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Kein Recht auf Lebenslänglich?

sim

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13.04.2003
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Kein Recht auf Lebenslänglich?

»Frau Susanne Verna?«
Sie nickt stumm. Hübsch sieht sie aus, trotz ihrer verquollenen Augen. Die dunklen Haare trägt sie mit einem Gummibad hinten zusammengebunden.
»Mein Name ist Uhlig. Ich wurde gebeten, Sie zu vertreten.«
Sie lächelt unsicher und streckt mir ihre Hand entgegen: »Können Sie das mit ihrem Gewissen vereinbaren?«
»Jeder hat in unserm Land das Recht auf Verteidigung.«
Eine Floskel, mit der ich ihr ausweiche. Ein Grundsatz, der mich auf die Probe stellt. Wen habe ich erwartet, vor mir zu sehen?
»Ja, ich kann es mit meinem Gewissen vereinbaren.«
Sie lächelt nicht mehr, schaut mich nur unverwandt an.
»Ich muss Sie zunächst bitten, mir ein paar Vollmachten zu unterschreiben.« Je eher wir die Formalitäten hinter uns haben, um so besser. Aber im Moment geben die Formulare mir Zeit. Ich breite die vorbereiteten Zettel vor ihr aus und drücke ihr einen Stift in die Hand. »Lesen Sie es in Ruhe durch«, fordere ich sie auf. »Wenn Sie etwas nicht verstehen, fragen Sie!«
»Sie haben schöne Hände«, stellt sie fest, nimmt eines der Papiere und überfliegt es, bevor sie es unterschreibt.
»Danke.«
»Hände sind für mich wichtig, wissen Sie. An den Händen erkenne ich, ob ich jemandem vertrauen kann.«
Ich muss mich beherrschen, sie anzuschauen, nicht verlegen auf den Boden. Ich brauche ihr Vertrauen, wenn ich sie verteidigen möchte. Und doch ist es mir unangenehm, von ihr ein Kompliment zu hören.
»Nicht das Gesicht?«, frage ich. Sie sammelt die unterschrieben Zettel zusammen, und stößt den Stapel noch einmal mit den Kanten auf den Tisch, damit er gerade ist, bevor sie ihn vor mich hinlegt. Den Stift drapiert sie schräg darauf.
»Gesichter können lügen«, erwidert sie und schaut mir dabei in meines. Kann sie eine Lüge darin entdecken?
Ich bedanke mich und stecke die Formblätter in die Aktentasche. Ich kann ihr nichts entgegnen.
»Was haben Sie vor?«, möchte sie wissen und schaut mich dabei an, während sie sich eine Zigarette anzündet.
»Das möchte ich mit Ihnen besprechen.«
»Sie wissen, dass ich schuldig bin?« Langsam und ruhig bläst sie den Rauch in den Raum.
Ich nicke. »Erzählen Sie mir von sich, Frau Verna«, bitte ich sie, »von sich und von Calvin. Wie haben sie gelebt, welche Arbeit hatten Sie? Fangen Sie an, wo Sie wollen.«
»Haben Sie Kinder?«
Ich muss lächeln. Ich muss immer lächeln, wenn mich jemand nach Jacob fragt. Es ist so schön, dass er bei uns ist.
»Sie haben Kinder«, stellt sie fest. »Es ist schön zu sehen, wie Sie strahlen, wenn Sie an sie denken.«.
»Ich habe einen Sohn.«
Frau Verna nimmt einen weiteren Zug der Zigarette und wartet, bis der Qualm aus ihrem Mund entwichen ist.
»Manchmal, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, konnte ich auch so lächeln wie Sie. Calvin hatte schon den Tisch gedeckt, hatte das Abendbrot bereitet und mich mit einer Umarmung empfangen. Er konnte so rührend sein.«
Sie stockt, weiß nicht weiter, aber sie lächelt wehmütig in ihrer Erinnerung.
»Was haben Sie gearbeitet?«
Ihre Versunkenheit irritiert mich. So hatte ich mir die Frau nicht vorgestellt. Still leuchtet sie in ihrer Erinnerung, vergisst die Zigarette in ihrer Hand und schreckt plötzlich auf.
»Wie bitte?«
»Was Sie gearbeitet haben?«
»Ich war Friseuse.«. Wie zur Bestätigung drückt sie die Zigarette aus und fährt sich mit den Händen durch das Haar. »Ich habe es gern getan«, erzählt sie und lacht dabei. »Es brachte mir Spaß, den Männern den Kopf zu waschen. Aber der Verdienst ist lausig, selbst wenn man das Trinkgeld dazu nimmt. Vom Sozialamt hätte ich mehr bekommen.«
Nein, ich kann sie nicht fragen, warum sie gearbeitet hat.
»Wissen Sie«, fährt sie fort, »ich habe mich manchmal gefragt, warum ich das mache. Ich hätte so viel Zeit mit Calvin verbringen können. Aber ich wäre nie aus dem Haus gekommen. Ohne die Abwechslung im Salon …« Sie hält inne und schaut mich an. »Erzählen Sie mir von Ihrem Sohn. Wie heißt er?
»Jacob.« Vielleicht ist es gut, wenn ich ihr von ihm erzähle. »Er ist vier Jahre alt. Ein richtiger kleiner Racker.«
»Sie scheinen sehr stolz auf ihn zu sein.«
»Oh ja. Das bin ich«, sage ich und lächle sie an. Sie lächelt zurück.
»Das spürt man.« Eine weitere Zigarette, die sie sich anzündet und von der sie drei Züge inhaliert, bevor sie fortfährt. »Ich war auch stolz auf Calvin. Es ist wohl schwer, das nachzuvollziehen, aber ich bin es noch. Nur manchmal, wenn ich meine Einsamkeit drückend aus dem Salon mit nach Hause trug, wenn ich morgens schon beim Sozialamt war, weil der Lohn für uns nicht reichte, wenn der Tag einfach beschissen war, konnte ich den Stolz nicht spüren. Ich kam nach Hause, sah Calvin vor dem Fernseher sitzen und es war nichts gemacht. Der Abwasch war nicht erledigt, der Müll nicht runter gebracht und die Sonne kam vor Dreck kaum noch durch die Fenster. Wie hätte ich da stolz sein können?«
Möchte sie wirklich eine Antwort von mir? Sie schaut mir ins Gesicht, dann auf die Hände und zieht an ihrer Zigarette.
»War es so ein Tag?« frage ich in die Pause.
Die Zigarette glüht heiß, so angespannt, wie sie daran zieht. Sie scheint die Frage nicht gehört zu haben, aber vielleicht ist es besser, sie einfach erzählen zu lassen. Sie schluckt ein bisschen, drückt die Zigarette aus und schaut mich wieder an.
»Ihr Sohn muss bestimmt nicht im Haushalt helfen.«
»Wenn er älter ist«, nicke ich ihr zu und schäme mich für mein Glück. »Ganz sicher wird er helfen müssen, wenn er älter ist.«
Ihre Blicke verunsichern mich. Ich kann meine Hände nicht ruhig halten, falte sie, als wollte ich beten und drehe die Finger unruhig ineinander.
»War es so ein Tag, Frau Verna?«
Sie nickt. »Sein Vater war morgens im Salon. Er bestand darauf, dass ich ihm die Haare schneide. Er sagte kein Wort, schaute mich nur an durch den Spiegel und verfolgte jede meiner Bewegungen. Er hatte die Hände auf dem Schoß zu Fäusten geballt. Große Fäuste, die ich gut kannte.«
Sie zieht hoch, so als flössen die Tränen aus der Nase. Ihre Augen sind feucht, aber sie weint nicht. Nur ihre Hände zittern leicht, als sie sich die nächste Zigarette anzündet.
»Er hat Sie geschlagen?«
Energisch schüttelt sie den Kopf. »Schon lange nicht mehr. Nicht, seit wir geschieden sind.« Der Rauch ist ihre Atempause, die Ruhe, die sie sich gönnt. Ähnlich wie die Fragen nach Jacob, die sie immer wieder stellt. »Haben Sie Jacob je geschlagen?«
Ich mag den Kopf nicht schütteln. Wie ginge es mir, wenn ich Jacob alleine großziehen müsste?
»Nein. Ihre Hände schlagen nicht.«
Spürt sie, wie ich erleichtert ausatme, als hielte ich die Zigarette in der Hand?
»Was ist dann passiert, Frau Verna?«
Einen Zug nimmt sie sich Zeit, bevor sie antwortet.
»Es war viel zu tun. Manchmal schickte die Chefin mich nach Hause, wenn er da war. Aber an dem Tag konnte sie es nicht. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, und den Kunden nicht auf die Hände zu schauen. Es gelang mir ganz gut. Ich habe niemanden verschnitten.«
Mir schaut sie fast nur auf die Hände, so als erzählt sie ihnen die Geschichte. Nur wenn sie nach Jacob fragt, hebt sie den Kopf und lächelt mich an. »Schneidet ihre Frau Jacob die Haare? Es gibt hier einen Salon, in dem ich eventuell bald arbeiten kann. Vielleicht kommen Sie dann mal mit ihm vorbei?«
