zunge, neben der Bitternis der Gebrüder Schimmel und Pilz, - (erb-)ärmliche Gestalten zu erkennen, die stumpfsinnig in ihren abgetragenen und zerfetzten Stoffen hockten oder lägen, lallten oder stöhnten, seufzten oder heulten. An die hundert Leute oder auch mehr, soeben noch stolz erhobenen Hauptes und doch schon kopflos, Wohlhochgeborene und doch in den niederen Stand gestürzt und verwesend, Reiche und Edle vereint mit lichtscheuem Gesindel, Bürger, Bauer, Bettelmann,
So sieht es morgens vor dem U60 311 in Frankfurt aus, zumindest vot acht Jahren. XtC, Speed und Meth verwandeln die Menschen in Zombies.

Gil aber interessiert die Schuldfrage nicht. Ihn zieht’s in die ferne Heimöde Uruk – wie auch Alice sich nach der Mutter sehnt. Brav dankt sie Gil und erhofft ein Wiedersehen, als ein schwarzer Vogel herniedersteigt und ihr in die Nase pickt, dass Alice zusammenschrickt. Gil aber weiß es besser, sagt ihr aber nicht, dass dieser Wunsch unerfüllt bleiben muss. Aufgebracht flattert die Amsel davon.
oh mann, arme Alice. Ehrlich gesagt fühle ich hauptsächlich nix für die Prot, aber ich glaube das war auch nicht deine Absicht.

Um diesen Text vollkommen zu verstehen, muss man ihn sicherlich tausend Mal lesen und ich weiß nicht, ob ich soviel Zeit hab, aber du hast es in jedem Fall geschafft, dass ich mir ziemilich dumm vorkam.

Lieben Gruß Jan

 

Na, geht doch, man muss sich nur trauen,

lieber Jan,

und dumm muss sich keiner vorkommen, Du am ellerwenigsten. Auf jeden Fall dank ich Dir für die Arbeit (die's bestimmt macht) und vor allem den Mut zur Äußerung. Glaubstu etwa, Einstein hätte seine allgemeine Relativitätstheorie verstanden? Und Hawkins wirds michjt verstehn, die EINE Weltformel zu schaffen. Aber'n Ziel hat er immerhin, denn was wäre, wenn er keines hätte?

Alice hört also auf den Rat aus dem Radio und normalerweise sagt dies doch die Mutter zum Konrad, nicht?
Wen beeinflussen denn die Massenmedien heutzutage nicht oder, anders rum gesagt: wer kann sich ihrer Wirkung entziehn?

Nun ist die Alice in einem ganz anderen land und ist darüber sehr verwundert, nicht? den dort ists ziemlich wunderlich.
Weshalb sie auch Alice heißt.

, denn das ist versteinerte Kacke und die braucht kein Mensch
, soferns kein Sesselfurzer von Metropolit ist & sich - selbstverständlich - für unersetzlich hält.

In den nächsten zwei Absätzen geht es um die Gesellschaftsstrukturen von versteinerter Kacke, ah...
man könnt auch sagen: (scheinbar) unveränderlichen Strukturen.
Party in der leichenhalle, Endzeitstimmung!!
So isset! Krise als Lebensprinzip.
Was ist eigentlich mit dir los?
Fällt untern Datenschutz!
So sieht es morgens vor dem U60 311 in Frankfurt aus, zumindest vot acht Jahren. XtC, Speed und Meth verwandeln die Menschen in Zombies.
Das ist Realismus!

oh mann, arme Alice. Ehrlich gesagt fühle ich hauptsächlich nix für die Prot, aber ich glaube das war auch nicht deine Absicht.
Korrekt. Identifikation wie hinterm float herzueiern oder sonstwem oder -was ist immer gefährlich.

Um diesen Text vollkommen zu verstehen, muss man ihn sicherlich tausend Mal lesen und ich weiß nicht, ob ich soviel Zeit hab, ...
Time is money? Na, da hat der Erfinder des Blitzableiters schon wieder ein Opfer ...

Aber jetzt kommt 'ne Frage, die wahrscheinlich sehr lästig ist: haben die Änderungen (incl. Lennon, Downtown und Reime) überhaupt was gebracht?, was selbstverständlich nicht nur an Dich gerichtet ist.

Gruß & schönes Wochenende wünscht der

Friedel

 

Wen beeinflussen denn die Massenmedien heutzutage nicht oder, anders rum gesagt: wer kann sich ihrer Wirkung entziehn?
Niemand kann sich vollständig entziehen, aber ich behalte doch wenigstens den Überblick, denkt sich jeder, der nicht wirklich darüber nachdenkt.

Zitat:
In den nächsten zwei Absätzen geht es um die Gesellschaftsstrukturen von versteinerter Kacke, ah...

man könnt auch sagen: (scheinbar) unveränderlichen Strukturen.

Ja, das könnte man, auch wenn ich dann vermuten muss, dass du das "Material" aus dem unsere Gesellschaft gemacht ist, Scheiße findest..

Korrekt. Identifikation wie hinterm float herzueiern oder sonstwem oder -was ist immer gefährlich.
Wwäääss?

Aber jetzt kommt 'ne Frage, die wahrscheinlich sehr lästig ist: haben die Änderungen (incl. Lennon, Downtown und Reime) überhaupt was gebracht?, was selbstverständlich nicht nur an Dich gerichtet
Ja, weil die Strophen die Stimmung nochmals wiedergeben, in einer anderen, verständlicheren Form. Das gibts wohl auch selten, dass Gedichte leichter zu verstehen sind als die Kurzgeschichte drumherum...

Gruß

Jan

 

Ja, weil die Strophen die Stimmung nochmals wiedergeben, in einer anderen, verständlicheren Form. Das gibts wohl auch selten, dass Gedichte leichter zu verstehen sind als die Kurzgeschichte drumherum...
hat mich sehr gefreut,

lieber Jan,

schon wegen dieser kleinen Rückmeldung!

Schon der Säugling wird in Strukturen hineingeboren, ohne die er nicht überleben könnte, insofern ist Gesellschaft notwendig.
Aber das jeder ganz gerne lieber auf einem warmen, vertrauten Sessel klebt als eine kalte Sitzfläche wieder anwärmen zu müssen ist auch was natürliches.
Zwischen Distanz (die ich allemal bevorzug) und Identifikation sollte man immer abwägen. Blinde Gefolgschaft mag Lemmingen angemessen sein, nicht aber erwachsenen, nackten Affen.

Ich dank Dir!

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedel

Kakophonie wirkt unsystematisch, eine Kreuzundquerreise durch die Geistesgeschichte, auf der du links und rechts markierst, was gerade passt. Die Pflöcke eingehauen beim ersten Epos, bei Leibniz, Paul Celan und Carroll - dazwischen aufgespannt: Gesellschaftskritik, der das Sprachspielerische einige Wirkung raubt. Binnen- und Stabreime und Assonanzen, abgewandelte Wörter, Liedtexte, die abgefahrene Rahmenhandlung ... Overkill!
Wenn der Form Funktion folgen muss, bleibt die Funktion ein Stück weit auf der Strecke. Bin mir sicher, dass du das weißt, aber hier fällt es mir so sehr auf, dass ich es nochmal anmerken wollte. So viele kritische Seitenhiebe, aber die erzählerische Kraft wird immer wieder gebrochen.

Fassung vorletzter Hand

Mach halblang! Das klingt ja mal dramatisch.

„Wissen Sie überhaupt, welche Schande Sie über unsern Planeten bringen mit Ihrer Todesunfuge?!“, schlägt das Alphatier theatralisch mit einem Donnerwetter in die andre Rede ein.
„Lassen Sie mich bitte ausreden, Euer Hoheit!“, bittet der Gefragte vorsichtig.
„Bitte“, knurrt es drohend zurück und übertrieben freundlich und umso gefährlicher: „Ich bitte doch recht herzlich darum, mein lieber Freund!“
„Historisch gesehn, ja“, hebt der Gebetene an, um anzufügen, „prinzipiell aber birgt jede Gesellschaft dieses Talent, was Sie schon mit dem Konjunktiv irrealis korrekt ausdrücken, Euer Hohlheit. - Man bräucht’s nur zu fordern und zu fördern.“

Wieso über den Planeten. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, heißt es in der Todesfuge. Zuerst dachte ich, das ist eine Anspielung auf Adornos Diktum, man dürfe nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben. Aber diese Anspielung passte ja besonders nicht zu Celans Werk. Adornos Monsterhirn hättest du sicher auch einen hübscheren Satz spendiert, so schachtelig, mit gnomischen Zuspitzungen. Schreib mal ne Fußnote dazu!

Ficken, bis die Leibeshülle weich wird.

Ich werd nich wieder - das F-Wort beim Friedel.

