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Krähen im Nebel

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20.10.2002
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Krähen im Nebel

Der Nebel überzieht die Landschaft, die Luft ist feucht, kalt. Hier draußen, am Ufer des zugefrorenen Weihers, ist kein Laut zu hören, eine unwirkliche, tote Stille liegt über allem.
Baumgerippe säumen das Ufer, die schwarzen Äste bedrohlich in das Weiß gestreckt. Ein paar Krähen sitzen darauf, auch sie ohne einen Hauch von Bewegung, ohne mit ihrem Krächzen die Stille zu durchdringen.

Langsam drehe ich mich um, höre meine Stiefel auf dem Kies knirschen. Ich gehe Richtung Eis, teile mit meinen Schritten den dichten Nebel.
Ich sehe das Schilf, eingefroren die Halme, geknickt vom Wind, zerbrochen von der Natur, abgestorben und unnütz. Die Kälte hat Luftblasen eingeschlossen, tellergroße und auch ganz kleine. Kinder haben mit den Schuhen versucht, die Eisschicht darüber zu zertreten, die Eisfläche ist verwundet, rau, hat Narben bekommen.

Es dämmert schon und die letzten Schlittschuhläufer haben den See verlassen. Ich bin allein. Als ich den ersten Schritt auf das Eis setzte, kann ich es knistern hören. Ich gehe weiter, tiefer in den Nebel hinein, weg vom Ufer, weg von den Spuren der Kufen, die die Fläche gedankenlos zerschnitten haben mit ihren scharfen Kanten.

Unter meinen Sohlen höre ich das Wasser arbeiten, es knackt und knirscht. Die Skelette der Buchen, keine fünfzig Meter entfernt, kann ich nicht mehr sehen, ich ahne nur noch ihre Schemen, ihre Schwärze, die stummen Beobachter des Sees.

Einige Schneeflocken schweben an mir vorbei, lassen sich auf mein Haar sinken. Ich gehe weiter, auf die kleine Insel zu, die sich in der Mitte des Sees befindet, auch ohne dass ich sie sehen kann. Ich weiß, sie ist da, sie ist immer da. Im Frühjahr, wenn die Wasservögel in den Gebüschen einen Platz zum Brüten suchen, im Sommer, wenn die Liebespärchen sich vom Schwimmen zurückziehen, im Herbst, wenn der Wind die Blätter spielen lässt, und auch jetzt, wenn die Natur sich zum Schlafen zurückzieht.

Vor mir tauchen erste Schemen auf, ich kann die Sträucher und das tote Holz erahnen, gehe weiter über das Eis. Das Knirschen wird lauter, es berührt mich nicht. Die letzten Nächte waren kalt, das Eis muss viele Zentimeter dick sein, es wird mich halten. Ich gehe auf das trostlose Stück Land zu, erreiche das Ufer. Schilfhalme stehen auch hier, zersplittert. Ich trete wieder auf Kies, ein lautes Geräusch gibt Zeugnis von meiner Ankunft.

Ich muss nicht lange suchen. Zu genau, zu tief hat sich die Stelle in mein Gedächtnis eingebrannt. Sommer war es, als ich zuletzt herkam, der Himmel blau, fröhliche Menschen beim Schwimmen und Toben. Sie haben es nicht bemerkt, auch ich erst zu spät.

Jetzt bin ich alleine hier und das ist gut so. Ich nehme die Kerze aus meiner Tasche, zünde sie an und stelle sie vor das kleine Kreuz aus hellem Holz. Die Blumen, die ich die ganze Zeit in Händen hielt, lege ich daneben.

Frohe Weihnachten, mein Sohn.

 

Hi Maus!
Was für eine traurige Geschichte ... Sehr poetisch geschrieben, gute Schilderung der eisigen Atmosphäre. Und eine Pointe, die sich erst zum Schluss offenbart. Kam sehr unerwartet, auch der Titel deutet in keinster Weise darauf hin; es hätte auch einfach die Darstellung eines Nebespaziergangs sein können.
Vor allem das "Frohe Weihnachten" am Ende bdrückt den Leser. Ich denke, die Geschichte ist Dir gut gelungen.

 

Da ich vor der Lektüre schon mal auf die letzte Zeile geschielt habe, war mir die unerwartete Schlusswendung schon ziemlich früh klar - auch aufgrund der excellent geschilderten Todessymbolik (Gerippe, Krähen, Winter, Nebel).

