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Kann ich Brötchen kaufen, bitte?

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19.05.2015
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Kann ich Brötchen kaufen, bitte?

Emma hält die Augen fest geschlossen, gibt sich den Irrlichtern ihrer Träume hin. Szenen wechseln. Sie rennt durch Straßenschluchten. Der Himmel wirkt, als klebten die Häuserfluchten an ihm. Ihre Schritte hallen über den Asphalt. Sie erkennt weit und breit keinen Menschen, kein Tier, strebt einer Feuersonne entgegen, die alles in sich aufsaugt. Dann dreht sie sich um, tanzt im Rhythmus von Ballsaalmusik, spürt Wellen, die an einem Kreuzfahrtschiff anbranden. Ihre Schuhe klackern über Parkettboden, Meeresparfüm umweht sie. Wo Emma sich auch hinbewegt, öffnet sich eine Schneise. Die Menge weicht zurück, bis sie vor ihren festtagsgewandeten Eltern steht. Sie betrachtet ihren Vater, glaubt, auf der Regenbogenhaut die Korallen- und Fischwelt zu erkennen, die unter dem Schiff vorbeigleitet. Sterne übersäen das Gesicht ihrer Mutter, verwandeln sich in das Löwenwappen ihrer Dienstbehörde. Emma tritt zu ihnen, will die Eltern fest an sich drücken, als sie ein Geräusch wahrnimmt, ein Brausen, das in ihr Bewusstsein vordringt, den Bildern ihren Platz raubt. Das Smartphone vibriert, wütet über die Holzfläche des Nachttisches. Sie greift es und öffnet die Augen einen Spalt weit, erkennt die Nummer der Dienststelle, schnauft durch und drückt auf den grünen Kreis mit dem Telefonhörer. Die Glasoberfläche fühlt sich kalt an.

„Ja?“
„Einsatz! Sofort!“
„Wo?“
„Im Riedfeld. Da randaliert einer von denen aus der Einrichtung vor der Bäckerei. Magda Niedmeier hat angerufen.“
„Die alte Niedmeier?“
„Ja.“
„Bin schon unterwegs.“
„Paul ist gerade losgefahren. Du triffst ihn vor Ort. Für Ruhe sorgen, durchgreifen, Personalien aufnehmen, klar, Emma?!“
„So was von, Chef!“

Während Emma mit ihrem Chef telefoniert, streift sie sich die Hose über und schlüpft ins Hemd. Sie beendet das Gespräch. Ihre Haare fühlen sich klebrig an, feucht von der Nacht. Wirklichkeit schlägt Emma entgegen, Erinnerungen lösen sich aus dem Nebel. An Max, der ihr mit geilem Grinsen sagte, dass er sie nicht mehr treffen könne. Es wäre zu kompliziert, auch wegen ihrer Schichtdienste. Dabei hatte sie ihn gesehen, Hand in Hand mit einem Püppchen. An die Mitteilung des Regierungspräsidiums, dass sie erst im nächsten Jahr ein Studium an der Akademie beginnen, in den höheren Dienst aufsteigen könne.

Sie riecht den Traumschweiß, die Pizzareste des gestrigen Abends, beseitigt den schalen Geschmack im Mund, indem sie etwas Zahnpasta auf den Zähnen verteilt. Die Wochenendbereitschaft war ihr gerade recht gekommen. Emma öffnet das Fenster, vollständig bekleidet, bereit. Sie bemerkt einen Tautropfen auf den Blättern des Rhododendrons vor dem Haus, der zu Boden fällt. Eine Krähe fliegt auf das Dach des Nachbarhauses, Amseln zwitschern. Sie schnallt das Halfter um, prüft den Verschluss, steigt in die Stiefel, zieht den Gürtel fest und geht los. Emma stellt sich die Brezeln, Brötchen, den Kuchen, all die Köstlichkeiten vor, die der Vater von den Niedmeiers mitbrachte, die Tüten, die er auf den Tisch legte, das Familienglück, den Höhepunkt des Sonntags, einleitete. Der Motor des Autos heult auf, weil das Automatikgetriebe erst mit Zögern hochschaltet.


Jamals Kopf brennt. Er kann die Dämonen nicht verscheuchen, findet keinen Schlaf, weil er Tamina im Sinn hat, sich ihre Zimtstimme, die Sternenaugen, die Seidenhaut vorstellt. Er trägt ihr Geschenk am Handgelenk. Die Farbe des Bändchens verbleicht. Manchmal berührt er es, hofft, dass sich eine geheime Tür öffnet und sie gerade in diesem Augenblick an ihn denken muss. Seit er hier angekommen ist, wartet er auf seine Braut, sein Ein und Alles.

„Es ist besser, Du vergisst Tamina. Inschallah findest Du eine Andere.“ Die Worte seines Cousins Mohammed, das, was er ihm heute am Telefon gesagt hatte, die Andeutungen, trafen ihn wie ein Steinhagel, der vom Himmel fällt. Er überlegt, wer ihm Tamina wegnehmen will. Jaqub kommt ihm in den Sinn, ein Schwein, das sich an die hübschesten Mädchen ranmacht. Jamal hasst ihn, sein Blut kocht hoch, wenn er daran denkt, dass das Arschloch Taminas Haut berührt. Er öffnet das Fenster, sucht nach Zeichen, findet keine. Tamina meldet sich seit Tagen nicht bei ihm.

Zeit fürs Gebet. Jamal rollt den Teppich aus, wäscht sich, dreimal Mund, dreimal Nase, Hände, Arme, Gesicht, Nacken, hinter den Ohren, in ihnen, schrubbt die Haut sorgfältig. Das Wasser fühlt sich frisch an, kühl, er reibt sich Körnchen aus den Augenwinkeln, trocknet sich ab. Er muss die Handtücher waschen. Dann beugt er die Knie, flüstert heilige Worte. Allah beachtet ihn nicht, vielleicht weiß er nicht einmal, wer Jamal ist. Gott schweigt, obwohl er sich fürchtet, den Hoffnungsbergen ausgeliefert ist, inbrünstiger betet. Jamal legt sich hin, zieht die Decke über den Kopf, lauscht in die Nacht, hört Ahmed nebenan atmen, Musik aus einem weiter entfernten Zimmer, leise Rhythmen, und döst so lange, bis draußen das Wutgeschrei ertönt. Jamal nennt sie Nachtwölfe, Nebelschakale. Sie kriechen aus ihren Verstecken, Kapuzenleute, mit Fackeln und Taschenlampen in den Händen, die sich vor das Heim stellen, ihre Stimmen gegen die Mauern peitschen, wütend, aufgebracht klingen, Sprüche an die Mauer schreiben, englisch, damit jeder die Botschaft versteht: Go home where you belong, Germans first, und so weiter.

Jamal geht über den Flur zum Aufenthaltsraum, trifft dort den Heimleiter Werner. Malik steht bei ihm, senkt den Blick, die Fäuste in den Hosentaschen versteckt.
„Es reicht. Ich ruf die Leute zusammen. Dann gehen wir raus und reden mit den Arschlöchern“, sagt Malik und stellt sich breitbeinig vor den Heimleiter.
„Reden?“, sagt Werner, sitzt am Tisch und schaut zur Deckenlampe, wo eine Motte sich nach Licht sehnt und gegen das Glas schlägt.
„Ja.“
Werner fixiert Malik: „Das gibt bloß Ärger. Ich ruf die Polizei!“
„Lass mal, wir können das alleine regeln“, sagt Malik.
Jamal lehnt am Türrahmen und sagt: „Er hat Recht, das geht so nicht weiter mit den Nachtwölfen da draußen.“ Die beiden schaeuen ihn an.
„Schluss jetzt, Leute, ich ruf die Polizei, kapiert. So regeln wir das in Deutschland, gewöhnt euch besser schnell dran!“ „Du kapierst echt gar nichts. Sich anspucken lassen und schweigen, das sind eure Gesetze“, flüstert Jamal und wendet sich ab.
„Du verstehst gar nichts“, ruft ihm Werner hinterher.