Sehr abenteuerlich das Ganze. Ein bisschen schade finde ich, dass das Kritische, die Wut so sehr sublimiert ist, als schäme sie sich.

Grüße
Kubus

 

Dank Dir,

lieber Kubus,

muss aber über Deinen Beitrag nachdenken, was schwerlich hier unter der Wiederholung Trondheim vs. Leverkusen geht.

Ich komm drauf zurück,

okay?

Friedel

 

Ja, da hatt’ ich mir vorgestern mich im warmen Sessel und dem einen oder andern Doppelbock zu Trondheim bei siebzehn Minusgraden dem Spiel der kurzbehosten Hausherren wider den Pharmariesen aus Leverkusen ein Bein abgefroren, als gestern die Söhne Osmans mir im Internetcafé dergleichen Frostbeulen in der Wiederholung boten, dem man nur mit einem Wodka entkommen kann. Ich sollte mich im Alter meiner Jahre auch endlich an lange Unterhosen gewöhnen … wie dem auch sei,

alter Freund Kubus,

es tut gut, von Dir auch hier zu lesen. Einfachheitshalber halt ich mich – dass nicht der Verdacht von Unsystematik bei einem alten Hegelianer auftauchen kann – an die durch Dich vorgegebne Reihenfolge:

QUOTE]Kakophonie wirkt unsystematisch,[/QUOTE] wie das kommerzielle Ereignis, das es beschreibt. Herr Sauerland und Herr Schaller mögen sich Profit systematisch versprochen haben, ein jeder auf seine Weise, gewählt & gewonnen haben sie & hat eine Miss Ernte …

Und umgekehrt: Anakreon hat schon zu Anfang eine Fuge hinterm Textaufbau vermutet. Nun ist ein Text sicherlich weniger ein totales Kunstwerk, als es die Musik sein kann, aber von der Struktur her hat er recht. Führend ist selbstverständlich Alice, die ein anderes als ein Abenteuer im Wunderland und hinter den Spiegeln erlebt. Aber der Spiegel spielt eine Rolle, weil im Ende sich der Anfang spiegelt. Die Gefährten wechseln im Laufe der Erzählung, wobei Frau Mama wiederum A & O bildet. Die Exposition ist mit dem Durchmarsch durch Tiutschiulant beendet, mit dem Zwischenspiele einsetzen, die bis zum Ende aller Literatur in ihrer ersten Figur Gil(gamesch) findet. Sucht der noch das ewige Leben, so verspricht der Kommerz zumindest langandauernde Jugend (der Betreiber der Parade, Schaller, verbirgt sich hinter der sog. McFit-Kette) bis hin zur Kindsköpfigkeit usw.

... eine Kreuzundquerreise durch die Geistesgeschichte, auf der du links und rechts markierst, was gerade passt
wie’n Rüde! Der freilich markiert genau das, was seiner Nase nicht passt, um es passend und Konkurrenten auf sich aufmerksam zu machen. –

Aber umgekehrt und gegengefragt: wie sähe es aus, wäre Unpassendes einbezogen worden?

Die Pflöcke eingehauen beim ersten Epos,
das erst am Ende auftaucht als Symbol: Wir armen Wichte werden von Giganten getragen.
bei Leibniz, Paul Celan und Carroll
Leibniz wüsst ich nun nicht, abgesehen davon, dass die Struktur sich ins kleinste (infinitissima - da brech ich mir den Finger ab!) lauflösen ließe; Horkheimer hat irgendwo Gefängnisse als Realisierung der Monadenlehre bezeichnet. Solltestu aufs Pidgin/Kreolische anspielen: ich verehre Alexis Korner, der ein besseres Deutsch sprach als mancher Eingeborene hierselbst.

Gesellschaftskritik, der das Sprachspielerische einige Wirkung raubt
und umgekehrt: manch’ Sprachspiel bringt manches Problem schneller auf den Punkt als ausgeklügelte sozialwissenschaftliche Studien.

Binnen- und Stabreime und Assonanzen, abgewandelte Wörter, Liedtexte, die abgefahrene Rahmenhandlung ... Overkill!
So isset!

Wenn der Form Funktion folgen muss, bleibt die Funktion ein Stück weit auf der Strecke.
Falsch! Solang alles funktioniert, alles glatt geht, wähnt jeder sich auf dem richtigen Weg: Herren Rüttgers, Sauerland, Schaller und die Lemminge, die angeblich ihren (zugegebenermaßen verblödenden) Spaß hätten. Geht’s schief, „funktioniert“ also nicht, bleibt wer auf der Strecke: erst das/die Opfer, dann der/die Schuldner. Letztlich alle.

Damit wendet sich der Satz

Bin mir sicher, dass du das weißt, aber hier fällt es mir so sehr auf, dass ich es nochmal anmerken wollte,
kurz: nicht nur wir beide wissen’s.
So viele kritische Seitenhiebe, aber die erzählerische Kraft wird immer wieder gebrochen
- ohne zu jammern, wie sichs gehört.
Fassung vorletzter Hand
klinge dramatisch? Ich weiß, dass dieses nicht das Ende ist - siehe weiter unten.

„Wissen Sie überhaupt, welche Schande Sie über unsern Planeten bringen mit Ihrer Todesunfuge?!“
<Wieso über den Planeten. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, heißt es in der Todesfuge
was korrekt ist,

lieber Kubus,

aber nicht nur Adornos (da isser doch!) u. a. Studien zum autoritären (keineswegs totalitären!) Charakter belegen doch – anders als die Bertelmannstiftung es in ihrem systemrelevanten Wahn jemals könnte - dass Faschismus auch in demokratischen Mutterländern des Westens möglich ist. Wer wollte das bezweifeln?

Ich werd nich wieder - das F-Wort beim Friedel
Sollt ich mich darum wieder mhd. Vrîdel (dessen Bedeutung ich hier nicht verraten werde) oder besser engl. Freatle schreiben? Ab & an fick ich mir auch die Fingernägel.
Sehr abenteuerlich das Ganze.
Was mag die Million am alten Güterbahnhof empfunden haben? Abenteuer gibt’s auch heut noch!

Ein bisschen schade finde ich, dass das Kritische, die Wut so sehr sublimiert ist, als schäme sie sich.
Scham kann ich niemand abnehmen und Wut ist allemal ein schlechter Ratgeber. Im hiesigen Falle wird sie – systemrelevant – kommerziell kanalisiert, also: Geschäft!

So schließe ich mit einer Meldung aus der heutigen WAZ ab, nach der am Abend zuvor Rainer Schaller vier Monate nach dem Event die Opfer in SAT1 (!) um Verzeihung gebeten habe. Ich zitiere Herrn S. nach der WAZ:

„Ich möchte die Möglichkeit wahrnehmen, mich persönlich bei den Betroffenen zu entschuldigen und zeigen, dass ich mich meiner moralischen Verantwortung stelle. … Es tut mir unendlich leid, ich kann es nicht rückgängig machen“,
um alles wieder zu relativieren, da die Schuldfrage noch juristisch geklärt werde. Er werde sich
„einer eventuellen Verantwortung stellen.“

Was sagt dieser Dukatenkacker damit?, denn m. E. hat er sich mit dieser Sammlung von Allgemeinplätzen gar nicht entschuldigt.
„Ich möchte die Möglichkeit wahrnehmen, …“
Die verdoppelte Möglichkeit, er möchte etwas tun – warum tut er’s nicht endlich?
Wird da nicht wieder gekränkt und beleidigt?,
„möchte“ / “Möglichkeit“
, beide vom Verb „mögen“ abgeleitet, das eine sein Konjunktiv II, wir können hier getrost Konjunktiv irrealis sagen, das andere seine Substantivierung. Der Konjunktiv verrät uns, „wenn ich könnte, würde ich mich entschuldigen …“, die Substantivierung, „dass etwas sein kann (aber nicht muss)“ im Gegensatz zu Wirklichkeit und Notwendigkeit. Da schließt sich nahtlos die größte Lüge an, wenn er „WAHR“nehmen möchte.
„… wahrnehmen, mich persönlich bei den Betroffenen zu entschuldigen“
Persönlich! Hätt ers mal besser „unpersönlich“ durch einen Sprecher verlautbaren lassen!, dann hätten wir wenigstens die Vorstellung, dass er außer seiner Geschäftsphilosophie noch eine andere Moral und Verantwortung kennt. Wie immer geht die Lüge mit der Übertreibung hausieren:
„Es tut mir unendlich leid, …“
Nicht für fünf Minuten tut’s ihm leid. Leid tut ihm, dass vielleicht der Umsatz nicht mehr stimmt. Oder gerade deshalb stimmt, weil die Leute so blöde und neugierig sind, auch eine geschallert zu bekommen. Schön, dass er nix rückgängig machen kann! Ist er doch nicht der liebe Gott … Aber es muss ja eh noch alles geklärt werden: Schuld & Sühne, quatsch: Schuld & Schande!
„Ich möchte … zeigen, dass ich mich meiner moralischen Verantwortung stelle“
wo wir mit einem aha! Zum Schluss springen
„einer eventuellen Verantwortung stellen.“

Nu is' gut für heut!