Zwei Sätze stoßen mir ein bisschen bitter auf, wahrscheinlich nur deshalb, weil sie das Szenario zu erklären versuchen:

1. das mit den einzigartigen Eiskristallen - is' ja richtig, zerstört aber irgendwie die ganze Atmosphäre

2. "wenn sich die Natur zum Sterben zurückzieht" - ein bisschen zu viel des Guten.

Ansonsten aber emotional berührend. Sehr schön!

 

Hallo Ginny!

Ja, es hätte auch einfach ein Nebespaziergan sein können... ich freue mich, dass bei Dir eine Stimmung angekommen ist, das die Schilderungen gut waren für Dich. Danke.

Hey Luckyblue!

Ja sag mal, tut man das?!! Hm?? Auf den letzten Satz schielen?! Du gehörst bestimmt zu den Leuten, die bei Krimis immer erst die letzten Seiten lesen, oder? ;)

Danke für Deine Antwort. Auch von Dir eine positive Rückmeldung, das ist gut. Freut mich, dass Du die Symboloik erkannt hast. Die beiden von Dir zitierten Stellen muss ich mir noch einmal genauer ansehen, vielen Dank fürs zitieren.

Liebe Grüße an Euch beide, Anne

 

Hey Maus.

Immer mehr spielst du mit den Worten, immer intensiver werden deine Geschichten, immer mehr Stimmung zauberst du, mit immer weniger Erklärungen.
Schön Maus, immer schöner.
alex

 

Hallo Maus!

Sehr andächtig und gefühlvoll sind Deine Worte hier. Spätestens beim zweiten Lesen muß man, denke ich, einfach mitfühlen, wie es Deiner Protagonistin leid tut, daß die Schlittschuhläufer das Eis zerkratzen und damit die Ruhe zerstören.

Das mit den Eiskristallen, die auf das Haar sinken, klingt zu romantisch für Deine Geschichte, das würde eher passen, wenn sie vom letzten Abend mit ihrem Liebsten träumend durch den Wald spaziert... ;)

Aber ansonsten wirklich ausgezeichnet. :)

"gibt Zeugnis von meine Ankunft"
- meiner

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Maus,

ich schließe mich absolut und mit jedem Wort der Meinung von Alex an. Sie hat alles auf den Punkt gebracht. Du wirst besser und besser.
Wunderschön.

Liebe Grüße - Aqua

 
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Hi Maus..
Atmosphärisch recht Dicht... an ein paar Sachen würde ich noch n bissl rumfeilen.
Rauh schreibt man glaub ich mit "h"
Und nicht das Wasser arbeitet unter Deinen Schuhen hörbar, sondern das Eis, da es Wasser im festen Aggregatzustand ist... vielleicht magst Du das ja ändern??
Das mit dem "Sterben der Natur" könntest Du ja auch in "schlafen" umändern, dann bleibt die Atmosphärische Aussage gewahrt, klingt aber nicht so final...

Gefiel mir sehr gut bis zum Schluss und lässt auf weitere Geschichten von Dir gespannt sein.

Gruss vom Lord;)

 

HAllo Alex,

Danke für Deine Antwort, sie freut mich...da weiß ich ja gar nicht meh, was ich sagen soll...:shy:

Susi,

auch Dir vielen Dank, erst recht fürs zweimal-Lesen, für "meiner", für Deine Gedanken. Du und Luckyblue, ihr habt recht, das mit den Eiskristallen... hach, aber ich hatte die Stelle so gern...

Danke Aqua. Mehr weiß ich nicht.

Hey Lord!

"Sterben der Natur" hab ich geändert, Du hast recht, Schlafen ist besser, nicht so final.
Nach der neuen tollen RS schreibt man rau ohne h, ich hab extrag geschaut vor ein paar Geschichten...:p
Auch mit dem arbeitenden Wasser hast Du wohl recht... allerding weiß ich nicht, ob ichs ändern werde, da in diesem Text eh schon so oft von Eis die rede ist... und Eis auch nur, wie Du schon erwähnt hast, ja auch Wasser ist, gefrohrenes halt...da muss ich noch überlegen. Danke. An welchen Stellen würdest Du noch feilen, was passt noch nicht ganz?


Liebe Grüße an Euch alle, Anne

 

Hallo Maus,

Tja, auch ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Durch und durch gelungen, Deine Geschichte.

Prima fand ich auch das Spannungsmoment beim Gang über das morsche Eis, hat mir gut gefallen. Mal abgesehen von der ausgezeichneten Schlusspointe. Aber unerwarteter sollte diese auch nicht sein, und da war die mini-mini-mini Revue im vorvorigen Absatz schon hilfreich. Ohne sie wäre der Schuss mit Sicherheit nach hinten losgegangen (d.h. Du hättest den Leser 'geschockt').

