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Katinka, Katinka

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15.03.2008
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Katinka, Katinka

Erinnerst du dich, Katinka, an den Sommerabend auf dem Darß? Wir schwammen in der immerkühlen Ostsee und lagen danach im warmen Sand, über unseren nackten Körpern war nur Himmel und Sonne. Stundenlang lauschten wir dem Meeresrauschen, zwischendurch lasen wir uns vor und vermischten unsere Worte mit dem Säuseln der Wellen.
Welches Buch?
Ich weiß es nicht mehr, vielleicht eine Geschichte von Himmel, Sonne und zwei Menschen, die sich gegenseitig Geschichten vorlesen.

Später gingen wir zu dem kleinen Hafen des Ortes, bummelten an der Promenade und sahen uns die Segelboote an. Waren sie nicht ebenso im Nirgendwo beheimatet wie wir, Katinka? Auch uns war jeder Hafen nur vorübergehende Station auf dem Weg zum nächsten Ufer, das seinen Zauber einbüßte, wenn wir es erreichten.
„So könnte es Zugvögeln oder Nomaden gehen“, überlegtest du.
Damals hatte die Landschaft ihre Eigenheiten verloren und war zu einer abstrakten Abfolge von Wiesen, Wäldern und Seen geworden. Menschen, die wir kennen lernten, waren nur noch Typen, die an Bekannte erinnerten und wir fragten immer seltener, was unter ihrer Maske lag. Nur wir waren von fester Substanz und wurden wirklicher, je mehr sich die Landschaft in Konturen verlor und die Menschen zu Masken wurden.

Wir gingen auf den Friedhof des Städtchens, die ungepflegten Gräber lagen um die trutzige Kirche herum. Vögel zwitscherten in den Bäumen, ein leichter Wind kam vom Meer und spielte mit deinem schwarzen Haar. Du hast versucht die Worte auf den Grabsteinen zu lesen, aber viele Buchstaben hatten sich schon der Zeit ergeben und so blieben die meisten Toten namenlos.
„Man sollte seinen Namen stets vor sich her sagen“, murmeltest du, „um die Welt von seiner Anwesenheit zu überzeugen.“
„Katinka, Katinka“, antwortete ich, „solange wir vergehen, leben wir.“ Es gelang mir nicht dich aufzumuntern, nie gelang es mir, dich zu trösten oder zu erheitern. Doch du hast die Absicht verstanden und gelten gelassen.

Nur dein schmales Lächeln quittierte dem Satz meinen Misserfolg.
„Still“, sagtest du und nahmst meine Hand in deine. Die war so warm und trocken wie deine Lippen. Du hast nach Himmel und Sonne geschmeckt, nach Kräutern und Wald.
Als wir zurück fuhren, zeigte sich die Natur in spätsommerlicher Pracht. Auf dem Darß zerteilte die Straße ein Meer von Rapsfeldern, deren leuchtendes Gelb vom Wind gewellt wurde. Im Landesinneren zogen schwer beladene Apfelbäume an uns vorbei, Raubvögel thronten auf Strommasten und hielten die Felder im Auge. Eine Familie kam im Abendlicht von einer Fahrradtour zurück. Festzeit des Hochsommers.
Nie waren wir einsamer.

Ich glaube, Katinka, dass mit diesem Tag unsere Liebe zu schwinden begann. Vielleicht lag es an der Geschichte, die wir uns vorgelesen haben, dass wir uns selbst wie Figuren in einer Geschichte vorkamen. Unsere Liebe wurde vieldeutig, es war auf einmal, als verbarg jeder Sinn einen Hintersinn. Mit der Eindeutigkeit verschwanden auch wir.
In langen milden Septembernächten zeichneten wir mit den Fingern die Formen unserer Körper nach. Ein Ritual, mit dem wir uns unserer Körperlichkeit versicherten.
Wir liebten uns hemmungslos wie nie und taten all die Sachen miteinander, die wir uns vorher nur in der Fantasie erlaubten. Möglicherweise lag es an der Geschichte, die wir uns vorgelesen haben, dass wir selbst zu Figuren in einer Geschichte wurden.
Manchmal, wenn wir über den nahenden Herbst sprachen, hellte sich dein Gesicht auf.
Du hofftest auf Abschied und Neubeginn. So war es die vorherigen Jahre gewesen, mit dem Herbst kam deine Melancholie, die sich bald in Traurigkeit verwandelte. Um zu entkommen, hatten wir uns Jahr um Jahr auf den Weg gemacht, irgendwo einen Neuanfang zu machen. Ich ahnte damals schon, Katinka, das nächste Ufer musstest du allein erreichen.

