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Kaum auszuhalten
"Wo sind wir?"
"Brücke."
"Sehr witzig. Ich meine, wo ist das Raumschiff?"
"Weltraum."
"Mit anderen Worten, du hast keine Ahnung..."
"Ich bin Koch, kein Navigator."
"Ist das ein Nein?"
"Ja."
Wie genau es dazu kam, dass ein Koch und ein arbeitsloser Fensterputzer in diesem Moment auf der Brücke des kleinen Raumkreuzers standen und versuchten, in all der Hektik und dem ganzen Durcheinander den Überblick zu bewahren, ist eine ebenso interessante wie witzige Geschichte. Sie steckt so voller aufreibender Wendungen, atemberaubender Abenteuer und unglaublicher Spannung, dass nur zu hoffen ist, es wird sich irgendwann jemand finden, der bereit ist sie zu erzählen.
Es war kein besonders großes Raumschiff. Um genau zu sein, war es gerade groß genug, um die beiden Männer zu beherbergen. Und um noch ein Stückchen genauer zu sein, war es doch ein wenig größer, da außerdem noch ein kleiner Pappkarton unbestimmten Inhaltes auf der Brücke Platz fand. Ein Pappkarton, dessen unheimlich sagenumwobener Inhalt der Grund für die plötzliche Flucht der beiden Männer vom Proxima7 darstellte.
"Wie wäre es mit dem Knopf da?"
"Das ist der Autopilot", sagte der Koch, ein grimmig dreinblickender Bursche mit Namen Jargen Trux.
"Okay. Schlechter als du wird er schon nicht sein." Der ehemalige Fensterputzer betätigte den Autopilot und staunte nicht schlecht, als der genau das tat, wofür er einst konstruiert worden war und das Schiff samt unfreiwilliger Besatzung auf direktem Wege in den sicheren Raumhafen von Proxima7 steuerte. "Hey, der fliegt in die falsche Richtung."
"Ach, sag an..."
"Willst du mir jetzt etwa die Schuld an der ganzen Sache geben?" Man konnte über Hugon Granz sagen, was man wollte - dass er über keinerlei Moral verfügte, ein schäbiger Gauner war und immer Schlieren auf den Scheiben hinterließ zum Beispiel -, aber keinesfalls hätte man ihm schlechte Menschenkenntnis vorwerfen können.
"Wer von uns hatte denn die Idee, dem Kerl die Fresse zu polieren? Ich oder du?", antwortete Jargen und warf einen kurzen Kontrollblick auf den kleinen Computermonitor, der anzeigte, was sich hinter ihrem Raumschiff befand.
"Hab ich dich gezwungen mitzukommen? Warte mal... wer bist du eigentlich?"
"Keine Zeit. Wir haben Gesellschaft."
Hansen Erg polierte mit stolzgeschwellter Brust das Abzeichen auf seiner Uniform. Das Rangsystem auf Proxima7 folgte ganz einfachen Regeln: Ein bronzener Stern für einhundert Abschüsse, ein silberner Stern für einhundert bronzene, ein goldener Stern für einhundert silberne und eine rote Kordel an der Mütze, wenn es keine grünen Kordeln mehr gab. Hansen hatte es zwar bislang erst auf eine blecherne Plakette beim letzten Bogenschießwettbewerb seiner Heimatstadt gebracht, aber da Proxima7 noch nie in einen Krieg verwickelt gewesen war, war er damit der ranghöchste Offizier der Streitmacht und somit jetzt für die Durchsage verantwortlich. Er hob seine Mütze an, fuhr sich noch einmal über die Frisur, räusperte sich und nahm das Mikrofon in die Hand.
"Hier spricht Hansen Erg, Oberbefehlshaber der Streitkräfte von Proxima7. Drehen Sie auf der Stelle bei, fahren Ihre Motoren, Waffen und wasweißichnochalles runter und übergeben Sie uns Ihre Diebesbeute!" Um sicher zu gehen, fügte er hinzu: "Also, damit meine ich den Karton... und das Raumschiff natürlich... ja..."
