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Katzenslang
"Nehmen Sie hier bitte Platz, Frau Gebhardt." Polizeiobermeister Hinrichsen hatte der hageren Frau einen Stuhl seitlich an seinen Schreibtisch geschoben.
"Zunächst brauch Ihre Personalien. Geben Sie bitte mal Ihren Ausweis."
Inka Gebhardt klappte ihre Handtasche auf und kramte darin, um dann unvermittelt inne zuhalten, "ach, ich hab ihn ja extra in die Manteltasche...", sprach sie leise, griff in ihren Mantel und überreichte danach den Personalausweis. Sie hatte schlanke Finger, fiel Hinrichsen auf. Angestrengt versuchte sie ihre Nervosität im Zaum zu halten.
"Frau Gebhardt, Sie sind jetzt 43. Sind Sie ledig?" Sie nickte. "Und was machen Sie beruflich?"
"Ich bin Lehrerin an der Gesamtschule Heidberg, ich unterrichte die Fächer Musik und Geschichte."
Hinrichsen benötigte eine Weile, um diese Angaben in seine Tastatur zu hämmern.
"Frau Gebhardt, Sie wissen, weshalb Sie zu dieser Vernehmung vorgeladen sind?"
"Ja", hauchte sie kaum hörbar, "wegen des Katers."
"Richtig. Ihnen wird vorgeworfen, den Tod Ihres Katers herbei geführt zu haben. Es liegt eine Strafanzeige gegen Sie vor."
Sie hatte ihre Handtasche fester an sich gezogen und wich seinem Blick aus.
"Nun erzählen Sie mal, wie es dazu kam." Hinrichsen hatte einen väterlichen Ton angeschlagen.
Mit zittriger Stimme, den Kopf so vorsichtig schüttelnd als sei er zerbrechlich, antwortete sie: "ich kann dazu nichts sagen".
"Na, na, Frau Gebhardt", tadelte Hinrichsen, "Nachbarn haben gesehen, wie Sie Ihren schwarzen Kater zunächst in die Mülltonne warfen. Und als das jämmerliche Geschrei nicht mehr zu überhören war, zogen Sie ihn wieder raus. Dann beobachtete man, wie Sie ihn im Kofferraum Ihres Fahrzeugs davon fuhren. Was war denn passiert?"
Sie schüttelte erneut den Kopf. "Ich kann es nicht sagen", ihre Stimme klang müde resigniert, "mir würde niemand glauben."
"Was würde Ihnen niemand glauben, Frau Gebhardt?", hakte Hinrichsen sofort nach.
"Wissen Sie, ich liebe Katzen über alles und Teo war mein Sonnenschein. Er war ein lieber Kater. Aber ich musste es tun. Ich konnte nicht mehr. Sie ahnen ja nicht...", brach sie ab.
"Frau Gebhardt", Hinrichsen verlegte sich auf eine beschwichtigende Tonlage, "Ihr Kater wurde am 15. Dezember erfroren auf der Bundesstraße 5 kurz vor Tönning aufgefunden. Das sind rund 50 Kilometer von hier entfernt. Weil er gechipt war, konnten wir ermitteln, dass Sie die Besitzerin waren. Weshalb haben Sie ihn ausgesetzt?"
"Das wird mir keiner glauben, wenn ich erzähle, was passiert ist. Keiner. Sie werden mich alle für verrückt halten", erwiderte sie verzweifelt. Tränen rannen über ihre Wangen, "dass mir so etwas jemals passieren kann, das hätte ich im Leben nie vermutet." Aus der Handtasche hatte sie ein Taschentuch gezogen, in das sie schniefte.
"Ich schlage vor, Frau Gebhardt, Sie berichten erstmal in Ruhe, was passiert ist und dann sehen wir weiter." Hinrichsen Stimme hatte das beruhigende sonore Timbre eines Geistlichen angenommen, deren Klang in der Lage ist, jeder noch so furchtbaren Straftat die himmlische Absolution zu erteilen.
Sie atmete tief durch.
