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Koffer voller Erinnerungen

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23.11.2016
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Koffer voller Erinnerungen

Hagebuttenmarmelade tropft von meinem Brot. Sandra schaut kurz mit dieser hochgezogenen Braue herüber.
„Und das dir“, sagt sie mit Blick auf ihr Smartphone.
„Zweitausend weitere Stellen bauen die ab“, sage ich kopfschüttelnd.
„Kann dir doch jetzt egal sein.“
Als ob mir das egal wäre. Mein ganzes Leben Diesel im Blut und dann das. Elektrifizierung. Ich schalte das Tablet ab.
„Schau nicht so verkniffen. Du hast jetzt viel Zeit!“
„Und eine ordentliche Abfindung!“ Ein Lächeln huscht über meine Lippen. Die haben so blöd geschaut, als mein Anwalt den Aufhebungsvertrag vorgelegt hat.
Sandra schaut auf ihren Teller und dann an sich herunter: „Wann besorgen wir endlich das Laufband?“
Der Keller erscheint vor meinem inneren Auge. Das kann Jahre dauern, den aufzuräumen.
„Wozu? Kannst doch eh nur gehen. Machst dir sonst die Knie kaputt.“ Ich starre auf ihren Bauch, der aussieht wie damals, als sie mit Tim schwanger war.
„Iss doch was von dem Kuchen. Der wird sonst trocken.“
Ich beiße rein und nehme schnell einen Schluck Kaffee. Viel Kaffee. Damit ist es erträglich. Seitdem Sven aus dem Haus ist, ist ihr Kuchen noch schlechter geworden.
„Der ist schon trocken“, murmele ich.
„Liegt am Herd. Der geht nicht mehr richtig.“
„Sehe ich mir mal an.“
„Sagst jetzt schon seit einem Jahr.“
Das Stück muss ich wohl aufessen. Ich hole mir neuen Kaffee.
„Iss du doch auch was“, sage ich.
„Ich will abnehmen!“
„Hm“, murmle ich und stochere in dem Brocken auf meinem Teller herum.
„Könntest mich ruhig unterstützen.“
Ich packe den Kuchen und schlurfe in die Küche. Beim Öffnen der Schranktür fällt mir der Mülleimer entgegen.
„Was ist denn hier los?“
„Wolltest du dir auch ansehen.“
Ich hole meine Lesebrille und untersuche die Tür, die Bohrungen für die Scharniere.
„Rausgebrochen“, sage ich mit dem Kopf im Schrank.
„Dann müssen wir den Schreiner holen.“
„Das mache ich selbst. Hab jetzt ja Zeit.“
„Mach, was du meinst.“
Ich höre, wie sie mit dem Schreiner telefoniert.
„Was soll das?“, frage ich, als sie fertig ist.
Sie sieht mich mit funkelnden Augen an. „Glaubst du wirklich, ich warte jetzt wieder Jahre, bis du das mit deiner Pedanterie repariert hast? Ich will mit der Scheißküche nicht zum Mars fliegen!“
Ich schlage mit Wucht die Schranktür zu. Sie fällt mir auf die kleine Zehe. Vollholz.
„Gut, dass du ein halbes Jahr lang die Kanten so schön im Keller gefräst hast“, sagt Sandra, während sie den Eisbeutel aus dem Gefrierfach holt.
Sie sieht den Fuß an: „Wir müssen endlich den Keller aufräumen.“
„Ich habe mich verletzt und du denkst an den Keller?“
„Du bist nicht verletzt. Du lässt dich hängen.“
„Und du dich gehen.“

Der Keller ist der Vorhof zur Hölle. Halb Werkstatt, halb Schuttabladeplatz.
„Das muss alles raus“, sagt Sandra und schmeißt mir eine Tüte mit alten Lappen entgegen.
„Die brauche ich doch noch zum Beizen.“
„Mit deinem Rücken?“
Ich sehe mich um. Die Maschinen sind in einem jämmerlichen Zustand. Es riecht muffig, nach Holzstaub, Öl und Rost. In meinen Gedanken baue ich unsere Küche. Eiche. Alles selbst gemacht. Jede Nut, jede Kante.
„Das muss alles raus“, sagt Sandra und zerrt meinen Gitarrenkoffer aus der Ecke.
„Nicht meine Les Paul!“, rufe ich und mache einen Ausfallschritt auf Sandra zu.
„Wie willst du da drauf spielen?“ Sie öffnet den Koffer und hält mir die Gitarre vor die Nase. Der Hals ist gebrochen, baumelt an zwei Saiten. Der Sunburst sieht aus, als ob die Sonne in einem Tümpel untergegangen ist.
„Die kann ich doch reparieren!“. Das johlende Publikum vom letzten Auftritt tönt in meinen Ohren.
„Ja, so wie die Küche, die Badlampe, mein Fahrrad …“
„Ich hab doch jetzt Zeit!“
Sandra baut sich vor mir auf. Ihr Bauch streift leicht meinen Pullover. Ihr Atem riecht nach Kaffee.
„Wenn du jetzt nicht endlich aufräumst, kannst du deine viele Zeit allein verbringen!“
„Schatzi“, raune ich.
„Dein Schatzi kannst du dir bald sonst-wo-hin! Hör endlich auf, dich zu bemitleiden und tu was!“
„Du mit deinem Pseudo-Halbtagsjob weißt doch gar nicht, wie es ist, seinen Job, seine Lebensaufgabe zu verlieren!“
„Lebensaufgabe? Was ist mit mir? Um die Jungs habe ich mich gekümmert. Tagaus, tagein. Jetzt sind sie weg. Deine Pedanterie habe ich ertragen. Alles auf den Mikrometer genau.“
„Millimeter“, sage ich.
„Was?“
„Mikrometer ist …“
Sandra packt die Gitarre und wirft sie auf den Berg alter Sachen in der Mitte des Raums: „Das kommt weg!“, schreit sie.
Meine Hände greifen in die Luft, doch ich kann nur zusehen, wie die Gitarre aufschlägt. Die Arme sinken nach unten und ich starre auf den Schutt. Den Abfall unseres Lebens. All die Jahre, in denen immer wieder dieser tiefe Zorn in ihr aufflackerte, den ich nie verstanden habe, und doch hinnahm. Dieses Flackern, das seit die Kinder aus dem Haus sind, immer heller wurde. Diesmal aber nicht. Ich packe den kleinen Lederkoffer, den sie bei allen drei Umzügen mitgeschleppt hat, schmeiße ihn mit voller Kraft auf den Berg und brülle: „Dann kommt der aber auch weg!“
Der Koffer springt auf, ein rosa Schnuller kullert heraus und ein Briefumschlag rutscht zwischen den Müll.
Sandra stürzt bei dem Versuch, den Umschlag aufzufangen und fällt auf den gebrochenen Gitarrenhals. Sie schreit auf, zerrt den Umschlag zwischen den Sachen hervor, drückt ihn an sich und schluchzt. Blut rinnt an ihrem Knie herunter.
Sie sitzt einfach nur da, die Beine an sich gezogen. Ich spüre meine Fingernägel, die sich in die Handflächen bohren. Sie blickt starr auf einen Punkt im Keller, wippt langsam vor und zurück, wie ein kleines Kind, das von seinem Vater angeschrien wurde. Was hat sie mir nur verheimlicht. Dieser Koffer, der Schnuller neben der Gitarre, der Strampler. Alles rosa. Nie zuvor gesehen. Und doch sind sie da, liegen vor mir, schreien mich an, als ob ich taub bin. Ich war wohl blind, habe mich vom Flackern blenden lassen, konnte es nicht sehen, nicht verstehen, wollte es nicht wissen. Ich gehe in die Knie, hebe den Schnuller auf. Sie stiert vor sich hin. Nimmt mich gar nicht wahr. Ihr Unterkiffer zittert und das Zittern greift nach ihren Händen, schüttelt sie fast. Meine Finger entspannen sich, ich atme tief ein und aus und gehe einen Schritt auf sie zu, strecke meine Hand aus, die flattert wie eine Fahne im Wind. Ihr Blick huscht über mein Gesicht, trotzdem sehe ich, wie ihre Gesichtszüge ein wenig weicher werden.
Schließlich setze ich mich zu ihr, nehme sie in den Arm, spüre wie das Zittern nachlässt, atme den Duft ihrer Haare, wie damals, als wir nach unserm ersten großen Streit auf den Triumphbogen gegangen sind, mit Blick über die Champs-Élysées, Hand in Hand. Die Lichter der Autos spiegelten sich in ihren Augen. Sie hatte dieses bezaubernde Lächeln.
Mit flattrigen Händen nehme ich den Koffer, packe den rosa Strampler hinein und flüstere: „Komm, lass uns nach oben gehen.“