"Meint der uns?" Hugon sah seinen Begleiter fragend an.
"Vermutlich. Wen sonst?" Der Koch hatte es auf den Punkt gebracht. Außer dem kleinen Raumschiff war niemand in Hörweite. Natürlich abgesehen von den dutzenden Schlachtschiffen, die in diesem Moment vor ihm, hinter ihm und auch überall sonst in Stellung gingen.
...
Grudon hielt vor schier nervenaufreibender Langeweile den Atem an. Es war nicht etwa die Sorte unproduktiver Langeweile, die entsteht, wenn man nicht das Geringste zu tun hat und sich zur Not auch eine Art Weltuntergang herbeisehnt, wenn dadurch nur dieser Zustand beendet würde. Nein, diese Sorte Langeweile näherte sich der Null im Spektrum der Spannung sozusagen von unten, umtänzelte mit Leichtigkeit sämtliche Spielarten der kreativen Monotonie und bemühte sich mit exorbitanter Penetranz, wirklich keinerlei Änderung in der derzeitigen Situation zuzulassen.
Der junge Adept vertrieb sich ein paar köstlich produktive Augenblicke damit, in seinem linken Ohr herumzupulen und aus dem, was er zutage förderte, eine kleine Kugel zu formen. Dann besah er sich eine kleine Delle im ansonsten perfekt ebenen Fußboden und gähnte herzhaft. Natürlich hatte er eine Aufgabe. Jeder Mitarbeiter des Ministeriums zur Sicherstellung des reibungslosen Ablaufes aller möglichen Dinge hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Grudons Job war es, so einfach und unwichtig es zunächst vielleicht klingen mag, darauf zu achten, dass der Quellstabilisator sich immer schön regelmäßig um seine eigene Achse dreht und nicht vom subpolaren Transponderkern rutscht. Und das war etwas, was auf gar keinen Fall passieren dürfte, da ansonsten... eigentlich wusste niemand, was dann geschehen würde, aber die Folgen wären auf jeden Fall kaum auszuhalten.
Da der Quellstabilisator einst von den besten Mechanikern erbaut worden war, die man sich nur vorstellen konnte, auf den perfektesten Plänen basierte, die jemals erdacht worden waren und aus den wundervollsten Materialen geformt worden war, die es überhaupt gab, war es nicht nur sehr unwahrscheinlich sondern sogar absolut unmöglich, dass er jemals vom subpolaren Transponderkern rutschen könnte. Und genau das war die Ursache für Grudons unerträglichen Zustand der Langeweile.
Der junge Adept vom Unterausschuss für denkwürdige und außergewöhnliche Kontrollaufgaben zählte ein paar Staubkörner, spielte mit dem Gedanken, auch sein anderes Ohr zu untersuchen und wurde in seiner Apathie jäh unterbrochen, als nämlich der Quellstabilisator vom subpolaren Transponderkern rutschte und somit nicht nur seine Drehbewegung unterbrach, sondern zugleich auch mit einem hässlichen Geräusch auf dem Boden aufschlug und zerbrach.
"Scheiße."
...
"Sollen wir antworten?"
"Ja, warum nicht."
"Aber was sollen wir sagen? Ich meine, eine Kapitulation kommt für mich nicht in Frage."
"Frag mich nicht. Ich bin Koch."
"Okay... immer mit der Ruhe... immer mit der Ruhe... Denk nach, Hugon, denk nach!" Der ehemalige königliche Fensterputzer murmelte vor sich hin und schlug sich in immer kürzer werdenden Abständen vor die Stirn, als wolle er dadurch seine Denkfähigkeit erhöhen.
"Soll ich mal?"
"Nein, nicht nötig. Ich habe schon eine Idee. Also, ich werde ihnen einfach antworten, dass wir den Karton haben und ihn benutzen werden, wenn die nicht abziehen."
