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Krankenhaus 2.0
Nach einer etwas aus dem Ruder gelaufenen OP versorgte man mich zunächst 4 Tage lang auf einer Intensivstation. Danach verlegte man mich auf die Normalstation, wo ich vor Freude über das Leben folgendes Tagebuch verfassen konnte. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich in keiner dieser Nächte mehr als anderthalb Stunden Schlaf hatte.
Montag, 19.00 Uhr:
Es kommt eine frisch Operierte aufs Zimmer. Es wird ihr dann erstmal erklärt, dass sie die Schmerzmedikation eigenverantwortlich vorzunehmen hat. Dafür wird ihr ein Chip auf den Daumen gedrückt und ein Gerät hingestellt, welches alle 20 Minuten eine Tablette freigibt. Dann wird ihr ausführlich erklärt, wie das geht. Also ich war wach und habe es nicht verstanden. Dann wird sie gefragt, ob sie zur Toilette möchte. Sie hatte eine Nieren-OP und ist nun völlig verwirrt., denn eigentlich sollte sie einen Katheter haben.
„Achso“, singt die Schwester, „ja, dann..“.
„Und ist da jetzt ein Katheter?“, fragt die Patientin.
Dieser hängt ganz unübersehbar am Bett, dennoch geht die Schwester sicherheitshalber einmal um die Schlafstätte herum mit den Worten:
„Ach, da muss ich mal schauen, ja, der Katheter ist noch da, dann brauchen wir auch nicht mehr aufstehen, eigentlich machen wir das immer sofort, aber heute ist es ja auch schon spät.“
Ich fange an, mich zu freuen, dass ich nach meiner OP auf der Intensivstation gelandet bin und schau mir jetzt erstmal eine Serie auf meinem Tablet an - irre diese modernen Zeiten -, 12 Stunden bis zur Visite.
Dienstag, 2 Uhr früh:
Die Nacht nimmt kein Ende. Die Zimmerbelegung läuft unter der Genfer Konvention als Folter. Vor dem Fenster 25 KBM Steine zum weiteren Ausbau des Gesundheitstempels sorgen tagsüber zuverlässig für Verdunkelung und Bohrhämmer für Baulärm, so dass keine Falten durch unnötiges Wegnicken entstehen. Auch die Aussicht auf ein Baugerüst inklusive Bitumenbrenner zeugen von der durchdachten Taktik, dem Patienten den Schritt nach Hause zu erleichtern.
Meine Zimmernachbarin, ich erwähnte es sicher schon beiläufig, ist frisch operiert hier zur Abendessenszeit eingetroffen. Umgehend versank sie nach Einnahme einer Portion Schmerzmittel in unruhigen Schlaf. Kurz darauf vertreibt sie zu unser aller Schutz Bären und allerlei anderes Getier mit ihrem immerhin rhythmischen Schnarchen.
Ich bin da gar nicht besser, bei so einer OP wird man ja ballongleich aufgepumpt und in meinem Fall kamen noch ca. 12 Liter Flüssigkeit dazu, um den Kreislauf aufrecht zu erhalten. Das alles will und muss auch wieder raus. Demzufolge stürze ich alle halbe Stunde auf die Toilette und donnere dort eine nach Rosen duftende Granate in die Schüssel, die meine Oma in den Luftschutzkeller getrieben hätte. Das mit der Privatsphäre ist halt so ein Ding, ich höre bei geschlossener Zimmertüre die Gespräche auf dem Flur und dabei hab ein Loch im Trommelfell. Ich gehe also davon aus, dass nicht nur meine Zimmergenossin live dabei und mittendrin ist. So kann man in dieser Nacht in Eberbach einerseits sicher vor wilden Tieren sein, andererseits fragt man sich, ob der Russe kommt. Ob diese Frage aber heute Nacht noch geklärt wird, werde ich später berichten. 4,5 Stunden bis zur Visite.
Dienstag 4.48 Uhr:
Die Nachtschwester hüpft mit dem Worten,
"ich muss mal schnell Ihre Drainage wechseln. Und möchten Sie vielleicht eine Kanne Tee?", fröhlich ins Zimmer.
Ich glaube ihr Arbeitstag geht bald zu Ende und sie möchte nochmal volles Engagement in die Waagschale werfen. Versteht mich bitte nicht falsch, der Job der Schwestern hier ist wirklich wichtig, unterbezahlt und anstrengend aber the fucking hell, es ist 4.48 Uhr in der Früh!!! Da muss man echt Drainagen wechseln, Tee kochen, durch die Gegend hüpfen und fragen, ob ich noch eine Kanne davon brauche? Und wenn, also falls, der unglaubliche Moment eintreten sollte, dass ich vielleicht doch um die Uhrzeit eine Kanne Tee bräuchte, dann hätte ich eine Klingel.