Jamals Schritte quietschen auf dem Linoleumboden, es gibt nichts mehr zu sagen. Er schließt das Zimmer hinter sich und legt sich mitsamt den Neon-Nikes auf die Decke, rollt sich ein, will die Dämonengedanken vertreiben, schweigen, an Tamina denken, träumen und beten und warten und warten und warten.

Die Dämmerung setzt ein, Schatten, Farben lösen sich. Jamal verlässt das Haus. Die Brötchen der Dorfbäckerei riechen nach Heimat und kosten dreißig Cent das Stück. Er füllt die Lungen mit Morgenluft, nimmt die Stille wahr, die sich über die Träume der Menschen gelegt hat, nimmt den Weg um die Siedlung herum, begegnet keinem, muss niemanden anlächeln.

Von weitem sieht er die alte Bäckersfrau, ihren gekrümmten Rücken, die Schneehaare, hinter der Theke. Sie redet nicht gern mit Fremden, das spürt er. Jamal wagt es nicht, sie zu fragen, wovor sie sich fürchtet. Die Tür steht einen Spaltbreit offen. Er betritt den Laden, saugt den Duft der frisch gebackenen Brötchen auf. Die Wärme des Ofens dringt in seine Haut ein, er erinnert sich an zu Hause, wenn alle zusammensaßen, kauten, Krümel auf dem Tisch liegen und das Haus mit Lachen und Geplapper fütterten. Die alte Frau fegt die Auslage, dann fallen die Brötchen krachend in den Kasten und formen einen goldglänzenden Haufen. Sie schaut in die andere Richtung, als wünschte sie sich, dass Jamal sich in Luft auflöse. Er zieht den Kopf ein, federt die Schritte ab, als wäre er gar nicht hier. Nach einer Weile hält er es nicht mehr aus und nähert sich der Theke. Die Stirn der alten Frau glänzt.

„Entschuldigung.“ Die alte Frau reagiert nicht.
„Kann ich bitte Brötchen kaufen?“ Jamals Stimme vibriert. Die alte Frau wendet den Kopf:„Wir haben geschlossen!“, ruft sie ihm entgegen, dreht sich weg und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Kann ich Brötchen kaufen, bitte?“, sagt Jamal. Er zeigt auf die Auslage.
„Bitte verlassen Sie die Bäckerei!“, sagt sie.
Er tritt einen Schritt näher, presst die Lippen zusammen, er fuchtelt mit den Armen: „Bitte, Brötchen, drei Stück!“, schreit er.
Die alte Frau fährt sich durch die Haare, dreht sich zur Backstube um: „Hermann, kannst du bitte kommen?“, sagt sie.
Jamal steht da, sprungbereit, hört Geräusche aus dem Nebenraum. Eine Tür öffnet sich, mehr Backstubenduft weht in den Laden. Hermann trägt weiß, ein Häubchen bedeckt den Kopf, schaut ihn an.
„Der Herr will Brötchen kaufen, obwohl wir geschlossen haben“, sagt die alte Frau und zeigt auf Jamal.
Hermann stemmt die Hände in die Hüften und sagt: „Raus hier, sofort! Wir haben geschlossen!“
„Drei Brötchen, bitte!“
„Raus habe ich gesagt, verstanden? Vor Ladenöffnung gibt’s keine Brötchen. Wo kommen wir da hin?“
Jamal zögert, tritt von einem Bein auf das andere, die Gesichtsmuskeln zucken. Die Tür erzittert, als er sie zuschlägt.

Draußen weht Eiswind von den Wäldern her. Jamal geht ein paar Schritte und setzt sich auf das Bänkchen gegenüber der Bäckerei, das zwischen zwei Kastanienbäumen steht. In den Baumkronen glaubt Jamal Schatten zu erkennen, vielleicht Engel, Feen, Märchengestalten, die ihn beobachten. Jamal zieht die Jacke fest an sich, spielt mit dem Bändchen am Handgelenk, formt im Gedanken Worte, Gebete, ohne sich von dem Kloß zu befreien, den er in sich trägt. Später schließt er die Augen, spürt, wie das Holz, auf dem er sitzt, wärmer wird, wartet, hört den Vögeln und den Stimmen zu, die er in sich versammelt hat, den Kinderlandschaften seiner Erinnerungen, und vergisst die Kälte, die stockende Zeit.

Schritte knirschen über den Asphalt. Eine Gestalt nähert sich dem Laden, huscht gemächlich im Morgendunst durch Jamals Blickfeld. Die Tür der Bäckerei öffnet sich, die Schatten hantieren, gestikulieren, kurz hält die Nebelfigur Tüten in den Händen und schleicht zum Dorf. Jamal schaut ihr hinterher, spannt den Körper, stemmt sich von der Bank hoch und springt wie eine Katze los, in der Faust einen der Pflastersteine, die vor dem Bänkchen verstreut sind. Er schlägt gegen die Ladentür, presst die Kehllaute der Heimat aus sich heraus, schreit. Hermann kommt zur Tür, zeigt ihm das Wolfsgebiss, verriegelt das Schloss und verschwindet in der Backstube. Jamal schaut durch das Fenster. Durch die Ritzen riecht er den Goldbrötchenduft, vor seinen Augen liegt bereit, was er begehrt. Drei Brötchen will er, mehr nicht. Der metallene Knauf gibt nicht nach, das Glas zittert, als er an der Tür rüttelt. Also schlägt er mit dem Pflasterstein gegen die Fläche. Ein Splitterteppich entsteht, zerbrochene Glasstückchen, die aneinander kleben bleiben, den Blick nach innen verwehren. Er schlägt weiter und weiter, ohne Ergebnis, rennt zum Bänkchen zurück, um sich mit mehr Steinen zu bewaffnen, bombardiert den Laden. Mehr Bruchflächen bilden sich. Er sammelt die Geschosse ein, wirft erneut. In den umliegenden Häusern werden Lichter angeknipst, Gesichter zeigen sich an den Fenstern. Jamal läuft auf und ab, kann nicht stehen bleiben, wie ein Vulkan, auf dem sich eine Erdspalte öffnet, damit das Magma entweicht. Er hebt die Arme zum Himmel, fühlt sich befreit, stark, als hätte er lange auf diesen Moment gewartet.


Emma erreicht den Dorfplatz, ihre Blicke irren über die Szenerie. Der Morgen trägt ein Nebelkleid. Das Blaulicht auf Pauls Wagen vor der Bäckerei blinkt. Rufe schallen zu ihr. Fliedergeruch und Abwasserfäulnis dringen in ihre Nase. Vor einer verwüsteten Ladenfront stehen sich zwei Männer gegenüber, einer in Uniform, Paul, großgewachsen, dichter Vollbart, breite Schultern, der andere ein Olivenhautkerl in Neon-Turnschuhen, wild gestikulierend, einen Stein in der Hand. Sie bemerkt Anwohner, die an Hauseingängen warten oder hinter Fenstern versteckt, das Geschehen beobachten. Sie beschleunigt ihre Schritte, nähert sich. Als sie die beiden erreicht, hebt Paul den Arm, um den Kerl zu überwältigen, dreht sich ruckartig, dennoch nicht schnell genug. Eine steinbewehrte Faust trifft Pauls Gesicht, der auf die Knie sinkt. Emma handelt, wie sie es gelernt hat, gedankenentleert, automatisch, löst die Pistole aus dem Halfter und sagt: „Den Stein fallen lassen, die Hände hinter den Kopf!“

