Hallo LeManiac,
als Kurzgeschichte, die einer Anekdote ähnlich ist, würde ich deinen Text schon durchgehen lassen …
Bei Texten mit viel (oder sogar nur) Dialog ist die Unterscheidung zwischen einer Kurzgeschichte und einem Erlebnisbericht nicht immer leicht zu treffen.
Zum Inhalt:
„Ich wollte ihn auf die Probe stellen“
Ich frage mich, welche Probe gemeint ist: Ob der Mönch eine Antwort weiß, ob er auf die Frage eingeht oder durch einen Kōan gewissermaßen ‚unfragt’?
(Interessanterweise war der in heutiger Form so verwirrend wirkender Kōan im alten China ursprünglich ein juristisches Verständnis fördernder Präzedenzfall).
Das Folgende hat mir gut gefallen - der Mönch unterscheidet zwischen Laien und Novizen. Der Hebräerbrief* nennt das Eingehen auf ‚Anfänger’ im Neuen Testament ‚Milch anstelle von fester Nahrung geben’, eine Anpassung seiner Anforderungen an das Erkenntnisniveau des wenig meisterlichen Fragestellers nimmt auch der Mönch vor:
"Wenn du mein Schüler wärst, würde ich jetzt sagen, daß deine Frage schon näher an der Wahrheit ist, als jede meiner Antworten es sein könnte. Aber da du noch nicht mein Schüler bist, will ich dir stattdessen etwas zeigen. Komm mit."
Es ist schon interessant - auf welche Weise soll denn eine Frage mehr beantworten, als eine fachkundige Antwort? Die Frage muss schon wirklich ernst gemeint sein, aus einem tiefen Bedürfnis nach Erkenntnis gestellt werden, eine Erkenntnis, die zur Frage geführt hat beinhalten, wenn sie einer Antwort überlegen sein soll. Eine „Probe“ wirkt da eher als falsche Motivation. Vielleicht durchschaut das der Mönch …
„Dort nahm er zu meinem Erstaunen eine Digitalkamera“
Dies ist zwar nur eine kleine Anmerkung, doch das „Erstaunen“ zeigt ein gewisses Vorurteil des Erzählers, als wenn Mönchtum und Moderne sich ausschließen würden. Vielleicht auch ein Klischee eines Europäers, der sich einen Mönch lieber mit einem Räucherstäbchen, als mit einer Digitalkamera vorstellt.
Ich finde es durchaus gut, in einer Geschichte nur wenige Dinge anzudeuten, dein Text wirkt fast etwas zu nüchtern, aber letztlich soll eine (klassische) Kurzgeschichte nur das Wesentliche aufzeigen - das vollbringt dein Bericht. Natürlich könnte man den Reisenden noch mehr beschreiben, seine Beziehung zum Buddhismus, außerdem die Stadt, die wahrscheinlich turbulent ist, die Sinne eher mit fragwürdigen Dingen überfrachtend, als wesentliche Fragen initiierend. Nun, deine Wahl des Schlichten passt zu dem Inhalt, der sich letztlich um das Wesentliche und unsere Erkenntnis dreht.
Was bezweckt der Mönch mit seinem Kameragleichnis?
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob er zeigen wollte, dass der Technik nicht zu trauen ist, zeigt sie uns doch ein falsches (oder beschränktes) Bild der Realität, im beschriebenen Fall ist zum Glück leicht zu merken, wie die Wirklichkeit aussieht. Diese Kritik an der Erkenntnisgewinnung mit Hilfe von Technik ist nichts Unbekanntes, sie ist der Situation ähnlich, die in vergangener Zeit stattgefunden hat, als sich die Schulgelehrten, die an den Universitäten saßen**, weigerten, durch ein Fernrohr zu schauen, um die Jupitermonde anzuschauen und damit anzuerkennen, dass ihr bisheriges Weltbild revisionsbedürftig ist, sie trauten der Fernrohrtechnik nicht zu, die Wirklichkeit abzubilden, vor allem wenn diese Wirklichkeit ihrem Verständnis der Bibel widersprach.