»Das wird nicht gehen.« Es ist gut, sich in Realitäten flüchten zu können, darauf hinzuweisen, dass der Gefängnissalon nicht öffentlich ist. »Noch schneidet meine Frau ihm die Haare«, antworte ich Frau Verna und füge mit einem Lächeln hinzu: »Die Frisur ist ihm noch nicht wichtig.«
»Das kommt noch.« Ihre Augen leuchten warm und liebevoll, wenn wir von meinem Sohn sprechen, ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte.
»Bestimmt.«
»Calvin hatte mir versprochen, die Wäsche im Garten aufzuhängen, nachdem er aus der Schule wäre. Aber als ich nach Hause kam, lag sie noch feucht in der Waschmaschine und Calvin war nicht da. Nur sein Rucksack mit den Büchern lag in seinem Zimmer. Ich hätte mich so gerne bei ihm ausgeweint, ihm erzählt, dass sein Papa da gewesen ist. Stattdessen musste ich kochen, die Wäsche aufhängen, und wusste nicht mal, ob er Hunger haben würde, wenn er zurückkäme. Er hatte mir keinen Zettel hingelegt. Keine Notiz, wo er war und wann er kommen würde.« Nur kurz nimmt sie den Blick von meinen Händen, als sie die Zigarette ausdrückt und sich gleich eine neue anzündet. »Er wusste genau, dass ich es hasste, wenn er mir nichts hinterließ.«
»Hatte er kein Handy?« Ich beiße mir auf die Lippen. Kurz wirft sie mit einer Kopfbewegung den Zopf zurück.
»Sie haben vielleicht Vorstellungen.« Zum ersten Mal fährt sie mich energisch an. »Wovon hätten wir uns das denn leisten sollen?«
Jetzt schaue ich auf meine Hände, auf die Finger, wie sie sich verknoten. »Entschuldigen Sie bitte«, murmle ich und bemühe mich, ihr wieder ins Gesicht zu sehen.
»Ich wusste nicht, wo er war. Ich rackerte von morgens bis abends für ihn und er hielt es nicht einmal für nötig, mir eine Nachricht zu hinterlassen. Mit jedem Stück Wäsche, dass ich auf die Leine hing, brachte ich mich mehr in Rage.« Einen Zug Pause, ein paar Kringel zur Beruhigung, denen sie nachschaut, wie verpassten Chancen. »Kann Jacob Sie so in Wut versetzen? Können Sie sich das vorstellen?«
»Wenn ich Angst um ihn habe.« Braucht sie die Bestätigung? Möchte sie wissen, ob ich sie verstehe? Oder will sie sich weh tun mit den Vergleichen?
Ihre Schachtel ist leer. Sie zerknüllt den Karton in ihren Händen und schaut mich Hilfe suchend an.
»Ich bin Nichtraucher.« Beim nächsten Besuch werde ich Zigaretten dabei haben.
»Als er nach Hause kam, war er betrunken. Er war vierzehn. Und er war sternhagelvoll. Wie sein Vater, wenn er mich geschlagen hat. Ich wollte meine Wut loswerden, wollte in Ruhe mit ihm reden, aber er beugte sich nur über die Toilette und kotzte alles vorbei. Noch mehr Arbeit. Der ganze Schweinkram blieb an mir hängen. Und wenn ich etwas sagte, blubberte er mich an, stützte sich an unserem Schrank ab, um nicht den Halt zu verlieren, und fragte, ob ich was zu fratzen hätte.«
»Zu fratzen?«
»Zu essen. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass er es so nannte. Aber in dem Moment konnte ich es nicht ertragen. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, die Wäsche aufgehängt, obwohl er versprochen hatte, es zu tun, und ich habe gekocht. Und er trat meine Liebe mit Füßen, so wie alle sie immer mit Füßen getreten haben. Er kotzte mir das Badezimmer voll. Fratzen klang nach Fraß. Es wäre egal gewesen, was ich ihm vorgesetzt hätte. Er torkelte vom Schrank zur Küchentür, baute sich darin auf und wiederholte die Frage. Da sah ich seine Hände, große schmutzige Hände, die sich am Türrahmen zu Fäusten ballten. Und ich sah seine Vater in ihm. Er erinnerte mich so sehr an seinen Vater.«
Sie rotzt nicht mehr nur hoch, sie schluckt nicht mehr nur. Jetzt laufen Tränen aus ihren Augen, während sie auf meine Hände starrt. Und ich schaue unsicher, ob sie sauber sind oder ob Dreck unter den Fingernägeln steckt. Es sind kleine Hände, die noch nie körperlich arbeiten mussten.
»Sieht Jacob Ihnen ähnlich?«
»Nein.« Wem von uns sieht er ähnlich? Wessen Züge trägt er? »Er hat die Augen meiner Frau. So warm und dunkelbraun, dass sich die Liebe der Welt in ihnen spiegelt.«
»Schön, wie Sie das sagen.« Sie versucht, ihre Tränen mit einem Lächeln fortzuwischen und fährt sich mit dem Ärmel über die Augen. »Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht mit meiner Flennerei nerven.«
»Es ist in Ordnung.«
Sie nimmt die zerknüllte Zigarettenschachtel in die Hand, schaut in ihrer Tasche, ob sie nicht doch noch eine Packung findet und zuckt resigniert mit den Schultern.
»Sie haben wirklich keine?«
Ich schüttle den Kopf.
»Ich hatte die Pfanne in der Hand. Eine schwere Eisengusspfanne, die ich auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Er stand im Eingang, die riesigen Hände am Türrahmen, grinste und lallte. Er war nicht mehr Calvin, verstehen Sie? Er war sein Vater. Und als er mit den geballten Fäusten auf mich zukam, war es wie ein Reflex.«
Sie beobachtet, ob meine Hände sich noch bewegen. Vielleicht ermisst sie daran, ob ich ihr noch zuhöre.
»Ich wollte ihn nicht umbringen. Das müssen Sie mir glauben. Aber als er immer näher kam, hatte ich Angst. Die Pranken zu Fäusten geballt, das Grinsen. Er würde mich schlagen. Das wusste ich. Da habe ich mit der Pfanne nach ihm geworfen. Er war viel zu betrunken, ihr auszuweichen.«
Wieder der Ärmel, mit dem sie sich die Tränen abwischt. Ich suche nach einem Taschentuch. Wieso habe ich keines dabei? Sonst habe ich immer welche. Hatte ich geglaubt, solche Frauen haben keine Tränen? Ihre Hände suchen nach meinen. Wenn schon keine Zigaretten da sind, brauchen sie einen anderen Halt.
»Er hat geschrien, aber er fiel nicht. Er raste auf mich zu, jagte mich um den Küchentisch, versuchte, mich festzuhalten, meine Hände zu fassen zu bekommen und ich rutschte auf dem heißen Essen aus. Als ich auf dem Boden lag, stürzte er sich auf mich, kniete auf mir und immer wieder griff er nach meinen Handgelenken. Er war nur zu betrunken, um sie zu halten. Und als ich mich unter ihm wand, hatte ich plötzlich die Pfanne wieder in der Hand. Ich wollte doch einfach nur Ruhe.«
»Hat er Sie geschlagen?«
»Ist das wichtig?« Ihre Finger krallen sich in meiner Hand fest.
»Nein«, antworte ich. »Heute ist es noch nicht wichtig. Wenn ich auf Notwehr plädiere, könnte es wichtig werden.«
»Tun Sie das nicht.« Noch laufen ihre Tränen übers Gesicht. Jetzt, da sie meine Hände spüren kann, schaut sie mir ins Gesicht. »Gibt es kein Recht auf lebenslänglich? Ich habe ihn umgebracht.«
Ich möchte widersprechen, aber wenn ich in ihr Gesicht schaue, wenn ich ihn ihrem Blick die Eindringlichkeit ihrer Frage lese, wage ich es nicht.
»Darüber reden wir beim nächsten Mal.« Haben wir Anwälte nur gelernt zu vertrösten? Ich löse meine Hände und erhebe mich. Es wird Zeit. Das Gespräch hat uns bestimmt beide Kraft gekostet.
»Haben Sie ein Foto von Jacob dabei?« Sie versucht nicht mit den Händen, mich aufzuhalten. Nur ihre Frage enthält ein bisschen den Wunsch nach Wärme. »Bestimmt haben Sie eines in der Brieftasche, so stolz, wie sie auf ihn sind.«
Ich lächle sie an. »Natürlich habe ich ein Foto von ihm dabei.«
»Zeigen sie es mir?«, bittet sie. Ich ziehe das Bild hervor und reiche es ihr. Sie schaut es an, erstrahlt und blickt mir ins Gesicht. »Er ist ein Mongo?«, entfährt es ihr. Schnell beißt sie sich auf die Zunge und wendet sich ab. »Verzeihen Sie. Das war dumm.«
»Es ist in Ordnung«, antworte ich, reiche ihr die Hand zum Abschied und schäme mich für mein Glück.