Noch vor dem dunklen Oktober kam der Brief der obersten Behörde. Ich soll mein Leben ändern, stand darin. Zu einem festgesetzten Zeitpunkt wurde mir befohlen an einem bestimmten Ort zu sein, wo ich ab dann bleiben musste.
Wir hatten mit diesem Brief gerechnet. Nie hatten wir darüber gesprochen, aber dass er kommen würde, das hatten wir tief empfunden und gewusst.
Die bevorstehende Trennung verjagte alle Schatten. Wir lebten in einen großartig verregneten Herbst hinein, kauften uns Gummistiefel und liefen durch Pfützen, ließen Drachen steigen und liebten uns mit herrlicher Verzweiflung.
Nie war unser Leben intensiver.

Seltsamerweise hörten wir bei all dem nicht auf, zu verschwinden. Es war, als verblassten wir wie Buchstaben in einem alten Roman.
Vielleicht las ihn niemand mehr, oder die Zeit entließ ihre Figuren in neue Schicksale.
In den Nächten berührten wir uns nicht mehr, sondern lauschten dem Blätterrauschen oder dem fallenden Regen. Einmal, als die Morgensonne durch das Fenster schien, schimmerte ein Baum durch dein Gesicht. Danach berührte ich dich nicht mehr, aus Angst, dass du nur noch ein Trugbild warst.

Am Vortag meines Aufbruchs packte ich das Wenige, das ich mitnehmen wollte und stellte es im Wohnzimmer auf.
Katinka, an diesem Abend warst du kaum noch zu sehen, dein Körper war durchscheinend wie Pergamentpapier.
„Dieser Abschied beinhaltet keinen gemeinsamen Neubeginn“, stelltest du fest.
Ich nickte, was hätte ich auch sagen sollen?

Am nächsten Morgen warst du verschwunden, ich suchte die ganze Wohnung nach dir ab, Katinka, doch du warst weg. Vielleicht hast du in der Nacht begriffen,
dass Menschen keine Figuren sind, und das Buch unserer Geschichte zugeschlagen, bevor es die oberste Behörde tun konnte. Ich glaube, das hast du.

 

Hallo Kubus,

Eine schöne, melancholische Geschichte hast Du hier geschaffen. Traurig, wie Liebesgeschichten eben sind, wenn sie zu Ende gehen. Sprachlich vermittelst Du Bilder, die einen die Stimmung miterleben lassen. Die Protagonisten bleiben ein Umriss, jung, verträumt und in ihrer eigenen Welt. Trotzdem kann man sich gut reinversetzen. Es geht mehr um Gefühle als um Handlung oder Charakterisierung. Aus der Distanz, der Erinnerung, betrachtet und doch nah.

Gern gelesen, nichts zu meckern.

Liebe Grüße

Elisabeth

 

Hallo Kubus!

Eine wunderbare Herbstgeschichte!

Was du gut hinbekommen hast, waren die Kontraste. Wenn du das Gefühl von Einsamkeit erzeugen möchtest, dann schreibst du, dass eine Familie von einer Fahrradtour heimkehrt, zum Beispiel.

Die Bilder treffen sehr gut, das Meer, der Friedhof, das Verblassen und auch das Vorlesen. Schön auch, wie du die Melancholie in die Sprache gepackt hast.

Von allem, was ich von dir bisher gelesen habe, fand ich das hier am schönsten.

