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Karma
Karma (von Elisha, überarbeitete Version )
Samstag Abend, zwanzig Uhr zwei. Ich stehe an der Kasse bei Plus, warte.
Eigentlich wollte ich jetzt schon bei Carolin sein.
„Kommen Sie jetzt zur Kasse?“, ruft eine Verkäuferin die letzten Kunden auf. Obwohl als Frage formuliert, hallt die Aufforderung durch den Laden. Laut. Ungeduldig. Mit genervtem Unterton.
Schon vorher hat sie ihren Missmut kaum unterdrückt. Oder war es Wut? Sie hatte das Obst schon vor einer Viertelstunde auf eine Palette gestellt, zum Abtransport für das Wochenende bereit. Eine ältere Frau mit Kopftuch hatte sich noch was davon nehmen wollen, und während sie nach einer Packung Weintrauben griff, hatte die Verkäuferin die Palette weggezogen, mit verbissenem Mund und eiligen Schritten.
„Die Stimmung wird Samstags immer schlimmer“, denke ich, während die Angestellte hinter den widerspenstigen Kunden herläuft, die sich nicht gleich auf den Weg zur Kasse machen. „Nein, wir haben Feierabend!“ , schreit sie, „wir wollen auch nach Hause.“
Meine Freundin Carolin hat mir erzählt, dass sie schon einmal einem Mann das Müesli vom Band genommen hat, mit der Weigerung, es von der Kollegin kassieren zu lassen.“ Das gibt es nicht!“, hat sie laut Carolin gekeift, und ich frage mich, ob diese Treibjagd durch den Laden ihr auch irgendein Vergnügen einbringt. Oder wenigstens Befriedigung. Eine Art Sieg.
„ Wir wollen auch nach Hause!“, unterstützt ihre Kollegin sie. „Alle haben Wochenende, und wir?“ Sie sucht anscheinend flüchtig nach verständnisvollen Blicken, findet aber nur abweisende Gesichter. „Wer weiß, wann wir rauskommen?“, setzt sie noch hinzu, „ und dafür werden wir nicht bezahlt!“
Ich habe ja Verständnis für diese Frauen, habe auch schon in Läden gejobbt. Viel Geld kriegt man da nicht, dafür ist es in den Haupteinkaufszeiten wirklich stressig. Und den Kunden fühlt man sich ausgeliefert...
„Immer dasselbe“, murmelt sie weiter, „bis zum letzten Augenblick im Laden!“
Ich fühle mich unwohl. Haben die Leute nicht das Recht, bis zwanzig Uhr einzukaufen, wenn das die Öffnungszeit ist? Und macht es irgendeinen Unterschied, ob sie nun in der Schlange stehen oder noch ein vergessenes Teil herbeiholen?
Die andere hat die „Streuner“ jetzt zur Kasse gescheucht.
Hinter mir höre ich einen Mann stöhnen. „Das war das letzte Mal. Demnächst geh ich in Altenbochum einkaufen; da sind sie netter.“
Bei meinem letzten Job habe ich mit dem Filialleiter diskutiert, weil das Klima immer schlimmer wurde, die Feindseligkeit den Kunden gegenüber, aber auch untereinander immer mehr zunahm. Doch ich war vorsichtig, wollte nicht als die Klugscheißerin von der Uni verschrien sein. Aber warum sieht keiner die Folgen, die ich mit zwei Semestern BWL doch schon ahne: die Abwanderung von Kunden, die stressbedingten Ausfälle des Personals, die noch mehr Belastung und dadurch noch weitere Ausfälle mit sich führen werden; den Rauswurf von Mitarbeiterinnen, und dadurch den Zwang, neue Kräfte einzustellen und anzulernen, das zu noch mehr Stress führt...
Dabei könnte man ja für diese undankbaren Zeiten andere Leute einstellen. Ich fand es toll, am Samstag zu arbeiten, weil ich ja in der Woche zu meinen Seminaren und Vorlesungen musste.
Während die Leute vor mir allmählich weniger werden, gibt es an der Nachbarkasse ein Drama: Ein dunkelhäutiger Mann steht ratlos neben dem Band, in der Hand eine bis an den Rand gefüllte Plastiktüte, die ihm von einer Kassiererin weggerissen wird. „Die Karte ist gesperrt“, sagt sie noch einmal. Und zu ihrer Kollegin gewandt: „Es sind doch immer dieselben...“
„Aber ich habe das doch nicht gewusst“, stammelt der Mann. „Können Sie nicht noch einmal versuchen?“
„Wir wollen auch nach Hause“, kommt der Standardspruch.
„Dann kann ich nur die Hälfte...ich habe nur drei Euro...“
„Die Hälfte geht nicht“, ist die Antwort. „Hier, Elfi, kannst alles wieder einräumen.“
In Elfis Gesicht kann man unverhohlene Wut, vielleicht sogar Hass erkennen.
„Wieviel fehlt denn?“, frage ich.
Keiner antwortet.
