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Korrespondenz
Ich werde heute zu Hause bleiben. Vielleicht auch morgen, übermorgen oder auch den Rest meines Lebens.
Hier drinnen unterscheidet es sich wenig vom Draußen, dort ist es nur ein wenig bunter.
Aber was sind schon Farben, wenn sie zusammen gemischt doch nichts anderes als Schwarz ergeben?!
Hier habe ich alles. Kehliges Rot zum Beispiel. Summendes Anthrazit und tragendes Braun.
Ich sehe atmendes Grün, höre leises, parfümiertes Rose durch die Wand, klapperndes Asphalt und schmecke giftfahles PVC unter den Sohlen.
Wohin sollte ich also gehen? Wo doch alles läuft und läuft, rennt wie eine Wüstenmaus.
Ich habe es satt, habe genug von den Worten, den kläffenden Hunden und schnurrenden Katzen.
Ich schenke lieber dem tropfenden Hahn mein Gehör. Lasse auch mich fallen aus dem Reich der Wörter, hinab ins Sammelbecken des Verlusts.
Mein teurer Freund, es stimmt, ein Leben ist unbezahlbar. Ein Leben ist etwas wundervoll Grausames.
Wenn wir uns sehen …
Treulichst,
B.
„Wenn wir uns sehen …“
Wie lange sitze ich nun schon hier? Wie lange ist es inzwischen her?
Noch immer kann ich nicht begreifen was passiert ist, Abkehr von mir, von uns.
Dies ist keine Liebesgeschichte, dies ist keine Geschichte, die man erzählen könnte.
„Treulichst,
B.“
Wo liegt deine Verbundenheit, wenn Du alles hast gehen lassen?
Manolo sagte mir schon damals, dass man sich auf Dich nicht verlassen könne.
Manolo hatte Recht mit vielem, was er sagte. Aber auch er ist nicht hier. Nur ich allein
und Dein Brief.
Wie lange alles her ist …
Und wie direkt es mich dennoch trifft.
Dies ist keine Geschichte. Geschichten sind Fiktion, erzählte Einheiten, Kontext.
Das hier, ist nichts als Fragment.
Vielleicht lässt es sich abführen, abtreiben oder …
Manolo, Du hattest Recht und Du hast mir zugesehen, die ganze Zeit warst Du dabei.
Und jetzt bist Du weg.
Hat B. etwa auch Dir geschrieben? Ich kann es mir nicht vorstellen; damals habt ihr euch gehasst.
Habt gekämpft um mich, mein Urteil zu eurer Trophäe erhoben. Doch auch ich ging, suchte zu vergessen, dass ihr beide Recht hattet.
Nach eurem großen Bruch, Manolo, wie schlecht es dir ging! Noch heute kann ich es hören, das Heulen der Hunde. Und wo war B. damals? Er sagte nichts dazu. Trank seinen Kehligen, webte an sich selbst, bewegte sich nicht mehr als ein Sofakissen.
Ich erinnere mich noch gut an den Abend unserer Offenbarung. Arm in Arm lagen wir da, nackt und aneinander gepresst. Du weißt es, oder? Ich schlief zwölf Stunden lang und als ich erwachte, war es wie ein Traum.
Manolo, B. ist tot,
glaube ich.
Und wenn ich eins nicht verstehe, dann deine Ignoranz. Auch Du hast ihn einmal geliebt.
Wie uns die Worte in den Mund gelegt werden!
Die Worte …
Ein wahrhafter Fluch ist das! Aber was bleibt schon?
Ich schaue auf meine Hände und alles was ich sehe sind Worte.
Ja, ich weiß, wir sind jung und ich hatte schon immer einen Hang zu Theatralik aber sie haben uns eingekerkert, sich verselbstständigt.
Wie sagt man noch?
Kein Blatt vor den Mund nehmen …
Nun, genau das versuchte ich gerade, wie damals B. auch.
In Liebe,
L.