Paar Anmerkungen:

Wir schwammen in der immerkühlen Ostsee und lagen danach im warmen Sand, über unseren nackten Körpern war nur Himmel und Sonne.

Zwei davon kann man getrost rausnehmen. Oder umschreiben. ("der Sand wärmte uns")

Später gingen wir zu dem kleinen Hafen des Ortes, bummelten an der Promenade entlang und sahen zu den Segelbooten hinüber.

Würde ich streichen.

Waren sie nicht ebenso im Nirgendwo beheimatet wie wir, Katinka?

Auch das kann raus, es kommt ja ein "wie wir" hinterher.

„So könnte es Zugvögeln oder Nomaden gehen“, überlegtest du.

Ich würde sie das sagen lassen. Überlegen klingt so nach ... woher weiß er das? Oder hat sie laut überlegt? Dann hat sie es schlicht gesagt.

Damals hatte die Landschaft ihre Eigenheiten verloren und war zu einer abstrakten Abfolge von Bergen, Tälern und Wäldern geworden.

Da frage ich mich, wo Berge an der Ostsee sind, und dann frage ich mich, was daran abstrakt sein soll. Das wäre eine Abfolge von Dreiecken, Flächen und anderen geometrischen Formen. Ein Berg ist aber durchaus konkret, nicht abstrakt.

Menschen, die wir kennenlernten, waren nur noch (Typen oder) streichen Figuren

je mehr sich die Landschaften in Konturen verloren und die Menschen zu Masken wurden.

"Landschaft in Konturen verlor", klingt besser, sonst pluralt das da zu arg.

die ungepflegten Gräber lagen um die trutzige Kirche verstreut.

Doch du hast die Absicht verstanden und gelten lassen.
es war auf einmal, als verbarg jeder Sinn einen Hintersinn.

Da würde ich mir ja einen Konjunktiv wünschen.

In langen(Komma) milden Septembernächten

Wir liebten uns hemmungslos wie nie und taten all die Sachen miteinander, die wir uns vorher nur in der Fantasie erlaubten.

Das wirkt fremd. "alle Sachen", ne. Und auch das "hemmungslos". Mir gefällt das nicht.

"Wir liebten uns und kannten keine Tabus."

Vielleicht so, aber nicht so banal wie deins.

verwandelte und um zu entkommen

"Und Um zU", das holpert. Vielleicht findest du was Hübscheres.

das nächste Ufer musstest du allein erreichen.

Auch hier würde ein Konjunktiv gut tun!

Ich soll mein Leben ändern, stand darin.

So auch hier.

ließen Drachen steigen
und liebten uns mit herrlicher Verzweifelung. Nie war unser Leben intensiver.

Da ist ein Absatz reingerutscht.

aus Angst, du wärest nur noch ein Trugbild.

gemeinsamen Neubeginn(Kein Komma)“, stelltest du fest.

Ja! Sehr fein. Ich habe ja die Vermutung, dass da in der Tiefe mehr steckt als eine Beziehung zweier Menschen, die sich trennen müssen. Das hat was mit dem Buch zu tun und ihrem Verblassen, dem Vorlesen und dem Herbst.

Wie auch immer, mir hats sehr gut gefallen.

Schönes Wochenende,

yours

 

Hallo Kubus,

hat mir gefallen, auch wenn manche Formulierungen irgendwie in dem sonst flüssigen Text klippenartig wirkten.

z. B.:

Auch uns war jeder Hafen nur vorübergehende Station auf dem Weg zum nächsten Ufer, das seinen Zauber einbüßte, wenn wir es erreichten.

oder

Nur dein schmales Lächeln quittierte dem Satz meinen Misserfolg.

Das sind Formulierungen, bei denen ich irgendwie ins Stolpern kam. Ist nur das Empfinden eines Lesers, dass diese Sätze irgendwie anders geschrieben besser in den sonstigen Lesefluss passen würden.

Ansonsten ist das eine feine, subtile und stimmungsvolle Lektüre.

Gern gelesen.