Ich durchwühle den Schrank im Flur auf der Suche nach dem Erste-Hilfe-Kasten, während meine Gedanken um die Babysachen in dem Koffer kreisen. Der Koffer, über den sie nie sprechen wollte. Abwesend halte ich eine Schuhcreme in der Hand. Gespürt habe ich es schon immer, dass es da diesen dunklen Punkt gibt, besonders als sie mit Tim schwanger war. Da war ihre ständige Angst, dass etwas schiefgehen könnte. Als Tim dann da war, hat sie ihn die ersten Tage keine Sekunde aus den Augen gelassen, hat nur geschlafen, wenn ich da war. Ich zucke bei der Erinnerung innerlich zusammen, wie sie mir die Leviten gelesen hatte, als ich einmal Tim alleine im Bettchen ließ, um auf die Toilette zu gehen. Die ganze Zeit war ich so damit beschäftigt Fotos zu schießen, dass ich ihre Sorgen gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Den Erste-Hilfe-Kasten finde ich im hintersten Eck.
„Was sind das für Babysachen?“, frage ich, während ich ihr Knie verbinde.
Sandra schweigt. Ich sehe sie an, doch sie weicht meinem Blick aus, knetet ihre Hände, versucht dann den rosa Schnuller zu nehmen, den ich vor ihre Nase halte. Ich ziehe ihn weg, gehe einen Schritt zurück. Ihr Gesicht ist weiß, fast wie die Maske einer Toten. Der Sauger klappert in meinen Fingern, die unkontrolliert in der Luft rumfuchteln. Ich schlucke, atme tief ein, dann aus. Setze mich schließlich neben sie. „Diesmal gebe ich nicht auf“, seufze ich, schüttle den Kopf, raffe mich hoch und hole den alten Macallan aus der Vitrine. Aufgehoben für einen besonderen Anlass. Frage mich, welcher das sein soll. Ist nicht alles Besondere schon geschehen, ohne dass wir es bemerkt haben?
Whiskyduft strömt mir in die Nase. Hätte gedacht, der riecht besser. Ich halte Sandra ein Glas hin, das sie zögernd umgreift. Sie nimmt einen winzigen Schluck, ich einen großen.
„Schmeckt furchtbar“, sagt sie.
„Wie wohl alles, was man zu lange aufhebt“, antworte ich mit verzogenem Gesicht.
Ich nehme ihr das Glas ab, schütte das Zeug weg, starre in den Abfluss, gehe zum Weinkühlschrank und sehe den Champagner, den wir vor einem Jahr zum Hochzeitstag trinken wollten. Genau vor einem Jahr, wird mir bewusst. Meine Hände zittern, als ich Sandra das Getränk reiche: „Fröhlichen Hochzeitstag“, flüstere ich während des Anstoßens. Sie atmet tief aus, schluchzt, trinkt das Glas leer.
„Warum hast du nie etwas erzählt?“, frage ich und deute auf den Koffer. Ich setze mich neben sie, stiere die Küchenuhr an, nippe am Champagner, höre das Ticken, drücke sie an mich, spüre ihren Herzschlag.
„Rosa ist zwei Tage nach der Geburt gestorben. Herzfehler“, krächzt Sandra nach einer Ewigkeit.
Ich sehe sie an: „Rosa?“
„Ich war siebzehn. Naiv und dumm. Dachte, er liebt mich. Dann war ich schwanger mit Rosa und einen Tag, nachdem ich es ihm gestanden hatte, war er verschwunden.“
Ich nehme ihre Hand, die sie auf den Bauch gelegt hatte, und halte sie fest.
Schließlich öffnet Sandra den Koffer, ihre Finger fahren über den rosa Strampler. Eine Träne läuft über ihre feuchten Wangen.
„Meine Eltern waren dagegen. Sollte abtreiben. Das konnte ich nicht. Ich konnte einfach nicht.“
Sandra sieht in die Ferne und schweigt.
Ich stehe auf, schenke nach. Sie trinkt einen großen Schluck, nimmt den Schnuller und dreht ihn in der Hand.
„Und deine Mutter?“, frage ich.
„Die wollte auch, dass ich Rosa wegmache. Sie hat mir Vorwürfe gemacht. Du weißt, wie sie ist.“
„Ja, einfach nur eiskalt.“
„Mein Vater war schlimmer. Der brüllte nur rum, dass ihm der Bastard nicht ins Haus kommt.“
„Kann ich mir vorstellen. Aber sonst beruhigt er sich doch immer irgendwann.“
„Damals nicht. Ich weiß noch genau, wie ich abends im Bett lag, zum ersten Mal die kleinen Tritte gespürt habe.“
Ich rücke dichter an Sandra heran und schlucke. Vor meinen Augen sehe ich Tims kleine Fußabdrücke auf Sandras Bauch, wenn er sich gestreckt hatte.
„Am nächsten Morgen habe ich das beim Frühstück erzählt. Mein Vater meinte, dass sie beschlossen haben, Rosa zur Adoption freizugeben. Ich wollte einfach nur weg, zur Oma ziehen.“
„Von der du immer so viel erzählt hast?“
„Genau die. Meine Eltern wollten das aber nicht. Die Nachbarn hätten ja sonst was gemerkt. Also musste alles vertuscht werden. Der Bauch wurde anfangs mit weiten Sachen kaschiert. Später hatte ich die Grippe. Selbst meine Oma durfte es nicht wissen.“
„Und dann?“
„Ich schwieg. Keiner hat es gemerkt. Rosa kam zur Welt und starb in der ersten Nacht.“
Sandra schaut mich an, bläst Luft durch die Nase: „Meine Eltern waren ja so froh darüber.“
„Furchtbar“, flüstere ich und starre auf mein leeres Glas.
„Sie hatte so eine süße, kleine dunkle Locke über der Stirn.“
Sandra holt den kleinen Umschlag hervor und öffnet ihn behutsam. Rutscht ein wenig näher. Ihre Finger ziehen eine kleine Haarsträhne heraus. Ich halte die Luft an und streiche vorsichtig mit dem Zeigefinger darüber.
„Das ist alles, was von ihr geblieben ist.“
Ich fühle die feinen Härchen.
„Wo ist sie begraben?“, frage ich.
„Keine Ahnung.“
Ich schaue sie verwundert an.
„Meine Eltern haben sie anonym bestatten lassen. Du weißt schon, die Nachbarn. Und dann durfte ich nie mehr darüber sprechen.“

Wir stehen vor dem ewigen Licht, in der hinteren Ecke des Gartens. Der Mähroboter zieht seine Kreise. Geranienduft weht herüber. Der Nachbar häckselt.
Sandra legt Blumen vor das Licht.
„Jetzt kannst du sie jederzeit besuchen“, flüstere ich in ihr Ohr.
Ich spüre ihre Finger an meiner Hand.

 
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Hallo @Geschichtenwerker,

vielen Dank für Deine ausführliche Antwort. Es motiviert immer ungemein, wenn man nicht nur zu seinen Geschichten, sondern auch zu seinen Kritiken Feedback erhält - dann ist man auch beim nächsten Mal gerne wieder dabei. :)

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Du meine Kritik zur Gitarre richtig interpretiert hast:

Naja, man kann das tatsächlich leimen oder einen neuen Hals einbauen. Wenn man handwerklich geschickt ist, bekommt man das schon (irgendwie) hin.

Das meinte ich nicht, dagegen habe ich nichts einzuwenden. Mein Problem ist die Erzählperspektive.

Direkt am Anfang wird der altbekannte Gesichtsausdruck der Frau durch den Erzähler erwähnt. Der Leser weiß also: Was beschrieben wird, denkt der Mann. Jetzt denkt der Mann also folgendes: "Der Hals ist gebrochen, baumelt an zwei Saiten. Der Sunburst sieht aus, als ob die Sonne in einem Tümpel untergegangen ist."
Und im Anschluss sagt er, vermutlich ernst gemeint, dass man die doch reparieren kann. Das passt einfach nicht zusammen. Es fehlt die nostalgische Wertschätzung der Gitarre, einen Grund, wieso er sie reparieren will. Wenn ihn die Gitarre an einen Tümpel erinnert, warum sollte er sie dann reparieren wollen? Und insbesondere passt dieser bildhafte Vergleich eines Tümpels nicht mit Deiner Aussage zusammen:

Ich glaube auch nicht, dass er in der Situation lange über positive Aspekte nachdenkt. Das ist ja mehr ein reflexartiges Handeln.

Wenn er gar nicht darüber nachdenkt, sondern reflexartig handelt, dann kann der personale Erzähler auch nicht darüber nachdenken.

Der Satz lautet jetzt "Der Sauger klappert in meinen Fingern, der unkontrolliert in der Luft rumfuchtelnden Hand."

Den Satz zuvor finde ich erheblich schöner, der neue behebt auch nicht das Problem:
Normalerweise nimmt man Schnuller am Ring oder in die Faust. Klappern sollte er in beiden Fällen nicht, da der Ring nicht gegen den Schnuller schlägt. In den Fingern klappernde Schnuller kann ich mir kaum vorstellen, wie hält er den denn? Das Saugende eingeklemmt zwischen Daumen und Zeigefinger, genau so gedreht, dass der Ring beim Zappeln gegen den Schnuller schlägt? Die Wenigsten würden auf diese Weise einen Schnuller halten, den Allerwenigsten würde in einer solchen Stress-Situation das vollkommen unwichtige Klappern auffallen.

Ich hoffe, meine Gedanken dazu sind Dir jetzt etwas klarer geworden.

Viele Grüße

Ephraim

 

Hallo, @Geschichtenwerker,

ich habe deine Geschichte über einen besonderen Moment im Leben eines langedienten Paares sehr gerne gelesen. Die Kommentare habe ich dann nicht mehr alle verfolgt, es sind ja schon recht viele. Sicher hast du auch schon eine ganze Menge geändert und ich weiß gar nicht, ob du noch Lust auf ein paar kleine Anmerkungen hast. Hier kommen sie aber trotzdem. ;)

„Schau nicht so verkniffen. Du hast jetzt viel Zeit!“
„Und eine ordentliche Abfindung!“ Ich grinse. Die haben so blöd geschaut, als mein Anwalt den Aufhebungsvertrag vorgelegt hat.
Sandra schaut auf ihren Teller und dann an sich herunter: „Wann besorgen wir endlich das Laufband?“
Ich fände es besser, wenn das mit der „ordentlichen Abfindung“ auch noch Sandra sagen würde. Denn so, im Zusammenhang mit dem Grinsen, kommt es so rüber, als wäre der Prot zufrieden mit der beruflichen Situation, bzw. deren Ende. Aber er leidet deshalb doch eher! Also könnte Sandra sagen: „Schau nicht so verkniffen. Du hast jetzt viel Zeit! Und das ganze Geld von der Abfindung!“
Ich starre auf ihren Bauch, der aussieht wie damals, als sie mit Tim schwanger war.
Und Sven? Mit dem war sie doch auch schwanger, da sah der Bauch sicher ähnlich aus. Also vllt. besser ganz ohne Namen.
„Wozu? Kannst doch eh nur gehen. Machst dir sonst die Knie kaputt.“
Das finde ich zu erklärend, nur für den Leser geschrieben. Sandra weiß das ja selbst mit ihren Knieproblemen. Also vllt. irgendwie so: Du mit deinen lädierten Knien! Kannst doch eh nur gehen ...
„Der ist schon trocken“, murmele ich.
„Liegt am Herd. Der geht nicht mehr richtig.“
Backofen statt Herd? Klingt sonst nach staubtrockenem Kochkuchen.
Ich packe den Kuchen und schlurfe in die Küche. Beim Öffnen der Tür fällt mir der Mülleimer entgegen.
Besser Schranktür, sonst denkt man eventuell, der Eimer fällt ihm entgegen, als er die Küchentür öffnet.
„Dann müssen wir den Schreiner holen.“
„Das mache ich selbst. Hab jetzt ja Zeit.“
Mach, was du meinst.“
Ich höre, wie sie mit dem Schreiner telefoniert.
Das finde ich ja schon etwas zu viel, macht Sandra ja richtig unsympathisch. Dass sie tatsächlich sagt Mach, was du meinst, aber dann sofort den Schreiner anruft ... Wenn du sie sagen lässt „Ja, ja …“ würde ich es eher nachvollziehen können.
Der Keller ist der Vorhof zur Hölle. Halb Werkstatt, halb Schuttabladeplatz.
Das geht wohl leider gar nicht anders … :D
„Die brauche ich doch noch zum Beizen.“
„Mit deinem Rücken?“
Schöne Retourkutsche zu den Knien! :thumbsup:
„Dein Schatzi kannst du dir bald sonst-wo-hin! Hör endlich auf, dich zu bemitleiden und tu was!“
„Du mit deinem Pseudo-Halbtagsjob weißt doch gar nicht, wie es ist, seinen Job, seine Lebensaufgabe zu verlieren!“
Lebensaufgabe? Was ist mit mir? Um die Jungs habe ich mich gekümmert. Tagaus, tagein. Jetzt sind sie weg. Deine Pedanterie habe ich ertragen.
Den kursiven Teil finde ich etwas steif, unecht, einstudiert, bühnenhaft formuliert ...
… Alles auf den Mikrometer genau.“
„Millimeter“, sage ich.
„Was?“
„Mikrometer ist …“
Das ist witzig. Ein wenig wie Loriot, oder Familie Heinz Becker.
Ich setze mich zu ihr, nehme sie in den Arm, atme den Duft ihrer Haare, wie damals, als wir nach unserm ersten großen Streit auf den Triumphbogen gegangen sind,
Das geht mir an der Stelle etwas schnell. Erst keifen die sich so giftig voll, und dann folgt gleich diese liebevolle Reaktion, obwohl der Prot die ganze rührende Geschichte noch gar nicht kennt?
Mit zitternden Händen nehme ich den Koffer, packe einen rosa Strampler hinein: „Komm, lass uns nach oben gehen.“
Der Doppelpunkt ist an dieser Stelle mMn falsch. Und mir war gar nicht aufgefallen, dass der Strampler rausgefallen war. Du könntest deinen Prot vllt auch einfach sehen lassen, dass dieser Strampler im Koffer liegt.
„Meine Eltern haben sie anonym bestatten lassen. Du weißt schon, die Nachbarn. Und dann durfte ich nie mehr darüber sprechen.“
Dass sie nicht mehr darüber sprechen durfte - da nehme ich ihr ab, dass sie sich früher daran gehalten hat, als sie siebzehn war. Aber später …? Die war doch auch sauer und enttäuscht von ihren Eltern! Da hält man sich doch nicht ewig an solche spießigen Verbote! Ich fände gut, wenn deutlich wird, dass sie selbst nicht drüber reden wollte. Wenn es irgendwie so aussehen würde: „Und dann sollte ich zu niemandem darüber sprechen. Und später … wollte ich nicht mehr. Konnte nicht …“
Wir stehen vor dem ewigen Licht, in der hinteren Ecke des Gartens. Der Mähroboter zieht seine Kreise. Geranienduft weht herüber. Der Nachbar häckselt.
Sandra legt Blumen vor das Licht.
„Jetzt kannst du sie jederzeit besuchen“, flüstere ich in ihr Ohr.
Der letzte Absatz hat mich sehr berührt, den Triumphbogen hätte ich aber nicht noch einmal gebraucht.

