Kotzkuss
Er saß am Fenster und schaute hinaus. Nicht, dass seine Augen irgendetwas festhielten.
Sie waren auf einen Punkt ausgerichtet, den seine Pupillen nur nicht wahrnahmen.
Es war kurz nach sechs am Morgen.
Vier Stunden war es her, als er sich vor das Fenster gesetzt und seinen Kopf auf die Fensterbank gelegt hatte. Drei Stunden war es her, als er aufgehört hatte seine Tränen aufzuhalten. Zwei Stunden war es her, als seine Tränen versiegten. Eine Stunde war es her, als er seinen Kopf gehoben hatte um durch die Fensterscheiben in das noch dunkle Draußen zu starren.
Zwanzig Minuten war es her, dass er die ersten hellen Streifen am Horizont wahrgenommen hatte, ohne sie anzusehen. Fünfzehn Minuten war es her, als der Penner auf den Bürgersteig vor dem Fenster gekotzt hatte. Zehn Minuten war es her, dass die Tageszeitung in seinen Briefkasten gesteckt wurde. Fünf Minuten war es her, dass sich ein Pärchen vor dem Fenster einen verliebten morgendlichen Kuss gegeben hatte, bei dem der Mann mit einem Fuß in dem erbrochenen des Penners stand. All das hat er nicht gesehen, da sich seine wässrig blauen Augen nur den einen ungewissen Punkt in der nahen Ferne fixierten. Zwei Minuten ist es her, dass die Müllabfuhr seine Straße durchquerte um die vollgestopften Mülltonnen zu leeren.
Vor Vier Stunden und vier Minuten hatte er seine Abfälle in die Mülltonne draußen auf der Straße geworfen. Vor einer Minute fingen seine Tränen unkontrolliert an über seine seit Tagen unrasierten Wangen zu laufen. Das war dreißig Sekunden bevor er begriff, dass es nun wirklich vorbei war. Seine Augen hatten es vor ihm gewusst. Sie hatten dreißig Sekunden vor ihm selbst gewusst, dass sie tot waren und ihr Licht verloren haben. Und das ihr restliches Leben mit der Müllabfuhr davon fuhr.