Rick

 

ja, Elisabeth, hier gings mir auch um die atmosphäre. ich befürchtete, dass es an manchen stellen nicht mehr so nachvollziehbar ist, aber zuviel erklärung wär der stimmungskiller gewesen. da das bisher niemand störte, war meine sorge wohl unbegründet. das freut den schreiber... übrigens erinnerte mich urubu an hundert jahre einsamkeit. so dicht und deswegen beim lesen fordernd, aber auch viel gebend. magischer realismus ist großartig, ja, oder allgemeiner: südamerikanische autoren... borges, bolano, vargas llosa, marquez, cortazar, manchmal allende… die haben nen zauber, den ich bei verkopfter europäischer prosa bisweilen vermisse...

hi yours, danke für deine anmerkungen. einiges ist in die geschichte eingeflossen...

1. ich versteh jetzt, was da zuviel wirkt, aber ich kann nix rausnehmen.
2. hm, wenn ich ersatzlos streiche, klingts nicht gut, ich habs umgestellt.
3. mag sein, ich irre. der sprachfluss wäre ohne „ebenso“ im eimer. Dein einwand ist natürlich richtig
4. manchmal hört man so nen tonfall, der nach überlegen klingt. Dann merkt man, der andre hat nicht vorher nachgedacht, sondern denkt während des sprechens. natürlich sagt der auch was, aber das sagt eben nicht so viel.
5. in den sonnenbergen gibt’s ne erhebung, die ist fast 150 meter hoch! :D hast recht, das ändere ich. weiß nicht mehr, wie ich auf berge kam.
6. hab ich übernommen, bzw. gestrichen.
7. ach, der konjunktiv. Der stand da mal. Ich hab mich in dieser geschichte gegen ihn entschieden, weil da nen längerer absatz komplett im konjunktiv stand und das so fremd wirkte. (ja, ich weiß. schwache begründung) ganz oder gar nicht.
8. und um zu -> Um zu.

freut mich sehr, dass dich der sound der geschichte erreichen konnte. danke für die rückmeldung!

hi Rick, danke fürs vorbeischauen. freut mich, dass das lesen spaß machte. stimmungsvoll... das sollte es sein.

Kubus

 

hallo Nachtschatten, jetzt also nicht nur der große bruder, sondern auch du? ich werde mich weiterhin ganz natürlich verhalten. freut mich, wenn's gefiel.
Kubus

 

>... mit dem Herbst kam deine Melancholie, die sich bald in Traurigkeit verwandelte.<

Hallo Kubus,

da bistu in ähnlichen (lit.) Gefilden angekommen wie zuvor Jynx in ihrem Winter, der "in seinen eigenen Gezeiten" daherkommt. Eine feine, kleine melancholische Geschichte um einen Abschied mit einem kafkaesk anmutendem Einschub: >Noch vor dem dunklen Oktober kam der Brief der obersten Behörde. Ich soll mein Leben ändern, stand darin ...<, auch wenn ich ahne, welch ein Stellungsbefehl da vorgelegen haben könnte, und einem Schuss Heine - >Damals hatte die Landschaft ihre Eigenheiten verloren und war zu einer abstrakten Abfolge von Wiesen, Wäldern und Seen geworden<, was sicherlich auf den ökonomischen Vorrang vor der Ökologie anspielt (bei Heine misst sich in der Harzwanderung der Wald schon mal nach Kubikmetern Nutzholz, wie man auch schon mal den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht).

Zwei Mal bemerk ich eigenwillige Zeichensetzung:

>„Still.“, sagtest du und nahmst meine Hand in deine.< und ziemlich zum Schluss >„Dieser Abschied beinhaltet keinen gemeinsamen Neubeginn.“, stelltest du fest<, wo die Punkte vor den Gänsefüßchen wegfallen oder durch Ausrufezeichen (zur Verstärlung der Aussage) ersetzt werden sollten.

Zum Schluss wäre zu fragen, ob hier nicht der Konjunktiv II besser angebracht ist: >Danach berührte ich dich nicht mehr, aus Angst, dass du nur noch ein Trugbild warst<,

aber: die Fingerübungen zeigen Wirkung!