Liebe Grüße von Raindog

 

Hallo @Geschichtenwerker

Challenge-Zeit, was mich motiviert, Geschichten zu lesen und zu kommentieren. Am besten alle. Warum stelle ich diese Bemerkung vornan? Weil ich es sonst vermieden hätte, diesen Text zu kommentieren, zu weit weg, von den Themen, die mich beschäftigen, ein Rührstück, das nach Tränen verlangt, na ja, so was eben.

Klar, die Geschichte komponiert sich aus ein paar Versatzstücken ganz alleine, weil es genug Konflikte gibt: Arbeitslosigkeit, Altersträgheit, alte Wunden, die aufbrechen, sobald eine Änderung des Alltags eintritt. Diese Komponiertest empfinde ich eben auch. Was aber an mir liegen mag, an der Autorenperspektive. Dadurch entsteht bei mir zu viel Distanz, um allzu viel Rührung zu empfinden. Auch wenn der Schluss Tränen nahelegt. (hoffe du verstehst meine Einwände und hältst sie nicht für Generalkritik, eine gute Geschichte lese ich schon, zu einer sehr guten fehlt für mich (muss ich betonen) die Überraschung, das Eintauchenkönnen.

Der Text liest sich gut, auch wenn (bei mir) wenig Spannung aufkommt, sprachlich passt's auch. Die Ich-Perspektive funktioniert, auch wenn ich es spannender gefunden hätte, zwei personale Perspektiven gegeneinander laufen zu lassen, was eine zusätzliche Ebene eröffnet hätte.

„Das mache ich selbst. Hab jetzt ja Zeit.“
„Mach, was du meinst.“
Ich höre, wie sie mit dem Schreiner telefoniert.
weiß nicht, ob's lustig klingen sollte, kam aber bei mir so an.

Ich schlage mit Wucht die Schranktür zu. Sie fällt mir auf die kleine Zehe. Vollholz.
„Gut, dass du ein halbes Jahr lang die Kanten so schön im Keller gefräst hast“, sagt Sandra, während sie den Eisbeutel aus dem Gefrierfach holt.
:D siehe oben

Der Koffer, über den sie nie sprechen wollte. Abwesend halte ich eine Schuhcreme in der Hand. Gespürt habe ich es schon immer, dass es da diesen dunklen Punkt gibt, besonders als sie mit Tim schwanger war.
da fehlt mir was, da müsste er tiefer reingehen. Woraus speist sich seine Ahnung?

Whiskyduft strömt mir in die Nase. Hätte gedacht, der riecht besser.
he: Whiskey reicht einfach nach Benzin, aus, fertig. :lol:

„Ich war siebzehn. Naiv und dumm. Dachte, er liebt mich. Dann war ich schwanger mit Rosa und einen Tag, nachdem ich es ihm gestanden hatte, war er verschwunden.“
mm, ein Klischee?

„Und Deine Mutter?“, frage ich.
„Die wollte auch, dass ich Rosa wegmache. Sie hat mir Vorwürfe gemacht. Du weißt, wie sie ist.“
„Ja, einfach nur eiskalt.“
„Mein Vater war schlimmer. Der brüllte nur rum, dass ihm der Bastard nicht ins Haus kommt.“
„Kann ich mir vorstellen. Aber sonst beruhigt er sich doch immer irgendwann.“
„Damals nicht. Ich weiß noch genau, wie ich abends im Bett lag, zum ersten Mal die kleinen Tritte gespürt habe.“
auch hier, das bleibt letztlich an der Oberfläche. Da bräuchte es die Gedanken der Frau, ihre Perspektive.

Viele Grüße und einen Zauberstart ins Wochenende
Isegrims

 

Hallo Geschichtenwerker,

ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen. Das Aufdecken eines schmerzhaften Geheimnisses, führt die Eheleute wieder zusammen. Und die Verbundenheit hinter dem ganzen Genörgel wird sichtbar, als es wirklich ernst wird.

Sandra schaut kurz mit dieser hochgezogenen Braue herüber.
„Und das dir“, sagt sie mit Blick auf ihr Smartphone.
„Zweitausend weitere Stellen bauen die ab“, sage ich kopfschüttelnd.
„Kann dir doch jetzt egal sein.“
Hier verstehe ich nicht ganz, worauf sich das bezieht. Auf die Marmelade? Oder darauf, was er gerade etwas vorgelesen hat? Und wäre es nicht einfacher zu schreiben: "Sandra zog eine Augenbraue hoch." ?


„Wozu? Kannst doch eh nur gehen. Machst dir sonst die Knie kaputt.“ Ich starre auf ihren Bauch, der aussieht wie damals, als sie mit Tim schwanger war.
„Iss doch was von dem Kuchen. Der wird sonst trocken.“
Ich beiße rein und nehme schnell einen Schluck Kaffee. Viel Kaffee. Damit ist es erträglich. Seitdem Sven aus dem Haus ist, ist ihr Kuchen noch schlechter geworden.
„Der ist schon trocken“, murmele ich.
„Liegt am Herd. Der geht nicht mehr richtig.“
„Sehe ich mir mal an.“
„Sagst jetzt schon seit einem Jahr.“
Das Stück muss ich wohl aufessen. Ich hole mir neuen Kaffee.
Großartig. Diesen ganzen ersten Teil, wo du in die Art der Beziehung einführst finde ich total gelungen und spritzig.

Sie sieht mich mit funkelnden Augen an: „Glaubst du wirklich, ich warte jetzt wieder Jahre, bis du das mit deiner Pedanterie repariert hast? Ich will mit der Scheißküche nicht zum Mars fliegen!“
:D


Sandra baut sich vor mir auf. Ihr Bauch streift leicht meinen Pullover. Ihr Atem riecht nach Kaffee.
Auch da bin ich ganz nah dabei. Das ist sehr realistisch.

Sandra stürzt bei dem Versuch, den Umschlag aufzufangen und fällt in einen alten Farbeimer.
Du meinst bestimmt in einen mit getrockneter Farbe. Ich war hier noch lange gefangen in so einem Slapstick-Bild, wo sie voller Farbe ist.


Ich setze mich zu ihr, nehme sie in den Arm, atme den Duft ihrer Haare, wie damals, als wir nach unserm ersten großen Streit auf den Triumphbogen gegangen sind, mit Blick über die Champs Elysée, Hand in Hand. Die Lichter der Autos spiegelten sich in ihren Augen. Sie hatte dieses bezaubernde Lächeln.
Das finde ich jetzt nicht so realistisch, dass ihm in diesem Moment diese Assoziation kommt und eigentlich finde ich es als Element auch unnötig retardierend. Da findet jetzt schon ganz schnell ein Wandel seiner Gefühle ihr gegenüber statt, den ich noch nicht ganz verstehe.

Sandra stürzt bei dem Versuch, den Umschlag aufzufangen und fällt in einen alten Farbeimer. Sie schreit auf, zerrt den Umschlag zwischen den Sachen hervor, drückt ihn an sich und schluchzt. Blut tropft von ihrem Knie.
Mit zitternden Händen nehme ich den Koffer, packe einen rosa Strampler hinein: „Komm, lass uns nach oben gehen.“

Das fände ich stärker, weil es erst einmal seine Überforderung zeigen würde. Und die Nähe dann über das Erzählen erst wieder entsteht.

Der Koffer, über den sie nie sprechen wollte.
Das wirkt so, als hätte er immer wieder versucht, das Geheimnis des Koffers herauszufinden. Irgendwie ist mir das zuviel.


„Diesmal gebe ich nicht auf“, seufze ich, schüttle den Kopf, raffe mich auf und hole den alten Macallan aus der Vitrine. Aufgehoben für einen besonderen Anlass. Frage mich, welcher das sein soll. Ist nicht alles Besondere schon geschehen, ohne dass wir es bemerkt haben?
Wunderschöne Stelle. Wie du hier das Konkrete mit so einer wehmütigen Erkenntnis verbindest, das wirkt ganz leicht und passend.

Eine Träne kullert über ihre feuchten Wangen.
Bisschen too much für mich.

Sandra sieht in die Ferne und schweigt.
Ich stehe auf, schenke nach. Sandra trinkt einen großen Schluck, nimmt den Schnuller und dreht ihn in der Hand.
Das zweite Sandra durch "sie" ersetzen?

„Meine Eltern haben sie anonym bestatten lassen. Du weißt schon, die Nachbarn. Und dann durfte ich nie mehr darüber sprechen.“
Ich finde das glaubhaft, dass sie das verschwiegen hat. Zuerst durfte sie nicht darüber sprechen und dann hat sie es selbst innerlich weggepackt, weil es zu weh tat. Ein Grund dafür könnte auch sein, dass sie sich vor ihm geschämt hat. Denn sie ist ja so erzogen, sich dafür zu schämen, was ihr passiert ist. Und vielleicht hatte sie sogar Angst, dass er sie verlassen würde. Dieser Aspekt und dass er zunächst doch verletzt ist, dass sie es nicht erzählt hat, könnte da noch mit rein, vielleicht nur als Andeutung.

„Jetzt kannst du sie jederzeit besuchen“, flüstere ich in ihr Ohr.
Sie nimmt meine Hand, wie damals auf dem Triumphbogen.
Und hier könnte ich auf den Triumphbogen verzichten, aber das ist wirklich Geschmackssache.