Der Feueraugenmann rührt sich nicht. Paul stöhnt, krümmt sich.
„Haben Sie mich verstanden? Legen Sie sofort den Stein auf den Boden und verschränken die Hände über dem Kopf!“
Jamal nickt, lächelt wirr, als registriere er erst jetzt, dass sie eine Frau ist, streicht über das Handgelenk, macht einen Schritt hin zu dem blutenden Paul, der sich aufrichtet, ein Bein des Mannes umfasst und mit der anderen die Pistole zieht. Der Mann reagiert schnell, stößt sein Knie gegen Pauls Hand. Die Pistole fällt zu Boden. Unterdessen hält Emma die Waffe mit beiden Händen fest, steht mit gespreizten Beinen vor dem Fremden und richtet sie auf ihn.
„Keine Bewegung mehr oder ich muss von der Schusswaffe Gebrauch machen!“
Keine Reaktion. Der Mann greift nach Pauls Pistole. Der Warnschuss peitscht über den Platz.
„Hände hoch, das ist meine letzte Warnung!“

Jamal reagiert nicht. Emma zielt auf ihn, umklammert sie fester, weiß, dass sie handeln muss. Das Drehbuch sieht nichts anderes vor. Dennoch zögert sie, Sekunden verstreichen. Paul nimmt ihr die Entscheidung ab, indem er sich auf ihn stürzen will, der aber sofort die Waffe auf ihn richtet, den Finger am Abzug. Ein Schuss löst sich. Jamals Kugel schlägt in der Bäckerei ein. Der nächste Schuss trifft Jamal aus der Nähe, durchschlägt seine Brust, Blut quillt aus der Wunde. Er lässt die Pistole los und stürzt zu Boden. Wie ein Feuerball, der vom Himmel fällt. Emma fühlt Jamals Blick auf sich lasten, kann nicht ausweichen, wartet, wartet, bis er bricht. Die Sehnsucht, die Verwunderung, die sich in seinen Augen spiegeln, wird sie ihren Schreckenserinnerungen, den Alpträumen beifügen. Sie senkt den Lauf der Waffe, spürt die Hitze, die von ihr ausgeht, zittert, schafft es gerade noch, sie wegzustecken, bevor sie sich an ihr verbrennt. Blut- und Stahlgeruch steigen empor, darüber hat sich Brötchenduft festgesetzt.

 

Den Text habe ich wiederbelebt, da er mittlerweile in der Anthologie des Bonner Kurzgeschichtenwettbewerbs 2018 (Titel: Das Taschentuch, erschienen im Kid-Verlag) veröffentlicht wurde und nun aus der Quarantäne entlassen werden kann. :Pfeif:

 

Hi @Isegrims,

ich komm mal auf ein Glas vorbei und bleib nicht lang, ich wollte nämlich nur schnell zum Ende was sagen. Wenn ich mich richtig erinnere, hast du das geändert: Jamal ist vorher weniger bedrohlich aufgetreten, oder? Er hat die Waffe nicht auf Paul gerichtet und es hat sich kein Schuss gelöst - stimmt das? Jedenfalls: Das gefiel(e) mir besser.

Ich finde diesen neuen Schlussabsatz für sich genommen zwar nicht schlecht zu lesen. Emmas inneres Drama ist aber in dieser Version weitgehend uninteressant geworden. Es beschränkt sich jetzt auf die psychische Verarbeitung, nicht mehr auf die Frage, ob sie richtig gehandelt hat. Da ist kein Zwiespalt mehr. Falls sie selbst in schwachen Momenten doch mal zweifeln sollte, ob sie richtig gehandelt hat, wird ihr jeder bestätigen, dass sie nichts anderes tun konnte, jeder Leser wird ihr tröstend auf die Schulter klopfen.

Ich habe so einen Verdacht, du wolltest die Fallstricke umgehen, die sich zu knüpfen drohen, wenn Jamal zu freundlich dargestellt wird, wenn er zu sehr das arme Opfer der schlimm vorurteilsbeladenen Bäcker und Polizisten ist, und weil ich immer für Verkomplizierungen zu haben bin, finde ich diese Bewegung erst mal gut und nachvollziehbar. Das Problem ist halt nur, dass in meinen Augen unterm Strich eine Vereinfachung herauskommt. Und, wie gesagt, das finde ich schade.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo @erdbeerschorsch,

du sprichst eine Konstellation an, die ich mir tatsächlich gut überlegt habe. Die Geschichte basiert auf einem realen Fall. Im letzten Jahr wurde in Fulda ein randalierender afghanischer Flüchtling vor einer Bäckerei erschossen. Das ist der Hintergrund der Geschichte.

Wenn ich mich richtig erinnere, hast du das geändert: Jamal ist vorher weniger bedrohlich aufgetreten, oder? Er hat die Waffe nicht auf Paul gerichtet und es hat sich kein Schuss gelöst - stimmt das? Jedenfalls: Das gefiel(e) mir besser.
ja, so habe ich das in der ersten Version beschrieben, da fehlte mir aber die Balance im Gefüge der Charaktere. Ich wollte schon die Vorbehalte zeigen, die es gibt, aber nicht die Gutmenschenhaltung befördern, den Flüchtling nicht als Opfer darstellen, ihm etwas mehr, ja Stolz verleihen.

Emmas inneres Drama ist aber in dieser Version weitgehend uninteressant geworden. Es beschränkt sich jetzt auf die psychische Verarbeitung, nicht mehr auf die Frage, ob sie richtig gehandelt hat.
ja, gebe ich dir recht, jedenfalls teilweise, schließlich zeige ich schon ihr Zögern, am Ende auch ihr Schuldbewusstsein. Wollte aber auch zeigen, wie zufällig etwas in Gang gesetzt wird.

Falls sie selbst in schwachen Momenten doch mal zweifeln sollte, ob sie richtig gehandelt hat, wird ihr jeder bestätigen, dass sie nichts anderes tun konnte, jeder Leser wird ihr tröstend auf die Schulter klopfen.
mm, könnte sein, der Einwand ist natürlich berechtigt.

Ich habe so einen Verdacht, du wolltest die Fallstricke umgehen, die sich zu knüpfen drohen, wenn Jamal zu freundlich dargestellt wird, wenn er zu sehr das arme Opfer der schlimm vorurteilsbeladenen Bäcker und Polizisten ist, und weil ich immer für Verkomplizierungen zu haben bin, finde ich diese Bewegung erst mal gut und nachvollziehbar. Das Problem ist halt nur, dass in meinen Augen unterm Strich eine Vereinfachung herauskommt. Und, wie gesagt, das finde ich schade.
Fallstricke umgehen wollte ich nicht, eher einen logischen Ausgleich der Positionen schaffen.

Im Augenblick ändere ich nichts mehr an dem Text, aber deine Gedanken waren doch sehr wertvoll, vielen Dank!
Liebe Grüße
Isegrims

 

Hey @Isegrims,

wollte nur mal eben meinen Respekt für die Überarbeitung aussprechen. Ich kann mich noch gut an die Geschichte erinnern, die ich damals kommentiert habe (bzw. die Version von "Kann ich Brötchen ...").
Die Stelle des Erschießens, die ich damals mokiert hatte, hast du wirklich 1A überarbeitet. Ich weiß noch, dass mir das alles zu schnell ging und irgendwie nicht ganz organisch vorkam; das ist jetzt wirklich sehr gut gelöst, auch ausgebreitet auf ein wenig mehr Platz. Aber wirklich sehr authentisch. Sehr gerechtfertigt, dass dieser Text seinen Weg aus dem Forum in eine Veröffentlichung geschafft hat.

Beste Grüße
zigga

 

Hallo @Isegrims

bin über zigga s Copywrite Version auf diese Geschichte gestoßen.

Hat mir sehr gut gefallen, wie dieser scheinbar kleiner, belangloser Konflikt, der von der ignoranten, weltfremden und mMn unmenschlichen Verhalten des Verkäufers zu solch weitreichenden Konsequenzen führen konnte.
Sehr gut gefallen hat mir auch, wie du es umgesetzt hast. Völlig realistisch, nachvollziehbar. Sprachlich anspruchsvoll, ohne zu kompliziert zu werden.

Ich fühlte mit. Mit Jamal, mit Emma - nur nicht mit dem Bäcker...

Zum Text wurde ja einiges schon gesagt, daher beschränke ich mich nur aufs inhaltliche.

Hat mir sehr gut gefallen und sehr gern gelesen.