Gruß

Friedel

 

Hallo Kubus,

melancholisch, ein sehr melancholisches Gefühl bleibt zurück. Der Text macht also Eindruck auf den Leser, das ist eine ganze Menge.
Schöne Bilder, starke Beschreibungen.
Teilweise hatte ich den Eindruck, dass der Erzähler sich in Widersprüchen verfangen hat. Sie liebten sich so wild wie nie, dann berührten sie sich kaum, sie wurden erst richtig wirklich und verblassten doch ... Solche Sachen. Aber das habe ich nur anfangs als leicht störend wahrgenommen. Irgendwann hat es gepasst. Unterstreicht ein bisschen dieses Richtungslose deines Prots.

Nur eine SAche würde ich streichen in dem ansonsten fein komponierten Text.

Ich glaube, Katinka, dass mit diesem Tag unsere Liebe zu schwinden begann. Vielleicht lag es an der Geschichte, die wir uns vorgelesen haben, dass wir uns selbst wie Figuren in einer Geschichte vorkamen. Unsere Liebe wurde vieldeutig, es war auf einmal, als verbarg jeder Sinn einen Hintersinn. Mit der Eindeutigkeit verschwanden auch wir.
In langen milden Septembernächten zeichneten wir mit den Fingern die Formen unserer Körper nach. Ein Ritual, mit dem wir uns unserer Körperlichkeit versicherten.
Wir liebten uns hemmungslos wie nie und taten all die Sachen miteinander, die wir uns vorher nur in der Fantasie erlaubten. Möglicherweise lag es an der Geschichte, die wir uns vorgelesen haben, dass wir selbst zu Figuren in einer Geschichte wurden.
Das zweite Mal folgt zu dicht aufeinander. Das würde ich streichen. Würde dieses Bild nicht überreizen. Es kommt ja bereits zu anfang vor und auch später noch einmal. An markierter Stelle nimmst du dem Bild die Kraft.

grüßlichst
weltenläufer

 

hallo Friedrichard, letztens erklärte Quinn die zeichensetzung bei wörtlicher rede, keine ahnung wie die punkte sich da reinmogeln konnten. kafkaesk... die oberste behörde... der prozess. von heine kenne ich nur ein paar ironische gedichte, da stand das von dir zitierte wohl nicht pate.
ja, die stelle stünde besser im konjunktiv, ich hab mich die ganze geschichte davor gedrückt... deswegen lass ich’s auch da. vielen dank für genauen blick und rückmeldung.

hi weltenläufer, das hatten wir bei einer der letzten geschichten schon mal, dass du was bemängelst, was mich bereits störte.

dass wir uns selbst wie Figuren in einer Geschichte vorkamen
soll diesen satz:
dass wir selbst zu Figuren in einer Geschichte wurden
vorbereiten, womit die protagonisten weiter in die unwirklichkeit überführt werden. es folgt zu dicht aufeinander, du hast recht. ich versuchte ihn woanders unterzubringen, bzw. zu streichen, aber fehlen darf der nicht und ihn an anderer stelle unterzubringen finde ich verflixt schwierig, ohne das ganze textgefüge durcheinander zu bringen. also ein patt zwischen geschichte und autor.
danke für deine eindrücke, auch für das schildern der ungereimtheiten.

grüße
Kubus

 

Gerad ist mir das Gegenstück zu Deiner kleinen Geschichte ins Ohr geraten, das durch & durch für seine Zeit innovative >Norwegian wood (This bird has flown)< von 1965: "I once had a girl / or should I say / she once had me ..." (The Beatles >Rubber Soul<, was man auch als "rubber sole" lesen könnt',

lieber Kubus.

Die Harzreise findet sich - sofern's interessiert - in den Reisebildern.