"Es begann Anfang Dezember", sagte sie mit stockender Stimme, als müsse sie sich jedes Wort abringen, "es war nachts und ich wachte auf, weil mich Geräusche weckten. Da sprach jemand. Es war eine seltsame Männerstimme, wie wenn eine Comicfigur spricht. Erst dachte ich, der Radiowecker hat sich verstellt und das Radio hätte sich mitten in der Nacht angeschaltet. Aber daher kam das nicht. Ich lag wie gelähmt in meinem Bett, weil ich dachte, dass Einbrecher in der Wohnung sind."
"Was sagte denn diese Stimme? Konnten Sie das hören?"
"Oh ja, das konnte ich gut hören. Nahe des Terrassenfensters quäkte laut eine Stimme, die sich fast überschlug."
"Na und was hörten Sie nun?", fiel Hinrichsen ungeduldig ins Wort.
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. "Das ist unaussprechlich für mich. Das waren die obszönsten Worte, die ich jemals in meinem Leben gehört habe."
Hinrichsen hatte eine Augenbraue hochgezogen und blickte die Befragte schräg an.
"Ich bitte Sie, Frau Gebhardt, so kommen wir nicht weiter. Dies ist eine Vernehmung! Sie müssen mir vorbehaltlos alles mitteilen. Also? Was sagte der Mann?"
"Nein, es war kein Mann, es klang nur eher männlich als weiblich", korrigierte sie, dann holte sie tief Luft.
"Die Stimme sagte: "hey, du verficktes geiles Luder, wenn die alte Vogelscheuche, bei der ich Quartier hab, dich in die warme Stube ließe, würd ich dir dein Katzenhirn aus dem Kopf pimpern, so rattenscharf bin ich auf dich!" und dann hörte ich, wie es an der Fensterscheibe klopfte und draußen auf der Veranda miaute es. Ich habe vorsichtig nachgeschaut. Am Fenster stand Kater Teo und trommelte mit seinen Pfoten gegen die Scheibe und auf der Veranda trippelte eine von den Nachbarkatzen herum. Als die mich sah, blinzelte sie und huschte davon. Dann hörte ich wie direkt neben mir Kater Teo rief "hey, komm zurück, du Luder, und zeig mir nochmal dein geiles Katzenloch! Komm, zier dich nicht, du lässt doch sowieso jeden drüber!" Ich traute meinen Ohren nicht und stand wie angenagelt neben Teo. Solche Worte von meinem Kater!"
Unsicher schaute sie zu Hinrichsen auf, der ihr ermunternd zunickte.
"Und wie gings weiter?"
"Das passiert jetzt nicht, dachte ich, der Kater kann nicht in meiner Sprache reden, das ist ein Traum. Aber dann entdeckte mich Teo und fing an, mich in der übelsten Gossensprache zu beschimpfen. "Was hast du hier zu suchen, Vogelscheuche? Du versaust mir hier die Tour. Spionierst du mir etwa nach, du alte Krähe? Verpiss dich in dein stinkendes Bett, du hässliches Gerippe!" Sprachlos stand ich wie angewurzelt am Verandafenster, als Teo sich um meine Beine schmiegte und zwischen ihnen hindurch schob. Eine Geste der Zärtlichkeit, wie ich bislang dachte, aber was er dann, während er sein Köpfchen an mein Bein drückte, sagte, war schockierend. Er bedrohte mich."Wenn du nicht auf der Stelle verduftest, schlag ich dir meine Krallen tief ins Fleisch bis dein Blut rausspritzt." Und dann liebkoste er meinen Fuß und seine widerlich klingende Comicstimme sagte "und hier genau an dieser Stelle, du alte Schachtel, zerfetz ich dir den Fuß." Glauben Sie mir, ich war so perplex, dass ich in mein Bett zurückschwankte und dort mit pochendem Herzen und rasendem Puls versuchte, meine Gedanken zu ordnen."
"Sie meinen, Ihr Kater Teo hat direkt zu Ihnen in unserer Sprache gesprochen? Oder hat er miaut und Sie haben ihn trotzdem verstanden?" Hinrichsen versuchte, so sachlich wie möglich zu klingen. 'Donnerwetter', dachte er, 'in unserem Beruf haben wir’s immer häufiger mit Durchgeknallten zu tun.'
"Nein, verstehen Sie doch, der Kater sprach Worte, wie Sie und ich. Richtige Worte. Die Stimme war eigenartig, wie eine Mickymousestimme. Ich weiß, es klingt unglaubwürdig", sagte sie matt.