Was bezweckt der Mönch nun mit seiner Frage? Letztlich stellt er den Besucher auf die Probe, der Besucher wird verleitet, ganz unbuddhistisch, zu rationalisieren, eine Analogie zu bilden:
„wahre Erleuchtung so hell strahlt, daß sie uns erblinden läßt, und wir sie stattdessen als große Torheit wahrnehmen. Der Mensch ist in dieser Hinsicht unvollkommen, genau wie diese Kamera."
Doch Buddhismus ist nicht dazu da, das besondere zu sehen, sondern die Dinge so stehen zu lassen, wie sie sind*** (Dogan: Diese Erscheinung, so wie sie ist, ist die wahre offenbare Wirklichkeit).
Indirekt sagt der Mönch: ‚Wenn du schon interpretierst, warum nicht so, dass das Offensichtliche dabei heraus kommt?’
Man mag antworten: ‚Aber das Offensichtliche ist doch falsch!’
‚Aber nur, wenn man seinen Augen traut, denen zu trauen ist aber vielleicht genauso willkürlich, wie wenn man sich, nur weil es vorgegeben wurde, auf die Kamera verlässt.’
Letztlich scheinen weder Rationalismus noch empirisches Erkennen hilfreich zu sein.
"Eine gute Antwort. Aber eine genauso gute wäre gewesen: 'Daß die Sonne schwarz ist.'"
Eigentlich passt es nicht, dass der Mönch bewertet - aber da er dann sagt „Aber eine genauso gute“, hebt er die Bewertung wieder auf.
Ist die Frage „Was ist Buddha?“ nun beantwortet? Aber natürlich - Buddha ist das, was wir erfahren, wenn wir einen Mönch nach Buddha fragen, er uns daraufhin ein digitales Bild von der Sonne zeigt und wir …
(Womit uns der Autor dahin geführt hat, wohin Zen führt - zum Nicht-Rationalen).
Da diese Geschichte bei näherem Hinsehen inhaltlich weniger spröde ist, als das sprachliche Gewand, in das sie sich kleidet, ist es schon schade - passende Schlichtheit hin oder her - wie wenig ausgebaut der Text ist.
Änderungsvorschläge:
Es wäre nicht schwer, den Text nach Japan zu verlegen und deutlich zu machen, dass es um Zen-Buddhismus geht, damit nicht der Eindruck entsteht, die Geschichte sein ein Text über Religion (was nicht unbedingt in die Philosophierubrik gehört. Es gibt natürlich auch religionsphilosophische Fragestellungen, aber die sind nicht gerade der Schwerpunkt deiner Geschichte).
Zen kann man als etwas, sich der mystischen Erfahrung Bedienendes betrachten oder als Lebensphilosophie; als Religion ist Zen schwerlich zu bezeichnen, da es keine Götter gibt, keine (richtigen) heiligen Schriften, selbst vom Glauben an sich löst sich der Zen-Gläubige …
„Koan“
- eigentlich Kōan
„Dort nahm er zu meinem Erstaunen eine Digitalkamera aus dem Regal, und stieg eine Leiter hinauf auf das Dach.“
- vielleicht etwas deutlicher: hinauf, die auf den Dachgarten führte.
„daß“, „läßt“
- dass, lässt
Fußnote:
* Hebr. 5, 12-14
** Zitat, G. Prause (dtv 1986). Nach Prause waren es nicht die Jesuiten, die Galileis Entdeckung ablehnten.
*** G. Wohlfahrt (reclam 2002) erwähnt: Dongshan [besuchte] einen alten Zen-Meister und fragte ihn: »Wie stehen die Dinge?« Seine Antwort: »Genau so, wie sie sind.«
L G,
tschüß Woltochinon