Gruß

Friedel

 
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Hallo Kubus,

Welches Buch?
Ich weiß es nicht mehr, vielleicht eine Geschichte von Himmel, Sonne und zwei Menschen, die sich gegenseitig Geschichten vorlesen.
Ich weiss, welches Buch das war. Das war Tristan von Gottfried von Strassburg. Und es ist mir ganz egal, wenn Du jetzt sagst, dass Du das noch nie gelesen hast. Lies es, dann weisst Du, dass ich Recht habe. Denn da steht im Prolog, dass es ein Buch fuer Liebende ist und dass die beiden ultimativen Liebenden Tristan und Isolde durch dieses Lesen immer wieder zum Leben erweckt werden koennen. Und diese dynamisch-statische Liebeseinsamkeit Deiner Helden, das ist eindeutig eine Minnegrotteneinsamkeit - zu perfekt um zu bestehen. In der Minnegrotte lesen sich auch Tristan und Isolde gegenseitig Geschichten von Liebenden vor - also perfektes mise en abyme. Und Anfang und Neubeginn, iemer niuwe, passt eh.
Katinka, an diesem Abend warst du kaum noch zu sehen, dein Körper war durchscheinend wie Pergamentpapier.
Und wenn hier jetzt nur "Pergament" gestanden haette, waere ich wohl ganz verrueckt geworden.

Aber mal ganz ab von dieser Intertextualitaet, die sich mir hier aufgedraengt und vielleicht vor den Text geschoben hat, ist mir auch der verzweifelte Zauber eines absehbaren Abschieds bekannt.

Dieses Verblassensmotiv passt schoen zu Literatur und sterbender Liebe.

„Man sollte seinen Namen stets vor sich her sagen“, murmeltest du, „um die Welt von seiner Anwesenheit zu überzeugen.“
„Katinka, Katinka“, antwortete ich,
Der Name als Beschwoerungsformel gegen das Verschwinden. Sehr nett von ihm, ihr das abnehmen zu wollen. Das Pendant zum Nachzeichnen der Koerper (da braucht es fuer mich uebrigens gar nicht die mitgelieferte Deutung des Rituals).

Diese Behoerde ist da natuerlich echt wie rostiger Nagel zu Seifenblase. Verstehe ich aber. Es passt.

Es gab aber auch Dinge, die mir fremd geblieben sind.

Damals hatte die Landschaft ihre Eigenheiten verloren und war zu einer abstrakten Abfolge von Wiesen, Wäldern und Seen geworden.
"abstrakt" krieg ich in diesem Gedanken nicht untergebracht.

Und manchmal stehen da so gewichtige Worte wie "Nirgendwo" und "Masken", mit denen ich mich nicht recht anfreunden kann. In "Gift" ging das, da war es atifiziert.

Nie war unser Leben intensiver.
Das war mir zu viel, zu explizit.

Insgesamt fand ich es ein bisschen seltsam, dass es da so eine Doppelstruktur gibt. Die Liebe schwindet und wird von aussen beendet. Das sieht man auch deutlich, wenn es zweimal heisst, dass sie sich so intensiv liebten wie nie zuvor. Das verwirrt mich und koennte mich stoeren.

Obwohl ich diesen Text intellektuell sehr interessant finde und ich mich auch an ziehenden Apfelbaeumen gefreut habe, hat er mich nicht tief beruehrt. Ich glaube, das liegt daran, dass er nur melancholisch ist. Wenn er eine Prise lustig haette, wuerde er mich wahrscheinlich viel trauriger machen. So wie man ein bisschen Salz in Suessspeisen streut, damit es suesser wird und umgekehrt.

Du hast versucht die Worte auf den Grabsteinen zu lesen, aber viele Buchstaben ergaben sich schon der Zeit und so blieben die meisten Toten namenlos.
hatten sich schon der Zeit ergeben

lieben Gruss,
fiz

 

Wie gut, dass dieser scheinbar ältere Text zum Herbst wieder aufleuchtet. Gefällt mir sehr.

Ich glaube, Katinka, dass mit diesem Tag unsere Liebe zu schwinden begann.
Dass man dieses Gefühl auf einmal spürt und an einem eigentlich schönen, zusammen verbrachten Tag festmachen kann, kenne ich gut und finde es mit dieser Geschichte perfekt getroffen.