 
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Lieber sim!

Wieder eine sehr schön erzählte Geschichte, die das Schicksal eines Menschen gefühlvoll beleuchtet. Sehr gut gefällt mir, wie Du die Hände ins Spiel bringst (obwohl da natürlich schon ein bisschen Klischee mit drin liegt, da ja durchaus auch große, rauhe Pranken zärtlich sein können und schmale, weiche Hände weh tun können, aber das nur so nebenbei), besonders gefallen hat mir, wie ihr Blick dann ins Gesicht wechselt, als er ihre Hände in seine nimmt, ein schönes Bild ist Dir da gelungen.
Weniger "schön" ist der Hintergrund der Geschichte, der ist ziemlich tragisch, und beim Ende bin ich mir nicht so ganz sicher: Das Kind des Anwalts ist Mongoloid, und das erkennt die Frau am Foto - ich bin mir ziemlich sicher, daß Du damit eine hintergründige Aussage treffen willst, aber ich bin mir noch nicht so ganz sicher, was das ist - es könnte um den Vergleich gehen, daß die Frau zornig war, wenn ihr Sohn die Wäsche nicht aufgehängt hat, der Anwalt aber sein Schicksal, ein krankes Kind zu haben, tapfer erträgt. Wobei der Vergleich für mich ein bisschen hinken würde, aber vielleicht meinst Du es auch gar nicht so? *grübel*
Das macht mich jetzt auch unsicher in der Deutung Deiner Aussage hinter der Geschichte. Einerseits wird ihre Schuld durch das Betrachten der Umstände gemildert, andererseits zeigst Du ihre Erwartungshaltung gegenüber ihrem Sohn, die sie nicht hätte haben dürfen. Finde ich momentan sehr schwierig, werde aber noch weiter drüber nachdenken. ;)

Was ich noch gefunden hab:

"Möchte sie wirklich eine Antwort von mir?"
- Möchten

"»Wenn er älter ist«, nicke ich ihr zu"
- Im Morsealphabeth könnte man eventuell einen Satz nicken, also lang nicken, kurz nicken ... ;)

"Er sagte kein Wort, schaute mich nur an durch den Spiegel und verfolgte jede meiner Bewegungen."
- würde das "an" hinter den "Spiegel" geben

"Schneidet ihre Frau Jacob die Haare?"
- Erst an dieser Stelle hab ich mitbekommen, daß es sich nicht um zwei Frauen handelt, ich dachte erst an eine Frau als Anwältin - eventuell könntest Du das schon früher klarer machen, weiß aber nicht, ob es vielleicht nur mir so geht. ;)

"Mit jedem Stück Wäsche, dass ich auf die Leine hing,"
- das, hängte (die Wäsche hing auf der Leine, aber sie hängte sie hinauf)

"Und ich sah seine Vater in ihm."
- seinen

"Vielleicht ermisst sie daran, ob ich ihn noch zuhöre."
- ihr

"Er war viel zu betrunken, ihr auszuweichen."
- würde ein "um" vor "ihr" einfügen, da ich denke, daß man es beim Reden eher dazusagt

"stürzte er sich auf mich, niete auf mir"
- kniete

Alles Liebe,
Susi :)

 

Liebe Häferl,

schön, dass dir diese bittere Geschichte gefallen hat. Die Fehler habe ich bis auf einen alle eiditiert.
Ja, die Aussage? Kann es zu diesem Themenkreis eine Aussage geben? Oder ist es besser, sich auf Denkanstöße und Fragen zu reduzieren, die ich in der Gegensätzlichkeit suche?
Ich hoffe nicht, dass die Zuneigung, die der Anwalt zu seinem Sohn hat irgendwo im Text als tapferes Tragen eines Schicksals ankommt. Dann hätte ich versagt.