Hat mir sehr gut gefallen.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo @Ephraim Escher,

das freut mich sehr, dass Du Dich sogar nochmals gemeldet

Es motiviert immer ungemein, wenn man nicht nur zu seinen Geschichten, sondern auch zu seinen Kritiken Feedback erhält - dann ist man auch beim nächsten Mal gerne wieder dabei. :)

und Deinen Kommentar präzisiert hast:

Direkt am Anfang wird der altbekannte Gesichtsausdruck der Frau durch den Erzähler erwähnt. Der Leser weiß also: Was beschrieben wird, denkt der Mann. Jetzt denkt der Mann also folgendes: "Der Hals ist gebrochen, baumelt an zwei Saiten. Der Sunburst sieht aus, als ob die Sonne in einem Tümpel untergegangen ist."
Und im Anschluss sagt er, vermutlich ernst gemeint, dass man die doch reparieren kann. Das passt einfach nicht zusammen. Es fehlt die nostalgische Wertschätzung der Gitarre, einen Grund, wieso er sie reparieren will. Wenn ihn die Gitarre an einen Tümpel erinnert, warum sollte er sie dann reparieren wollen? Und insbesondere passt dieser bildhafte Vergleich eines Tümpels nicht mit Deiner Aussage zusammen:

Ich habe das ein wenig angepasst, noch eine kleine Erinnerungen meines Protagonisten eingefügt. Ich hatte gehofft, dass das aus der Reaktion klar ist, dass er sehr an der Gitarre hängt. Jetzt müsste es sich noch stärker aus dem Text ergeben.

Den Satz zuvor finde ich erheblich schöner, der neue behebt auch nicht das Problem:
Normalerweise nimmt man Schnuller am Ring oder in die Faust. Klappern sollte er in beiden Fällen nicht, da der Ring nicht gegen den Schnuller schlägt. In den Fingern klappernde Schnuller kann ich mir kaum vorstellen, wie hält er den denn? Das Saugende eingeklemmt zwischen Daumen und Zeigefinger, genau so gedreht, dass der Ring beim Zappeln gegen den Schnuller schlägt? Die Wenigsten würden auf diese Weise einen Schnuller halten, den Allerwenigsten würde in einer solchen Stress-Situation das vollkommen unwichtige Klappern auffallen.

Ich habe das auch wieder umgeändert in die vorherige Variante, da mir das vom Rhythmus besser gefällt. Hast Du schon mal mit einem Schnuller gespielt? Irgendwie klappern die ständig, wenn man mit der Hand wedelt und man spürt das auch.

Daher lasse es ich dabei, auch wenn ich Deinen Einwand nachvollziehen kann.

Vielen Dank nochmals, Deine Gedanken sind mir in der Tat (noch) klarer geworden.

Viele Grüße

Geschichtenwerker


Hallo @Raindog,

toll, dass Du bei mir reingesehen hast:

Sicher hast du auch schon eine ganze Menge geändert und ich weiß gar nicht, ob du noch Lust auf ein paar kleine Anmerkungen hast.

In Bayern sagt man: A wengal geht scho no.

Spaß beiseite, ich freue mich über jeden Kommentar, noch dazu, wenn er so sensibel daherkommt wie Deiner.

„Schau nicht so verkniffen. Du hast jetzt viel Zeit!“
„Und eine ordentliche Abfindung!“ Ich grinse. Die haben so blöd geschaut, als mein Anwalt den Aufhebungsvertrag vorgelegt hat.
Sandra schaut auf ihren Teller und dann an sich herunter: „Wann besorgen wir endlich das Laufband?“
Ich fände es besser, wenn das mit der „ordentlichen Abfindung“ auch noch Sandra sagen würde. Denn so, im Zusammenhang mit dem Grinsen, kommt es so rüber, als wäre der Prot zufrieden mit der beruflichen Situation, bzw. deren Ende. Aber er leidet deshalb doch eher! Also könnte Sandra sagen: „Schau nicht so verkniffen. Du hast jetzt viel Zeit! Und das ganze Geld von der Abfindung!“

vielen Dank dafür. Ich habe das Grinsen im Text abgeschwächt. Ich wollte bei den Dialogen verhindern, dass einer zu viel spricht und dieses Ping-Pong-Spiel haben, welches bei Deinem Vorschlag nicht mehr funktionieren würde.

Ich starre auf ihren Bauch, der aussieht wie damals, als sie mit Tim schwanger war.
Und Sven? Mit dem war sie doch auch schwanger, da sah der Bauch sicher ähnlich aus. Also vllt. besser ganz ohne Namen.

Man erinnert sich schon immer an das zugehörige Kind bei einer Schwangerschaft und außerdem ist der Bauch tatsächlich immer anders und sieht auch anders aus, alleine schon, weil die Kinder typischerweise unterschiedliche Größen und Gewichte haben.

Von daher habe ich es mal gelassen. Ich empfinde das auch nicht als Übergenauigkeit.

„Wozu? Kannst doch eh nur gehen. Machst dir sonst die Knie kaputt.“
Das finde ich zu erklärend, nur für den Leser geschrieben. Sandra weiß das ja selbst mit ihren Knieproblemen. Also vllt. irgendwie so: Du mit deinen lädierten Knien! Kannst doch eh nur gehen ...

Naja, das ist ja auch eine kleine Spitze von ihm und bezieht sich auch eher auf ihr Gewicht: Du bist so dick, dass Du Knieschmerzen beim Laufen bekommst.

Insofern ist es nicht erklärend gemeint. Ich habe inzwischen gelernt, dass man es nicht jedem recht machen kann und jeder an einer andere Stelle einhakt. Als Autor ist man dann geneigt, alle Einwände durch Änderung zu beseitigen. Aus meiner Sicht bewirkt das aber eher, wenn man das konsequent durchzieht, dass man einen Text schreibt, bei dem alle Leerstellen verschwinden, was wiederum eigentlich nicht der Sinn und Zweck einer Kurzgeschichte ist.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe es so gelassen, weil es andere richtig interpretiert haben.

„Der ist schon trocken“, murmele ich.
„Liegt am Herd. Der geht nicht mehr richtig.“
Backofen statt Herd? Klingt sonst nach staubtrockenem Kochkuchen.

Das scheint mir eine regionale Sache zu sein. Abgesehen davon ist "Herd" ja der Oberbegriff, der die Herdplatten und den Backofen miteinschließt. Für mich "spinnt" der ganze Herd. Das ist so ähnlich wie beim Auto: Da sagt man auch eher, das Auto springt nicht an, als: Der Anlasser ist defekt.

Du fragst Dich sicher, warum ich nicht einfach Backofen oder Ofen schreibe. Ganz einfach: Herd ist kürzer und fügt sich besser ein.

Ich glaube auch nicht, dass man als Leser hier wirklich etwas falsch versteht.

Ich packe den Kuchen und schlurfe in die Küche. Beim Öffnen der Tür fällt mir der Mülleimer entgegen.
Besser Schranktür, sonst denkt man eventuell, der Eimer fällt ihm entgegen, als er die Küchentür öffnet.

Das habe ich hingegen geändert. Ich glaube zwar auch hier, dass der Leser keinen falschen Schluss zieht, aber rhythmisch gefällt mir die Schranktür hier besser.

Das finde ich ja schon etwas zu viel, macht Sandra ja richtig unsympathisch. Dass sie tatsächlich sagt Mach, was du meinst, aber dann sofort den Schreiner anruft ... Wenn du sie sagen lässt „Ja, ja …“ würde ich es eher nachvollziehen können.

Ich verstehe, was Du meinst. Aber ist "jaja" wirklich besser? Abgesehen davon würde "jaja" den Sinn ein wenig ändern, das wäre ja ignoranter, im Sinne von: "ist mir doch egal, was Du sagst."

Hier geht das aber mehr in die Richtung: Wenn Du willst, dann tue es doch, aber ich glaube nicht mehr daran, dass Du es wirklich tust, und deswegen rufe ich den Schreiner an.

„Dein Schatzi kannst du dir bald sonst-wo-hin! Hör endlich auf, dich zu bemitleiden und tu was!“
„Du mit deinem Pseudo-Halbtagsjob weißt doch gar nicht, wie es ist, seinen Job, seine Lebensaufgabe zu verlieren!“
Lebensaufgabe? Was ist mit mir? Um die Jungs habe ich mich gekümmert. Tagaus, tagein. Jetzt sind sie weg. Deine Pedanterie habe ich ertragen.
Den kursiven Teil finde ich etwas steif, unecht, einstudiert, bühnenhaft formuliert

Schwieriger Einwand. Ich empfinde das nicht so, aber kann mir vorstellen, dass Du das vielleicht als zu theatralisch empfindest. Aber das gärt nun auch in ihr. Streichen würde ich es deswegen nicht. Die Situation schaukelt sich ja auch emotional langsam hoch an der Stelle, da erscheint mir das als natürliche Reaktion. Ich habe es mal gelassen, weil mir nichts besseres eingefallen ist.

Ich setze mich zu ihr, nehme sie in den Arm, atme den Duft ihrer Haare, wie damals, als wir nach unserm ersten großen Streit auf den Triumphbogen gegangen sind,
Das geht mir an der Stelle etwas schnell. Erst keifen die sich so giftig voll, und dann folgt gleich diese liebevolle Reaktion, obwohl der Prot die ganze rührende Geschichte noch gar nicht kennt?

Ja, kann ich verstehen. Aber wenn man noch eine gewissen Bindung hat, dann reicht manchmal ein Duft, ein eingespieltes Muster oder was auch immer, um die Emotionen wieder hervorzurufen. Es ist ja auch so, dass die beiden trotz der Frotzeleien irgendwie noch als Paar funktionieren und wenn der Partner verletzt ist, wird geholfen. Egal, was vorher war. Menschen sind so, aus meiner bescheidenen Erfahrung, sie springen emotional hin und her, wenn es einen Trigger gibt.

Mit zitternden Händen nehme ich den Koffer, packe einen rosa Strampler hinein: „Komm, lass uns nach oben gehen.“
Der Doppelpunkt ist an dieser Stelle mMn falsch. Und mir war gar nicht aufgefallen, dass der Strampler rausgefallen war. Du könntest deinen Prot vllt auch einfach sehen lassen, dass dieser Strampler im Koffer liegt.

Danke, da experimentiere ich und das ist bisher noch keinem aufgefallen. Da fehlt ein "sage ich", aber das lasse ich gerne weg und ist somit elliptisch. Tja, darf man das? Bisher ist das keinem aufgefallen, außer Dir. Ich lasse es mal stehen und sehe, ob noch weitere Leser darüber stolpern.

„Meine Eltern haben sie anonym bestatten lassen. Du weißt schon, die Nachbarn. Und dann durfte ich nie mehr darüber sprechen.“
Dass sie nicht mehr darüber sprechen durfte - da nehme ich ihr ab, dass sie sich früher daran gehalten hat, als sie siebzehn war. Aber später …? Die war doch auch sauer und enttäuscht von ihren Eltern! Da hält man sich doch nicht ewig an solche spießigen Verbote! Ich fände gut, wenn deutlich wird, dass sie selbst nicht drüber reden wollte. Wenn es irgendwie so aussehen würde: „Und dann sollte ich zu niemandem darüber sprechen. Und später … wollte ich nicht mehr. Konnte nicht …“

Das ist so eine Gretchenfrage für mich. In der ersten Variante war das alles noch viel kürzer. Ich möchte das eigentlich gar nicht alles ausführen, sondern dem Leser überlassen, sich emotional hinein zu versetzen und zu fragen, warum sie es nie erzählt hat. Bei einigen Kommentatoren hat das auch funktioniert. Bei einem Roman würde ich das natürlich ganz anders lösen, aber bei einer Kurzgeschichte? Wenn man das nachfühlt, kommt es einem gar nicht so komisch vor. Es haben auch viele Kommentatoren viele Gründe geliefert, die aber alle emotional auf die gleiche Lösung kamen, nämlich, dass sie es nie gelernt hat, darüber zu sprechen und es einfach "weggepackt" und daher nie mehr darüber gesprochen hat und auch nicht wollte.