Habe sonst gar nichts anzumerken, diese schöne Geschichte trifft genau meine heutige Stimmung.

 

Hey Friedel!

Gerad ist mir das Gegenstück zu Deiner kleinen Geschichte ins Ohr geraten, das durch & durch für seine Zeit innovative >Norwegian wood (This bird has flown)< von 1965: "I once had a girl / or should I say / she once had me ..." (The Beatles >Rubber Soul<, was man auch als "rubber sole" lesen könnt',
Jetzt krieg ich den Wink auch: Du meinst der Text wäre in den 60ern innovativ gewesen! :D Wie auch immer, ein guter Song.

Wow, fiz, ich hätte nicht gedacht, dass die mittelalterliche Versdichtung an den Strand schleppen! Das nenne ich mal eine Erkenntnis und besonders spannend ists für mich, zu lesen, was der Strasburg vertellt hat - die alten Versepen sind bisher komplett an mir vorbeigegangen.
Passt vorzüglich was du sagst: Eine dynamisch-statische Beziehung, die Welt nur Staffage für ihr Zweipersonenstück. Die bewegen sich gar nicht, glaub ich heut, nur die Kulisse wird vorbeigetragen.

Aber mal ganz ab von dieser Intertextualitaet, die sich mir hier aufgedraengt und vielleicht vor den Text geschoben hat, ist mir auch der verzweifelte Zauber eines absehbaren Abschieds bekannt.

Dieses Verblassensmotiv passt schoen zu Literatur und sterbender Liebe.


Danke! Durch den von außen diktierten Abschied müssen sie sich ja selbst nicht verantwortlich fühlen. Das ist vllt der Grund für die Melancholie. Wobei die Liebe ja wie du sagst bereits vor dem Diktum der Behörde zu verblassen beginnt, das ist schon unrund. Auch wenn der Ich-Erzähler berichtet, sie hätten "tief empfunden und gewusst" dass er kommen wird. :Pfeif: Das ist bisschen fülle für die paar Zeilen.

Und manchmal stehen da so gewichtige Worte wie "Nirgendwo" und "Masken", mit denen ich mich nicht recht anfreunden kann.

Manche zweimal! :D

"abstrakt" krieg ich in diesem Gedanken nicht untergebracht.

Ich stell mir das so vor, dass die das Besondere verlieren und zu so was wie nackten Polygonflächen werden.

hatten sich schon der Zeit ergeben

Aye.

So wie man ein bisschen Salz in Suessspeisen streut, damit es suesser wird und umgekehrt.

Ja. Und diese Stellen: "nie waren wir einsamer ... nie war unsere Liebe intensiver" sind außerdem viel zu direkt. Das muss subtiler gesagt werden oder gar nicht. Ich lass den trotzdem so stehen, der spiegelt die damalige Stimmung wider.

Und wenn hier jetzt nur "Pergament" gestanden haette, waere ich wohl ganz verrueckt geworden.

Puh, Glück gehabt. ;)

Hi Thomas

Wie gut, dass dieser scheinbar ältere Text zum Herbst wieder aufleuchtet. Gefällt mir sehr.

Fast genau ein Jahr nachm posten! Danke, freut mich.
Der Versuch, phantastische Elemente einzuarbeiten, hängt sicher mit exzessiv konsumierter südamerikanischer Literatur zusammen, wie ich vor einem Jahr reichlich unsubtil deutlich gemacht haben dürfte. Bei Borges zum Beispiel kommt das Motiv magischer Gegenstände, häufig Dolche oder Bücher, die in die "Wirklichkeit" der Geschichte rückwirken immer wieder vor.
Der wiederum soll Roberto Bolaño maßgeblich beeinflusst haben. (Aber richtig gut ist Bolaño nur in seinen Hauptwerken. Ich hab fast alle schmalen Bände von ihm - die haben nur ein Bruchteil der Strahlkraft. Der braucht Raum.) Ähm, wir hatten das Thema ja letztens grad. :shy:

Viele Grüße allerseits

 

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