Die großen Hände sind sicherlich ein Klischee. Ich entschuldige mich schon mal bei allen hier im Forum, die große Hände haben. Natürlich können auch sie zärtlich sein. ;)
Aber kleine Hände eigenen sich leider so wenig als Bedrohung. Ich hoffe, man verzeiht mir dieses Klischee innerhalb der Geschichte.

Einen lieben Gruß und einen lieben Dank, sim

 

hallo sim!

Eigentlich wollte ich die Geschichte erstmal überfliegen - naja, falsch gedacht, wie immer. Mit überfliegen ist ncihts, man wird reingezogen und kommt nicht mehr raus. Die Perspektive empfinde ich als gut gewählt, man merkt die anfängliche Überraschung fast des Anwalts, kein "Monster" vorzufinden, und das Gefühl, eine überforderte Frau vor sich zu haben, die sich gegen die Gewalt eines ganz anderen wehrt und damit fast reflexartig und ohne es zu wollen ihren eigenen Sohn tötet ist dir sehr gut gelungen.
So furchtbar das Verbrechen ist, so sehr gelingt es Dir, hier eine sehr menschliche Mutter und zugleich Mörderin zu zeichnen.
Auf der anderen Seite der Anwalt, dem man zu jedem Punkt der Geschichte die Liebe anmerkt.

Ich hoffe nicht, dass die Zuneigung, die der Anwalt zu seinem Sohn hat irgendwo im Text als tapferes Tragen eines Schicksals ankommt
nein, so kam es bei mir ganz und garnicht an. Es kommt nciht darauf an, ob der Junge behindert ist - der Anwalt liebt ihn so, wie er ist. Es scheint ein Annehmen und Liebe zu sein. So kommt es bei mir an. Auch eine gewisse Selbverständlichkeit.

Wunderschön menschlich, wunderschön packend.
Dass die Frau selbst eigentlich keine Verteidigung für das möchte, was sie getan hat, sich nciht rausreden will, sondern ihre Tat selsbt als so ungeheuerlich empfindet, dass sie nach dem Recht auf lebenslänglich fragt, ist etwas, das mich sehr berührt hat.

liebe Grüße
Anne

 

Lieber sim!

Ja, als Denkanstoß ist sie auf jeden Fall gelungen, wie Du ja auch in meiner PM lesen kannst, weshalb ich hier jetzt auch schweige und nicht sage, was ich mir gedacht hab. ;)
Und tapferes Tragen des Schicksals war natürlich nicht ganz der passende Ausdruck, im Hinblick auf die Umstände grenzt es schon eher an inneren Stolz, aber das ist auch wieder nicht so ganz der richtige Ausdruck, was ich meine, geht vielleicht am besten aus diesem Zitat hervor:

Ich muss lächeln. Ich muss immer lächeln, wenn mich jemand nach Jacob fragt. Es ist so schön, dass er bei uns ist.

Das mit dem Klischee bei den Händen wollte ich eigentlich gar nicht als Kritikpunkt verstanden wissen, sondern feststellen, daß es trotz dem Klischee gut in die Geschichte paßt. :)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo sim,

auch mir hat deine Geschichte gut gefallen. Der Kontrast zwischen dem Leben des Anwalts und seiner Mandantin ist gut rübergekommen. Dass die Frau auf "lebenslänglich" plädiert, fand ich konsequent - sie wollte nicht ihren Sohn umbringen, sondern seinen Vater in ihm, also muss sie für den Mord an dem Sohn bestraft werden. Bitter, aber realistisch. Ähnlich wie häferl hab ich ein Problem mit dem Ende bzw. dem mongoloiden Jakob. Gut, es relativiert den Kontrast einfaches Leben - schweres Leben und macht daraus ein "glückliches Leben trotz Schwierigkeiten", trotzdem war dieser Aspekt deiner Geschichte für mich nicht so ganz stimmig.

Ein paar Kleinigkeiten sind mir noch ins Auge gesprungen:

Die dunklen Haare trägt sie mit einem Gummibad hinten zusammengebunden.
Gummibad? ;) Das hinten hat mich auch stocken lassen beim Lesen. Denn - wo sonst, wenn nicht hinten?
»Es ist schön zu sehen, wie Sie strahlen, wenn Sie an sie denken.«.
ein Punkt zuviel
Frau Verna nimmt einen weiteren Zug der Zigarette
fehlt hier nicht auch noch ein "an"?
»Es ist schön zu sehen, wie Sie strahlen, wenn Sie an sie denken.«.
auch hier ist ein Punkt zuviel

Liebe Grüße
Juschi

 
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Hallo Maus,

das ehrt mich natürlich, dass es mit dem erstmal überfliegen nichts geworden ist. :)
Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat, und dass es mir offensichtlich gelungen ist, dich in den Bann zu ziehen.

Liebe Häferl,

schön, dass der Denkanstoß gelungen ist. Ich hatte das Klischee auch nicht als Kritik aufgefasst. Aber es ist ja in der Tat eines. :)

Hallo Juschi,

auch dir vielen Dank. Dass der Kontrast zwischen den beiden Leben gut rausgekommen ist freut mich sehr, denn das war mir wichtig. In diesem Kontrast liegt auch die Ursache für die Behinderung Jacobs. Wäre das Handicap nur für die Rührung gedacht, würde ich diese Stelle sofort ändern. Es geht aber um Chacnengleichheit. Und da erscheint mir dieser Aspekt wichtig.

Es freut mich sehr, dass die Geschichte euch gefällt. Vielen Dank euch Dreien fürs Lesen und für eure Gedanken.

Einen lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,

eine toll erzählte Geschichte, gefällt mir sehr gut. Bin noch frisch hier und lese mich grad durch die Rubriken. Ich mag Geschichten mit Dialogen, mit gut geschrieben Dialogen. Und dazu gehört deine auf jeden Fall. Hat mich richtig gefesselt. Dass das Kind (und damit wohl das Leben) des Anwalts nicht so "makellos" ist, wie es zunächst den Anschein hat, und er es trotzdem über alle Maßen liebt, ist für mich das Sahnehäubchen deiner KG.

Gruß,
bribabe

 

Hallo Sim!

Allen Komplimenten hier muss ich mich anschliessen, die Geschichte hat mir sehr gefallen.

