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Kein Weg zurück
Kein Weg zurück
Das Fotoalbum wog schwer in ihrer Hand.
Sich die Bilder darin anzuschauen, quälte ihre Seele.
Noch einmal wollte sie eintauchen in den Schmerz, ein letztes Mal.
Behutsam blätterte sie die Seiten um. Ihre Augen sogen die mal lachenden, weinenden oder auch bockig dreinblickenden Kindergesichter in sich auf.
Zweiundzwanzig Jahre hatte Maren in diesem Buch verewigt. Von Seite zu Seite wurden die Kinder größer. Auf der vorletzten waren sie erwachsen, sie war so stolz auf ihre drei Männer. Auf der letzten Seite ...
Drei Särge, geschmückt mit weißen Rosen. Das Ende einer glücklichen Familie.
Maren legte ihre Hand auf die Brust, wo keine mehr war
„Das ist Ihre Reaktion auf die Trauer“, hatte der Arzt damals gesagt.
Die Medizin versuchte ihren Krebs zu besiegen. Nur wie sollte sie ihre Sehnsucht bekämpfen? Sie schloß die Augen, einen kurzen Moment. Doch er reichte aus, um die grausamen Bilder in ihrem Kopf wieder lebendig werden zu lassen. Sie fühlte noch einmal den Stoß, der sie aus dem Auto geschleudert hatte, den Schmerz, als sie gegen den Baum geprallt war. Sie sah wie der Van den Abhang hinabstürzte und ihr damit das nahm, was ihr Leben bedeutet hatte.
Es folgten Träume. Jede Nacht begegnete sie ihrem Mann und ihren Söhnen. Ohne Worte, nur ein Lächeln, hoffnungsvoll und doch so traurig.
Maren schloß das Album, verdrängte die Bilder aus ihrem Kopf.
Erst vor kurzer Zeit hatte der Wandel sich in ihr vollzogen. Keine Tränen mehr, sie wollte nicht mehr leiden.
Sie legte eine Tablette auf ihre Zunge, schluckte sie hinunter. Noch ein Blick in den Spiegel. Sie hatte sich schön gemacht, für ihn, den sie heute treffen wollte. Dann griff sie den Autoschlüssel und verließ das Haus.
Sie stieg in ihr Cabrio, fuhr durch den lauen Sommerabend, genoß die Berührung des Fahrtwindes, der ihr Haar zerzauste.
Den Treffpunkt mit ihm, hatte sie selber ausgewählt. Eine kleine Lichtung im nahe gelegenen Wald. Es würde wunderbar werden. Die Vögel würden zwitschern. Sie würde den Duft des Waldes in sich aufnehmen. Sie würde den ersten Stern am Himmel sehen.
Sie würde...sie würde...
Maren hatte ihr Ziel erreicht, parkte den Wagen am Waldrand. Beschwingt ging sie auf die Lichtung zu. Noch war sie allein. Doch sie wußte, er war schon auf dem Weg. Vor einem Baum, breitete sie eine Decke, die sie immer im Auto liegen hatte, aus. Setzte sich gegen den Stamm. Ein Blick auf die Uhr verriet, gleich, gleich würde er da sein. Sie liebte die samtweiche Luft, das sie umgebende Zwielicht, die Kraft des Baumes, der sie festhielt, als wolle er sich mit ihr vereinen.
Eine schon fast vergessene Ruhe erfaßte sie. Ihre Lider wurden schwer. Sie war so müde, so angenehm müde.
Maren merkte wie ihre Sinne sich verloren, langsam, sanft.
Dann fühlte sie seine Nähe. Plötzliche Ängste stiegen in ihr auf.
„Oh Gott“, dachte sie, „habe ich das Richtige getan? Wird es so sein, wie ich es mir erhoffte? Was wenn...“
Er kam näher.
Er war nicht allein.
Ihr Atem wurde flacher.
Sie standen vor ihr.
Ein Lächeln, gezaubert auf ihre Lippen.
Sie reichten ihr die Hände.
Sie blickte in strahlende Augen.
In die Augen ihrer geliebten Männer.
Ihr Herz hüpfte vor Freude.
Ihr Herz...schlug nicht mehr.