„Wieviel fehlt denn?“, setze ich noch einmal an.
„Ich habe zwei Euro neunzig“, sagt der Mann mit dem Inhalt seines Portmonees in der Hand.
„Es sind aber sieben Euro siebzig“, stöhnt die Kassiererin.
„Okay, ich zahle den Rest.“, sage ich und reiche ihr einen Zehner.
„Dann muss ich alles wieder durchziehen...na gut!“
Gesagt, getan. Der Mann reicht mir sein Geld, ich begleiche seine Rechnung und die an meiner Kasse. Ich packe ein und gehe, begleitet von dem Gezeter der Verkäuferinnen.
Draußen bin ich verärgert. Es ist nicht das erste Mal, dass ich jemandem geholfen habe. Ich tu das eigentlich ganz gern, es gibt mir ein Gefühl von Anständigkeit. Jeden Tag ´ne gute Tat!
Aber diesmal frage ich mich, wozu ich das gemacht habe. Ich fühle mich nicht gut. Ich wollte doch helfen: dem armen Mann, der jetzt seinen Wochenendeinkauf behalten kann. Den Verkäuferinnen, die nicht alle Teile wieder in die Regale packen müssen. Stattdessen habe ich ihren Ärger abgekriegt. Und der Mann hat sich noch nicht einmal bedankt...Nicht, dass ich ein Gesicht brauche wie bei Kindern zu Weihnachten! Aber „nett“ könnte es doch jemand finden...
Ich schmolle und beginne, mir selbst Vorwürfe zu machen. Fast fünf Euro, spinn ich denn? Ich als arme Studentin, die dauernd unter dem Druck für den Bafög-Anspruch studiert, nur bloß alles rechtzeitig zu schaffen? Und jetzt, mit dem Wechsel der Landesregierung, drohen auch noch Studiengebühren!
Fast fünf Euro, das sind fast zehn Mark! Einem Fremden! Der nicht einmal „danke“ sagt!
Während ich mich selbst ausschimpfe, fällt mir wieder ein, wieso ich mich so großzügig gefühlt habe. Der Herd von meinen Eltern! Ich habe ihn bei Ebay verkauft und richtig Geld dafür gekriegt! Deshalb habe ich mich mal reich gefühlt, für kurze Zeit...
Als ich die Klingel bei Carolins Wohnung drücke, bin ich wieder einigermaßen versöhnt. Und ihre Umarmung tut ein übriges.
„Gut, dass du da bist! Dann können wir ja anfangen zu kochen.“, sagt sie aufgeregt. „Beinahe wäre das nichts geworden, weil Plus die Lebensmittel dabehalten wollte. Mory ist noch ganz fertig. Komm, ich stelle dir mal meinen neuen Freund vor ...“
geändert am 21.08.05, 15.56h
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Achtung, nur zum Vergleich: das ist die erste Version:
Karma (von Elisha)
Samstag Abend, zwanzig Uhr zwei. Ich stehe an der Kasse bei Plus, warte.
Eigentlich wollte ich jetzt schon bei Carolin sein.
„Kommen Sie jetzt zur Kasse?“, ruft eine Verkäuferin die letzten Kunden auf. Obwohl als Frage formuliert, hallt die Aufforderung durch den Laden. Laut. Ungeduldig. Mit genervtem Unterton.
Schon vorher hat sie ihren Missmut kaum unterdrückt. Oder war es Wut? Sie hatte das Obst schon vor einer Viertelstunde auf eine Palette gestellt, zum Abtransport für das Wochenende bereit. Eine ältere Frau mit Kopftuch hatte sich noch was davon nehmen wollen, und während sie nach einer Packung Weintrauben griff, hatte die Verkäuferin die Palette weggezogen, mit verbissenem Mund und eiligen Schritten.
„Die Stimmung wird Samstags immer schlimmer“, denke ich, während die Angestellte hinter den widerspenstigen Kunden herläuft, die sich nicht gleich auf den Weg zur Kasse machen. „Nein, wir haben Feierabend!“ , schreit sie, „wir wollen auch nach Hause.“
Meine Freundin Carolin hat mir erzählt, dass sie schon einmal einem Mann das Müesli vom Band genommen hat, mit der Weigerung, es von der Kollegin kassieren zu lassen.“ Das gibt es nicht!“, hat sie laut Carolin gekeift, und ich frage mich, ob diese Treibjagd durch den Laden ihr auch irgendein Vergnügen einbringt. Oder wenigstens Befriedigung. Eine Art Sieg.
Ich habe ja Verständnis für diese Frauen: mies bezahlt, mit stressigem Job, ausgeliefert diesen Menschen, die bis zum letzten Augenblick im Laden bleiben. Und doch: Haben diese nicht das Recht, bis zwanzig Uhr einzukaufen, wenn das die Öffnungszeit ist? Und macht es irgendeinen Unterschied, ob sie nun in der Schlange stehen oder noch ein vergessenes Teil herbeiholen?