Gruß & schönes Eiswochenende wünscht der

Vrîdel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Friedel

Bei bitterer Kälte kann man ruhig zur Funktionsunterwäsche greifen und diese Geschichte darf man nur nicht verstehen wollen, dann geht sie runter wie Wodka beim Eisangeln.

Die Fußnote erhellt jetzt aber bisschen was, danke fürs Aufschreiben. An Leibniz hat mich die schönste aller Welten erinnert. Den Zusammenhang zwischen Planetenschande und Todesfuge habe ich nun. Dafür den Autor verantwortlich machen: ein bisschen wie den Überbringer der schlechten Nachricht einen Kopf zu kürzen. Das ist schön fies, doch wer kriegt diesen Wink? Vllt aber bin ich ja an der Stelle ein unaufmerksamer Leser gewesen. Gilgamesch, denk ich grad, könnte der Fundamentstein sein, auf dem dieser Sprachturm mit Potential zur Verwirrung steht.

und umgekehrt: manch’ Sprachspiel bringt manches Problem schneller auf den Punkt als ausgeklügelte sozialwissenschaftliche Studien. ...
Falsch! Solang alles funktioniert, alles glatt geht, wähnt jeder sich auf dem richtigen Weg: Herren Rüttgers, Sauerland, Schaller und die Lemminge,

Dafür müsste sich erstmal jemand irritieren lassen, sowas wird doch von den meisten ausgesiebt. Kennst du die Geschichte des Mannes, der allen Dingen andere Namen gibt und am Schluss logischerweise nicht mehr verstanden und darüber traurig wird? Ich mache das ja selbst ganz gern mit den Sprachspielereien, aber manchmal stinkt mir das, weil das die Signale verzerrt. Das lass ich jetzt mal so, nur noch, weils so schön ist:

Ab & an fick ich mir auch die Fingernägel.

:D Das wird ja viel zu selten gesagt.

Grüße und danke nochmal fürs Mitdenken lassen

Kubus

 

Bei bitterer Kälte kann man ruhig zur Funktionsunterwäsche greifen
- aber doch nich' so'n beinharter Kerl wie ich!,

lieber Kubus!

An Leibniz hat mich die schönste aller Welten erinnert.
Stimmt - gar nicht mehr dran gedacht, weil allzu oft verwendet.
Kennst du die Geschichte des Mannes, der allen Dingen andere Namen gibt
- jo.

und danke nochmal fürs Mitdenken lassen

Geschieht immer wieder gerne. Sonst schrieben wir Gebrauchsanweisungen ...

Gruß & Dank vom

Friedel

 

Die Kakophonie zieht weiter!

Eine „Initiative Spendentrauermarsch“, die sich mit dem 24. Juli 2010 beschäftigt, hatte einen Wettbewerb um eine steinerne oder eiserne Erinnerung ausgeschrieben, zu dem 39 Beiträge eingereicht wurden.

Am Montag, dem 20.12.2010, wurde der Sieger (!) vorgestellt: Gewonnen hat die Gedenk-Stele eines gewissen Jürgen M., (dessen Name in der Presse hierorts breitgetreten wird), ein zwo mal sechs Meter großes Stahlrelief, auf dem eine tanzende Menge Hände gen Himmel reckt. Jury und Angehörige der Opfer lobten den Entwurf:
„Auf den ersten Blick jubeln die Hände, auf den zweiten flehen sie um Hilfe“, bis eben herauskommt, dass eine Online-Bildagentur eine Schwarz-Weiß-Darstellung „gereckter Hände“ in verschiedenen Formaten „zwischen 75 Cent und 26,25 € anbietet". Die Stele ist buchstäblich dem Original „abgekupfert“. Herr M. bestreitet aber den Plagiatsvorwurf und verweist auf seine Eigenleistung (z. B. Schneiden der Stahlbramme) und begründet mit „früher haben sich Künstler von der Natur inspirieren lassen, ich lasse mich von der modernen Welt, von Grafiken und Bildern inspirieren.“ Er habe alle Lizenzen gekauft und somit „das Recht, daraus Derivate zu kreieren.“ (zit. nach WAZ vom 22.12.2010)

Seit gestern kommt der Entwurf nicht mehr in Frage, „weil wir nur ein Unikat für das Denkmal akzeptieren können", so der Juror K. Die ausgewählte Darstellung der tanzenden Menge werde aber im Internet vielfach zu Werbezwecken verwendet, Angehörige der Opfer habe M.s Vorgehen „tief getroffen", so K. „Sie haben das Gefühl, dass der Entwurf nicht zum Gedenken an ihre Angehörigen entwickelt wurde." (WAZ vom 23.12.2010)
Weiß Herr K. und die Jury nicht, dass fast alles zum Geschäft verkommt, in dem man sich kleinliche Gefühlsduseleien nicht leisten kann?

„Es wirkt wie ein Fluch“, kommentiert Frank Preuß (Schmerzhafte Stolperei, WAZ von heute). „Selbst das Gedenken an die Opfer der Loveparade-Tragödie ist zu einem Akt der Stolperei geworden“, was das Event halt auf andere Weise fortsetzt.
„Mit kleinlichem Streit, mit Interessenskollisionen über das Wie und Wo und nun auch noch mit einem Wettbewerb um eine steinerne oder eiserne Erinnerung, der so würdelos verläuft; dass es schmerzt.“ Doch was bedeutet dem Kommentator denn Würde, wenn der Folgesatz lautet: „Kann nicht einmal mehr das geräuschlos funktionieren?“, worinnen das letzte Wort alles anzeigt, was weniger der Sprache des Mitgefühls, als der Sprache der Betriebswirtschaftslehre angrhört, bedeutet doch „funktionieren“ nichts anderes als „reibungslos ablaufen“ und noch deutlicher aus der schon angestoßenen schönen neuen Welt der Geschäftstüchtigen „in ordnungsgemäßem Betrieb sein“, dass die Welt der kleinen Buchhalter und die Geschäfte der großen Buchmacher nicht gestört werde.

Der Betrieb muss laufen – und zwar ruhig! Da ist Sand oder gar eine Unterbrechung im Getriebe unerwünscht, dass ausgerechnet da ein mutmaßlicher Plagiator geradezu als Bereicherung erscheinen muss.

Die Heuchelei geht weiter: Diskussion über Kunst wäre wünschenswert, „eine ewig währende Debatte über die Originalität der Stele aber wäre mit Blick auf ihre Bedeutung und mit Blick auf Opfer und Hinterbliebene unerträglich.“ Nein, nicht eine Sekunde darf zur Diskussion ver(sch)wendet werden! Große Worte: „Kunst“, wo einer bestenfalls seinem Kunsthandwerk & seiner Geschäftstüchtigkeit gefrönt hat, „ewig“, wo schon eine Sekunde zu viel ist, „Originalität“ kann von Zwergen, die auf den Schultern von Giganten stehen, kaum erwartet werden, „Opfer“ nach denen zunehmend auch der Gott der seichten Unterhaltung verlangt(wetten, dass?), denn „dass die Vorlage in einem anderen, einem vermutlich fröhlichen Kontext entstand,“ eben wie die Katastrophe, „macht sie gerade so unpassend für den Anlass. Er verdient etwas Einzigartiges,“ ohne dass Massenpanik nun ein so einzigartiges Ereignis wäre.

So gehn zum Fest der Lichter die Leuchten aus ...

Schöne Tage diese Tage wünscht der

Friedel

 

Hallo Friedel,

ja, ich steh drauf. Wenn einer von vornherein gar nicht erst versucht, eine stringente Geschichte klar und deutlich zu erzählen. deswegen glaube ich auch nicht, dass du da etwas knetest oder durchmengst. Würdest du es durchmengen, wäre es danach gerade.
Verstehe keine Geschichte, auch keinen Ansatz, außer Alice (aus dem Wunderland), die sich in die Kanalisation begibt und dort so einiges erlebt, eine andere Welt mit viel versteinerter Scheiße.

Es wurde gesagt, der Text sei glatt zu lesen. Da muss ich wiedersprechen. Obwohl er vom Wortklang bei Kophrolit bleibt und die ganze Zeit so klingt, das ist gut getroffen.

Richtige Geschichte um danach nicht noch eine zu lesen. Such dir aus, ob das für etwas spricht oder nicht. Ich weiß es nicht.

viele Grüße,
Aris

 

ja, ich steh drauf
, und, wen wir's überraschen, ich auch - und nicht nur, weil wir gelegentlichen & seniorigen zusammenhalten müssen!