Wird die Geschichte besser, wenn ich die Lösung, die eigentlich ganz viele inklusive Dir für sich nachgespürt haben, in den Text reinschreibe? Ich glaube nicht, aber das ist momentan meine persönliche Herangehensweise.

Der letzte Absatz hat mich sehr berührt, den Triumphbogen hätte ich aber nicht noch einmal gebraucht.

Tja, der Triumphbogen. Das ist so eine Klammer für mich. Ich mag das ganz gerne bei kurzen Geschichten, aber das gefällt nicht jedem.

Nochmals vielen Dank für Deinen einfühlsamen Kommentar, der mich wieder ein Stück weitergebracht hat in meinem eigenen Verständnis von dem Text.

Liebe Grüße

Geschichtenwerker


Hallo @Isegrims,

vielen Dank, dass trotzdem kommentiert hast:

Challenge-Zeit, was mich motiviert, Geschichten zu lesen und zu kommentieren. Am besten alle. Warum stelle ich diese Bemerkung vornan? Weil ich es sonst vermieden hätte, diesen Text zu kommentieren, zu weit weg, von den Themen, die mich beschäftigen, ein Rührstück, das nach Tränen verlangt, na ja, so was eben.

Mit dem Stempel kann der Text bei Dir, glaube ich, nicht mehr funktionieren. So ist das eben. Manches spricht einen gar nicht an.

Ich habe Deinen Kommentar mehrmals gelesen, um noch irgendetwas für mich rauszuziehen, aber mir ist es nicht gelungen.

„Ich war siebzehn. Naiv und dumm. Dachte, er liebt mich. Dann war ich schwanger mit Rosa und einen Tag, nachdem ich es ihm gestanden hatte, war er verschwunden.“
mm, ein Klischee?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Letztlich ist jede Teenie-Schwangerschaft ein Klischee, aber darf man es deswegen nicht mehr schreiben? Hätte Sandra vergewaltigt werden müssen? Vielleicht von ihrem Gynäkologen? Keine Ahnung, ist es dann besser? Ich glaube, dann hätte jeder gesagt: Jetzt dreht er völlig ab, der Geschichtenwerker.

auch hier, das bleibt letztlich an der Oberfläche. Da bräuchte es die Gedanken der Frau, ihre Perspektive.

Braucht es das wirklich? Kann man emotional nur nachvollziehen, was in ihr vorging, wenn man es aus ihrem Kopf heraus beschreibt? Ich lese in vielen Kommentaren, was in Sandra vor sich gegangen sein muss. Wenn man sich diese Gedanken alle machen kann und es auch so empfindet, muss man es dann aufschreiben?

Ich wollte gerade das nicht und habe ja bewusst die männliche Perspektive gewählt, weil es sonst womöglich tatsächlich zu sehr ein "Rührstück" geworden wäre. Aber gut, das ist eben auch alles Geschmackssache.

Wie gesagt, mir fällt es schwer, etwas aus Deinem Kommentar zu ziehen, mit dem ich mich oder meine Geschichte weiterentwickeln kann. Vielleicht klappt das beim nächsten Text besser.

Trotzdem vielen Dank und einen Puderzuckersonntag

Geschichtenwerker


Hallo @Chutney,

was habe ich mich gefreut, dass Du kommentierst und dann so startest:

ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen

Sandra schaut kurz mit dieser hochgezogenen Braue herüber.
„Und das dir“, sagt sie mit Blick auf ihr Smartphone.
„Zweitausend weitere Stellen bauen die ab“, sage ich kopfschüttelnd.
„Kann dir doch jetzt egal sein.“
Hier verstehe ich nicht ganz, worauf sich das bezieht. Auf die Marmelade? Oder darauf, was er gerade etwas vorgelesen hat? Und wäre es nicht einfacher zu schreiben: "Sandra zog eine Augenbraue hoch." ?

Das bezieht sich darauf, dass er pedantisch ist und ihm das sonst nicht passiert. Wird vielleicht erst im weiteren Verlauf klar, aber es gibt einige die das gleich verstanden haben.

Das "diese" sagt ja aus, dass es diese eine Augenbraue ist, die sie immer hochzieht, wenn ihm etwas passiert. Für mich ist das wichtig, um gleich in den ersten Zeilen eine Spannung aufzubauen und zu zeigen, dass es da ein gewisses Muster gibt. Das verschwindet, wenn man das rausnimmt.

Sandra stürzt bei dem Versuch, den Umschlag aufzufangen und fällt in einen alten Farbeimer.
Du meinst bestimmt in einen mit getrockneter Farbe. Ich war hier noch lange gefangen in so einem Slapstick-Bild, wo sie voller Farbe ist.

Da musste ich schmunzeln. Hoffentlich geht das anderen nicht auch so. Farbeimer springen nicht so schnell auf. Insofern lasse ich es mal, weil sonst keiner an der Stelle ein falsches Bild hatte.

Das finde ich jetzt nicht so realistisch, dass ihm in diesem Moment diese Assoziation kommt und eigentlich finde ich es als Element auch unnötig retardierend. Da findet jetzt schon ganz schnell ein Wandel seiner Gefühle ihr gegenüber statt, den ich noch nicht ganz verstehe.

Es ist ja kein Wandel, sondern ein Anknüpfen. Aus meiner Beobachtung funktionieren langjährige Partnerschaften oft so, dass es nur einen bestimmten Duft, eine Geste oder eine Situation benötigt, um Emotionen und Erinnerungen hervorzurufen. Außerdem hat sie sich echt weh getan, da ist man schon bei seinem Partner, auch wenn man sich gerade angefrotzelt hat.

Der Koffer, über den sie nie sprechen wollte.
Das wirkt so, als hätte er immer wieder versucht, das Geheimnis des Koffers herauszufinden. Irgendwie ist mir das zuviel.

Naja, es gab einige Kommentatoren, die nicht glauben konnten, dass er sich nie gefragt hat, was in dem Koffer ist. Dieser Satz adressiert das. Was Du also nicht brauchst, brauchen wieder andere. So ein Text ist auch immer eine Quadratur des Kreises.

Eine Träne kullert über ihre feuchten Wangen.
Bisschen too much für mich.

Die läuft jetzt, ist ein wenig schwächer.

Sandra sieht in die Ferne und schweigt.
Ich stehe auf, schenke nach. Sandra trinkt einen großen Schluck, nimmt den Schnuller und dreht ihn in der Hand.
Das zweite Sandra durch "sie" ersetzen?

Habe ich geändert.

„Meine Eltern haben sie anonym bestatten lassen. Du weißt schon, die Nachbarn. Und dann durfte ich nie mehr darüber sprechen.“
Ich finde das glaubhaft, dass sie das verschwiegen hat. Zuerst durfte sie nicht darüber sprechen und dann hat sie es selbst innerlich weggepackt, weil es zu weh tat. Ein Grund dafür könnte auch sein, dass sie sich vor ihm geschämt hat. Denn sie ist ja so erzogen, sich dafür zu schämen, was ihr passiert ist. Und vielleicht hatte sie sogar Angst, dass er sie verlassen würde. Dieser Aspekt und dass er zunächst doch verletzt ist, dass sie es nicht erzählt hat, könnte da noch mit rein, vielleicht nur als Andeutung.

Ja, das ist spannend für mich. Du erkennst das alles richtig, hast die richtigen Gedanken, so wie viele andere übrigens auch. Also warum sollte ich es jetzt in den Text schreiben, frage ich mich? Wenn ich mit meinen Andeutungen erreichen kann, dass meine Leser das denken und fühlen, was ich möchte, ohne es auszuschreiben, bin ich doch eigentlich am Ziel, oder? Schwierige Frage für mich, aber ich bin hier noch ein wenig stur, weil der Text ja eigentlich funktioniert und wenn ich dies jetzt alles ausführe, mir andere wieder sagen, dass es das ja gar nicht bräuchte.

„Jetzt kannst du sie jederzeit besuchen“, flüstere ich in ihr Ohr.
Sie nimmt meine Hand, wie damals auf dem Triumphbogen.
Und hier könnte ich auf den Triumphbogen verzichten, aber das ist wirklich Geschmackssache.

Ich hänge noch so an ihm und an der kleinen Klammer.

Hat mir sehr gut gefallen.

Das geht runter wie Öl.

Also nochmals vielen Dank für Deinen tollen Kommentar, mit dem ich nochmals viel über meinen Text und seine Wirkung nachdenken konnte.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Braucht es das wirklich? Kann man emotional nur nachvollziehen, was in ihr vorging, wenn man es aus ihrem Kopf heraus beschreibt? Ich lese in vielen Kommentaren, was in Sandra vor sich gegangen sein muss. Wenn man sich diese Gedanken alle machen kann und es auch so empfindet, muss man es dann aufschreiben?
es geht nicht darum, ob man das Geschehen zwischen den beiden nur nachvollziehen kann, wenn du eine weitere Perspektive einfügst, eher darum das Spannungsgefälle möglicherweise zu verstärken, die Tragik der verlorenen Vergangenheit noch klarer herauszuarbeiten. Ich habe meine Gedanken zu deinem Text mit dir geteilt, auch die formaler Art, was aber nichts bedeutet. Mit deiner Perspektivwahl stellst du dich auf die sichere Seite, was aber auch okay ist.

Wie gesagt, mir fällt es schwer, etwas aus Deinem Kommentar zu ziehen, mit dem ich mich oder meine Geschichte weiterentwickeln kann. Vielleicht klappt das beim nächsten Text besser.
verstehe ich, kann aber aus eigener Erfahrung sagen, dass manche Kommentare nachwirken können, auch wenn man's anfangs gar nicht bemerkt. Muss aber für meinen natürlich nicht gelten, schließlich ist mein Unbehagen vor allem in der mMn (total subjektiv also) Konstruiertheit des Plots begründet, letztlich in einer ästhetischen Haltung, in der wir uns unterscheiden..

viele Grüße und ein Freudenrestwochenende für dich
Isegrims

 

Hallo Geschichtenwerker, ich habe mich auf Deine Geschichte gefreut. Hatte sie schon kurz nach dem Einstellen gelesen und jetzt noch einmal. Du hast bereits so viele hilfreiche Hinweise bekommen, dass ich da kaum noch was Neues beisteuern kann. Trotzdem ein paar Gedanken:

Genereller Konflikt vs. Wende

Wir tendieren beim Lesen dazu, Wendepunkte in der Story als Ausdruck von tieferliegenden Konflikten zu betrachten. Nehmen wir den alten Fischer Santiago in Hemingways Novelle – als die Haie angreifen und die vermeintliche Beute des Fischers Biss für Biss zerfetzt wird, wird deutlich, dass es einen Konflikt zwischen den menschlichen Absichten (und Bedürfnissen) einerseits und dem für dieses Wollen blinde Universum andererseits gibt. Das Meer schert sich nicht um Santiago, nimmt ihm alles wieder weg.