Warum wehren sie sich nicht gegen ihren Chef, der von ihnen verlangt, die Abrechnung und Aufräumarbeiten nach Geschäftsschluss zu machen, unbezahlt, für eine unbestimmte Dauer, so dass sie nie wissen, wann das Wochenende für sie anfangen wird. Warum machen sie das mit? Warum lässt der Filialleiter das zu, dazu beitragend, dass das Klima immer schlimmer wird, die Feindseligkeit den Kunden gegenüber, aber auch untereinander immer mehr zunimmt?
Und warum sieht keiner die Folgen, die ich mit zwei Semestern BWL doch schon ahne: die Abwanderung von Kunden, die in dieser Atmosphäre nicht mehr einkaufen wollen; die stressbedingten Ausfälle des Personals, die noch mehr Belastung und dadurch noch weitere Ausfälle mit sich führen werden; den Rauswurf von Mitarbeiterinnen, und dadurch den Zwang, neue Kräfte einzustellen und anzulernen, das zu noch mehr Stress führt...
Dabei könnte man ja für diese undankbaren Zeiten andere Leute einstellen. Schließlich gibt es doch genügend Arbeitslose oder andere, die dann arbeiten wollen. Ich zum Beispiel fände am Samstag arbeiten gut, wenn kein Seminar und keine Vorlesung verpasst werden kann...
Während die Leute vor mir allmählich weniger werden, gibt es an der Nachbarkasse ein Drama: Ein dunkelhäutiger Mann steht ratlos neben dem Band, in der Hand eine bis an den Rand gefüllte Plastiktüte, die ihm von einer Kassiererin weggerissen wird. „Die Karte ist gesperrt“, sagt sie noch einmal. Und zu ihrer Kollegin gewandt: „Es sind doch immer dieselben...“
„Aber ich habe das doch nicht gewusst“, stammelt der Mann. „Können Sie nicht noch einmal versuchen?“
„Wir wollen auch nach Hause“, kommt der Standardspruch.
„Dann kann ich nur die Hälfte...ich habe nur drei Euro...“
„Die Hälfte geht nicht“, ist die Antwort. „Hier, Elfi, kannst alles wieder einräumen.“
In Elfis Gesicht kann man unverhohlene Wut, vielleicht sogar Hass erkennen.
„Wieviel fehlt denn?“, frage ich.
Keiner antwortet.
„Wieviel fehlt denn?“, setze ich noch einmal an.
„Ich habe zwei Euro neunzig“, sagt der Mann mit dem Inhalt seines Portmonees in der Hand.
„Es sind aber sieben Euro siebzig“, stöhnt die Kassiererin.
„Okay, ich zahle den Rest.“, sage ich und reiche ihr einen Zehner.
„Dann muss ich alles wieder durchziehen...na gut!“
Gesagt, getan. Der Mann reicht mir sein Geld, ich begleiche seine Rechnung und die an meiner Kasse. Ich packe ein und gehe, begleitet von dem Gezeter der Verkäuferinnen.
Draußen bin ich verärgert. Es ist nicht das erste Mal, dass ich jemandem geholfen habe. Ich tu das eigentlich ganz gern, es gibt mir ein Gefühl von Anständigkeit. Jeden Tag ´ne gute Tat!
Aber diesmal frage ich mich, wozu ich das gemacht habe. Ich fühle mich nicht gut. Ich wollte doch helfen: dem armen Mann, der jetzt seinen Wochenendeinkauf behalten kann. Den Verkäuferinnen, die nicht alle Teile wieder in die Regale packen müssen. Stattdessen habe ich ihren Ärger abgekriegt. Und der Mann hat sich noch nicht einmal bedankt...
Und fast fünf Euro, spinn ich denn? Ich als arme Studentin, die dauernd unter dem Druck studiert, nur bloß alles rechtzeitig zu schaffen, damit mein Bafög-Anspruch bestehen bleibt? Und jetzt, mit dem Wechsel der Landesregierung, drohen auch noch Studiengebühren!
Fast fünf Euro, das sind fast zehn Mark! Einem Fremden! Der nicht einmal „danke“ sagt!
Während ich mich selbst ausschimpfe, kommt mir wieder der Herd in den Sinn, den ich bei Ebay verkauft habe. Weil meine Eltern sich einen neuen zugelegt haben und ich ihren übernehme, hatte ich ihn reingestellt. Und richtig Geld dafür gekriegt! Deshalb habe ich mich mal reich gefühlt, für kurze Zeit...
Als ich die Klingel bei Carolins Wohnung drücke, bin ich wieder einigermaßen versöhnt. Und ihre Umarmung tut ein übriges.
„Gut, dass du da bist! Dann können wir ja anfangen zu kochen.“, sagt sie aufgeregt. „Beinahe wäre das nichts geworden, weil Plus die Lebensmittel dabehalten wollte. Mory ist noch ganz fertig. Komm, ich stelle dir mal meinen neuen Freund vor ...“