Schön, von Dir zu lesen,

Aris!,

und angenehm zu wissen, dass einer an meine Tonkünste (kneten) glaubt. Freilich begibt sich Alice weniger in die Kanalisation, als dass sie hineinbegeben wird, a) durch den fehlenden Gully-Deckel und b) durch mich. Freiwillig hat sie sich nur ins vermeintliche Vergnügen eines misslingenden Events begeben. Mit der glatten Schreibe und somit dem glatten Verstehn / Deuten hab ichs eh. Dann sollte man sich das wirre Zeug der Ikea Gebrauchsanweisungen reinziehn - oder Polizeiberichte, Sitzungsprotokolle u. ä.

Richtige Geschichte um danach nicht noch eine zu lesen.
Ob das nun für oder gegen was spräche wüsst ich auch nicht so recht zu sagen.

Ich dank Dir jedenfalls!

Gruß

Friedel

 

Am 24. Juli jährte sich das Geschehen zum dritten Mal, über das die Kakophonie erzählt. Aber es ist kein Naturereignis, wenn Profitgier das Handeln von städtischen Bediensteten im Konzert mit dem privatwirtschaftlich organisierten Betreiber der Loveparade (das im folgenden aus den Elementen Loveparade und event gebildete „Lopavent“,) gegenüber Warnungen taub und blind werden lässt.

Es sollte auch niemanden allzu sehr verwundern, dass in der Woche des Gedenktages und in Zeiten der Dauerbespitzelung die WAZ – ein Produkt des Funke-Medienkonzerns, also privatwirtschaftlich und folglich auf Profit ausgerichtet – Funksprüche vom 24. Juli 2010 veröffentlicht . Der erste und die letzten Funksprüche (ins Ruhrgebietsdeutsch zurückübersetzt) verdrängen nun das bisherige Eingangszitat aus Cry Baby Cry.

Hier einige Stellen:

Es beginnt an sich im schönsten Ruhrgebietsdeutsch, wenn auch journalistisch gut leserlich „hoch“-bearbeitet
Funkspruch 11:49: „Zur Kenntnis, die anvisierte Öffnung für ca. 11:40 Uhr hat bisher nicht stattgefunden. Da verzögert sich wieder alles (…) Also so wie immer. Rein in die Kartoffeln raus aus den Kartoffeln.“
(zumindest der Schluss dürfte sich so angehört haben“ „rein in’ne Ka’toffeln, raus auße Ka’atoffeln, da erfüllt die Übersetzungsleistung schon ihren Zweck). Da hören (oder besser:) lesen wir dann von überforderten Polizisten und Security-Kräften ab 14 Uhr, als das eigentliche Veranstaltungsgelände erst halb gefüllt ist, liegt die Auslastung des Engpasses Tunnelstrecke bereits bei 90 %. Fordern die einen Krankenwagen an, beschweren sich andere, dass die Wagen durch die Besucher fahren … Gegen 15 Uhr eskaliert die Situation und um 15:33 heißt es: „Fahrzeug Deutsche Rotes Kreuz will durch unsere Sperrstelle durch die Massen. Das geht nicht. Wenn jetzt noch ein Rettungswagen hier durchfährt und wir müssen die Sperrung aufmachen, entweder lassen wir dann auf oder wir müssen mit Schlagstöcken das Dingen wieder zuknüppeln.“ Die wenigen Ordner der Lopavent („Security“) kriegen ihre Aufgaben nicht in den Griff - also spitzt sich die Lage weiter zu, die Sperre wird erstmalig überrannt. Zwei Funksprüche von 15:58: „An der Sperrstelle Ost da knallt es gleich.“ // „Durchbruch der Vereinzelungsanlage. Wird jetzt wieder zurückerkämpft.“ […] Funkspruch von 16:00: „Soeben fragt der PF [Anm: Polizeiführer] nach, ob es möglich ist die Zugänge wieder zu öffnen, weil natürlich draußen entsprechender Druck entsteht.“ Der Einsatzleiter vor Ort will das nicht usw. usf. Die Polizei drängt Menschen an umgestürzten Zäunen mit Pfefferspray zurück. Es kommt zu Tumulten. Funkspruch von 16:03: „Wir brauchen sofort 'nen Sani hier 'nen verletzten Kollegen nach Pfeffersprayeinsatz.“ Zur aufkommenden Panik stellen technische Pannen sich ein. Funkspruch von 16:06: „Wir haben Funkprobleme auf’m 4 Meter Kanal, da scheint das Relais ausgefallen zu sein.“ Das Chaos ist perfekt! Funkspruch von 16:10: „Wir haben gerade aktuell Grabenstraße/Karl-Lehr-Straße eine Schlägerei. Beteiligt 6 Personen“ Funkspruch von 16:24: „Pass auf. Wir prügeln dir jetzt zwei Teams vom Rettungswagen plus Notarzt einmal durch. Wir kommen zum Haupteingang.“ Funkspruch von 16:25: „Versuch da einzuwirken, dass hier kein Rettungswagen oder sonst wer mehr durchfährt! Nur mit Glück hatten wir gerade keine Schwerverletzten.“ Funkspruch von 16:27: „Wir kriegen (...unverständlich) Verbindungsbeamten bei der Lopavent die Information, dass angeblich eine Weisung des Polizeiführers ergangen sein soll, die Eingangsbereiche im Westbereich wieder zu öffnen, weil der Druck auf der Düsseldorfer Straße zu groß wird. Wir möchten dagegen remonstrieren. Das Gelände ist so voll, die Karl-Lehr-Straße steht komplett voll bis aufs Veranstaltungsgelände mit extremen Druck. Wenn die Außensperren aufgehoben werden, wird der Druck hier noch größer. Ist eigentlich nicht zu verantworten aus unserer Sicht.“ Funkspruch von 16:32: „Im Bereich jetzt hier bei uns Karl-Lehr-Straße/Tunnel kriegen wir das Ding nicht mehr gehändelt, die 15. (Polizeihundertschaft die Red.) muss jetzt irgendwelche Maßnahmen da unten ergreifen.“ Funkspruch von 16:35: „Karl-Lehr-Straße im Tunnel zur Rampe kommt es zu lebensbedrohlichen Situationen auf Grund des Drucks, der von hinten kommt. Die Menschen werden da an die Mauer gepresst.“ […] Funkspruch von 16:39: „Tunnel ist vollgelaufen und ich kriege auf dem Gelände keine Entfluchtung hin.“
Was manchmal unfreiwillig komisch wirkt, findet nun seinen tragikomischen Höhepunkt im Funkspruch von 16:43: „Dringend Lautsprecherdurchsagen im Bereich der Rampe. Bitte auch über die südliche Veranstaltungsbühne Lautsprecherdurchsagen machen lassen. Wir brauchen Durchsagen über die Anlage des Veranstalters, dass die Leute sich in den südlichen Bereich der Veranstaltungsfläche begeben.“

Was der Beamte nicht weiß. Es gibt keine Lautsprecheranlagen im Tunnel und auf der Rampe. Der Versuch, über Polizeihubschrauber Durchsagen zu machen, scheitert. Auch die Musikanlagen auf den Partywagen werden nicht für wirkungsvolle Durchsagen genutzt. Mitschnitt aus der Notrufzentrale der Polizei. Der Polizeibeamte S. ruft seine Kollegen von seinem privaten Handy aus an.
(Geschrei im Hintergrund) Wir haben hier eine tote Person. Direkt am Ausgang. Am Ausgang, am Eingang zur Loveparade. Am Eingang zur Loveparade. Eine tote Person, vielleicht auch zwei. Vielleicht auch zwei. Bitte, Notarzt. Wir brauchen Notarzt. (Eine weibliche Person äußert im Hintergrund "Du musst jetzt auflegen, damit die jemanden schicken.")
Funkspruch von 17:48: „Wann wird hier endlich die Musik ausgemacht? Es soll ne Loveparade sein und keine Tottretparade.“

Quellen:
Chronik einer Katastrophe - die Loveparade-Funksprüche | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/loveparade/

…/der-druck-im-tunnel-erhoeht-sich-das-chaos-beginnt-page2-id8202143.html#852795986

…/die-panik-greift-um-sich-page3-id8202143.html#1604334708

…/die-katastrophe-nimmt-ihren-lauf-page4-id8202143.html#585984169

…/es-gibt-keine-chance-mehr-zu-entkommen-page5-id8202143.html#1078260773

 

Lieber Friedel,
immer wieder liest man auf unseren Seiten, dass der arme Leser durch irgendein schlimmes Wort (fuck) aus dem Lesefluss geworfen sein will. Leicht am unteren Niveau der Leserschaft angepasst soll die Erzählsprache sein, spannend soll sie sein und dem Leser (wer kennt den schon?) die Leichtigkeit des Seins vermitteln. Davon, dass Autoren "ihre" Sprache finden, ist wenig die Rede, denn nicht der Autor kauft seine Bücher, sondern "der" Leser.
Das gilt für deinen Text. Du hast deine Sprache gefunden – auch deinen Leser? Mich jedenfalls.