Wenn wir das auf Deine Geschichte beziehen, stellt sich die Frage, ob die Wende (das zu Tage tretende Trauma) in einem Zusammenhang steht mit den Figuren der Story. Kann man die Beziehungsprobleme der beiden Figuren beispielsweise mit diesem Ereignis in Zusammenhang bringen? Oder dass sie fett und träge geworden sind?

Ich sehe dafür wenig Anhaltspunkte. So, wie es jetzt da steht, lese ich die Details des aktuellen Lebens der beiden Figuren getrennt von diesem toten Kind. Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein in der Kontroverse ob so ein Trauma nicht bereits früher zur Sprache gekommen sein müsste oder sich irgendwie anders manifestiert hätte.

Im Moment wirkt es auf mich tatsächlich wie etwas, das weggeschlossen, jahrelang vergessen wurde und jetzt wieder aus der Kiste/ dem Koffer springt. Das macht es ein wenig artifiziell, denn normalerweise laufen die Dinge im Leben nicht so.

Man könnte meinen, entweder ist dieses Trauma gravierend, dann wäre es bereits in irgendeiner Form zutage getreten oder es wäre bewältigt, dann wäre es wahrscheinlich kein Geheimnis mehr. So wirkt es wie ein isolierter Block und überzeugt mich nicht ganz und gar.

Was mich allerdings überzeugt, ist Dein Sprachgefühl und die grundsätzliche Herangehensweise an die Geschichte. Du hast ja viel experimentiert, und ich finde, dass man das sieht. Ich habe das sehr gern gelesen und freu mich auf Deine nächste.

Gruß Achillus

 

Lieber @Achillus,

vielen Dank, dass Du Dir trotz der vielen Kommentare noch die Mühe gemacht hast, Deine Gedanken dazulassen.

Ja, dieser Wendepunkt, das ist in der Tat ein wenig artifiziell, der Koffer und das darin Weggeschlossene als Symbol für die Erfahrungen, Träume, etc., die wir in unserem Leben irgendwann wegpacken und womöglich glauben, sie später wieder hervorholen zu können und dann wieder an das Vergangene anknüpfen zu können.

Das war aber eben auch meine Absicht, dieses Motiv in die Geschichte zu packen und ich frage mich immer noch, inwieweit mir das gelungen ist und wie viele der Leser diese symbolhafte Ebene in ihrer Tragweite wahrgenommen haben.

Damit gelangen wir zu dem Punkt, ob so ein Trauma sich nicht schon vorher gezeigt hätte. Wahrscheinlich, aber die Frage ist wem gegenüber? Das Traurige an der Geschichte ist ja, dass sie es ihm nicht offenbart hat (der besten Freundin vielleicht schon, aber diesen Nebenstrang habe ich bewusst weggelassen).

Es gibt oftmals Geheimnisse, auch große, in Partnerschaften oder in Familien, was ich selbst schon in meinem Umkreis hautnah mitbekommen habe, die dann plötzlich ans Licht kommen, ausgelöst durch Konflikte und Veränderungen im Leben.

Jetzt kann man natürlich literarisch kritisieren, dass so etwas gut vorbereitet sein muss, sich nicht zufällig ergeben darf. Das ist ein Punkt, über den ich auch schon viel nachgedacht habe, aber letztlich gibt es in fast allen Geschichten Zufallselemente, sodass man dann zu der Frage gelangt, ob es am Höhepunkt einen Zufall geben darf oder der Höhepunkt durch einen Zufall ausgelöst werden darf.

In meinem Fall ist das auslösende Element ja letztlich der Drang der Protagonistin, aufzuräumen, sich von alten Dingen zu trennen und den neuen Lebensabschnitt irgendwie zu gestalten und das zusammen mit ihrem Mann, der zwar immer sagt, dass er etwas erledigt, aber letztlich nicht wirklich verkraftet hat, dass seine "Lebensaufgabe" dahin ist und daher festhängt, nicht bereit ist, den neuen Lebensabschnitt anzunehmen.

In dieser Konfliktsituation, die sich in dem Keller hochschaukelt, schmeißen sie gegenseitig alte Koffer auf den Müll, bei denen den Protagonisten die jeweilige emotionale Bedeutung bewusst ist, und von daher der Griff nach genau den beiden Koffern gar nicht so zufällig ist, sondern eine Provokation und eine Aufforderung, endlich loszulassen. Das ist eine emotional hochaufgeladene Situation. Vielleicht habe ich das nicht gut genug dargestellt, aber ich hatte gehofft, dass sich der Leser das selbst erschließt und aus vielen Kommentaren entnehme ich auch, dass das ein Stück weit gelungen ist.

Aber der Punkt bleibt natürlich, dass man eventuell das Konstruierte an der Situation wahrnimmt. Wahrscheinlich müsste man die Geschichte weiter ausbauen, um dies zu entschärfen, aber dann verlöre sie ihren jetzigen Charakter.

Was mich allerdings überzeugt, ist Dein Sprachgefühl und die grundsätzliche Herangehensweise an die Geschichte. Du hast ja viel experimentiert, und ich finde, dass man das sieht. Ich habe das sehr gern gelesen und freu mich auf Deine nächste.

Das freut mich sehr und motiviert mich, hier vielleicht auch wieder mehr einzustellen.

Gruß
Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Geschichtenwerker,
jetzt endlich komme ich zu deiner Geschichte. Ich hab ein wenig gezögert, sie zu kommentieren, ich hatte den Eindruck, du hast mittlerweile ein wenig die Nase voll von den vielen Kommentaren. Aber ich halt mich (hoffentlich) kurz.

Ich finde die Idee sehr schön und berührend, ein älteres Ehepaar zu zeigen, deren Biestigkeiten eigentlich schon ein gewisses Ende, eine Abgenutztheit der Beziehung zeigen. Ein relativ äußerlicher Konflikt, das Aufräumen alter Dinge, die man einfach nicht wegschmeißen will, spitzt sich zu der Aufdeckung eines langverborgenen Traumas zu. Diese Entdeckung lässt die beiden wieder zueinander finden. Eine schöne Geschichte mit einem versöhnlichen und nachvollziehbaren Ende.

Einen Einwand habe ich allerdings.
Ich nehme das der Frau ab, dass sie den Verlust ihres ersten Kindes nicht gestehen will. Ich weiß, dass es solche Familiengeheimnisse gibt. Die Menschen sind aus schuld- oder Schamgefühlen verschwiegen, das Frühere wird verheimlicht und wuchert trotzdem in dem jeweiligen Menschen und auch in den Beziehungen, die er eingeht weiter. Von daher finde ich deine Konstruktions-Entscheidung erst mal richtig. Trotzdem ist was dran an dem, was @Achillus kommentierte. Das Aufräumen, was dann ja zu der Entdeckung führt, ist momentan noch ein wenig äußerlich zu den Biestigkeiten in der Ehe. Und schön wäre es, wenn das ein bisschen mehr verzahnt wäre. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen mit so einem Geheimnis im Laufe ihres Lebens unterschiedlich verfahren. Wenn die Kinder aus dem Haus sind zu Beispiel, mag das alte Geheimnis zu einer viel höheren Belastung werden als am Anfang einer schönen, verliebten Beziehung. Aber ich meine das gar nicht so, dass du das jetzt irgendwie alles anders gewichten solltest, sondern ich denke nur so ein bisschen rum, wie man da ein kleines bisschen aus der Sicht des mannes an den Stellschräubchen drehen könnte.
Momentan bin ich eh der Meinung, man müsste nur sehr wenig tun, dann wäre die Verzahnung zwischen dem jetzigen Leben der beiden, der gewissen Giftigkeit ihrer Beziehung und dem Entdecken des Grundes und dem Neuanfang auch da. Und klar, nicht aus der Sicht der Frau tiefer reingehen, da wehrst du dich ja erfolgreich und zu recht dagegen. Sondern aus Sicht des Mannes. Dem gewisse Dinge an seiner Frau azufgefallen sind, größere Gereiztheit, seit die Kinder weg sind. Vielleicht eine Kälte ihm gegenüber. Ihm muss es sozusagen wie Schuppen von den Augen fallen. Du machst das ja schon, lässt ihn erkennen, dass das ein wichtiger Moment ist, aber du übergehst das aus meiner Sicht trotzdem zu sehr. Er ist nach dem Sturz so schnell bei den alten Liebeserinnerungen, dass du diesen einen ganz bestimmten Moment seiner Erkenntnis, dass mit ihr was ganz und gar nicht in Ordnung ist, diesen Moment, wenn sie hinfällt, und er seinen Ärger vergisst, weil sie so schlimm getroffen ist, den müsstest du viel mehr "auskosten".

Ich schreibe einfach mal mit:

Hagebuttenmarmelade tropft von meinem Brot. Sandra schaut kurz mit dieser hochgezogenen Braue herüber.
Oha. Das geht ja gleich gut los. Ich finde, du machst das gut, eigentlich ist sie die Stachlige, die ihn dauernd ein wenig triezt.
„Und das dir“, sagt sie mit Blick auf ihr Smartphone.
Genau, die Frau zundert.

Sandra schaut auf ihren Teller und dann an sich herunter: „Wann besorgen wir endlich das Laufband?“
Schön zwischen den Zeilen.

Ich schlage mit Wucht die Schranktür zu. Sie fällt mir auf die kleine Zehe. Vollholz.
„Gut, dass du ein halbes Jahr lang die Kanten so schön im Keller gefräst hast“, sagt Sandra, während sie den Eisbeutel aus dem Gefrierfach holt.
Herrlich. Er wird versorgt, kriegt dabei gleichzeitig einen ganz schönen Einlauf. Also ich finde, du machst das gut, diese sogenannten Kabbeleien wirken schon so, dass es da was Tieferes, eine Unzufriedenheit miteinander gibt. Sie so forsch, sie managt, organisiert, kümmert sich dabei wenig um seine Bedürfnisse, und ich hab auch das Gefühl, dass die Kabbeleien eher von ihr ausgehen, dass er eher reagiert, auch wenn er selbst auch ganz schön austeilen kann. Diese Gewichtung finde ich auch wichtig. Die Geschichte muss was enthalten, was ihn schmerzt, auch wenn er einen Umgang damit gefunden hat, es muss schon was in dieser Beziehung sein, was auffällig ist und über das normale Paargedöbere rausgeht.

Ich sehe mich um. In meinen Gedanken baue ich unsere Küche. Eiche. Alles selbst gemacht. Jede Nut, jede Kante. Die Maschinen sind in einem jämmerlichen Zustand. Es riecht muffig, nach Holzstaub, Öl und Rost.
Ich stelle das mal um:
Es riecht muffig, nach Holzstaub, Öl und Rost. In meinen Gedanken baue ich unsere Küche. Eiche. Alles selbst gemacht. Jede Nut, jede Kante.
Ich finde den Übergang von seinen Tagträumen, was er alles schaffen will, dann zu Sandras Aussage "Das muss alles weg" besser. Und du würdest blickmäßig nicht so viel hin und her springen.