Schönen Abend noch
Napier

 

Gude @zigga,

übrigens habe ich's mir fast gedacht, dass du diesen Text für das Copywrite aussuchst. Ich schreibe über das, was mich bewegt und weiß, wo sich unsere Themen überschneiden. Gab noch eine andere Story, die dich vielleicht hätte triggern können. (die mit den WhatsApp-Nachrichten).

Die Stelle des Erschießens, die ich damals mokiert hatte, hast du wirklich 1A überarbeitet. Ich weiß noch, dass mir das alles zu schnell ging und irgendwie nicht ganz organisch vorkam; das ist jetzt wirklich sehr gut gelöst, auch ausgebreitet auf ein wenig mehr Platz. Aber wirklich sehr authentisch.
Ich weiß nicht, ob du das kennst: ich schreibe was, es fließt, die Idee habe ich im Kopf, suche nach dem (für mich) richtigen Ausdruck, schließ den Text ab, lass ihn ruhen und stelle dann fest, dass es noch an Harmonie fehlt. Überarbeitung, wieder Überarbeitung, super wichtig. (Klar, nicht so, dass es den Text zerfleddert). Danke dir! Authentisch, ja, muss, bei dem Thema.

Sehr gerechtfertigt, dass dieser Text seinen Weg aus dem Forum in eine Veröffentlichung geschafft hat.
:Pfeif:

Und die arme Angel-Emma, was aus der und der Welt, in der wir leben, so werden kann!
viele Grüße
Isegrims

Hi @Napier

danke für deine Rückmeldung! Und für das Lob, kann man immer gebrauchen.

Hat mir sehr gut gefallen, wie dieser scheinbar kleiner, belangloser Konflikt, der von der ignoranten, weltfremden und mMn unmenschlichen Verhalten des Verkäufers zu solch weitreichenden Konsequenzen führen konnte.
ich glaube ohnehin, dass so was täglich passiert, nur nicht immer mit der Konsequenz. Exemplarisch eben.

Völlig realistisch, nachvollziehbar. Sprachlich anspruchsvoll, ohne zu kompliziert zu werden.
:Pfeif:

viele Morgen-früh-gibt's Laugenbrötchen-Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ise,

augrund Ziggas Copy-Geschichte lese ich natürlich auch das Original.
Was mir sehr ins Auge gesprungen ist:

ich den Irrlichtern ihrer Träume hin. Szenen wechseln. Sie rennt durch Straßenschluchten.Häuserfluchten scheinen am Himmel festzukleben.Ihre Schritte hallen über den Asphalt.
Sehr oft hast du das Leerzeichen nach dem Endpunkt vergessen, da musst du den ganzen Text nochmals sorgfältig durchsehen.

Sie erkennt weit und breit keinen Menschen, kein Tier, strebt einer Feuersonne entgegen, die alles in sich aufsaugt.
der Satz ist etwas wirr, also ich kann nur erahnen, was du meinst, bin mir aber nicht sicher.

Du triffst ihn vor Ort. Für Ruhe sorgen, durchgreifen, Personalien aufnehmen, klar, Emma?!“
Ich gehe davon aus, dass Emma eigentlich weiß, was sie zu tun hat und deshalb wirkt das überaus belehrend, wie er mit ihr spricht.

Wirklichkeit schlägt Emma entgegen, Erinnerungen an Max, der ihr mit geilem Grinsen sagte, dass er sie nicht mehr treffen könne, es wäre zu kompliziert, auch wegen ihrer Schichtdienste, dabei hatte sie ihn gesehen, Hand in Hand mit einem Püppchen, an die Mitteilung des Regierungspräsidiums, dass sie erst im nächsten Jahr ein Studium an der Akademie beginnen, in den höheren Dienst aufsteigen könne.
ab dem fetten Teil wird es sehr komliziert zu verstehen. Die Aufzählung, die du haben willst, funktioniert so nicht. Zumindest ein Semikolon solltest du mal einsetzen, wenn du vom Püppchen zum Regierungspräsidium wechselst.

Die Wärme des Ofens dringt in seine Haut ein, er erinnert sich an zu Hause, wenn alle zusammensaßen, kauten, Krümel auf den Tisch fielen und das Haus mit Lachen und Geplapper fütterten.
füllten statt fütterten?

Die alte Frau fegt die Auslage, dann fallen die Brötchen krachend in den Kasten und formen einen goldglänzenden Haufen.
ich habe auch schon Brötchen umgefüllt, 50-60 aufs Mal. Da kracht aber nichts, das sind eher schleifende, sogar tönerne Geräusche.

Jamal steht da, raubtiersprungbereit, hört Schritte aus dem Nebenraum. Eine Tür öffnet sich, mehrBackstubenduft weht in den Laden.

Mir "gefällt" die Idee, dass aus so einem kleinen Mißverständnis so ein Drama wird. Wie oft im Leben sind die Auslöser ganz andere wie man gemeinhin so annimmt. Was muss die Bäckersfrau auch so eingstirnig sein, der Bäcker gleich dazu.

Tendenziell sind mir manchmal die Sätze von dir zu lang, ungünstig nur mit Kommas abgetrennt, Gedankenstriche oder Semikolons würden da Klarheit bringen. Oder sogar zwischendurch mal ein Punkt :).
Nun habe ich grade noch gelesen, dass der Text veröffentlicht worden ist. Hoffentlich nicht in dieser Version :Pfeif:, sondern korrigiert und wenn, wieso steht hier dann noch eine alte Version?

Ich finds spannend geschrieben und blieb bis zum Ende gerne dran.

Liebe Grüße bernadette

 

Hi @bernadette

lieben Dank für die Anmerkungen zu dem Text, hat mich sehr gefreut, dass du dir die Zeit genommen hast, dich mit der Geschichte zu beschäftigen, die ja schon eine Weile online ist.

Sehr oft hast du das Leerzeichen nach dem Endpunkt vergessen, da musst du den ganzen Text nochmals sorgfältig durchsehen.
ganz merkwürdige Sache. Die Scrivener, bzw. Wordvorlage hat Leerzeichen. Kann allerdings passieren, wenn man Teile des Textes aus der Vorlage kopiert und hier einfügt. Hab's gerade probiert. Muss in Zukunft besser aufpassen. Habe die Textversion hier überarbeitet und hoffentlich alle Leerzeichen gesetzt.

ab dem fetten Teil wird es sehr komliziert zu verstehen. Die Aufzählung, die du haben willst, funktioniert so nicht. Zumindest ein Semikolon solltest du mal einsetzen, wenn du vom Püppchen zum Regierungspräsidium wechselst.
abgesehen davon, dass ich die wuchernden Aufzählungen als Stilmittel gerne verwende, soll dadurch auch eine Atemlosigkeit entstehen, die zu dem Text passt, die Beschleunigung der Gedanken spiegelt.

füllten statt fütterten?
mm, klar: füllten antizipiert man, füttern lässt ein anderes, auf den ersten Blick fremdes, aber auch stimmiges Bild entstehen. mMN!

ich habe auch schon Brötchen umgefüllt, 50-60 aufs Mal. Da kracht aber nichts, das sind eher schleifende, sogar tönerne Geräusche.
mm, kann ich nicht nachvollziehen, in meinen Ohren klingt krachend, schleifend würde mir künstlich vorkommen.

Tendenziell sind mir manchmal die Sätze von dir zu lang, ungünstig nur mit Kommas abgetrennt, Gedankenstriche oder Semikolons würden da Klarheit bringen. Oder sogar zwischendurch mal ein Punkt :).
äh, ja, könnte man machen :lol:

Nun habe ich grade noch gelesen, dass der Text veröffentlicht worden ist. Hoffentlich nicht in dieser Version :Pfeif:, sondern korrigiert und wenn, wieso steht hier dann noch eine alte Version?
der Text ist in der Anthologie des letztjährigen Bommer Kurzgeschichtenwettbewerbs enthalten. Mit ausreichend Leerzeichen. Lektoriert, na klar.