Kakophonie oder wie heißt die Kunst der Klingeltöner? –
Fassung vorletzter Hand

11:49: „Zett Ka: Die anvisierte Öffnung für circa elf Uhr vierzich hat bisher nich’ stattgefunden. Da verzögert sich wieder alles … wie immer. Rein inne Ka’toffeln, raus auße Ka’toffeln.“
16:44: „Der Verantwortliche vonne Security bittet darum, Kontakt mitte Stadt aufzunehm’n, ob die hier’n paa’ Besen hin zaubern können, wegen der Verminderung der Schnittverletzungen.“
„Ja, dat is’ ja’n doller Wunsch!“
„Bibi Blocksberg. Dann ma’ los.“
17:48: „Wann wird hier endlich die Musik ausgemacht?
Et soll’ne Lavvperäid sein und keine Tottretparade.“

Kakophonie – die Sprache Kakaniens, Kakanien ist überall, nich Radetzky, sondern:

„When you're alone and life is making
you lonely you can always go
Downtown …”, dröhnt’s mittags aus dem Radio,
dass Alice gackert’: „Frau Mama,
ich geh weg und du bleibst da!“,
um begeistert hinterm Rattenfänger her zu tänzeln. Freilich pfiff der nicht auf einer Flöte, sondern bediente sich modernen Instrumentariums.
Was war doch die Militärkapelle noch idyllisch. Hat eine Love-Parade etwas Martialisches? Parade und Parodie? Ja, alle parieren, in Gleichschritt marsch!
Folglich klang seine music auch gänzlich anders als die Musi der Ältern. Gebar diese manch’ liebes Mal feuchte Augen, so ergriff die Musi doch immer die Herzen, während der Rhythmus des Elektrophons in Blut und Bein überging – wie eben bei Missy Alice. Die hatte ihr Gehirn abgeschaltet und folgte innerem Drang. Trippelte hin, tapperte her als irgend ein niedlich tanzender Bär. In Trance, in kleinen Schritten und im Eiermarsch.
Auf das Schlachtfeld der Liebe.
Bis s’e gerade jetz’ – has’de nich’ gesehn!? – weg is’.
Einfach weg!
Einfach so.
So einfach?
Und wat is’ dat da?
Ich werd nich’ mehr!
Hat doch wahrhaftig die Kanalisation geöffnet!

Wer zum Teufel mag den Kanaldeckel entfernt haben?
War et der da oder war’n’t die da?
War et die da oder war et dat da? –
Als könnte das Blag allein den Deckel tragen!

Das war wohl die Hölle, die einen losen Kanaldeckel zur Stolperfalle gemacht hat. Einer blieb mit dem Oberschenkel hängen, hielt andere auf, die sich stauten, drängelten, schimpften, stolperten … Ein Schmied hat einen nagel schlecht in das Huf eines Pferdes geschlagen. In der Schlacht löste sich Nagel und Hufeisen, das Pferd stolperte und fiel, mit ihm der General, was die Soldaten sahen und führerlos die Flucht ergriffen und damit den Untergang des Reichs besiegelten.

„Upwards!“, gaukelts Elektrophon und Petula Clark: „Just listen to the rhythm of the gentle bossa nova / you'll be dancing with 'em too before the night is over happy again / the lights are much brighter there / you can forget all your troubles forget all your cares …”, als Alice bereits abwärts flieht. Saust durch im Hully Gully. Je finstrer es wird, desto greller ihr Schrei. Was Alice als Sendung einer Rohrpost sieht, wirkt bedrohlich. Was sie erfährt, kann ihr nicht gefallen. Sollte niemand gefallen!
Mit Musik geht alles besser.
Ungleichzeitig krümmen Rücken sich vor Koprolithen. Zahnlose Mäuler betteln, Wärme zu spenden und gerecht zu verteile
n. Ein wenig tröstlicher Gedanke des Wärmetodes, der alle gleich träfe, ließe sich nicht dieser und jener lebendige Kadaver einfrieren. Wenn auch niemand davon so recht satt wird, so wird er doch dem Mineralstoffwechsel letztlich wieder zugeführt, spätestens jetzt ein nützlich’ Glied der Gesellschaft, es sei denn, er wäre Koprolith.
Ach ja, was wärmt sich doch das Herz, wenn ich Rücken an Rücken in der Gemeinschaft bin und mit ihr verschmelze: Paraden sind Verschmelzungsprozesse von Einzelheiten.
„Behaupten Sie immer noch, der Tod wär ein Meister aus Tiutschiulant?!“, bellt das Alphatier, Koprolith eines planetarischen Reviers mit Hierarchien, die den Underdogs umso höher erscheinen müssen, je flacher die Hierarchen sich gäben.
„Historisch gesehn, ja“, antwortet gesenkten Blicks der Gefragte mit eingezogner Rute. „Prinzipiell aber …“
Dogsborough als Alpha-, underdogsborough als Omegatier mit gezogener Rute!

„Wissen Sie überhaupt, welche Schande Sie über unsern Planeten bringen mit Ihrer Todesunfuge?!“, schlägt das Alphatier theatralisch mit einem Donnerwetter in die andre Rede ein.
Man scheißt immer in das Nest von anderen, nie ins eigene.

„Lassen Sie mich bitte ausreden, Euer Hoheit!“, bittet der Gefragte vorsichtig.
„Bitte“, knurrt es drohend zurück und übertrieben freundlich und umso gefährlicher: „Ich bitte doch recht herzlich darum, mein lieber Freund!“
„Historisch gesehn, ja“, hebt der Gebetene an, um anzufügen, „prinzipiell aber birgt jede Gesellschaft dieses Talent, was Sie schon mit dem Konjunktiv irrealis korrekt ausdrücken, Euer Hohlheit. - Man bräucht’s nur zu fordern und zu fördern.“

Also läutet das Gesetz: Ein Ziel habe jeder vor Augen, wenn er gleich blind wäre.

Wer kein Ziel hat, kommt vom Weg ab, wer vom Weg abkommt, kommt um oder weißgottwohin.

Doch schränkt das gleiche Gesetz ein: Wenngleich jeder sein Ziel vor Augen sehe, erreiche es doch nicht jedermann, wisse doch nicht jeder seinen Ellenbogen zu eignem Nutz’ und Frommen effizient und vor allem effektiv einzusetzen, um den im Wege Stehenden wegzuräumen, was vom Gesetz nicht weiter geläutet oder gar erläutert werden müsse, sollte doch der blödeste Hund einsehen, dass nur immer einer ganz oben ankommen kann, die große Masse aber das Fundament der Pyramide abgibt und in seiner Tragfähigkeit den Sinn ihres Daseins findet.
Nach Smith bildet sich diese Weihnachtspyramide ganz von selber, die Natur hats so gedacht und gemacht.
Da ruft erfreut das Alphatier und wedelt zugleich begeistert die Rute: „Fördern und fordern!“, dass
keckfrech ein Welpe spottet: „Dem Schönen und Reichen ein schonen und schmeicheln. Dem Harten reichlich, kein Erbarmen dem, der zu weichlich!“, dass sich Nackenhaare sträuben und die Rute zum Sturme wedelt. Zum Dank wird der Welpe mit den knorrigen Worten „wer hat dich Würmchen denn gefragt?“ vom Alphatier fest im Nacken gepackt und geschüttelt, dass einem das Lachen vergeht. Geht mir weg mit’m Welpenschutz!
Aber bitteschön, wo ist das Alphatier, das a und b sagt?
Der eine träumt.
Traumlos der andre.
Der Welpe hat ausgeträumt.
Ein unnützer Fresser weniger in Rudel, Meute und Revier.
„Musste das sein, Euer Hohnheit?!“, hört Alice sich selbst.
Und Gott sah, dass es gut war.

Ziellos streben die Geschwister Angsthaas und Mutwilli auf den Gemeinplatz, ins Vergnügen oder in die Leichenhalle. Ficken, bis die Leibeshülle weich wird. Zungen verstummen vor der Zeit. Gebettet unter weinenden Kerzen, fremden Blumen, Kränzen und Düften, doch vor allem liebevoll gestreichelt, erfährt mancher im Zerfall Zuneigung, die ihm im Leben versagt geblieben ist. Der Tod ist der Meister des Lebens.
Nein, es ist eine Prüfung Gottes,

Selten stinkt ein Fisch allein. Die Gemeinschaft der Alpha- und Betatiere klingelt bis dato unerhörte Töne: Die Wiedergeburt des Requiems aus der Unfähigkeit zu trauern.
Trauerbegleitung als Arbeitsplatzmaßnahme für arbeitslose Psychologen.
Horror wohl bekannter Orte.
Wie viel Kunst steckt eigentlich in Klingeltönen?
Dass Schmerz sie bereiten, verspürt besonders das hündische Ohr.