„Das muss alles raus“, sagt Sandra und zerrt meinen Gitarrenkoffer aus der Ecke. Das Kunstleder ist völlig verschlissen. Ein Scharnier steht verbogen ab.
„Nicht meine Les Paul!“
„Wie willst du da drauf spielen?“ Sie öffnet den Koffer und hält mir die Gitarre vor die Nase. Der Hals ist gebrochen, baumelt an zwei Saiten. Der Sunburst sieht aus, als ob die Sonne in einem Tümpel untergegangen ist.
Ich weiß schon, warum du den Gitarren-Koffer beschreiben willst. Es ist das Challenge-Thema, da willst du auf den zweiten Koffer hinweisen. Aber ich finde das richtig schade, wenn du das so machst. Es ist ja hier ein Moment, wo sie sich über etwas von ihm sehr Geliebtes hermacht. Da beschreibt der Betroffene doch nicht den Koffer, das lässt er auch den Erzähler nicht beschreiben, da will er den Koffer retten mitsamt dem Inhalt. Der Gitarrenkoffer ist das Pendant zu ihrem Koffer. Und sie will dieses sein Erinnerungsstück an alte glückliche Zeiten und Auftritte entsorgen. Und das weiß sie bestimmt auch.

Sandra baut sich vor mir auf. Ihr Bauch streift leicht meinen Pullover. Ihr Atem riecht nach Kaffee.
„Wenn du jetzt nicht endlich aufräumst, kannst du deine viele Zeit allein verbringen!“
„Schatzi“, raune ich.
Das finde ich eigentlich eine heftige Stelle, ich weiß, dass in Beziehungen solche Drohungen vorkommen, ich glaube, jeder kennt das. Aber das ist ja trotzdem eine Erpressung. Sei, wie ich will, sonst verlasse ich dich. Du gestaltest das so, dass das wie ein ganz alltägliches, normales Procedere wirkt. Gekabbel eben, Genervtheit. Aber es ist schon schmerzhaft. Und das geht ja so weiter. Liebe spürt man da nur noch wenig. Was du gut machst, es ist trotzdem klar, dass die Erpressung nur als Druckmittel gemeint ist, nicht als wirkliche Ansage. Es ist ein giftiger, vorwurfsvoller Umgangston, der zwischen beiden eingerissen ist. Man merkt, dass sie trotzdem aneinander gewöhnt sind, du schwächst es nämlich ein bisschen ab durch das Humorvolle.
„Millimeter“, sage ich.
„Was?“
„Mikrometer ist …“
Das hier zum Beispiel.

Ich packe den kleinen Lederkoffer, den sie bei allen drei Umzügen mitgeschleppt hat, und schmeiße ihn mit voller Kraft auf den Berg: „Und das auch!“
Das passt auch gut. Sie hat ihm weh getan mit dem Gitarrenkoffer. Jetzt gibts seine Retourkutsche. Wie du mir, so ich dir. Ich würde nur ein bisschen warten. Das Gefühl, was in ihm erzeugt wird, wenn sie die alte Gitarre auf den Müllberg wirft, würde ich ein wenig auskosten. Und dass er Gleiches mit Gleichem vergilt, also auch ihr Liebstes auf den Müll wirft, das kommt durch das "Und das auch" nicht deutlich genug raus aus meiner Sicht. ich würde eher sowas schreiben wie zum Beispiel: Dann kommt der auch weg. Aber das ist eine Kleinigkeit, ich fände das nur besser, wenn es deutlicher wäre.

Mein Hauptpunkt bezieht sich auf das danach: Ab diesem Absatz jetzt, wirds mir dann zu schnell. Ich würde sie erstens nicht in den Farbeimer fallen lassen, das wirkt zu slapstickmäßig aus meiner Sicht, aber das ist nur nebenbei. Danach, wenn sie gefallen ist, das geht mir zu schnell. Da muss er etwas sehen an ihr, sie ist doch da entblößt, verwundet, ganz klein. Das muss er doch sehen. Und da ist er zu schnell weg von dem Moment des Wahrnehmens, des Auf- und Entdeckens, hin zu den alten Liebeserinnerungen. Ich meine, das ist doch eine harte Szene, sie fällt, eigentlich stehen die fast vor einer Handgreiflichkeit, und dann stürzt sie und blutet und hockt da auf dem Boden, das muss ihn doch erschrecken. Und ich bin mir sicher, dieser Moment ist sehr sehr schlimm für beide.

Sie schreit auf, zerrt den Umschlag zwischen den Sachen hervor, drückt ihn an sich und schluchzt. Blut tropft von ihrem Knie. Ich setze mich zu ihr, nehme sie in den Arm, atme den Duft ihrer Haare, wie damals, als wir nach unserm ersten großen Streit auf den Triumphbogen gegangen sind, mit Blick über die Champs Elysée, Hand in Hand. Die Lichter der Autos spiegelten sich in ihren Augen. Sie hatte dieses bezaubernde Lächeln.
Ja, ich würde mir Zeit nehmen für ein Wahrnehmen ihrer Not.
Danach dann ist alles wieder in Butter und nachvollziehbar und logisch.

„Schmeckt furchtbar“, sagt sie.
„Wie wohl alles, was man zu lange aufhebt“, antworte ich mit verzogenem Gesicht.
Der Typ hat was mit seinen ironischen Bemerkungen.

Lieber Geschichtenwerker, eine schöne, berührende Geschichte, schöner Aufbau, und mit einem kleinen Verzahnungspotential.
Liebe Grüße an dich von Novak

 

Liebe @Novak,

gerade habe ich Deinen Kommentar gesehen und überlegt, ob ich dann antworte, wenn ich Zeit habe, oder ein schnelles Feedback gebe, da ich nicht weiß, ob ich es vor Weihnachten überhaupt noch schaffe. Ich schreibe Dir jetzt kurz auf Deinen tollen Kommentar und sobald ich eine ruhige Minute habe, gehe ich mehr ins Detail.

Ich hab ein wenig gezögert, sie zu kommentieren, ich hatte den Eindruck, du hast mittlerweile ein wenig die Nase voll von den vielen Kommentaren. Aber ich halt mich (hoffentlich) kurz.

Die Nase habe ich nicht so schnell voll. Es ist nur fordernd, da die Vor-Weihnachtszeit auch sonst eher anstrengend ist und ich - wahnsinnig, wie ich manchmal bin - auch noch die anderen Geschichten lesen und kommentieren möchte.

Ich habe mich jedenfalls wahnsinnig über Deinen Kommentar gefreut.

Trotzdem ist was dran an dem, was @Achillus kommentierte. Das Aufräumen, was dann ja zu der Entdeckung führt, ist momentan noch ein wenig äußerlich zu den Biestigkeiten in der Ehe. Und schön wäre es, wenn das ein bisschen mehr verzahnt wäre.

Ja, da hat @Achillus recht und Du auch und da habe ich auch schon immer mal wieder darüber nachgedacht und Dein Kommentar trifft absolut ins Schwarze, denn an dem genannten Punkt kann man tatsächlich das Problem evtl. lösen.

Du machst das ja schon, lässt ihn erkennen, dass das ein wichtiger Moment ist, aber du übergehst das aus meiner Sicht trotzdem zu sehr. Er ist nach dem Sturz so schnell bei den alten Liebeserinnerungen, dass du diesen einen ganz bestimmten Moment seiner Erkenntnis, dass mit ihr was ganz und gar nicht in Ordnung ist, diesen Moment, wenn sie hinfällt, und er seinen Ärger vergisst, weil sie so schlimm getroffen ist, den müsstest du viel mehr "auskosten".

Es ist die Sturzszene mit dem Koffer, die letztlich das Trauma hervorbrechen lässt und an der Stelle passen die Emotionen und Wahrnehmungen nicht richtig und es geht zu schnell. Da passiert zu viel in beiden emotional und das habe ich einfach nicht gut umgesetzt. Diesen Prozess des Hochkommens der Emotionen und des Verknüpfens dessen, wie der Protagonist Sandra gerade wahrnimmt mit seinen Erinnerungen ungewohnter oder für ihn nicht nachvollziehbarer Handlungen oder Stimmungsschwankungen Sandras, wie langsam ein Teil des Groschens fällt, dass unstimmige Handlungen oder Emotionen von Sandra in der Vergangenheit mit dem Kofferinhalt und dem damit verbundenen Erlebnis zusammenhängen können. Das kommt zwar später, aber das ist eigentlich dann der weitere, eher rationale Denkprozess, der in dieser Szene schon angestoßen wird. Vorher in der Sturzszene ist das noch nicht rational, sondern unterschwellig und emotional.

Vielen Dank, dass Du den Finger so treffend in die Wunde gelegt hast.

Jetzt habe ich es endlich begriffen. Hat ja viele Kommentare gedauert.

Übrigens finde ich Deine Änderungsvorschläge alle sehr gut und werde sie bei der nächsten Bearbeitung auch übernehmen (auch der Hinweis, dass er seine Gitarre nicht im ersten Moment verschlissen wahrnimmt, sondern erst im zweiten - ich hatte mich ja immer gewehrt, den zweiten Blick auf die Gitarre zu ändern und habe dabei übersehen, dass sein erster Blick auf den Gitarrenkoffer nicht passt).

Lieber Geschichtenwerker eine schöne, berührende Geschichte, schöner Aufbau, und mit einem kleinen Verzahnungspotential.

Vielen Dank auch dafür. Für mich war der Text im gewissen Sinne ein Experiment, wie viel man zwischen den Zeilen verpacken und mit Dialogen transportieren kann, und es ist schön zu sehen, dass Du das alles genau so wahrgenommen hast, wie ich es gedacht hatte. Das Verzahnungspotential sehe ich als größer an, weil ich nämlich in der Sturzszene die Spitze des falschen Eisbergs beschrieben habe. Ich denke, dass man aber tatsächlich gar nicht so viel ändern muss, um den richtigen Eisberg zu beschreiben.

Also nochmals tausend Dank dafür, dass Du Dich so tiefgehend mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast.

Lieber Gruß

Geschichtenwerker

 

Hallo @Geschichtenwerker
Meine erste Reaktion, zumal ich die schon unter die Räder geratene, also überarbeitete Version vorgefunden habe, ist durchaus positiv. Flüssig zu lesen, in einem Rutsch nämlich. Aber irgendwas fehlt mir.
Der einführende Dialog ist gelungen. Ich bekomme einen Eindruck beider Charaktere und ihrer Beziehung zueinander. Passt.
Der verunfallte Koffer kann passieren. Warum nicht? Von da an wirkt die Geschichte etwas gehetzt, dabei beginnt doch gerade jetzt der tragische Teil. Dass der Rückblick mehr oder weniger in Stichpunkten stattfindet, ist nicht entscheidend, vielleicht sogar gerade gut. Aber da wird doch weit mehr im Erzähler vorgehen, also ich zumindest brauche da mehr Gedanken, um mit einem langen Arm um die Vergangenheit herum wieder in die Gegenwart zu reichen und bei den beiden eingespielten Weggefährten zu landen. Das muss nicht auf die Tränendrüse drücken, das passiert gegen Ende ganz automatisch und - wie ich finde - gar nicht erzwungen.
Für mich würde ein Monolog, seine innere Auseinandersetzung mit Verschwiegenem, nie Hinterfragtem und kaum Nachvollziehbarem die Sache richten. Vielleicht. Am Ende ist es deine Entscheidung. Manches wird ja nie ausgesprochen. Und das macht es dann umso wirkungsvoller, weil wir so gerne hätten, dass sie darüber sprächen. Aber immerhin stehen sie dann beisammen, da im Garten.