Ich finds spannend geschrieben und blieb bis zum Ende gerne dran.
dankeschön

Liebe Grüße und eine Sonnenwoche für dich
Isegrims

 

Hi @Isegrims,

Ich grätsche noch mal kurz rein, weil ich @bernadettes Kritik an diesem Abschnitt:
-- "Wirklichkeit schlägt Emma entgegen, Erinnerungen an Max, der ihr mit geilem Grinsen sagte, dass er sie nicht mehr treffen könne, es wäre zu kompliziert, auch wegen ihrer Schichtdienste, dabei hatte sie ihn gesehen, Hand in Hand mit einem Püppchen, an die Mitteilung des Regierungspräsidiums, dass sie erst im nächsten Jahr ein Studium an der Akademie beginnen, in den höheren Dienst aufsteigen könne."
- so einleuchtend gefunden habe.
Der Abschnitt soll eine Atemlosigkeit entstehen lassen, sagst du, aber wenn etwas schwer zu verstehen ist, bremst das ja erst mal eher, als dass es beschleunigt. Der Kritikpunkt liegt sicherlich nicht generell darin, dass die Aufzählung zu lang wäre, sondern dass man den Anschluss (Erinnerung ... an) im zweiten Teil nicht mehr erfassen kann.
Möglich wäre es ja beispielsweise, auf diesen Anschluss zu verzichten, etwa so (nur als eine Variante zur Veranschaulichung):
- ... Hand in Hand mit einem Püppchen, und auch mit dem Aufstieg in den höheren Dienst wird's erst mal nichts, das Studium an der Akademie kann erst im nächsten Jahr beginnen, die Mitteilung des Regierungspräsidiums fällt ihr ein/liegt im Papierkorb/ärgert sie immer noch/...

(Manche möchten ja an gedruckten Texten nichts mehr ändern (so als würde die Veröffentlichung einen Text irgendwie einfrieren), ich weiß nicht, ob du dazu gehörst, aber das spielt letztlich keine so große Rolle. Es bliebt ja sinnvoll, selbst unveränderliche Texte zu besprechen.)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hi @erdbeerschorsch

(Manche möchten ja an gedruckten Texten nichts mehr ändern (so als würde die Veröffentlichung einen Text irgendwie einfrieren), ich weiß nicht, ob du dazu gehörst, aber das spielt letztlich keine so große Rolle. Es bliebt ja sinnvoll, selbst unveränderliche Texte zu besprechen.)
Ein paar Kleinigkeiten habe ich bereits an dem Text verändert, eine größere Überarbeitung habe ich bisher nicht geplant.
Klar kann man auch an veröffentlichten Texten Veränderungen vornehmen. Was in Worte gefasst ist, lebt, wirkt anders je mehr Abstand man gewinnt. Perfekte Texte gibt's nicht. Ich finde bei jedem Lesen Formulierungen, die ich verändern möchte.

-- "Wirklichkeit schlägt Emma entgegen, Erinnerungen an Max, der ihr mit geilem Grinsen sagte, dass er sie nicht mehr treffen könne, es wäre zu kompliziert, auch wegen ihrer Schichtdienste, dabei hatte sie ihn gesehen, Hand in Hand mit einem Püppchen, an die Mitteilung des Regierungspräsidiums, dass sie erst im nächsten Jahr ein Studium an der Akademie beginnen, in den höheren Dienst aufsteigen könne."
Die von dir und @bernadette angesprochene Passage habe ich mehrfach vor Publikum vorgelesen. Die wuchernde Satzkonstruktion schafft mMn einen guten Rhythmus. (Versuch mal den Abschnitt laut zu lesen). Unterbrechungen, Einschnitte durch Punkte, Semikolons, was auch immer, schaffen Sprechpausen, die den Fluss unterbrechen. Deshalb finde ich gerade diese Passage richtig strukturiert, zähle sie nicht zu denen, die ich nach derzeitigem Stand überarbeiten möchte.

Der Abschnitt soll eine Atemlosigkeit entstehen lassen, sagst du, aber wenn etwas schwer zu verstehen ist, bremst das ja erst mal eher, als dass es beschleunigt. Der Kritikpunkt liegt sicherlich nicht generell darin, dass die Aufzählung zu lang wäre, sondern dass man den Anschluss (Erinnerung ... an) im zweiten Teil nicht mehr erfassen kann.
Das Argument sticht nur teilweise, weil ich den Satz nicht für schwer verständlich halte, was auf der Sachebene gesagt wird, ist ja nichts als Aufzählung; Metaphern, Neologismen, Intellektualismen, Anspielungen o.ä., Bedeutungsrelevantes, was Leser*innen aufhalten könnte, ist gar nicht vorhanden, denke ich.

Möglich wäre es ja beispielsweise, auf diesen Anschluss zu verzichten, etwa so (nur als eine Variante zur Veranschaulichung):
- ... Hand in Hand mit einem Püppchen, und auch mit dem Aufstieg in den höheren Dienst wird's erst mal nichts, das Studium an der Akademie kann erst im nächsten Jahr beginnen, die Mitteilung des Regierungspräsidiums fällt ihr ein/liegt im Papierkorb/ärgert sie immer noch/...
könnte man sicher so machen, klingt eingängig, würde die von dir angesprochene Kritik umsetzen, aber nein, sorry, passt (derzeit, wer weiß schließlich, was er in Zukunft denkt) nicht zu meinem Stilempfinden.

Liebe Grüße und herzlichen Dank für die Zeit und die Anmerkung, die mir sicher im Gedächtnis bleibt.
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Ise,

ich verstehe nicht, dass du hier einen Text, der an anderer Stelle lektoriert worden ist, in alter Fassung stehen lässt. :confused:
Da hat sich schon jemand die Arbeit gemacht, ihn zu verbessern und hier stürzen sich dann nochmal Leute drauf, die das nicht wissen und ihn evtl. nochmal korrigieren?

edit, bezieht sich auf einen Kommentar zwei weiter unten (#33) von @erdbeerschorsch:

erdbeerschorsch schrieb:
dass ich (wie @bernadette, wenn ich für sie sprechen darf)
Ich hatte das ursprünglich hier in dem Beitrag auch noch angemerkt, es aber dann wieder gelöscht, weil ich dachte, dass man jemandem seine Empfindung ja nicht ausreden kann/soll. Aber ich unterstreiche das auch nochmal gerne, dass Vorlesen was ganz anderes ist als selbst lesen, auch wenn es laut ist. Auch laut gelesen hätte ich diesen Absatz nie und nimmer beim ersten Lesen verstanden.
Und ich gebe als Leser, der den Inhalt nicht kennt (anders als der Autor, der ja schon weiß, was er geschrieben hat, und dementsprechend vorbereitet in den Absatz einsteigt) nur meine Wahrnehmung weiter.
Ich würde mich gerade direkt hierzu noch über Eindrücke anderer Leser freuen.

 

@Isegrims
gestern habe ich deine Geschichte gelesen.
Kurz und gut; Sprachlich kann ich nichts sagen aber deine Geschichte hat mir gefallen ( das Konzept) und deine Figuren ( besonders Jamal).
Viel Erfolg ;)
Rahil

 

Hi @Isegrims,

wenn du von der Passage überzeugt bist, dann lass sie so, klare Sache.

Die Empfehlung, eine Stelle laut zu lesen, finde ich allerdings generell etwas zwiespältig. Beim Vorlesen habe ich natürlich die Möglichkeit, durch entsprechende Betonung ein Stück weit zu lenken, so dass ich die gewünschte Richtung unterstütze. Insofern kann es womöglich sogar schwerer zu entscheiden sein, ob das Gelingen (oder im Fall: Scheitern) eher dem Text oder eher dem Vorleser zuzuschreiben ist.