Ich habe nur zwei kleine Kritikpunkte:

(1) Ich finde, dass dieser erstaunliche Dialog etwas zu selbstverständlich in Gang kommt. Ist es nicht eine Frau aus niederen Schichten, die hemmungslos rotzt und sich nicht schlecht ausdrückt und die ihr Leben lang immer zu spüren bekommen hat, aus welcher Schicht sie kommt, und um einen Anwalt, der eine eingefahrene Routine hat und Angst hat, seine weissen Manschetten in ihren Sabber und ihre Tränen zu legen - und sind nicht beide überrascht, dass sich über ihre Unterschiede hinweg plötzlich ein sehr persönliches Gespräch ergibt?

(2) Mir ist die Aussage am Ende etwas zu klar - Das Kind ist mongoloid, und er liebt es trotzdem, punkt. Wäre es nicht besser, wenn er es zwischendurch bei sich denken würde ("Ich sagte ihr nicht, dass Jacob..."), ohne es am Ende aufzulösen, so dass der Leser ein wenig im unklaren gelassen wird, wie er zu seinem Sohn steht, ob es bei den Aussagen des Anwaltes um Fassade oder Ernst handelt? Wird dann die Problematik seines Lebens nicht deutlicher?

Morgen solls in Hamburg gewittern, also hör auf zu surfen und geh an die Elbe, mach ich jetzt auch!

Gernot

 

Hallo Sim,
stilistisch ist die Geschichte einfach perfekt geschrieben, flüssig, anschaulich. Du wirst immer besser! Die Behinderung Jacobs habe ich auch als Kontrast gesehen und als ein kleiner Schock am Schluss. Die Situation der Frau ist sehr einfühlsam erklärt. Nur der permanente Realist in mir flüstert mir ein, dass es so verständnisvolle Anwälte und dann auch noch so eine die sich so viel Zeit nehmen, nicht gibt. Gut, vielleicht ist er gerade durch seinen Sohn so geworden, das solltest du dann auch andeuten. Aber selbst ein abgebrühter Anwalt würde wissen, dass jeder Täter weinen kann, den Satz solltest du streichen, ist sowieso redundant:

Hatte ich geglaubt, solche Frauen haben keine Tränen?
Stattdessen könnte er sich zwischendurch wundern, dass die Frau so offen und gefasst spricht. Wie Gernot schrieb, ist das alles erstaunlich. Kennt ein Anwalt nicht aus dem Polizeiprotokoll ihren Beruf. Er könnte nach ihrem Lebenslauf fragen, sie bestätigen, dass sie sich so gut ausdrücken kann, sensibel ist. Na ja, ich wünsche mir auch, dass alle Menschen so miteinander umgehen, dann würden diese Dinge nicht passieren. Ich würde gerne erfahren, wie jemand so wird.
Oje, jetzt habe ich viel zu viele Vorschläge gemacht, das wäre ja eine andere Geschichte. War nur, um meine Kritik zu verdeutlichen.
viele liebe Grüße
tamara

 
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Hallo Illu, Bribabe, Gernot und tamara.

Sorry, dass ich mich gestern nicht mehr gemeldet habe. Ich war den ganzen Tag unterwegs.

Ich finde eure Gedanken zu der Geschichte spannend und auch (leider) ein bisschen erschreckend.

Schön ist natürlich, dass ihr alle die Geschichte mochtet. Das freut mich außerordentlich.
Andererseits habe ich anscheinend mit der Struktur für ein Rätselraten gesorgt, muss mir also ankreiden lassen, nicht eindeutig genug oder nicht verständlich genug geschrieben zu haben.
Allerdings erscheint mir die Struktur für meine Intention nach wie vor noch zwingend. Vielleicht habt ihr ja Vorschläge, wenn ich euch ein bisschen davon mitteile.

Häferl schrieb zu dem behinderten Kind folgendes:

es könnte um den Vergleich gehen, daß die Frau zornig war, wenn ihr Sohn die Wäsche nicht aufgehängt hat, der Anwalt aber sein Schicksal, ein krankes Kind zu haben, tapfer erträgt. Wobei der Vergleich für mich ein bisschen hinken würde, aber vielleicht meinst Du es auch gar nicht so? *grübel*
Und sie lag damit, auch wenn sie es als Kritikpunkt an der Geschichte sah, richtig. Der Vergleich würde nicht nur ein bisschen hinken, Er hinkt gewaltig.
Noch eine Verunsicherung gab es bei Häferl.
Einerseits wird ihre Schuld durch das Betrachten der Umstände gemildert, andererseits zeigst Du ihre Erwartungshaltung gegenüber ihrem Sohn, die sie nicht hätte haben dürfen.
Nur ist es dabei die Frage, welche Begleitumstände als mildernd aufgefasst werden. Sehe ich sie ausschließlich im Ablauf der Tat, in der Psychologie Susannes, die in diesem Moment in ihrem Sohn nur dessen Vater sah? Oder sehe ich ihre soziale Situation, die Überforderung, die Einsamkeit. Gibt es nciht auch für die vorangegangenen Überforderungen ihres Sohnes, für ihre unangemessenen Erwartungshaltungen ihm gegenüber mildernde Umstände?
Juschi schrieb dazu:
Gut, es relativiert den Kontrast einfaches Leben - schweres Leben und macht daraus ein "glückliches Leben trotz Schwierigkeiten", trotzdem war dieser Aspekt deiner Geschichte für mich nicht so ganz stimmig.
Wenn es ihn relativiert, ist es schade. Geht wirklich aus der Geschichte oder aus der Nutzung der Behinderung als "Pointe" hervor, dass es eine Relativierung des Kontrastes ist? Oder könnte es nciht auch eine Verschärfung sein?
Ist die Behinderung für den Anwalt wichtig? Oder liebt er sein Kind einfach, ohne die Behinderung "überhaupt zu sehen"?
Dass er sie bis dahin nicht erwähnt, kann in der Tat zwei Ursachen haben. Die erste wäre, die ganze Zeit zu grübeln, ob er es mitteilt, diese aber auf Grund der Situation für unangemessen zu halten. Dann würde ihn die Behinderung beschäftigen. Die zweite (und ich meinte, diese beschrieben zu haben) wäre. Sie ist für ihn schlicht nicht besonders erwähnenswert. Sie spielt in seiner Liebe zu ihm keine Rolle. Die erste Variante wäre die von Gernot vorgeschlagene:
Wäre es nicht besser, wenn er es zwischendurch bei sich denken würde ("Ich sagte ihr nicht, dass Jacob..."), ohne es am Ende aufzulösen, so dass der Leser ein wenig im unklaren gelassen wird, wie er zu seinem Sohn steht, ob es bei den Aussagen des Anwaltes um Fassade oder Ernst handelt? Wird dann die Problematik seines Lebens nicht deutlicher?
Dann ginge es um die Problematik seines Lebens. Die Aussage scheint also gar nicht zu klar zu sein, auch wenn diese Aussage sicherlich in meine Denkrichting führt.
Das Kind ist mongoloid, und er liebt es trotzdem, punkt.
Genau. Und damit sind wir wieder bei dem Vergleich zu Beginn. Es gibt keine Widerrede zu dieser Liebe. Der Anwalt liebt es. Er hat die soziale Möglichkeit dazu. Er hat ein (eventuell) fast schon weltfremdes Glück. Keine Gewalterfahrung, ein geregeltes Einkommen, einen Menschen zu Hause, mit dem er teilen kann.
Dass er auch Vorurteile hat, wie Illu schrieb, stimmt. Auch wenn ich es nicht erwähnt habe, bei einem solchen Fall wäre wahrscheinlich, dass er durch die Medien gezerrt und die Mutter dabei mit hässlichen Attributen bedacht wird. Es ist schwer, da nicht voreingenommen zu sein. In dem Erkennen des Anwalts "Mir sitzt ein Mensch gegenüber, der in der Lage ist, zu lieben, Gefühle zu zeigen" kann auch für uns die mediale Einschätzung von Straftätern dieser Art in Frage gestellt werden.
Hatte susanne die gleichen Chancen, ihr Kind so zu lieben, wie der Anwalt seines? Und welche Chancen hätte Calvin gehabt, wenn er denn hätte weiterleben dürfen?
Der Anwalt hat sicher kein leichtes Leben mit seinem Kind, aber er schämt sich für sein Glück, welcher Art auch immer das sein mag.
Es ist das Glück, ungehindert lieben zu dürfen. :)
Ein zweiter Punkt der Kritik betraf die Realtitäsferne des Dialogs, der sich zu schnell aufbaut.
Gut, ich habe lakita nicht gefragt, ob es so ablaufen kann. Ich denke, auch Pflichtverteidiger bekommen erst dann Akteneinsicht, wenn das Mandat übernommen wurde. Das ist es erst mit der Unterschrift des Klienten (lakita oder arc en ciel mögen mich da gerne berichtigen, wenn das falsch ist).
Susanne stellt den Anwalt ja auf zwei Proben, bevor sie ihm von sich erzählt. Sie fasst erstes Vertrauen durch die Hände. Und sie fragt ihn, ob er Kinder hat. Sie möchte in seiner Antwort einen Vertrauensvorschuss. An diesem Punkt sollte vielleicht ihre Unterschrift später kommen. Ich überlege mal, wie ich das bewerkstellige.
Wenn ich das Vorgespräch über die Unterschriften zu weit ausgedehnt hätte, hätte aber nach meinem Dafürhalten die Stringenz der Geschichte gelitten.