„Musste das sein, Euer Hohnheit?!“, vernimmt Alice nicht allein - dem widerspräche die Meute der Höllenhunde, welche hinter ihr her stürzt als lärmend-fröhliche Korona. Alle getrieben von innerer Kraft, aus Wut und vor Angst, dass Opfer und Meute eins werden. –
Oder wär es doch ein Vakuum, das diese kleine unfriedliche Gesellschaft in die Rohrpost hineinzöge, dass es nie zu einem Ende käme? Da weitete sich die Röhre schier unendlich, nur um sich gleich wieder zu verengen und dieses Mal bis hin zum Punkt. Weitete sich wieder und wieder, um sich jedes Mal zu verengen, als stürzte die Meute in ein atmendes Wesen.

Durch diese hohle Gasse muss sie kommen – Wilhelm, nicht schießen.

Die schönste aller Welten in wabernden Wolken schwülwarmen Dampfes täte sich auf, darinnen auf meckernden Schäfchenwolken frohlockend zerstreute Engelein nicht nur Hosianna sängen, sondern
Es ist doch die beste aller Welten.

„Singt ein fröhlich Liedchen
für’n Appel und’n Ei!
Läg der Apfel offen,
kämen die Larven frei.
Wär’ das Ei zerbrochen,
würd’s Spiegel oder Rühr -
sängen gleich der Amsel
zwanzig stumm – wofür?“

Wissen S’e überhaupt, dat alle Engel niedlich sind, ausgenommen natürlich die Wache vorm Paradies oder –das?

Die spielten die Harfe im Hafenkonzert mit Bläsern, Pauken & Trompeten, dazu Ma’janne & Michel + die stampfenden Stinkstiefel volkstümelnder Shitparadierender, die zudem den Rhythmus durch Händeklatschen verstärkten.

„Fünfhundert nackte Seelen
käm’n gerade noch davon.
Doch niemand knippste’n
Strom ab dem Elektrothron.
Aberwitzig viele
stürben tausendmal den Tod,
der auf aengstem Raume
mit Berührung droht.“

Hinwiederum ritten andere Engelchen blöde grinsend oder verlegen lächelnd, je nach Standpunkt des Betrachters - wer mag das entscheiden? - auf rosig quiekenden Schweinchen und hielten, da sie verkehrt herum rittlings auf dem prallen Leben säßen, verkrampft an den aufrechtstehenden, quasi entringelreihten Schwänzen sich fest

Ringelringelreihen, tun da nimmer schreien, sind erlöst von aller not, sind im Himmel, auf Erden aber tot.
(oder - jetzt stockt der Traum, stolpert übern Einwand - steuerten die Putten mittels der Schwänze die Schweine?, oder wären es Joysticks von schweineähnlichen Maschinen? Aber nein, nein, drei Mal nein!, es gibt kein Grübeln während des Albtraums).
In den rosafarbenen Bäuchen der Schweine steckte jeweils ein Dreizack, gehalten von je zwei Teufeln - den geklonten Söhnen Luzifers, wäre das die Hölle im Zeitalter der Reproduktion?,
der darum doch auch Herr der Unterwelt wäre, mit allen Wassern & Feuern der Himmel & Höllen und allem was dazwischen läge,
darum dass Menschen immer Furcht vor der unbekannten Weite, Tiefe und Wildnis der Gewässer haben - deren Mäuler Feuer speien in dieser dunstig düstern Welt –
und die Reittiere allmählich in Spanferkel verwandelten und kraftvoll in Richtung Fegefeuer und Hölle drängten, einen feuchtfröhlichen Grillabend zu gestalten.
Das Fegefeuer erkenne ich als eine Imbissstube, die Hölle hingegen als ein bekanntes Fastfoodrestaurant mit Pampe aus der Pampa und panierten Meeresfrüchten. Dazu betörte uns der Klassiker „… So go downtown things will be great when you're / downtown no finer place for sure / downtown everything's waiting for you …”
Das soll die Hölle sein? Nicht die Disco? Nicht der Rummel? Nicht das Oktoberfest und nicht die Salzburger Festspiele?
Jedermann!

Endlich! käme Alice auf einem stinkenden Haufen Mistes zu liegen.

Nur langsam gewöhnten sich die Augen ans spärliche Licht, das durch eine kleine Öffnung hoch oben in den Schacht hineinfände – der fehlende Kanaldeckel? Auf dem Boden vermeinte sie zwischen Pfützen aus Urin und Haufen aus Kot, - und also schmeckte die Luft auf der Zunge, neben der Bitternis der Gebrüder Schimmel und Pilz, - (erb-)ärmliche Gestalten zu erkennen, die stumpfsinnig in ihren abgetragenen und zerfetzten Stoffen hockten oder lägen, lallten oder stöhnten, seufzten oder heulten. An die hundert Leute oder auch mehr, soeben noch stolz erhobenen Hauptes und doch schon kopflos, Wohlhochgeborene und doch in den niederen Stand gestürzt und verwesend, Reiche und Edle vereint mit lichtscheuem Gesindel, Bürger, Bauer, Bettelmann, dass Lichtenbergs Physik der Gesellschaft verifiziert würde: Nicht jeder, der Hochwohlgeboren, sei Hochwohlgestorben,

vereint im Tod
die Armen liefen barfuß, die Reichen und Schönen barbusig.
Alle fänden Einlass und doch nicht den Ausgang, würden auf bekannte Weise hinein- & hinabbefördert, Gesunde wie Kranke, Starke, Schwache und Gebrechliche, Männer, Frauen und auch Kinder, Schwuchteln und Tunten, Hünen und Zwerge, Dicke und Dünne, Breite und Schmale. Alle würden sie zu Hungerleidern und auf diese Weise gleich skelettiert. Skelettiert fänden sie die Solidarität der Sumpfblüten und Pissnelken. Auf den Haufen und zwischen den Pfützen krabbelte so mancherlei Getier, welches für gewöhnlich das Licht meidet und die Sicherheit der Düsternis sucht. Kakerlaken, La cucaracha klappernd, krabbelten über Händ‘ und Gesichter. Ratten fräßen nicht nur die spärliche und zerfetzte Kleidung, sondern offensichtlich auch die Gliedmaßen einiger Gestürzter an. Es handelte sich in all der Kakophonie um einen Kerker, in den Alice während des Albtraums blickte. Da stänk' es durchs Fensterlein zum Himmel, dass Gottvater sich Nase und Ohren verschlösse – nicht aber den Schacht. Dessen ist Alice nun sicher.
Alice, so ist es in einem Wirtschaftswunderland. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin. Aber auch
der Untergang ist ein Lustspiel.

„Ums arme Licht der Seelen
schwirr’n die Motten schon,
zerfräßen die dürft’gen
Stoffe der Klarheit.
Versprächen nur die reine
und volle Wahrheit
und sich im Stillen
größtes Lob und höchsten Lohn.“

Aus dem Elend aber ragte die Gestalt eines ellenlangen Kerls mit breiter Brust, der trüg’ einen verreckenden Freund auf den Armen. Eben der hätte das letzte Geheimnis entdeckt. Mit den Worten „Ich kann es Dir nicht sagen, Freund. Künde ich Dir das Gesetz der Erde, so setztestu Dich nieder, um zu weinen“ würd’ er zu Erde.

„Doch schon die Videoten
klärten das Problem –
Vielhundertmal liefs und
keiner hätt’s je gesehn?
Der Lemming schritt’ inmitten
allzu großer Zahl!
Bildet sich die Masse,
wirds Denken reine Qual.“

Fröhlich pfiff der Pied Piper als die Meute der Schnauzer und Pinscher ihrer Bestimmung folgte und über die Ratten herfiele - wobei sie anderes Fleisch, selbst Aas nicht verachteten. Da reckte sich der Riese zu einer Höhe von elf Ellen, dass die Breite der Brust an die neun Spannen gäbe. Zugleich ergösse sich ein Sturzbach aus Tränen hinab, um Not und Elend dieser Welt zu ersäufen. Nach einem gewaltigen Schrei aber wäre seine Rede: “Us two bin get hard time killin’ dog but now feelin’ like nothin’ on earth”, bevor er Alice seinen Namen gäbe “who go down first is loser. So ya wanna be high up on da wall take ma piggyback service ’n’ call me Gil” – dass Alice antwortete “eye’m miss Liddell, but call me pleasance”, bevor sie Huckepack genommen würde.