Und, ach komm, aus gepflegter Pedanterie, auf die du nichts weiter geben musst, merke ich noch an, dass ich (wie @bernadette, wenn ich für sie sprechen darf) nicht bemängelt habe, dass du
-- "Metaphern, Neologismen, Intellektualismen, Anspielungen o.ä."
- gebrauchest, sondern nur, dass ich - oder wir - das "an" vom Satzteil "an die Mitteilung" im Schwung des Lesens nicht mehr auf die Erinnerung (also: erinnert sich an) bezogen kriegen, sondern anhalten und neu ansetzen müssen.
Es gibt unterschiedliche Leseempfindungen und diese mag einer Minderheit zugehören. Du bekommst sie allerdings nicht ausgeräumt, indem du mir nachweist, dass ich gar nicht gestolpert sein könne, weil doch ... usw.
Am Vertrauen, dass ich für eine Minderheit spreche, kannst du natürlich auch ohne mich zu überzeugen festhalten, und das genügt im Zweifelsfall, um den Text unverändert stehen zu lassen, denn wie wir wissen, überzeugt man eh nie alle.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Isegrims

Es gibt unterschiedliche Leseempfindungen und diese mag einer Minderheit zugehören.
Ich würde mich gerade direkt hierzu noch über Eindrücke anderer Leser freuen.
Ich habe den Satz dreimal lesen müssen, bis ich den Bezug kapiert habe. Ich glaube dir, dass du den Satz so vorlesen kannst, dass man ihn auf Anhieb versteht. Aber als Autor hast du ein Wissen, das dem Leser fehlt. Ein Text ist ja zunächst (oder auch) ein schriftliches Produkt. Wenn ich hier einen Text ohne Satzzeichen einstelle und dann schreibe, kein Problem, weil: Wenn ich ihn laut lese, mache ich an den richtigen Stellen eine Pause?

Vielleicht, wenn du das Erinnern doppelst? Dann bleibt der Rhythmus plus minus erhalten:

Wirklichkeit schlägt Emma entgegen, sie erinnert sich an Max, der ihr mit geilem Grinsen sagte, dass er sie nicht mehr treffen könne, es wäre zu kompliziert, auch wegen ihrer Schichtdienste, dabei hatte sie ihn gesehen, Hand in Hand mit einem Püppchen, erinnert sich an die Mitteilung des Regierungspräsidiums, dass sie erst im nächsten Jahr ein Studium an der Akademie beginnen, in den höheren Dienst aufsteigen könne.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Mit dem Text habe ich mich längere Zeit nicht mehr beschäftigt. Durch eure Kommentare kommt wieder Bewegung rein. Vielen Dank für die Anstöße (könnte man auch Arschtritte nennen :D ), jetzt bin ich wieder mittendrin.

Sie rennt durch Straßenschluchten. Der Himmel wirkt, als klebten die Häuserfluchten an ihm fest.
Diese Passage zitiere ich, weil ich sie aufgrund der Vorleseerfahrung verändert habe. Ursprünglich folgte nach Straßenschluchten der Folgesatz, der mit Häuserfluchten begann. Was ziemlich unrhythmisch klingt.

Wirklichkeit schlägt Emma entgegen, Erinnerungen lösen sich aus dem Nebel. An Max, der ihr mit geilem Grinsen sagte, dass er sie nicht mehr treffen könne. Es wäre zu kompliziert, auch wegen ihrer Schichtdienste. Dabei hatte sie ihn gesehen, Hand in Hand mit einem Püppchen. An die Mitteilung des Regierungspräsidiums, dass sie erst im nächsten Jahr ein Studium an der Akademie beginnen, in den höheren Dienst aufsteigen könne.
Hier die Überarbeitung unter Berücksichtigung eurer Anmerkungen.

ich verstehe nicht, dass du hier einen Text, der an anderer Stelle lektoriert worden ist, in alter Fassung stehen lässt. :confused:
gerade die von obige Passage wurde genau so gedruckt. Die Lektorin hat sich mehr auf einzelne Neologismen gestürzt. Die Wortkrieger-Fassung ist aktuell.

Da hat sich schon jemand die Arbeit gemacht, ihn zu verbessern und hier stürzen sich dann nochmal Leute drauf, die das nicht wissen und ihn evtl. nochmal korrigieren?
Gibt's denn perfekte Texte?

Aber ich unterstreiche das auch nochmal gerne, dass Vorlesen was ganz anderes ist als selbst lesen, auch wenn es laut ist. Auch laut gelesen hätte ich diesen Absatz nie und nimmer beim ersten Lesen verstanden.
mm, mag sein, auch deshalb habe ich die Passage geändert, ging mir, wie oben erwähnt, um Musikalität.

Kurz und gut; Sprachlich kann ich nichts sagen aber deine Geschichte hat mir gefallen ( das Konzept) und deine Figuren ( besonders Jamal).
Viel Erfolg ;)
dankeschön für deinen Kommentar, freut mich sehr :Pfeif: Gerade bei Texten, die einen gesellschaftlichen Hintergrund haben besteht das Risiko mMn darin, dass Idee und Figuren zusammenpassen müssen.

Die Empfehlung, eine Stelle laut zu lesen, finde ich allerdings generell etwas zwiespältig. Beim Vorlesen habe ich natürlich die Möglichkeit, durch entsprechende Betonung ein Stück weit zu lenken, so dass ich die gewünschte Richtung unterstütze.
stimmt, hat mich überzeugt.

sondern nur, dass ich - oder wir - das "an" vom Satzteil "an die Mitteilung" im Schwung des Lesens nicht mehr auf die Erinnerung (also: erinnert sich an) bezogen kriegen, sondern anhalten und neu ansetzen müssen.
Ich habe die Satzperioden getrennt und hoffe, glaube die Passage lässt sich jetzt besser antizipieren.

Ich habe den Satz dreimal lesen müssen, bis ich den Bezug kapiert habe. Ich glaube dir, dass du den Satz so vorlesen kannst, dass man ihn auf Anhieb versteht. Aber als Autor hast du ein Wissen, das dem Leser fehlt. Ein Text ist ja zunächst (oder auch) ein schriftliches Produkt.
Wichtiger Punkt. Gebe ich dir recht. Die sprachliche Gestaltung darf sich am Leser ausrichten. Dennoch: Leser sind meist klüger als Autoren.

Vielleicht, wenn du das Erinnern doppelst? Dann bleibt der Rhythmus plus minus erhalten:
so ähnlich habe ich es gelöst. Beim Vorlesen muss man ja auch Luft holen.

Also noch mal: vielen, vielen Dank, hat dem Text gutgetan!
viele Jetzt-trink-ich-nen-rassigen-Riesling-Grüße
Isegrims

 

Ich habe mal zwei Texte hier eingestellt, die das Thema Rassismus behandeln.

 
Zuletzt bearbeitet:

Mahlzeit @Isegrims,

wie ich sehe, gibt es den Text schon länger. Jetzt ist er die #1 im neuen Projekt. Und gleich kommt man über diesen Text zu Kernelementen: Unkenntnis + Angst. Beide bedingen einander.

Unkenntnis und Angst sind auf beiden Seiten vorhanden. Das von Isegrims beschriebene Ausgangsszenario ist noch dazu hochkomplex. Hier in Rheinland-Pfalz hat man - wo möglich - die 2015 gekommenen Menschen auf die Dörfer/Städte verteilt. In BaWü vornehmlich in schnell organisierte Aufnahmelager (alte BW-Kasernen, Containerbehausungen, alte Liegenschaften des Bundes). Ich kenne beide, und die Verteilung auf den Dörfern hat wesentlich mehr Vorteile.