"Was isn da überhaupt drin?" Jargen warf einen abschätzenden Blick auf die kleine Schachtel, die ziemlich genau mittig auf der Steuerkonsole des Schiffes stand, so als wäre sie damals gleich mit eingebaut worden. Das war natürlich Unfug, da Hugon den Karton vor ihrer Flucht nur zufällig dort abgestellt hatte.
"Keine Ahnung. Vielleicht ne Waffe. Wir könnten bluffen."
"Dämlicher Plan."
"Hast du ne bessere Idee? Na also. Dann schlage ich vor, dass ich antworte. Irgendwo in diesem Schiff muss es doch ein Mikro geben... und du versuch endlich, den Autopiloten abzuschalten! Der fliegt in die falsche Richtung."
"Hier spricht Hansen Erg, oberster Befehlshaber der Streitkräfte von Proxima7." Die Stimme kam schnarrend aus dem Lautsprecher. Der Empfang war nicht besonders gut, da man beim Bau des Schiffes derart großen Wert auf die unglaublich geschmackvolle Inneneinrichtung gelegt hatte, dass für eine gute Empfangsantenne kein Geld mehr übrig gewesen war. "Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass wir unsere Flotte in Bereitschaft gestellt haben. Derzeit sind etwa siebentausend Geschütztürme auf Sie gerichtet und es genügt ein kleiner Fingerzeig von mir, um Sie sachgemäß zu vaporisieren. Ich gebe Ihnen fünf Minuten zur Kapitulation."
"Ich hab das Mikro gefunden", sagte Jargen. "Du kannst ihnen jetzt mit dem Pappkarton drohen, wenn du willst."
...
Das Geräusch von klappernden Holzsandalen auf Stein hallte zwischen den Mauern des endlosen Gangsystems des Ministeriums wider, als Grudon sich hektisch an die Zimmernummer seines Vorgesetzten zu erinnern versuchte. Der Vorsitzende des Unterausschusses für denkwürdige und außergewöhnliche Kontrollaufgaben, ein hagerer bebrillter Mann namens Numrod, hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sein Dienstzimmer alle drei Monate zu wechseln. Zum einen, weil er dadurch der Gefahr entging, seine überaus wichtige Ruhe durch unvorsichtige Untergebene gestört zu sehen und zum anderen, weil er keinen tieferen Sinn darin sah, seine leeren Joghurtbecher nicht in der Zimmerecke zu stapeln.
Grudon holte tief Luft, dachte einen Augenblick nach und entschied sich dann für die nächstbeste Tür. Zimmer einhundertneun.
"Meister Numrod?"
"Zimmer dreihundertvier... nein, warte... heute ist ja wieder der Elfte. Dann Zimmer dreihundertneunzehn." Der Beamte hinter dem Schreibtisch sah gar nicht auf. Er fuhr einfach fort, irgendwelche Formulare vom linken Stapel zu nehmen, mit einem Stempel an drei verschiedenen Stellen zu versehen, sie zusammenzurollen und in die Rohrpost zu stecken, wo sie auf direktem Wege in die Abteilung für ungewöhnliche Maßnahmen der Restabilisierung alter Werte geleitet wurden. Dort wurde die Stempelfarbe abgeätzt und die Formulare von einem Büroboten in Zimmer einhundertneun getragen, wo sie fein säuberlich unter den linken Stapel geschoben wurden.
"Danke."
"Warte mal, bist du nicht dieser junge Kerl, der aufpassen soll, dass der Quellstabilisator nicht ausfällt? Warum bist du nicht an deinem Platz?"
"Der Quellstabilisator ist ausgefallen, Herr."
"Ach du Scheiße..." Der Mann hinter dem Schreibtisch unterbrach seine Arbeit und blickte den jungen Adepten panikerfüllt an. "Aber das bedeutet ja..."
"Ja, ich fürchte, genau das bedeutet es."
"Das wäre ja kaum auszuhalten."