Die Kälte hat Luftblasen eingeschlossen, tellergroße und auch ganz kleine. Die Kinder haben mit den Schuhen versucht, die Eisschicht darüber zu zertreten, ...

Hier ist meines Erachtens der bestimmte Artikel vor "Kinder" unpassend, da ich mich als Leser frage, welche Kinder es wären. Das ist doch nur ein Erwähnungssatz nicht? Also: Kinder haben mit....

Sehr gern gelesen,
FLoH.

 

Hey Flo!

Danke für Deine Antwort und das Lob. :) "Die" Kinder; ja, da hast Du recht, das passt nicht. Schon geändert. Wenn der Schluss nicht zuuu plötzlich kommt ist es gut, da hatte ich selbst nämlich auch ein bisserl Sorge... aber anscheinend passt das ja.

Liebe Grüße, Anne :)

 

Hi Maus...

z.b, dass Du im letzten Absatz schreibst"kein Wind weht"...das könntest Du weglassen, da es die Handlung zusehr unterbricht, und die Windstille wird vorher schon beschrieben, z.b, dass Du im Nebel keine 50m weit sehen kannst, und schneeflocken langsam herabsinken...

Lord

 

Hey Lord!

Danke für Deine Zeit und Mühe.
Den Wind könnte ich wirklich weg lassen, das muss ich mir genauer ansehen.
Die Schneeflocken würde ich gern drinlassen, ich hab doch eh schon meinen Lieblingspart rausgeschmissen aus dem Satz! Nee, im Ernst, die Schneeflocken werd ich lassen. Hmm, die 50 Meter... Dich stört insgesamt eine genaue Angabe, denke ich...auch hier muss ich noch überlegen. Mich stört sie eigentlich nicht im Text...

...ich brauch ein bisserl Zeit zum Nachdenken, Lord, aber Dir vielen Dank für Deine Gedanken und Vorschläge.

Liebe Grüße, Anne

 

Hey Maus...
Missverständnis! lass Die Schneeflocken bloss, wo sie sind, und auch die 50 meter sind ok...ich wollte damit bloss sagen, dass die Flocken und die 50 Meter Milchsuppe klarmachen, dass es windstill ist.
(im Nebel ist es meistens Windstill)

ansonsten: gern geschehen...

Lord

 

Danke Lord!

Okay, überredet, werd den Wind rausnehmen. Muss nur noch überlegen, wie ich den Absatz dann umformulier.
schöne Grüße, Anne

 

Liebe Anne,
beim ersten Lesen kam mir die Wendung am Schluss zu plötzlich. Doch beim zweiten Mal sprangen mir dann die Hinweise gleich ins Auge, z.B. die Krähen.
Deine Beschreibung des Eises, der Wasserblasen, die Spuren der Kinder - einfach Klasse!
Grüße Heidi

 

Hey Heidi,

vielen Dank für die Antwort.
Und vor allem auch fürs zweimal-lesen... es freut mich, wenn der Text Dir gefallen hat, das ist gut!

schöne Grüße, Anne

 

Hallo Maus, woooow! (Nebel)

Erstmal ist das ein ganz tolle Beschreibung der Natur, klar. Deswegen auch „Daumen hoch“
Der letzte Absatz allerdings, macht diese Geschichte zu deinem besten Werk. 3 Zeilen schon erscheint alles in einer anderen Dimension. Genialer Zug.

Tolle Sätze „…die schwarzen Äste bedrohlich in das Weiß gestreckt.
„…stumme Beobachter des Sees“

Der letzte Satz, Baby, der entlockte mir ein „Ooooooooooch“ ´n ganz langes.

Das oder diese Geschichte, an der werd´ ich dich jetzt messen, ja. Das heißt fast automatisch, dass alles, was du jetzt schreibst nur(schlechter)….bzw. ein Niveau-Gefälle nach sich ziehen muß, ja…so gut finde ich diese Leistung hier.

Man, man, man….wo soll das hinführen!

Das hier. Hiermit machst du dich zur Autorin des Monats Dezember!

Liebe Grüsse Stefan

 

Hey Arche!

Danke, bin ja gleich total fröhlich vor lauter Lob...:) Manchmal kommen die Worte einfach so, wie ich sie brauche. Aber nicht immer. MAnn, was soll ich jetzt auf Deine Antwort noch groß schreiben...:shy:

Ganz liebe Grüße, Anne :)

 

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