So, ich habe jetzt so viel erklärt und widersprochen, dass dabei mal wieder völlig untergegangen ist, dass euch allen die Geschichte ja gefallen hat. Insofern noch einmal vielen Dank fürs Lesen und für eure Gedanken.
Ich hoffe, nichts vergessen zu haben.

Lieben Gruß, sim

 

So, hier haben wir ein Geschichtenniveau erreicht, dass absolut professionell ist und wo ich nicht mehr mitreden kann.
Ich kann nur über den Facettenreichtum, den du einer an sich erstmal simplen Problematik abgewinnen kannst (Man könnte den Inhalt der Geschichte in einem Satz zusammenfassen) demütig loben. Das macht große Schriftsteller aus!

Liebe Grüße,
Popla

 

Hallo sim,

da will ich doch nochmal was zu dieser wunderbaren Geschichte sagen.

Geht wirklich aus der Geschichte oder aus der Nutzung der Behinderung als "Pointe" hervor, dass es eine Relativierung des Kontrastes ist? Oder könnte es nciht auch eine Verschärfung sein?
Für mich ist es aus folgendem Grund eine Relativierung des Kontrastes: Die ganze Geschichte über hatte ich den Eindruck, dass es da jemand ziemlich schwer hat im Leben und ihr Gegenüber vom Schicksal begünstigt ist und auf Rosen gebettet wurde. Und genau dieser Kontrast wird gegen Ende relativiert - was nicht schlimm ist, denn den Gegensatz den Du meintest, war ja ein anderer. Nämlich, dass beide gleiche Voraussetzungen hatten (beide hatten mit Schwierigkeiten zu kämpfen), aber anders damit umgehen. Das machst Du mit dem Ende gut deutlich. Vielleicht habe ich es genau aus dem Grunde kritisiert, weil es so plötzlich kommt, mir klar macht, dass ich auf einer falschen Fährte war.
Ist die Behinderung für den Anwalt wichtig? Oder liebt er sein Kind einfach, ohne die Behinderung "überhaupt zu sehen"?
Sie ist definitiv nicht wichtig, das hast du sehr gut beschrieben. Er zögert z.B. nicht eine Sekunde, das Foto seines Sohnes zu zeigen.

Liebe Grüße
Juschi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Popla,

hey, was soll ich dazu noch schreiben? Vielen Dank auf alle Fälle.
Dein Kritierium könnte natürlich boshaft schließen lassen, hier wurde der Informationsgehalt eines Satzes auf 10 Normseiten aufgebläht. ;) :D

Jedenfalls finde ich es toll, dass dir die Geschichte so gut gefällt.


Hallo Juschi,

vielen Dank für deine Rückmeldung. So allmählich komme ich dahinter, was missverständlich sein könte.
"Auf Rosen gebettet" bleibt der Anwalt natürlich auch mit dem Kind. Es bedarf ganz bestimmt auch für ihn einer gewissen Zeit, die Behinderung seines Sohnes für sich so anzunehmen, wie er es zum Zeitpunkt der Geschichte tut. Insofern stimmt auch, er geht anders damit um. Er hat die Möglichkeit. Die Rosen fangen ihn sozusagen auf, während Susanne immer gleich auf den Beton der Realität fällt.
Insofern würde ich die Vorraussetzungen nicht als gleich bezeichnen. Gleich ist eher die Höhe der Hürden. Nicht aber deren Anzahl oder die Ausstattung der Trainingsanlage.

Lieben Gruß, sim

 

Kein Recht auf Lebenslänglich

Hi Sim,

eine ergreifende Geschichte, die uns den "Himmel" und die "Hölle" unseres Lebens zeigt.

Susanne, die ihr Lebenlang liebe und Geborgenheit suchte und geben wollte.
Ein gewalttätiger Ehemann, von dem sie glücklicherweise geschieden wird.
Nun glaubt sie mit ihrem Kind Glück und Harmonie zu finden.
Zuerst ist das auch so. Calvin hat, wenn sie von der Arbeit kommt, den Tisch gedeckt. Begrüßt sie mit liebevoller Umarmung.