Zimmer dreihundertneunzehn war von Innen verschlossen. Grudon machte sich nicht die Mühe anzuklopfen, sondern suchte stattdessen den Hausmeister. Der saß wie immer in seinem kleinen Glaskasten neben der Eingangstür des Amtsgebäudes und rauchte seelenruhig Zigarre, so als wäre nichts geschehen.
"Hausmeister Iruid, ich brauche Eure Hilfe."
"Was gibt es denn, junger... Grudon. Grudon war richtig, oder?" Der Hausmeister behauptete von sich selbst, jeden einzelnen Angestellten des Ministeriums mit Namen ansprechen zu können. Das an sich war noch keine große Leistung, doch Iruid achtete peinlichst genau darauf, jeden mit seinem richtigen Namen anzusprechen. Und das ist bei etwa eintausend Leuten schon ziemlich beeindruckend.
"Ja. Ist richtig."
"Das wusste ich. Siehst du, junger Grudon, ich wäre nicht in der Position, in der ich heute bin, wenn ich nicht das Gedächtnis hätte, das ich habe. Schon immer war ich in der Lage, mir Dinge merken zu können. Damals in der Schule..."
"Ich unterbreche Euch nur ungerne, aber es ist wirklich wichtig."
"Wo drückt denn der Schuh, junger Grudon?"
"Der Quellstabilisator ist zerbrochen."
"Dann solltest du den Protokollen folgen und mit Meister Numrod sprechen. Seit gestern Zimmer Nummer dreihundertneunzehn."
"Das würde ich ja, aber..."
"Lass mich raten, er hat die Tür abgeschlossen und jetzt brauchst du den Schlüssel. Jaha, der gute alte Numrod. Ich weiß noch, wie er sich damals auf dem Klo eingeschlo... ach ja, es eilt. Natürlich. Warte, ich komme am besten mit." Der alte Mann erhob sich sichtlich mühsam von seinem Stuhl, faltete seine Zeitung zu einem ordentlichen Dreieck zusammen und griff nach seinem Schlüsselbund. Mit enervierender Ruhe wankte er die Gänge des Ministeriums entlang, bis er Grudon nach einer halben Ewigkeit vor Zimmer dreihundertneunzehn einholte.
"Sieh nur, es ist wie Zauberei. Wenn du den richtigen Schlüssel hast, ist es ganz leicht", sagte er endlich und öffnete die Tür. Und was die beiden Männer auf der anderen Seite erwartete, war in etwa das schlimmste, was Grudon sich in seinen finstersten Träumen hätte ausmalen können.
...
"Was war das?"
"Ich nehme an, sie haben uns vor den Bug geschossen."
"Scheiße, die meinen das wohl ernst... Was machen wir denn jetzt?" Hugon sah seinen unfreiwilligen Gefährten aschfahl an. Niemals hätte er gedacht, dass die Armee von Proxima7, die weit über die Grenzen des Sternkopfnebels für ihre Friedfertigkeit und Munitionsarmut bekannt war, zu so etwas fähig sein könnte.
"Wolltest du ihnen nicht von dem Pappkarton erzählen?" Jargen reichte ihm das Funkgerät.
"Komiker."
"Koch... ich bin..."
"Ach, halt die Klappe! Wir brauchen einen Plan." Der ehemalige königliche Fensterputzer fuhr sich mit einer fahrigen Geste durch die schüttere Frisur, murmelte irgendwelche Beschwörungsformeln und wanderte ziellos auf der Brücke umher. Also, er wäre herumgewandelt, wenn er den Platz gehabt hätte. Da das Schiff aber, wie bereits erwähnt, die Ausmaße einer metaphorischen Sardinenbüchse besaß, begnügte er sich damit ruhelos von einem Bein auf das andere zu hüpfen.
"Du gehst mir gewaltig auf den Keks mit dem Rumgehampel", bemerkte Jargen folgerichtig und löste sich in Luft auf. Hugon unterbrach seine Übungen, glotzte ein wenig dümmlich aus der Wäsche und fuchtelte hilflos mit der Hand in der Luft herum, die jetzt den Platz ausfüllte, den Jargens Körper hinterlassen hatte. Noch bevor er realisieren konnte, dass auch der Karton auf einmal verschwand, löste sich auch sein eigener Körper auf und die Brücke des Raumschiffes versank in beruhigender Einsamkeit.