„Wofür säng wer ein Liedchen
für’n Appel und’n Ei?
Den Apfel fräßen Motten
und wir ständ’n blöd dabei.
Vor gespielter Rührung zum
bezahlten Trost gibts
Nur die starke Lösung,
die alles Leben achtet
und alles Leben liebt.“

Auf ginge es, dem Licht entgegen.

Ein jeder träumt.
Keiner ist traumlos.
Einige vergessen ihren Traum.
Andere verraten oder verkaufen ihn.
Mancher geht daran zugrunde.

„… abwärts“ hört Alice wen rufen, „upwards!“ antwortet Gil und erklimmt mit seiner Last den Lichtschacht, dass sie mit der Oma träumt „.And you may find somebody kind to help and understand you / someone who is just like you and needs a gentle hand to guide them along / so maybe I'll see you there / we can forget all our troubles forget all our cares …”

Am Rand stehn Leute. Sind tief bewegt, doch dann erschrocken und entsetzt als der Riesenkerl mit der Frau im Gepäck heraussteigt aus dem Schacht. Kopfschütteln ist und einer zeigt auf den andern, dass es plappert:
„War es der da oder war’n es die da? – Ich war’s nicht!“ –
„War es die da oder war es das da?“ – als könnt’ ein Kind den Kanaldeckel entfernt haben!

Gil aber interessiert die Schuldfrage nicht. Ihn zieht’s in die ferne Heimöde Uruk – wie auch Alice sich nach der Mutter sehnt. Brav dankt sie Gil und erhofft ein Wiedersehen, als ein schwarzer Vogel herniedersteigt und ihr in die Nase pickt, dass Alice zusammenschrickt. Gil aber weiß es besser, sagt ihr aber nicht, dass dieser Wunsch unerfüllt bleiben muss. Aufgebracht flattert die Amsel davon.

Zuhaus sitzt derweil die Frau Mama:
„’s Kind ist weg und ich bin da …“,
als das Radio gestört wird „So go downtown / things'll be great when you're / downtown don't wait a minute more / downtown everything's waiting for you // Downtown…town’s down … downwards”

dass sie vom Schlag getroffen wird, als eine unbekannte Missus den Raum betritt und gagat: „Mummy more better than canalis over here get plenty kaukau“, um schließlich zu gackern:
„Freue dich, oh Frau Mama,
bin immer fort, doch immerdar.“

Derweil erzählen Forschung und Lehre vom upward trend nicht nur der city und eine Motte schwingt sich auf zur Anwältin der Gebrechlichen, denn wer könnte sich leisten, einen Deal sausen zu lassen?

«Cry baby cry
Make your mother sigh
She's old enough to know better.»
The Beatles, Cry Baby Cry

Don't cy Friedel don't cry

Hallo Friedel,
wie kann man eine Katastrophe darstellen?
Zeitungsbericht, Augen- und Ohrenzeugenbericht, Fotografien, Filme?
Taugt eine geordnete Sprache zum Transport einer Katastrophe?
Mag alles um den Kanaldeckel kreisen, er bildet einen Mittelpunkt für deine adäquate Darstellung eines Vorgangs, dessen Komplexität vielleicht in 1000 Seiten Wissenschaft dargestellt werden könnte, wenn man die Emotionen weglässt.
Du hast diese Collage wohlkomponiert (leider geht es nur ohne Ton) und trefflich formuliert. Wer das Ereignis verstehen will, muss sich bemühen, wer deinen Text verstehen will auch,
Du hast zu diesem Ereignis die richtige Sprache gefunden.
Fröhliche (trotzdem) Grüße
Wilhelm Berliner

 

„Kakophonie – die Sprache Kakaniens, Kakanien ist überall …“
Wilhelm Berliner​

wie kann man eine Katastrophe darstellen?
Fragstu mit recht,

lieber Wilhelm,

und das im fünften Jahr nach der Loveparade, ohne dass bisher die Schuldfrage auch nur näherungsweise geklärt wäre.

Die Reihen der Verdächtigen sind bereits gelichtet (die Bosse von Duisburg und McFit als Betreiber dieser glanzvollen Verunstaltung sind davongekommen, jene niedrigeren Chargen, die auf Anordnungen hin den Schwanz einzogen, werden dran glauben müssen). Es hapert, wie man liest, an der Panikforschung. Ist unzufrieden mit den Gutachten.

Bis dahin wusst ich gar nicht, dass Sozial- und Seelenkunde schon so atomisiert ist, dass der Stuhlgang schon bald ein eigenes Forschungsgebiet abgeben wird. Aber in Zeiten, da die amerikanischen Gesundheitsbehörden und in der Folge absehbar auch die schöne BéèRDe Trauer, die vierzehn Tage überschreitet, als Krankheitsbild definiert,

Trauerbegleitung als Arbeitsplatzmaßnahme für arbeitslose Psychologen.
lässt auch da kommerzielle Interessen hinter vermuten und die Lage an der Front verführt mich (nach dem Kopierspiel hierorts und geballten Steuerverklärungen andernorts), die Nachgeschichte zu erzählen, wie allmählich solidarisch Betroffene in Interessenhäufchen sich zersplittern, wie der zerbrochene Krug an den Topleuten vorbei dem Volk auf die Füße fällt. Fußvolk halt.

Ich werd halt nie fertig!

Das geht runter wie Honig

Du hast diese Collage wohlkomponiert (leider geht es nur ohne Ton)
Ja, schad, dass ich vor zwanzig Jahren die letzte Gitarre zerdeppert hab (Townshend ist Lektor geworden …, Daltrey ist tauber als ich je sein werde). Das totale Kunstwerk bleibt trotzdem Ziel. Die erste Zeichnung nach Jahr und Tag schon verschenkt ...
Mit Musik geht alles besser.

… und trefflich formuliert. Wer das Ereignis verstehen will, muss sich bemühen, wer deinen Text verstehen will auch,
Ja, den Kopf sollte man nicht nur zum Haareschneiden haben …
Du hast deine Sprache gefunden – auch deinen Leser? Mich jedenfalls.
Ach, ab und an mal ein wenig Pidgin und den Grafen von Monte Krypto geben, hat auch seinen Reiz!

Dank Dir fürs Lesen und Kommentieren!

Gruß aus Niflung vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Friedel,

Mit dieser Geschichte hast Du ja einen Hit gelandet. Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Ich bin erst jetzt auf die Geschichte gestossen.

Es wurde Vieles gesagt, viel Gescheites. Deshalb möchte ich nur noch folgendes beifügen:
Ähnlich wie Anakreon sehe ich die Geschichte als Parodie auf unsere Gesellschaft.
Irgendwo habe ich gelesen:
"Besonders häufig treten Parodien in Zeiten gesellschaftlicher und sozialer Konflikte auf, wo sie vor den Augen einer literarisch interessierten Öffentlichkeit die allgemeinen Strömungen und Tendenzen der Zeit kommentieren."

Unter anderem bin ich am Abschnitt hängen geblieben, wo Du schreibst:

"Also läutete das Gesetz: Ein Ziel habe jeder vor Augen, wenn er gleich blind wäre. Doch schränkt das gleiche Gesetz ein. Wenn gleich jeder sein Ziel vor Augen sehe, erreiche es doch nicht jedermann......
sollte doch der blöde Hund einsehen, dass nur immer einer ganz oben ankommen kann, die grosse
Masse aber das Fundament der Pyramide abgibt und in seiner Tragfähigkeit den Sinn ihres Daseins findet."

Eigentlich wollte ich nun schreiben: "Zum Fundament beizutragen ist nicht Nichts. Das kann dem Dasein tatsächlich Sinn geben. Denn was wäre eine Pyramide ohne Fundament. Da könnte der Mann, der es mit den Ellbogen geschafft hat bis nach oben zu kommen, noch so herumturnen und versuchen seine Ziele zu verfolgen, alles würde einstürzen.
Allerdings habe ich jetzt ein mulmiges Gefühl. Die grosse Masse kann, je nach Art des Fundaments, auch Gefahr bedeuten.

Liebe Grüsse
Marai.

 

Mit dieser Geschichte hast Du ja einen Hit gelandet.

Hallo Marai,
schön, dass Du mich mal besuchen kommst.

Aber ein Hit? Gut, im Sinne des „Treffers“, eben auf den Kopf eines Nagels. Aber ansonsten bin ich eher skeptisch und nehm doch den Glückwunsch an.

Dank Dir!

Aber das hastu richtig erkannt, vieles wird unter meinen Händen zu Satire und Parodie. Letzteres war auch wichtig, um viele Stile durchzuprobieren, um den eigenen zu finden. Und der ist bei mir eher massenuntauglich. Ich wäre auch sehr beunruhigt, auf einmal marktkonform zu sein.