Also zwischen Koffer und Garten, da bin ich ihr sehr nah, ihm aber ferner als zuvor. Deshalb die Idee mit dem Monolog. Ich hoffe, das klingt auch nur halb so wirr, wie es mir gerade vorkommt. ;)

Liebe Grüße
Joyce

 

Hallo @joycec,

toll, dass Du auch bei mir vorbeisiehst und zwei aus meiner Sicht wichtige Punkte im Gepäck hast, nämlich zunächst ein wenig Zuckerbrot:

Meine erste Reaktion, zumal ich die schon unter die Räder geratene, also überarbeitete Version vorgefunden habe, ist durchaus positiv. Flüssig zu lesen, in einem Rutsch nämlich. Aber irgendwas fehlt mir.
Der einführende Dialog ist gelungen. Ich bekomme einen Eindruck beider Charaktere und ihrer Beziehung zueinander. Passt.

worüber ich mich sehr freue.

Und dann der entscheidende (Peitschen-)Punkt:

Für mich würde ein Monolog, seine innere Auseinandersetzung mit Verschwiegenem, nie Hinterfragtem und kaum Nachvollziehbarem die Sache richten.

Da hat mir auch schon Novak die Augen geöffnet. Ich plane momentan, etwas in der Richtung in der Kellerszene einzuarbeiten und dass Du ins gleiche Horn stößt, motiviert mich, noch an der Stelle den Text auszubauen. Ich werde das sicher probieren, aber wahrscheinlich erst nach Weihnachten, denn morgen möchte ich an einem anderen Projekt weiterarbeiten - einer Weihnachtsgeschichte für meine Kinder -, das ich noch vor Weihnachten irgendwie zum Ende bringen möchte.

Vielen Dank für Deine Gedanken und dass du in den wunden Punkt gebohrt hast. Ich gebe nicht auf, vielleicht kann ich den Text noch verbessern.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hi Geschichtenwerker,

es passiert ja nicht wirklich viel in deiner Geschichte – ein Koffer wird gefunden und die Frau erzählt von dem Baby, das sie verloren hat, – aber dennoch packt sie mich.

Du hast jetzt viel Zeit!“
„Und eine ordentliche Abfindung!“ Ein Lächeln huscht über meine Lippen. Die haben so blöd geschaut, als mein Anwalt den Aufhebungsvertrag vorgelegt hat.
Sandra schaut auf ihren Teller und dann an sich herunter: „Wann besorgen wir endlich das Laufband?“
Konnten sie sich vorher das Laufbad nicht leisten, ohne die Abfindung? Finde da keine Hinweise im Text. Im Gegenteil, haben sie doch einen Mähroboter, der ein Vielfaches kosten mag.

Ich starre auf ihren Bauch, der aussieht wie damals, als sie mit Tim schwanger war.
„Iss doch was von dem Kuchen. Der wird sonst trocken.“
Ich beiße rein und nehme schnell einen Schluck Kaffee. Viel Kaffee. Damit ist es erträglich. Seitdem Sven aus dem Haus ist, ist ihr Kuchen noch schlechter geworden.
Also scheint Sven der ältere Sohn zu sein.
Sah ihr Bauch denn bei der Schwangerschaft mit Sven anders aus als bei Tim?

„Liegt am Herd. Der geht nicht mehr richtig.“
Beim Öffnen der Schranktür fällt mir der Mülleimer entgegen.
Hm, auf eimal ist alles kaputt ...

Sie sieht mich mit funkelnden Augen an: „Glaubst
Kein Doppelpunkt. Nur, wenn da stände "sagen" etc.

„Nicht meine Les Paul!“
„Wie willst du da drauf spielen?“
Da dachte ich noch, und freute mich darauf, dass er im Ruhestand wieder Gitarre spielen würde, eine alte Leidenschaft wieder auflebe.

Um die Jungs habe ich mich gekümmert. Tagaus, tagein. Jetzt sind sie weg.
Oben steht, Sven sei aus dem Haus.
Tim also auch?

die Champs Elysée,
Champs-Élysées

ein rosa Schnuller
rosa Strampler
Aha, ein Mädchen. Da dachte ich, sie hätte lieber ein Mädchen gehabt, anstatt Jungs. War dann doch eher Zufall, dass sie zwei Jungen hat und kein Mädchen.

Ich zucke bei der Erinnerung innerlich zusammen, wie sie mir die Leviten gelesen hatte, als ich einmal Tim alleine im Bettchen ließ, um auf die Toilette zu gehen. Ich war so damit beschäftigt Fotos zu schießen, dass ich ihre Sorgen gar nicht richtig wahrgenommen hatte
Habe ich so verstanden: Er war auf der Toilette und schoß Fotos, dann entdeckt sie ihn dort und las ihm die Leviten.

Setze mich schließlich neben sie: „Diesmal gebe ich nicht auf“, seufze ich,
Kein Doppelpunkt. Außerdem hast du ja schon eine Redebegleitung.

„Schmeckt furchtbar“, sagt sie.
„Wie wohl alles, was man zu lange aufhebt“, antworte ich mit verzogenem Gesicht.
Toll!

„Warum hast Du nie etwas erzählt?“, frage ich
hast du

„Ich war siebzehn. Naiv und dumm. Dachte, er liebt mich. Dann war ich schwanger mit Rosa und einen Tag, nachdem ich es ihm gestanden hatte, war er verschwunden.“
Ups.

„Und Deine Mutter?“
deine

Vor meinen Augen sehe ich Tims kleine Fußabdrücke auf Sandras Bauch, wenn er sich gestreckt hatte.
Und was ist mit Svens Abdrücken?

Trauriges Schicksal. Am Ende scheint alles gut zu werden. Sie hat ihr Geheimnis mit ihrem Mann geteilt.
Schön!

Wünsche dir einen tollen Tag.
Liebe Grüße, GoMusic

 

Liebe @Novak,

endlich hatte ich Zeit, mich intensiver mit diesem Punkt auseinanderzusetzen:

Mein Hauptpunkt bezieht sich auf das danach: Ab diesem Absatz jetzt, wirds mir dann zu schnell. Ich würde sie erstens nicht in den Farbeimer fallen lassen, das wirkt zu slapstickmäßig aus meiner Sicht, aber das ist nur nebenbei. Danach, wenn sie gefallen ist, das geht mir zu schnell. Da muss er etwas sehen an ihr, sie ist doch da entblößt, verwundet, ganz klein. Das muss er doch sehen. Und da ist er zu schnell weg von dem Moment des Wahrnehmens, des Auf- und Entdeckens, hin zu den alten Liebeserinnerungen. Ich meine, das ist doch eine harte Szene, sie fällt, eigentlich stehen die fast vor einer Handgreiflichkeit, und dann stürzt sie und blutet und hockt da auf dem Boden, das muss ihn doch erschrecken. Und ich bin mir sicher, dieser Moment ist sehr sehr schlimm für beide.

Ich bin jetzt Deinem Rat gefolgt und habe die Kellerszene stärker ausgekostet und auch sonst die Geschichte noch bearbeitet (der Triumphbogen am Ende ist es jetzt auch weg). Hoffentlich ist es jetzt nicht zu pilcherartig geworden (ich habe nie etwas von Pilcher gelesen, kann mir aber vorstellen, was man hier im Forum damit meint). Man bekommt ja schnell den Kitschvorwurf, wenn man es übertreibt. Andererseits erscheint mir die Kellerszene jetzt emotionaler und besser mit den rein faktischen Ereignissen verzahnt.

Ich danke Dir nochmals sehr, dass Du mir einen Anstoß in hoffentlich die richtige Richtung gegeben hast.

Hallo @GoMusic,

vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meinen Text zu kommentieren. Inzwischen habe ich ihn nochmals überarbeitet.

Die Tippfehler und sonstigen textlichen Anmerkungen habe ich alle übernommen (und wahrscheinlich neue Tippfehler eingearbeitet …).

es passiert ja nicht wirklich viel in deiner Geschichte – ein Koffer wird gefunden und die Frau erzählt von dem Baby, das sie verloren hat, – aber dennoch packt sie mich.

Es freut mich sehr, dass die Geschichte Dich gepackt hat. Das war mein Ziel, sozusagen nur die Spitze des Eisbergs zu beschreiben und den Rest "mitschwingen" zu lassen.

Umso mehr freut es mich dann, wenn das bei dem einen oder anderen Leser tatsächlich funktioniert.

Konnten sie sich vorher das Laufbad nicht leisten, ohne die Abfindung? Finde da keine Hinweise im Text. Im Gegenteil, haben sie doch einen Mähroboter, der ein Vielfaches kosten mag.

Es ist weniger eine Geldfrage, als eine Zeitfrage. Er ist jetzt daheim, die Kinder sind aus dem Haus, Sandra hat wohl ein kleines Gewichtsproblem, da will sie jetzt einfach etwas an ihrem Leben ändern.

Also scheint Sven der ältere Sohn zu sein.
Sah ihr Bauch denn bei der Schwangerschaft mit Sven anders aus als bei Tim?

Tim ist der ältere, der jüngere Sohn, also Sven, zieht als letzter aus. Schwangerschaftsbäuche sehen tatsächlich unterschiedlich aus. Das liegt aus meiner Sicht an den unterschiedlichen Größen und dem unterschiedlichen Gewicht der Kinder, daran dass die Frau älter wird, bei den weiteren Kinder das Gewebe vielleicht auch schon ein wenig anders beschaffen ist, etc.

Und was ist mit Svens Abdrücken?

Wie gesagt, Tim ist der ältere. Ich glaube, dass sich die Eindrücke der ersten Schwangerschaft und des ersten Kindes stärker einprägen als die Eindrücke der weiteren Schwangerschaften/Kinder, sodass man immer zunächst an den Erstgeborenen bzw. die Erstschwangerschaft denkt und auch nicht immer alle Kinder durchgeht.

Nochmals vielen Dank für Deine Hinweise und viele Grüße

Gerschichtenwerker

 

Guten Morgen @Geschichtenwerker

Was für einen schöne Geschichte! Ich bin von Anfang an voll dabei, leide mit. Die Geschichte berührt, geht ans Herz. Da ist kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig. Super gemacht! :thumbsup:

Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen:

Zitat Geschichtenwerker: Sie blickt starr auf einen Punkt im Keller, wippt langsam vor und zurück, wie in kleines Kind
…ein kleines Kind…

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende,

Silvita

 

Guten Morgen @Silvita,

vielen Dank für das Lob, über das ich mich sehr freue.

Es ist auch immer wieder interessant, seine eigenen Texte mit Abstand zu lesen und erstaunlich, dass doch noch ein Fehler zu finden ist. Vielen Dank dafür, den habe ich gleich ausgebessert.

Gruß und schönes Wochenende
Geschichtenwerker

 

Lieber @Geschichtenwerker

gern geschehen. Ich freu mich, wenn Du Dich freust.

Das kenne ich leider auch :)

Vielen Dank und Dir auch ein schönes Wochenende,

lg Silvita

 

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