"Sir, wir haben sie."
"Alle beide?"
"Alle beide. Und die Box."
"Sehr schön. Ich komme sofort."
Hansen Erg, Oberbefehlshaber der Streitkräfte von Proxima7 grinste und betrat den Hyperlift, der ihn mit der schnellsten aller Geschwindigkeiten zu den Arrestzellen transportieren würde. Er war wirklich sehr stolz auf seinen Einfall, den Beamstrahl auszuprobieren. Das ersparte ihnen nun eine ellenlange Weltraumschlacht inklusive dieser nervtötenden Materialvergeudung und endlosen Videokonferenzen. Vielleicht, so dachte Hansen, könnte er sich selbst beim König für die Verleihung einer Ehrenmedaille vorschlagen.
Die Wissenschaftler von Proxima7 hatten eine derart große Angst vor den möglichen Folgen eines falsch durchgeführten Beamvorganges, dass sie nur ein einziges Exemplar gebaut hatten und den Auslöser hinter einer transparenten Sicherheitsscheibe, drei Lagen Klebeband und einem Retinascanner versteckt hatten. Dabei war das Beamen eigentlich eine ganz einfache Sache. Einfach den Schutzdeckel heben und auf den Knopf drücken. Jeder Idiot könnte das.
"Käptn an Deck!", bellte der Offizier, als Hansen Erg den Zellenblock im hinteren Westflügel des Raumkreuzers betrat. Er sog den köstlichen Duft der puren Unbenutztheit tief ein, der hier herrschte, da es auf Proxima7 bisher niemanden gegeben hatte, den man hätte einsperren können. Hansen marschierte gemessenen Schrittes den langen Gang entlang bis er schließlich an der letzten Zelle ankam, in der zwei Männer dabei waren, sich gegenseitig anzubrüllen.
"Ja, du hast verdammt noch mal die Schuld! Ich hätte dem Kerl niemals die Fresse poliert!", schimpfte einer der Männer. Er trug einen weißen Kittel und eine Kochmütze.
"Wenn du nicht mit deinem fetten Hintern im Weg gestanden hättest, wäre ich nie gestolpert."
"Kein Grund, mich mit in das Schiff zu zerren! Verdammt, ich könnte jetzt eine Melange zubereiten oder so. Und stattdessen sitze ich hier in einer Arrestzelle mit einem..."
"Hey, Ruhe hier!" Hansen Erg zeigte den beiden Häftlingen seine Ehrenplakette, um jeden Zweifel auszulöschen, wer hier das Sagen hatte. Das wirkte. "Kann ich euer Diebesgut mal sehen?"
Wortlos überreichte Jargen dem Oberbefehlshaber den Pappkarton. Der öffnete ihn und zog eine unscheinbare schwarze Schachtel hervor. An den Seiten hatte sie Fenster, durch die man hineinsehen konnte. Es wirkte wie ein kleines Puppenhaus. Mit dem Unterschied, dass die Puppen im Innern sich bewegten. Über der Eingangstür stand etwas an die Wand des Hauses gemeißelt. Hansen Erg musste die Augen zusammenkneifen, um es erkennen zu können.
Ministerium zur Sicherstellung des reibungslosen Ablaufes aller möglichen Dinge
...
Tausendmal schlimmer noch, als eine dreiäugige Schnecke etwa, die das Büro mit ihrem alles verätzenden Schleim in Grund und Boden schmaddert, viermal gewaltiger als die Vorstellung eines sieben Meter großen Gnoms, der sämtliche Akten des Ministeriums abschreibt und dabei mit voller Absicht Tippfehler in beträchtlicher Menge einbaut. Das schlimmste, was Grudon und den Hausmeister in Numrods Büro erwarten könnte, wäre sicherlich die Abwesenheit Meister Numrods gewesen.