"Die ganze Nacht hab ich darüber gegrübelt und am Ende war ich überzeugt, dass ich verrückt bin. Ich beschloss, gleich morgens, einen Nervenarzt aufzusuchen. Er sollte mich erstmal krank schreiben. Er untersuchte mich gründlich, aber er stellte nichts fest. Er verschrieb mir ein Beruhigungsmittel."
"So, der stellte also nichts bei Ihnen fest", sagte Hinrichsen mehr zu sich und dachte 'typisch Nervenarzt, die können nur Rezeptblöcke vollpinseln.'
"Dabei müssen Sie wissen, dass ich am Morgen wieder Teo sprechen hörte. Der Spuk mit ihm ging ja weiter. Er stand, wie jeden Morgen, mit seinen Vorderpfoten auf meinem Kopfkissen und drückte seinen Kopf gegen meinen. So schmusen wir. Manchmal ist er so stürmisch, dass er sein Köpfchen heftig gegen meine Stirn presst. Ich habe diese liebevollen Minuten vor dem Aufstehen immer voller Wonne genossen. Das war auf einen Schlag vorüber, als ich hörte, was er sprach.
"Steh endlich auf, du faules Miststück! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass der Tag mit dem Sonnenaufgang anfängt und der war schon vor dreißig Minuten. Du faules Aas, willst du hier im Bett verrotten? Ich verhunger', ich verdurste und mach endlich mein Klo sauber, es stinkt!" Mit jedem dieser Sätze schlug er sein Köpfchen mit Wucht gegen meine Stirn. Und ich dachte all die Jahre …“ der Rest des Satzes ging in ihrem Schluchzen und dem Schniefen ins Taschentuch unter.
„Beruhigen Sie sich erstmal, Frau Gebhardt“ , sagte Hinrichsen und in Gedanken formulierte er die Sätze, die er gleich in den Computer tippen wollte. Diese Frau hatte eindeutig ein psychisches Problem. Typisch für Alleinstehende, da wird man mit der Zeit wunderlich. Dem Staatsanwalt wollte er vorschlagen, das Verfahren einzustellen. So verwirrt wie sie war, war sie ja gar nicht schuldfähig.
„Hat noch jemand Ihren Kater sprechen gehört?“ Hinrichsen kannte die Antwort zwar, aber sie sollte sein Bild von dieser Frau vervollständigen.
"Nein. Keiner. Ich bat gegen Nachmittag eine Freundin zu mir, der erzählte ich vorsichtshalber nichts, um mich nicht lächerlich zu machen, falls sie nichts hört. Wissen Sie was geschah? Teo sagte kein einziges Wort mehr. Keine Silbe kam aus ihm heraus. Dabei hatte er den ganzen Vormittag geredet und geredet. In den unflätigsten Sätzen.
Als ich ihm seine Näpfe mit frischem Wasser und Dosenfutter gefüllt hatte, sagte er schmatzend mit piepsiger Stimme "na geht doch, Vogelscheuche, so ist's brav, morgen früh machst du das gefälligst eine halbe Stunde früher, sonst kannst du was erleben, Rattengesicht.""
Die Empörung war ihrem Gesicht deutlich abzulesen und obwohl Hinrichsen eigentlich genug von diesem, wie er befand 'Unfug' gehört hatte, unterbrach er sie nicht in ihrem Redefluss.
"Jeden Morgen wartete Teo auf mich, wenn ich der Dusche entstieg. Dann schmusen wir. Hätte ich das bloß alles vorher gewusst. Er beschimpfte mich, war erbost, er wetterte pausenlos Schimpfworte. Haben Sie schon mal einen Kater keifen gehört? "Du dumme Gans, jeden verdammten Tag verdirbst du dir dein Fell, indem du Wasser drüber kippst. Wann endlich hörst du mit dieser Spinnerei auf? Wasch dich endlich wie jedes normale Tier mit der Zunge und den Pfoten, OHNE WASSER!" Wenn er nicht schwarzes Fell gehabt hätte, wäre er vor Zorn rot angelaufen. Und dann setzte er nach, "und wann kapiert dein Mäusehirn endlich, dass Wasser zum Trinken da ist, nicht zum Verschütten?"