Doch er wird älter, kommt in ein schwieriges Alter. Die Mutter kann sich nicht so kümmern, wie es der Sohn gebraucht hätte.
Vielleicht gerät er in schlechte Gesellschaft. Fühlt sich von der Mutter allein gelassen. Wird bockig, faul, hat keinen Halt mehr.
Die Mutter muß arbeiten, will es auch, um am Leben (draußen) teilzuhaben.
Sie hat übersehen, dass die Bedürfnisse ihres Sohnes sich verändert haben.
Bekommt es nicht mit, weil sie keine Zeit hat.
Calvin tut nichts mehr, teilt sein Leben nicht mehr mit ihr. (Was eigentlich normal ist in dem Alter)
Beide verlieren den Zugang zueinander.
Susanne erwartet Verständnis für ihre Lage, möchte sich bei ihrem Sohn ausweinen können. Er war für sie, unbewußt, der Partner mit dem sie leben wollte, auf den sie stolz sein wollte.
In ihrer egoistischen Liebe, denkt sie nicht daran, dass ein 14Jähriger, solch eine Situation nicht meistern kann. Die seelische Belastung ist für den Jugendlichen zu groß.
Er "wehrt" sich, indem er fort bleibt, zu trinken anfängt und gewalttätig wird, wie einst sein Vater.
Das Unglück ist vorprogramiert.
Die Mutter sieht nur, dass ihre Liebe wieder mit Füßen getreten wird.
Es kommt zu der verhängnisvollen Tat.
Die inneren Konflikte waren auf beiden Seiten zu groß. Beide wehrten sich gegen ein Leben, dass sie nicht führen wollten.
Susanne kündigt nach der Tat ihrem Leben, die Berechtigung.
Sie will nicht mehr die "Freiheit," die ihr nur Unglück brachte.
Im Gefängnis, so denkt sie (glaube ich), das der Rest ihres Lebens geplant wird. Keine Verantwortung mehr. Geborgen in den Mauern. Dem Schicksal ergeben.

Dann zeigst du uns den Anwalt. Dessen Chancen auf ein glückliches Leben soviel größer sind.
Obwohl er ein behindertes Kind hat, hadert er nicht.
Sein Glück liegt in der Liebe seiner Familie.
Er erkennt, als er Susannes Geschichte erfährt, wie gut es das Schicksal mit ihm gemeint hat. Sein behindeter Sohn, wird immer auf die Liebe seiner Eltern angewiesen sein.
Der Anwalt kann seinen Sohn ungehindert lieben. Nie werden die Probleme auftauchen, die Susanne hatte.
Bei jedem Fortschritt, den Jacob macht, wird der Vater/Eltern stolz sein. Und Jacob, geborgen in der Fürsorge, wird diese Liebe immer erwidern.

Susannes Gesicht strahlte, als sie das Bild des Mongos sah.
Wer weiß, wäre ihr Sohn auch behindert gewesen, hätte ihr Leben einen anderen Verlauf und Sinn bekommen.
Ihre Liebe wäre erwidert und nicht mit Füßen getreten worden.

Es muß sehr schwierig für den Anwalt sein, eine Schuld in Susannes Tat zu sehen. Warum steht der eine im Licht und der andere im Schatten?
Ich weiß nicht was es ist. Schicksal, Karma?
Doch jedes Leben und all die Liebe in uns, hat ein Recht auf Lebenslänglich.
Meist sind es die sozialen Umstände, die verpassten oder auch genutzten Chancen im Leben, die über Glück und Leid entscheiden.

Oje, ich habe mich mal wieder in meinen Gedanken verloren. :shy:

Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Interpretation getroffen habe, was du ausdrücken wolltest.
Doch, das sind meine Gedanken dazu.

Ganz liebe Grüße, col.

 

Hi sim,

nun ja, jetzt hat col schon alles gesagt und eigentlich kritisiere ich auch nicht in "Gesellschaft" und :bla:

Auf jeden Fall wollte ich dir trotzdem sagen, dass mir die Geschichte sehr gefallen hat, sowohl vom Stil (sehr flüssig geschrieben, gut zu lesen), als auch vom Inhalt (das komplexe Problem der Alleinerziehenden und die Situation, die sich daraus für ihre Kinder ergibt).

Vielleicht ist der Anwalt einen Tick zu einfühlsam, aber das kann ja einfach an seiner allgemeinen netten Persönlichkeit liegen.

Ich fand die "Pointe" mit dem behinderten Kind nicht unbedingt notwendig, aber auch nicht störend, ehrlich gesagt: ich hätte die Geschichte auch vorher schon gut gefunden.
Allerdings hatte ich mir schon bei:

Es ist so schön, dass er bei uns ist.

so was ähnliches gedacht. Das ist so ein "typischer" Satz von Eltern behinderter Kinder. War das Absicht? :)

Hat mir sehr gut gefallen, werde gerne mehr von dir lesen.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hi sim,
danke für diese schöne und wiedermal einfühlsame Geschichte. Ganz ehrlich? Ich habe die Antworten auf diese Geschichte gelesen und kann die Auseinandersetzung damit in dieser Form nicht nachvollziehen oder teilen. Gerade bei dieser Geschichte finde ich es schade, dass sie so auseinandergepflückt wird. Ich finde, sie wirkt in sich. Die Widersprüchlichkeit der Personen und die Entwicklung des Dialoges machen aus der Geschichte eine einfühlsame Geschichte, die viel von den Zwischentönen lebt. Und gerade weil sie eine Geschichte voller Gefühle ist, sollte man sie nicht mit dem Verstand sondern mit dem Bauch lesen. Dann entstehen meines Erachtens auch keine Fragen oder Unklarheiten.
Deshalb werde ich mich jetzt auch nicht weiter dazu auslassen sondern lieber diese Geschichte in mir noch nachklingen lassen, denn dass ist es, was diese wie auch viele deiner anderen Geschichte so besonders macht.
glg carrie

 

Hallo Sumpfdotter, coleratio, felsenkatze und carrie.

Es freut mich, dass euch die Geschichte gefallen hat.

Was deinen Einwand betrifft, Sumpfdotter, darüber habe ich bei der Entwicklung der Geschcihte nachgedacht und auch eine Version mit einer größeren Sprunghaftigkeit begonnen. Leider wurde dadurch auch die Geschichte sehr sprunghaft und wirr. Es ging auf Kosten der Spannung und deshalb habe ich mich dagegen entschieden. Ich hätte es gern so gehabt, bin aber (noch) an meine Grenzen gestoßen.
Allerdings ist Susanne nur teilreflektiv, eingegrenzst auf die Tatumstände. Die Bedürfnisse, die sie an ihren Sohn hat, stellt sie ja zum Beispiel nicht in Frage.

Ich bin mal wieder beeindruckt, was du in der Geschichte alles findest, liebe coleratio.
Vielleicht stellt sich Susanne bein Anblick des Fotos tatsächlich die Frage danach, ob ihre Liebe dann auch mit Füßen getreten worden wäre. Aber auch ein behindertes Kind hätte sie mit ihrer Sehnsucht danach, geliebt zu werden sicherlich überfordert. Einen schönen Aspekt finde ich es trotzdem, denn aud der weist auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hin. Was brauchen wir, um lieben und leben zu können?
Auch bei der Frage nach dem Titel bist du auf schöne Erkenntnisse gestoßen, sowohl was den trügerischen Gedankengang "Lebenslänglich verantwortungslos versorgt" betrifft, als das Recht des Lebens und der Liebe auf Lebenslänglich. Egal, welches Urteil fallen wird, Susanne wird immer lebenslänglich damit verbunden sein.