Meister Numrod saß nicht an seinem Schreibtisch.
"Wo hab ich denn nur diesen Löffel... Himmel noch eins... ich hatte doch... oder hier?" Grudon bemerkte, wie sich irgendwo hinter dem Berg an Joghurtbechern etwas bewegte. "Vielleicht habe ich auch gar nicht... oder es im alten Büro..."
"Meister Numrod?"
"Wer stört?" Der Becherberg teilte sich und heraus trat Meister Numrod. Sichtlich verärgert wedelte er mit seiner Faust in der Luft herum, bereit, dem garstigen Störenfried auf der Stelle Benimm beizubringen.
"Mein Name ist Grudon, Herr. Adept unterster Stufe vom Unterausschuss für denkwürdige und außergewöhnliche Kontrollaufgaben. Euer Unterausschuss, Herr. Meine Aufgabe war es, auf den Quellstabilisator aufzupassen."
"Es war deine Aufgabe?"
"Er ist kaputt."
"Oh mein Gott... aber das ist ja kaum auszuhalten..." Meister Numrod schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
"Was werden wir jetzt tun?"
"Ich werde das tun, was ich laut Protokoll zu tun habe... Wo habe ich es denn nur hinge... ach, da ist es ja." Der Mann vertiefte sich ein paar endlose Sekunden lang in das vergilbte Pergament, welches rot eingerahmt und mit ein paar ebenfalls roten Pfeilen an den wichtigen Stellen versehen über seinem Schreibtisch hing. "Also... ach ja, natürlich... das ist leicht." Sichtlich beruhigt setzte Numrod sich an seinen Schreibtisch, sah sich suchend um und betätigte schließlich den roten Knopf. Da der Tisch abgesehen von diesem Knopf vollkommen leer war, legte das den berechtigten Verdacht nahe, dass diese Tätigkeit die einzige Funktion Meister Numrods im Ministerium darstellte. Dann geschah gar nichts.
"Und? Was jetzt?", fragte Grudon nach einer Minute untätigen Wartens.
"Jetzt? Oh... nun, ich habe keine Ahnung. Meine Order lautet, das kannst du da sehr schön nachlesen, den Knopf zu drücken."
"Und was passiert dann?"
"Woher soll ich das wissen? Vermutlich wird im Büro des Hausmeisters eine Klingel läuten oder so. Die meisten dieser Knöpfe bringen irgendwas zum Läuten."
"Der Hausmeister? Aber der weiß doch schon Bescheid. Er... wo ist er eigentlich?"
"Wie ich ihn kenne, ist er wieder zurückgegangen, als wir mit dem Krisenmanagement beschäftigt waren. Gute Arbeit übrigens, junger Adept. Ich werde das bei Gelegenheit vor einem Unterausschuss lobend erwähnen."
"Und was ist jetzt mit dem Quellstabilisator?"
"Das ist Sache des Hausmeisters. Du solltest ihn besser schnell finden, da in etwa vier Minuten das Universum explodiert. Hat irgendwas mit dem Stabilisator zu tun, der hier alles am Laufen hält. Hatte ich das erwähnt?"
...
"Interessanter kleiner Kasten. Irre ich mich, oder tickt da irgendwas?"
"Was ist das?", fragte der Koch. Wenige Sekunden zuvor hatte er Hugon mit einem befriedigenden Kinnhaken auf die Bretter geschickt. Etwas, was er schon seit Beginn ihrer Reise hatte tun wollen.
"Das muss ich dir doch wohl nicht sagen, oder? Ich meine, du hast es immerhin gestohlen."
"Habe ich nicht. Er hat." Hilflos deutete Jargen in Richtung des am Boden liegenden Fensterputzers außer Dienst.
"Das spielt keine Rolle. Ihr habt gegen so viele Paragraphen verstoßen, dass wir eigentlich noch welche dazu erfinden müssten, um dem gerecht zu werden."