"Sagen Sie, Frau Gebhardt, haben Sie mit ihm sprechen können? Hat Teo Sie verstanden, so wie Sie ihn?“ ‚Wozu stelle ich ihr diese Frage’, dachte Hinrichsen irritiert. Der Fall war eh klar. Diese Frau tat ihm leid.
"Nein, zu meinem Unglück, er verstand mich nicht. Ich bemühte mich deutlich und langsam artikuliert mit ihm zu reden, aber er verstand mich nicht.“
"Und wie ging es dann weiter? Weshalb haben Sie ihn in der eisigen Winterkälte ausgesetzt?“
„Es wurde täglich furchtbarer mit ihm. Am Tag, als es eskalierte, spielte ich nachmittags Klavier und übte konzentriert ein neues Stück ein. Da begann er zu singen. Er sang furchtbar schräge, dass mich die Tonfolge, Melodie konnte man das nicht nennen, aus dem Konzept brachte. Aber noch unerträglicher war der niederträchtige Text. Dabei hockte er auf meinem Klavier wie eine ägypthische Katzenstatue mit mahnend erhobener Pfote.
"Alle Macht uns schlauen Katzen.
Tod den Vogelscheuchenfratzen.
Wir zerfetzen und wir kratzen
eure Vogelscheuchenglatzen.
Die Welt gehört uns schlauen Katzen.
Alle Macht in unsren Tatzen!“
Können Sie sich vorstellen, wie wütend mich das machte? Mein eigener Kater sang politische Kampflieder! Gegen mich! Unfassbar!
Den Gipfel leistete er sich gegen Abend. Ab und zu in der Woche bekommt er von mir ein besonderes Leckerli, das sind kleine Drops, extra für Katzen hergestellt. Manchmal setzt er sich provozierend neben diese Dose und es sieht dann so putzig aus, als wolle er sie vor Dieben bewachen. Diesen Abend saß er dort und ließ mich nicht aus den Augen. "Komm Vogelscheuche, komm," rief er in einer Art, als wolle er Hühner füttern und sie anlocken."Gib dem Teo ein Leckerli, komm.“ Und als ich verdutzt guckte, setzte er erneut an "komm, gib dem Teo das Leckerli, komm, zeig, was du gelernt hast.“ Ich stand fassungslos und rührte mich nicht, "komm, Vogelscheuche, du weißt wie es geht, wir haben das so lange geübt“, gurrte er weiter,"morgen will ich Leo, dem Siamkater vorführen, was ich dir alles beigebracht habe. Mach mir keine Schande, Vogelscheuche. Komm, gib dem Teo schön das Leckerli.“
Da riss mir der Geduldsfaden und ich packte ihn und warf ihn draußen in die Mülltonne. Ich wollte ihn loswerden. Mir war ganz egal wie. Die Mülltonnen waren frisch geleert. Das hatte ich nicht bedacht. Ausser ihm war noch nichts drin. Seine wutschnaubenden Beleidigungen, bitte ersparen Sie mir, Ihnen zu wiederholen, was er alles hervor brachte, hallten furchtbar laut bis in meine Wohnung. Also zog ich diesen tasmanischen Teufel wieder aus der Tonne, verstaute ihn im Kofferraum und fuhr ihn so weit ich konnte weg.“
Hinrichsen hatte bis zum Schluss bedächtig zugehört.
„Gut, Frau Gebhardt, Sie können jetzt erstmal nach Hause, ich werde in Ruhe ein Protokoll anfertigen, das Sie dann in den nächsten Tagen hier unterschreiben.“
Am Abend machte Hinrichsen mit seinem Schäferhundmischling Texel noch eine letzte Runde um die Häuserblöcke. Texel lief unangeleint und setzte überall, wo er Rüdenurin vermutete, seine Marke drüber. Hinrichsen ging neben ihm als Texel mit knarzender Stimme sagte:
"Alter, du langweilst mich, nicht mal in Ruhe pissen und scheißen kann ich. Ständig glotzt du mir auf meine Eier und mit deinem Plastikhandschuh kannst du deinem eigenen Arsch hinterherräumen. Ich hau ab in die Berge, da findet grad 'nen cooles Schlittenhunderennen statt."
Dann drehte er sich um und trabte munter schwanzwedelnd davon.