Kein zweites Versehen
Zwischen seinen Füßen und dem Bürgersteig hatte sich in kürzester Zeit eine dichte Eisdecke gebildet. Krampfhaft versuchte er das Gleichgewicht zu halten, doch rutschte er aus und fiel in die Kälte. Unter dem transparenten Boden meinte er sein Spiegelbild erkennen zu können und drehte sofort seinen Kopf angewidert zur Seite. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, blieb er einen Moment auf der Stelle stehen, bestrebt Halt zu finden. Kurz schaute er zurück und verfolgte dann doch zielstrebig seinen ursprünglichen Weg,
Wenige Minuten später bog er in den Vorgarten eines kleinen Einfamilienhauses ein. Durch ein Fenster sah er schon sie in der hellerleuchteten Küche stehen. Erstmals seitdem er seine Wohnung verlassen hatte, gab es für ihn kein hinten mehr. Er klopfte an die Haustür, sie öffnete, sah ihn erschrocken an und begann kopfschüttelnd ihre Lippen zu bewegen, die er aber leidenschaftlich mit den seinen umschloss. Er ließ nicht mehr von ihr los, ließ sie ihn nicht wegstoßen, bis sie sich schließlich hingab und wollend seinen Körper an sich band.
Eine Weile später lagen sie nackt auf dem Fußboden, nur wenige Meter von der Haustür entfernt. Er beugte sich mit geschlossenen Augen über sie und küsste ihre Wange. Als er den salzigen Geschmack einer Träne schmeckte, öffnete er seine Augen und fragte beschämt: „Wie geht es Thomas?“ Sie antwortete nicht, sondern starrte mit leerem Blick an die Decke. „Es hätte nicht noch mal passieren dürfen. Nicht ein zweites Mal!“, brachte sie schließlich zitternd hervor. Ihr Atem war stockend. In immer Kürzeren Abständen zuckte ihr Körper zusammen. „ Er stirbt und ich...“. Sie brachte den Satz nicht zu Ende, stand auf, löschte das Licht und ging ins Badezimmer. Bevor sie die Tür schloss, vernahm er noch ein schwaches Flüstern: „Warum bist du nur gekommen?“.
Er wusste nicht, wie lange er auf dem Boden lag, als er spürte, wie Nebel unter der Haustür einströmte und schon bald einen großen Teil des Zimmers ausfüllte. Kälte ließ seinen Körper erstarren. „Du siehst müde aus; Thomas Freitt!“, vernahm er eine düster hallendende Stimme aus dem Nebel. Er versuchte seinen Mund zu öffnen um zu widersprechen, aber spürte ihn nicht mehr.
Am nächsten Morgen kniete seine Frau neben seinem entkleideten, leblosen Körper und weinte bitterlich. Sie kümmerte sich nicht um die beiden Polizisten, die im Badezimmer ihre beste Freundin aus dem blutroten Wasser zogen.