Eigentlich wollte ich nun schreiben: "Zum Fundament beizutragen ist nicht Nichts. Das kann dem Dasein tatsächlich Sinn geben. Denn was wäre eine Pyramide ohne Fundament.
Genau! Die da unten sind so wichtig wie die da oben.
Allerdings habe ich jetzt ein mulmiges Gefühl. Die grosse Masse kann, je nach Art des Fundaments, auch Gefahr bedeuten.
Klar. Die Masse ist immer auch fremdbestimmt, außengeleitet, wie der Lemming. Der weiß auch nicht, wer und was ihn treibt. Geht da lang, wo sein Vorgänger gelaufen ist.

Gelegentlich entgleitet die Masse den mehr oder weniger anonymen Meinungsführern (und wer wüsste schon so genau, welche Interessen die vertreten?). Zwischen Anpassung und Revolte ist dann immer nur ein kleiner Schritt.

Dank Dir fürs Lesen und den Mut, zu kommentieren!

Gruß aus’m Ruhrpott vom

Friedel

 

Dass ich nie fertig werde,

ihr Lieben,

ist für diesen kleinen Text schon allein den Folgen des Ereignisses geschuldet, das dem Text zugrunde liegt. Am 24. Juli jährte sich das Unglück der Loveparade zu Duisburg und nun im achten Jahr - 2016 hatte das Landgericht DU bereits Strafverfahren abgelehnt - hat das Oberlandesgericht Düsseldorf nach diversen Beschwerden entschieden, doch das Verfahren am LG DU durchführen zu lassen. Im Dezember soll es so weit sein.

Wenn wir davon ausgehen, dass ein Verjährungsfrist von zehn Jahren gilt, wird's knapp ...

Nach dem neuen Stand der Dinge hab ich nunmehr die Einleitung (abgehörte Funksprüche - damalige Quellenangaben finden sich in den früheren Kommentaren hierorts) zu streichen und durch einen kleinen Prolog zu ersetzen und mit einem Epilog auf Grundlage der Weihnachtsbotschaft des Oberbürgermeisters, zitiert nach der WAZ vom 3.12.2010, zu schließen.

Die Funksprüche waren seinerzeit in der WAZ veröffentlicht worden. Die im damaligen Komm dazu angegeben Quellen sind inzwischen gelöscht oder in die "Ereignisse zur Loveparade 2010 in Duisburg" eingearbeitet. Wen die Gesamt-Dokumentation interessiert, lese unter

https://loveparade2010doku.wordpress.com/

Friedel

 

Hallo lieber Friedel,

sag mal, nimmst du Bewusstsein erweiterndes zu dir, während du dich (in Trance?) schreibst, oder warum komme ich mir beim Lesen so beschränkt vor?
Aber Spaß macht es dennoch, sich auf diesen intellektuell anspruchsvollen, wortgewaltigen und sprachgewandten Irrsinn einzulassen.

Trippelte hin, tapperte her als irgend ein niedlich tanzender Bär. In Trance, in kleinen Schritten und im Eiermarsch.

Jetzt muss ich doch mal fragen: Was ist ein Eiermarsch?

Was Alice als Sendung einer Rohrpost sieht, wirkt bedrohlich. Was sie erfährt, kann ihr nicht gefallen. Sollte niemand gefallen!

Da hab ich lang gebraucht, den Bezug zu verstehen, dass eben nicht die Alice die Sendung sieht, sondern als solche gesehen wird. Der zweite Satz ist mir dann erst Recht unklar.
Ich glaube diese Verwirrung des Lesers ist nicht beabsichtigt.

Ungleichzeitig krümmen Rücken sich vor Koprolithen.

Ungleichzeitig, darf ich mir dieses tolle Wort von dir leihen? Du hast noch mehr ungebräuchliches Gut in deiner Geschichte. Das lässt aufhorchen und bringt einen frischen Witz in die Höllenstimmung.

Ein bisschen erinnert mich deine KG an Alice im Wunderland.
Gerne gelesen!

Liebe Grüße Damaris

 
Zuletzt bearbeitet:

sag mal, nimmst du Bewusstsein erweiterndes zu dir, ...

So will ich doch hoffen

liebe Damaris,

zum Frühstück maximal zwo abhängig machender Tassen Kaffee nebst Tageszeitung, donnerstags f(f). Die Zeit, zu Monatsausklang und -beginn politische Blätter für deutsche und internationale Polittik und so ganz nebenbei bis zu 50 Seiten zwischen zwei Buchrücken (oder momentan auch noch unberückt). Dazwischen 20 km oder mehr km frische Luft schnappen und z. B. heute Abend eine unangemeldete Prüfung (welchen Sinn hätte eine angemeldete Prüfung? Klar, dass der Prüfling sich vorbereiten könnte ... da ist die Aufsichtsbehörde halt zu wohlwollend, da müssen Privatier und Müßiggänger nachhelfen) der Bierzustände im hiesigen Brauhaus, Schnäppsken ist bei Pannhaas und/oder Sülze - bisschen Blut und Hirn kann niemand schaden - nicht ausgeschlossen. Spätestens Mittwoch eine Zugfahrt zu VRR_Preisen nach Arnheim, 18 € preisgünstiger als die Autoimmobilie nach der lumpigen Arbeitnehmerpauschale - keine bange, ich spring nicht vor Glück vom Turm des Eusebius).

Ja, ich gestehe, danach bin ich manchmal koffeïnitiiert ... (Bevor ich von abhängig werde, bleibt's auch bei den zwo Tassen am Tag. Kaffee und Kuchen ist mir ein Gräuel!)

..., oder warum komme ich mir beim Lesen so beschränkt vor?
So weit wir uns kennen, täuschtu Dich da selbst - sonst hättestu nicht so viel Spaß beim Lesen. Und Du wirst doch Lewis Carroll verstanden haben - oder vestehe ich das Ende des Komms falsch?

Was ist ein Eiermarsch?
Wenn die Leute z. B. am christlichen Ruhetag in Massen shopping treiben und der lahmste das Tempo vorgibt und das Hohelied des Konsums gesummt wird. Oder laffparadiert usw., kurz, der Schwarmintelligenz unterliegt ...

Da hab ich lang gebraucht, den Bezug zu verstehen, dass eben nicht die Alice die Sendung sieht, sondern als solche gesehen wird. Der zweite Satz ist mir dann erst Recht unklar.
Muss ich gleich selbst noch mal reinschauen. Ich kann zwar diverse Gedichte/Prosasätze auswendig, nicht aber meine eigenen. Warum auch? Es macht halt Spaß, sich immer wieder neu zu erfinden.

Da bin ich wieder, gemeint ist also die Passage

..., als Alice bereits abwärts flieht. Saust durch im Hully Gully. Je finstrer es wird, desto greller ihr Schrei. Was Alice als Sendung einer Rohrpost sieht, wirkt bedrohlich. Was sie erfährt, kann ihr nicht gefallen. Sollte niemand gefallen!

Ungleichzeitig krümmen Rücken sich vor Koprolithen.

Zunächst ist Alice selbst Rohrpost-sendung (sie stürzt ja in einem System von Rohr(leitung)en, und sieht, wie man sich vor verkrustete/-steinerten Strukturen/Herr-schaft-en, die auch weibl. sein können - den Rücken krümmt und sich beugt ...
Ich glaube diese Verwirrung des Lesers ist nicht beabsichtigt.
Vielleicht bin ich so was von gemein ... wer weiß das schon. Und dann geh ich in die Politik oder noch besser in die Werbung ...
Ungleichzeitig krümmen Rücken sich vor Koprolithen.
Ungleichzeitig, darf ich mir dieses tolle Wort von dir leihen?
Da musstu Albert Einstein fragen ... spezielle Relativitätstheorie, Du weißt, das Haar in der Suppe und ein Haar nur noch auf dem Kopf.

Ach J, jetzt hab ich mich wieder geoffenbart!

Du hast noch mehr ungebräuchliches Gut in deiner Geschichte. Das lässt aufhorchen und bringt einen frischen Witz in die Höllenstimmung.
Wenn die Welt untergeht, nützt kein Jammern und Sarkasmus kann auch nicht mehr allzu viel Schaden anrichten, so hab ich jedenfalls jeden Tag Karneval und nehm die tollen Tage zur Pause ...

Ein bisschen erinnert mich deine KG an Alice im Wunderland.
Das ist schön, dass Du nicht den Struwwelpeter anführst. Aber Alice ist da schon jenseits der Spiegel ... und die schrägste überhaupt (Katla sei noch einmal gelobt!)

Schön, dass Du Dich in Höllenfahrt und Auferstehung der anderen Art gewagt hast.

Dank Dear fürs Lesen und noch mehr fürs Kommentieren!

Gruß in den Süden vom

Friedel

 

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