Als Namen fallen Jamal und Malik. Malik ist ein typischer Name des Maghreb (vornehmlich Marokko, kann auch Ägypten sein). Jamal kann aus Syrien sein. Das Arabische des Maghreb ist vornehmlich das Hocharabisch, im Nahen Osten herrschen viele unterschiedliche Dialekte des Arabischen. Iraker sprechen ein hartes, arabische Syrer ein weicheres Arabisch. Kurdische Syrer versuchen Arabisch zu vermeiden. Palästinensische Syrer sind näher am jordanischen Arabisch, wobei Palästinenser in Syrien Menschen 2. Klasse waren (sind) und Kurden Menschen 3. Klasse. Der originale Syrer hat im Ausweis ein N vor der Nummer, der Palästinenser ein P. Syrische Palästinenser werden in Deutschland mit der internationalen Staatennummerierung "997" gekennzeichnet, was "staatenlos" bedeutet. Staatenlos heißt, sie können D gar nicht mehr verlassen, weil es kein Zielland für die Abschiebung gibt. Kurden wurde in den kurdischen Siedlungsgebieten im Norden maximal die ersten 6 Schulklassen erlaubt (die Grundschule in Syrien hat 6 Klassen). Kurden in der weltoffensten Stadt, Aleppo, konnten Bakkalaureat machen (Abitur nach 12 Klassen), auch studieren, aber beruflich wurde es wieder eng. Viele sind ins Ausland. Aleppo war eine Multikultistadt. Und zwar friedlich. Armenier, Aramäer, arabische Christen, arabische Juden, Moslems, Jesiden ... zwar gab es die jeweiligen Stadtviertel (wie etwa in New York), aber das Zusammenleben war ausbalanciert. Der Kleber war durchaus die Gegnerschaft zum herrschenden Haus der Assads (aus der Minderheit der Alewiten), die aber - wie im Nachbarland Irak - mit der Bath-Partei die absolute Autorität besaßen.

Der Krieg hat alle diese zusammenlebenden Elemente in hunderte Splitter gerissen, durcheinander geworfen und heute bekämpfen sich unzählige dieser Splittergruppen, es sei denn, es geht mit einem Zweckbündnis gegen Assad, die Russen oder die Türken.

Das Bild all der Menschen, die gekommen sind, dass sie von Deutschland haben, ist ein antiquiertes und völlig verfälschtes. Verfälscht zum einen durch ein rudimentäres und mit gedrechselten Fakten hingebogenes Bild über ein Land, dass es so nie gab. Dass aber auf jeden Fall einen Hitler hatte, der die bösen Juden bekämpfte, die sich 1967 den Golan von Syrien holten. Syrer, die aus beruflichen oder studentischen Gründen ins Ausland gingen, besaßen ein weitaus differenzierteres Bild.

Das Leben in Syrien entschied sich fundamental von unserem Leben. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Post wurde für den Stadtteil beim Krämer um die Ecke abgegeben, der rief die Person an, die durchaus sagte: Mach mal auf und guck, was drin steht. War es wichtig, hieß es: Ok, ich komme die nächsten Tage. Der Staat war in keinster Weise fürsorglich zum Gros der Bevölkerung, es sei denn, man gehörte zur oberen Klasse. Selbstorganisation war ein Grundpfeiler. Man baute ein Haus mit Flachdach. Die Kinder bauten einen Stock drauf, die Enkel dann wieder ein Stockwerk drauf. Oben stand immer der Wasserbehälter für alle. Deswegen sieht man dort so viele Häuser mit Flachdächern.

Ein zweites Problem waren die Dinge, die man über Deutschland erfuhr. Das Land, wo Milch und Honig fließen, alles klappt, jeder verdient ordentlich, alle fahren Mercedes. Als sie dann hier auf die Realität trafen, auf das Asylgesetz, das Aufenthaltsgesetz, das SGB II, die Anerkennung von Zeugnissen oder auch nicht, die komplexe Sprache usw. usf. zerfielen viele Träume und auch Hoffnungen. Es war eben alles nicht nur nicht einfach, sondern der Weg wurde auch durch Behörden wesentlich länger. Bis zu dem Punkt, dass man deutlich die Steine im Weg sehen konnte.

Auf der anderen Seite gab es eine Menge Menschen, die helfen wollten oder auch halfen, die der irrigen Annahme waren, Syrien sei ja grad um die Ecke, sowohl kulturell als auch informationstechnisch. Ein bisschen lernen, schon klappt das. Fehlanzeige. Das führte dazu, dass sich viele zurückzogen. Was wiederum Gerüchte produzierte, Fehlannahmen, Ungeduld, totale falsche Einschätzung der Lage (vor allem in Schulen bei der Aufnahme von Jugendlichen ohne Eltern).

Das Kennenlernen von Kultur erfordert geduldiges Interesse und ganz langes Zuhören und Akzeptieren. Vor dem Verstehen kommt das Akzeptieren. Und das war auf beiden Seiten nötig.

Nach sechs Jahren mit geflüchteten Menschen, Dutzenden täglich, kann ich, schätze ich mal, ein Buch drüber schreiben.

@Isegrims Geschichte ist ein Beispiel für Fremdenfeindlichkeit in extremer Ausformung. Aber vor allem der Angst und Unkenntnis auf beiden Seiten.

Grüße
Morphin

 

Hi @Morphin

deinen erfahrungs- und wiesenbasierten Kommentar habe ich mit großem Interesse gelesen, hat er doch noch einmal deutlich gemacht, wie unterschiedlich die Welten sind, die aufeinandertreffen, wenn ein Geflüchteter aus Syrien nach Deutschland kommt, dass der Quell von Rassismus in ebenjenem Unverständnis liegt, das auch bei gutem Willen nicht immer überwunden werden kann.

wie ich sehe, gibt es den Text schon länger. Jetzt ist er die #1 im neuen Projekt.
gutes Gefühl eigentlich, zumal der Text in einer Anthologie veröffentlicht wurde.
Das von Isegrims beschriebene Ausgangsszenario ist noch dazu hochkomplex.
ein Szenario, das ich mir nicht ausgedacht habe. sondern so bzw. so ähnlich 2018 geschehen ist. So bin ich zu dem Stoff gelangt.
Der originale Syrer hat im Ausweis ein N vor der Nummer, der Palästinenser ein P. Syrische Palästinenser werden in Deutschland mit der internationalen Staatennummerierung "997" gekennzeichnet, was "staatenlos" bedeutet.
wusste ich absolut nicht, interessantes Detail
Das Leben in Syrien entschied sich fundamental von unserem Leben. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Post wurde für den Stadtteil beim Krämer um die Ecke abgegeben, der rief die Person an, die durchaus sagte: Mach mal auf und guck, was drin steht. War es wichtig, hieß es: Ok, ich komme die nächsten Tage.
mm, bist du dir sicher, dass du von 2021 sprichst?
Das Kennenlernen von Kultur erfordert geduldiges Interesse und ganz langes Zuhören und Akzeptieren. Vor dem Verstehen kommt das Akzeptieren. Und das war auf beiden Seiten nötig.
nennen wir es ruhig auch Toleranz und Respekt
@Isegrims Geschichte ist ein Beispiel für Fremdenfeindlichkeit in extremer Ausformung. Aber vor allem der Angst und Unkenntnis auf beiden Seiten.
Angst entsteht aus Unkenntnis, ja.

viele Grüße aus dem Toleranzrahmen der Seuchenmaßnahmen
Isegrims

 

mm, bist du dir sicher, dass du von 2021 sprichst?
Das sind die Erzählungen aus 2015 - 2017, als ich neugierig fragend von einem Syrer zum nächsten bin, um alles zu erfahren über Land, Gesellschaft, Menschen, Bildungssystem, Gesundheitssystem, ich hab einfach allen Löcher in den Bauch gefragt. Und natürlich auch selbst alles von hier erzählt. Wobei das auch für Eritrea, Somalia, Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan gilt und galt. Einfach zuhören. Und mich der Sprache annähern. Eine anstrengende und schöne Zeit.

 

Hallo @Isegrims

Dein Text hat mich sehr beeindruckend. Er rüttelt auf, verursacht Gänsehaut! Ich mag den Perspektivwechsel, wie du die zwei Seiten beschreibst. Die Story geht in die Tiefe. Ich fiebere mit, kann kaum glauben, was da passiert. Und dann hast Du an vielen Stellen wieder Deine eigene Poesie drin, find ich so schön! Fällt mir immer wieder positiv bei Deinen Geschichten auf.