Schön, dass du doch mal in Gesellschaft kritisiert hast, Felsenkatze. Sonst hätte ich ja auch kaum eine Chance bei dir. ;)

so was ähnliches gedacht. Das ist so ein "typischer" Satz von Eltern behinderter Kinder. War das Absicht?
Ja, das war Absicht. Ich wollte den Schluss natürlich schon ein bisschen aufbauen. Ich glaube ja nach wie vor, dass durch dieses Ende andere Gedanken in Gang gesetzt werden.

Mit dem Gefühl zu lesen ist immer gut, liebe carrie. Und dir danke ich für deine warmen und ergriffenen Zeilen.

Ich hoffe, Gefühl und Verstand hier in eine ausgeglichene Postition gebracht zu haben, danke euch alle noch einmal fürs Lesen und für eure lieben Kommentare.

Gruß, sim

 

Hallo sim,
Ich war überrascht, eine Geschichte in dieser Struktur und dieser Pointe zu finden.;)

Nun denn, die Spannung um was es geht, hast du dadurch recht gut halten können.

Beim Lesen der Geschichte hatte ich zunächst nur den Anwalt vor Augen:
Er war befangen, war eigentlich nur dort, weil er einen Eid geschworen hatte.
Mein Gefühl:
Er will es hinter sich bringen, hat Susanne eigentlich auch schon (vor)verurteilt.
Er benutzt die Formalitäten der Vollmachtgebung für sich, um seine Befangenheit zu relativieren. Eigentlich ist auch er mit der Situation überfordert, weil jeder Anwalt, es abgelehnt hätte, aus der Befangenheit heraus, diese Frau zu verteidigen.

Ich frage mich, warum er es dennoch tut?
Meine Antwort ist, er musss es tun. Nicht aufgrund seines Eides, sondern, weil er darauf angewiesen ist, für seine Familie und deren Unterhalt zu sorgen. Er hat Verantwortung.
Die Verantwortung gegenüber seiner Familie lastet auf seinen Schultern. Er trägt es nach Außen mit einem immerwährenden Lächeln, als solle es seine Zuversicht beweisen.
Der Leser weiß noch nicht, warum. Er wird am Schluß aufgeklärt: das Kind ist behindert.
Diese Behinderung ist heute gesellschaftlich zur Ausnahme geworden. In der pränatalen Diagnostik, wird vielen Eltern/Frauen eine Chance gegeben, solche Kinder nicht mehr auszutragen. Diejenigen, die es dennoch tun, werden oftmals nicht verstanden, warum sie sich so etwas antun. Als ob man nach einem Schwangerschaftsabbruch nicht gleich ein perfektes Kind hätte machen können!

Also dieser Anwalt, der immer in Erklärungsnot für sein Kind ist, soll eine Kindesmörderin verteidigen. Er der das Leben eines Kindes persönlich hoch achtet, wird aufgrund seines Eides, verpflichtet.

Im Erstgespräch, wird sein Vor-Urteil plötzlich revidiert.
Er sieht eine intelligente Frau, die in ihrem Leben nur wenig Chancen hatte. Schnell stellt sich heraus, die Chancen, die sich ihr geboten haben, hat sie genutzt.
Die Scheidung vom gewalttätigen Ehemann hat sie geschafft, sie hat Arbeit und benötigt vom Sozialamt nur einen Zuschuß. Ihr Stolz wird spürbar, aber auch ihre Unsichherheit, weil sie ihrem Kind nicht alle Chancen bieten kann.
Auch sie hat gegenüber dem Anwalt Vorurteile. Er gehört einer anderen Einkommensklasse an, schlägt seine Frau nicht, diese kann zu Hause bleiben und dem Kind geben, was Susanne ihrem eigenen Kind nicht geben konnte.
Susanne, die Kindesmörderin, überladen mit Schuld, den Tod ihres Kindes zu verantworten, sieht deutlich ihre Schuld wachsen, weil ihr Sohn nicht dieselben Chancen hatte, wie vermeintlich das Kind des Anwaltes. Ein gewisser Neid auf die Lebensumstände des Anwalts wird spürbar. Ihre persönliche Schuld wiegt so schwer: sie will sie auch bestraft werden.
Am Ende wir deutlich, dass Susanne sich ihres Neides schämt. Als sie erfährt, dass des Anwalts Sohn behindert ist.

Fazit:
In dieser Geschichte wird die Chancengleichheit thematisiert. Schicksale von Menschen sind auch abhängig von dem Kredit, dem die Gesellschaft dem Einzelnen zugibt. Dieser Kredit ist oft durch Vorurteile nur auf ein Minimum beschränkt oder gar nicht vorhanden. Menschen werden zu Außenseitern stigmatisiert, weil es einfacher ist sie vorab zu verurteilen, als sich die Mühe zu machen sie zu integrieren. Doch ein Blick hinter die Kulisse lohnt: Irgendwo sind wir doch alle gleich, auch wenn wir es nicht sehen (wollen/können).

Goldene Dame

 

Hallo, Sim!
Tja, was soll ich sagen- deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen, vielleicht auch aus dem Grunde, dass ich hier selber schon eine Geschichte aus der Perspektive einer Anwältin geschrieben habe, wobei meine natürlich ganz anders aufgebaut ist... Deine Geschichte überzeugt durch ihre Realitätsnähe, und man kann sich diese Situation sehr gut vorstellen!
Einige Kritikpunkte:
1. "Ihre Blicke verunsichern mich"; "...Ich schaue unsicher..." Dem Leser wird das Bild eines selbstunsicheren und zögerlichen Anwalts übermittelt, und so darf ein Anwalt eigentlich nicht sein, besonders nicht ein Strafverteidiger!
2. Diesen Punkt kann man jetzt natürlich nur subjektiv interpretieren- aber ich bin mir nicht sicher, ob ein Anwalt gleich beim ersten Gespräch mit einer Mandantin so persönlich werden kann, dass er ihr von sich selber erzählt. Einerseits kann man so natürlich versuchen, das Vertrauen eines Menschen zu gewinnen- aber andererseits muss ein Anwalt doch in seinem Job immer Anwalt bleiben und darf sich nicht allzu sehr mit seinen Mandanten identifízieren, besonders wenn es Kriminelle sind- denn dass ist hinderlich für den Job an sich!
3. Ich weiss nicht, ob es deine Absicht war, den Anwalt recht schwach darzustellen- vielleicht wolltest du dadurch seine Menschlichkeit unterstreichen- aber besonders glaubwürdig wirkt eine solche Darstellung nicht, jedenfálls wenn man schon mal mit Anwälten zu tun hatte... Ist aber eine interessante Möglichkeit, und auf jeden Fàll etwas Neues!
Was ich einfách klasse fánd, war diese Pointe am Ende- der mongoloide Sohn! So etwas erwartet man als Leser natürlich nicht, und deshalb schlägt es ein wie ein Blitz! Eine tolle Idee!

 

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