"Ich habe gar nichts gemacht! Der Typ hat mich... naja, hat keinen Sinn, denke ich. Was ist das denn jetzt für ein Kasten?"
"Ich weiß es auch nicht. Man hat mir nur gesagt, dass ich ihn unbedingt zurückbringen soll, weil das Universum davon abhängt oder so. Ich persönlich halte es für eine Art Bombe."
In diesem Moment begann der kleine schwarze Kasten merkwürdig zu glühen. Das Ticken wurde schneller und wich schließlich einem enervierenden Pfeifton unglaublich penetranter Frequenz.
...
"Es pfeift."
"Ja, das höre ich, junger Grudon. Warte... ich habe hier irgendwo noch ein Ersatzteil..." Der Hausmeister öffnete einen kleinen Spind, der den Eindruck erweckte, den Begriff Müllhalde neu definieren zu wollen und zog nach erstaunlich kurzer Zeit eine silbern glänzende Stange hervor. Erst jetzt bemerkte Grudon, dass schon seit einer ganzen Weile ungewöhnlich viel Licht durch die Fenster des Ministeriums drang und sich nun verheißungsvoll im Ersatzquellstabilisator spiegelte.
"Wir haben noch..."
"Jaja... diese Jugend. Immer muss alles husch husch gehen. Ich bin ja schon unterwegs. Nimm du mal den Schraubenschlüssel mit. Den werd ich sicher brauchen."
Wenig später standen die beiden vor dem Uhrwerk, aus dem der Quellstabilisator herausgebrochen war. Praktischerweise informierte eine rote Digitalanzeige über die noch verbleibende Zeit bis zum Ende des Universums. Die Zahl war erschreckend niedrig.
"Ich hatte ihnen damals geraten, das Notfallaggregat ausreichend zu dimensionieren", schimpfte Iruid und beugte sich ächzend zum subpolaren Transponderkern hinab. Seine Knie knackten. "Aber nein, man wusste ja mal wieder alles besser. Und jetzt haben wir den Salat. Schraubenschlüssel."
Die Sekunden tickten unaufhaltsam herunter, während der Hausmeister mühsam an einer kleinen Schraube herumdrehte und schließlich...
...
Der alte Mann lächelte weise und fuhr sich mit seiner zittrigen Hand durch den weißen Bart. Ein verheißungsvoller Wind wehte und brachte seine Frisur, bestehend aus ein paar ungeordneten Strähnchen und einer rosanen Haarklammer, gehörig durcheinander. Er sah prüfend nach oben und beobachtete den Geier, der bereits seit ein paar Stunden über uns seine Runden drehte. Scheinbar kannte der Mann den Vogel, als würde der schon seit längerer Zeit über ihm kreisen und einfach nur abwarten.
Ich hingegen verbrachte die Zeit damit, mich an den Felsvorsprung zu klammern und nicht an den Abgrund unter mir zu denken.
"Alter Mann, rede doch weiter", sagte ich mit schwacher Stimme. Irgendwo ganz tief dort unten mochte es vielleicht einen Boden geben. Sehen konnte ich ihn nicht. Meine Hand schwitzte. Ich brauchte Wasser. Aber all das war mir im Moment nicht wichtig. Ich wollte nur die Geschichte zu Ende hören.
"Nun, junger Freund", hob der Alte endlich an, "In der Ruhe liegt die Kraft. Hab keine Angst, du wirst alles erfahren. Alles. Du musst dich einfach in Geduld üben. Ich werde nun nach Hause gehen, denn ich bin sehr müde. Vielleicht komme ich morgen wieder und erzähle dir, wie es dazu kam, dass ein Koch und ein arbeitsloser Fensterputzer dieses Raumschiff von Proxima7 gestohlen haben. Vielleicht auch nicht." Der alte Mann lachte dreckig, erhob sich umständlich und ließ mich in meiner misslichen Lage allein.
Vielleicht bis morgen. Wenn ich so lange warten kann.