Hier meine Leseeindrücke:

Emma öffnet das Fenster, vollständig angezogen, bereit loszuziehen. Sie bemerkt einen Tautropfen auf den Blättern des Rhododendrons vor dem Haus, der zu Boden fällt. Eine Krähe fliegt auf das Dach des Nachbarhauses, Amseln zwitschern. Sie schnallt das Halfter um, prüft den Verschluss, steigt in die Stiefel, zieht den Gürtel fest und geht los.

Ich finde das klasse wie du Emma einführst. Ihre Träume, dann plötzlich die Rückkehr in die Realtität. Ihr handeln, wie sie sich fertigmacht und dann zwischendrin die Poesie. Wunderschön!

Jamals Kopf brennt. Er kann die Dämonen nicht verscheuchen, findet keinen Schlaf, weil er an Tamina denkt, sich ihre Zimtstimme, die Sternenaugen, die Seidenhaut vorstellt.

So schön ausgedrückt!

Jamal nennt sie Nachtwölfe, Nebelschakale. Sie kriechen aus ihren Verstecken,

Und auch das finde ich super formuliert.

wütend, aufgebracht klingen, Sprüche an die Mauer schreiben, englisch, damit jeder die Botschaft versteht: Go home where you belong, Germans first, und so weiter.

Da kann man den Hass so deutlich spüren. Krass! Das weckt sofort mein Mitgefühl. Jamal tut mir leid. Er vermisst seine Liebste, macht sich Sorgen und dann muss er sich auch noch mit dieser Fremdenfeindlichkeit rumschlagen.

„Es reicht, so geht es nicht weiter. Ich ruf die Leute zusammen. Dann gehen wir raus und reden mit den Arschlöchern“, sagt Malik und stellt sich breitbeinig vor den Heimleiter.
„Reden?“, sagt Werner, sitzt am Tisch und schaut zur Deckenlampe, wo eine Motte sich nach Licht sehnt und gegen das Glas schlägt.
„Ja.“
Werner fixiert Malik: „Das gibt bloß Ärger. Ich ruf die Polizei, Malik!“
„Lass mal, wir können das alleine regeln“, sagt Malik.
Jamal lehnt am Türrahmen und sagt: „Malik hat Recht, das geht so nicht weiter mit den Nachtwölfen da draußen.“ Die beiden wenden sich ihm zu.
„Schluss jetzt, Leute, ich ruf die Polizei, kapiert. So regeln wir das in Deutschland, gewöhnt euch besser schnell dran!“ Du kapierst echt gar nichts. Sich anspucken lassen und schweigen, das sind eure Regeln“, flüstert Jamal, wendet sich ab und geht weg.

In dem Abschnitt hast Du häufig das Verb gehen verwendet. Das ist mir aufgefallen.

Generell kann ich das Dilemma total nachvollziehen. Die Jungs fühlen sich (berechtigterweise) angegriffen, wollen selbst handeln. Der Heimleiter verweist auf die Polizei.

Jamals Schritte quietschen auf dem Linoleumboden des Flurs, es gibt nichts mehr zu sagen.

Streichkandidat.
Von weitem sieht Jamal die alte Bäckersfrau, ihren gekrümmten Rücken, die Schneehaare, hinter der Theke.

Da bin ich irgendwie am Satzbau gestolpert.

Vorschlag: Von weitem sieht Jamal die alte Bäckersfrau hinter der Theke, ihren gekrümmten Rücken, die Schneehaare.

Jamal betritt den Laden, saugt den Duft der frisch gebackenen Brötchen auf. Die Wärme des Ofens dringt in seine Haut ein, er erinnert sich an zu Hause, wenn alle zusammensaßen, kauten, Krümel auf den Tisch fielen und das Haus mit Lachen und Geplapper fütterten.

Wunderschöne Szene!

„Kann ich bitte Brötchen kaufen?“ Jamals Stimme vibriert. Die alte Frau wendet den Kopf:„Wir haben geschlossen!“, ruft sie ihm entgegen, dreht sich weg und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Kann ich Brötchen kaufen, bitte?“, sagt Jamal. Er zeigt auf die Auslage.
„Bitte verlassen Sie die Bäckerei!“, sagt sie.

Uff. Die Szene hat mich echt aufgewühlt. Krass, was da abgeht. Er möchte nur Brötchen kaufen, freut sich richtig darauf und wird dann derart abgekanzelt. Das tut richtig weh beim Lesen. Hab mitgefühlt!

Die alte Frau fährt sich durch die Haare, wendet den Kopf Richtung Backstube: „Hermann, kannst du bitte kommen?“, sagt sie mit Katzenstimme.

Hab nicht verstanden, was Du mit Katzenstimme meinst. Passt für mich irgendwie nicht.

Jamal steht da, raubtiersprungbereit, hört Schritte aus dem Nebenraum.

Streichkandidat.

„Raus habe ich gesagt, verstanden? Vor Ladenöffnung gibt’s keine Brötchen. Wo kommen wir da hin?“
Jamal zögert, tritt von einem Bein auf das andere, die Gesichtsmuskeln zucken. Die Tür erzittert, als er sie zuschlägt.

Und auch hier fühle ich mit.

Durch die Ritzen riecht er den Goldbrötchenduft, vor seinen Augen liegt bereit, was er begehrt. Drei Brötchen will er, mehr nicht. Der metallene Knauf gibt nicht nach, das Glas zittert, als er an der Tür rüttelt. Also schlägt er mit dem Pflasterstein gegen die Fläche. Ein Splitterteppich entsteht, zerbrochene Glasstückchen, die aneinander kleben bleiben, den Blick nach innen verwehren. Jamal schlägt weiter und weiter, ohne Ergebnis, rennt zum Bänkchen zurück, um sich mit mehr Steinen zu bewaffnen, bombardiert den Laden. Weitere Bruchflächen entstehen. Er sammelt die Geschosse ein, wirft erneut. In den umliegenden Häusern werden Lichter angeknipst, Gesichter zeigen sich an den Fenstern. Jamal läuft auf und ab, kann nicht stehen bleiben, wie ein Vulkan, auf dem sich eine Erdspalte öffnet, damit das Magma entweichen kann. Er hebt die Arme zum Himmel, fühlt sich befreit, stark, als hätte er lange auf diesen Moment gewartet.

Und auch diese Stelle ist sehr aufwühlend. Ich kann seine Wut verstehen. Kein Wunder, dass er explodiert. Und dennoch ist natürlich die Reaktion mega drüber. Und während dem Lesen hab ich mich über die Bäckersleute aufgeregt, die die Reaktion provozieren. Einfach krass!

Der Morgen trägt ein Nebelkleid.

Gefällt mir mega der Ausdruck.

Jamal reagiert nicht. Emma richtet die Waffe auf ihn, umklammert sie fester, weiß, dass sie handeln muss. Das Drehbuch sieht nichts anderes vor. Dennoch zögert sie, Sekunden verstreichen. Paul nimmt ihr die Entscheidung ab, indem er sich auf Jamal stürzen will, der aber sofort reagiert, die Waffe auf Paul richtet, den Finger am Abzug. Ein Schuss löst sich. Jamals Kugel schlägt in der Bäckerei ein. Der nächste Schuss trifft Jamal aus der Nähe, durchschlägt seine Brust, Blut quillt aus der Wunde. Er lässt die Pistole los und stürzt zu Boden. Wie ein Feuerball, der vom Himmel fällt.

Und es wird immer dramatischer, das Tempo steigert sich. Ich bin fassungslos. Schrecklich, dass die Polizei nicht schlichten konnte, mit den Bäckersleuten sprechen, dafür sorgen, dass Jamal seine Brötchen bekommt.
Emma kann gar nicht anders, als abdrücken. Heftig!

Sie senkt den Lauf der Waffe, spürt die Hitze, die von ihr ausgeht, zittert, schafft es gerade noch, sie wegzustecken, bevor sie sich an ihr verbrennt. Blut- und Stahlgeruch steigen empor, darüber hat sich Brötchenduft festgesetzt.

Beeindruckender Schluss!

Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße und ein wundervolles Wochenende,
Silvita

 

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