„ICH BRAUCHE AM MEISTEN SCHLAF, DEN BEKOMME ICH AM BESTEN, WENN ICH NACH DEM EINGESCHLAFEN SEIN UM 3.45 UHR IN RUHE GELASSEN WERDE.“
Ich denke, sowas ähnliches habe ich gebrüllt als ich sie, nachdem sie mir eine Ampulle in den Hals geschoben hat (davon bekomme ich 3 am Tag, da ist 4.58 Uhr sicher unabdingbar) an den Haaren zum nahegelegenen Kirchturm schliff und ihr mit der Nagelschere die Eingeweide rausschnitt. Ihre Reste hab ich an die Bären verfüttert, die ängstlich hinter dem Altar zusammengekauert saßen. Vielleicht geht jetzt etwas Schlaf. 2 Stunden bis zur Visite.
Dienstag, 6.15 Uhr:
Die Nacht ist wieder für den Arsch. Inzwischen habe ich ein physikalisches Phänomen erforscht. In den Gängen im Krankenhaus herrscht Unterdruck wegen der Luftabsaugung. Das soll ja gut gegen Keime sein. Ich nehme mal an, das Gebäude hatte seine besten Tage in den 70ern und wurde nun im Zuge der erforderlich gewordenen Erneuerung mit dieser phantastischen Anlage ausgestattet. Jedes Mal, wenn jetzt vorne im Gang jemand die Tür ins Schloss fallen lässt, schnappen alle Türen im Gang gleichzeitig tiefer ins Schloss. Das lässt bei 35 Zimmertüren, die gleichzeitig ins Schloss fallen, die Wände wackeln. Vielleicht bekomme ich bis 7 Uhr noch ein Diplom in Statik, dann kann ich Euch sagen, wie lange das Gebäude das noch mitmachen wird, wenn im Schnitt alle 3 Minuten einmal die Türe zugeht. 45 Minuten bis zur Visite.
Dienstag, 7.20 Uhr:
So, erledigt, der Arzt lässt mich laufen, da sich die Schwestern ihrerseits die gespiegelte, unehrliche Freundlichkeit meinerseits nicht mehr länger bieten lassen möchten. Das stünde so nicht im Arbeitsvertrag. Man hätte als Patient auf jeden Fall, dankbar und demütig zu sein, Freundlichkeit, und die auch noch aufgesetzt, sei unzumutbar. Auch morgens bereits mit Kultur der 60 er Jahre beschallt zu werden wäre so nicht abgemacht und verführe die Damen zu militärischen Attitüden, davon wolle man doch weg. Ich hatte mir erlaubt aus dem Dschungelbuch die Frühpatroullie abzuspielen, als die Tagschwester ins Zimmer kam. Die Frühpatroullie angeführt von Colonell Hati stampft allerdings nicht quietschend durch den Urwald. Dies aber ist ein Detail, welches ich zu übersehen gedenke.
Die Tentakel, die seit 5 Tagen an meinen Armen, der Hüfte und dem Hals hingen, hat man entfernt. Ich hab ein paar Löcher mehr im Körper und ein paar mehr Anekdoten für meine Enkel. Wer aber denkt, er käme einfach so aus dem Gesundheitstempel, der täuscht sich.
Dienstag 11 Uhr:
Es müssen Briefe geschrieben, Dokumentationen verfasst und Historien gepflegt werden. 4 Stunden sind aber natürlich für das Schreiben eines Arztbriefes einfach nicht genug Zeit. Da man 5 Tage meine Körperfunktion händisch von einem sündteuren Gerät mit bunten Kugelschreibern in lustige Listen eingetragen hat, nehme ich an, Arztbriefe werden hier noch mit kleinen Keilen in Tontafeln geritzt, das dauert schon mal seine Zeit. Also packe ich meine Sachen, gehe zu den Pfleger*innen und verkünde meinen Abgang.
„Aber der Brief ist noch nicht fertig“ keucht die Stationsschwester panisch.
"Das ist jetzt gerade gar nicht mein Problem“ gebe ich freundlich, aber bestimmt zurück.
Ratlosigkeit breitet sich aus. Ich lächle.
„Kennen Sie schon diese modernen Kommunikationsmittel, die man im 19. Jahrhundert erfunden hat?“, frage ich.
Schweigen in der Runde.
„Sie könnten den Brief mit der Post schicken“, ergänze ich nach einer Pause.
„Wir haben ein Fax-Gerät“, ruft die Azubine.
„Super“, sage ich, „Das ist doch mal ein lösungsorientierter Ansatz. Dann faxen Sie den Brief, wenn er fertig ist, und ich geh jetzt nach Hause.“
Die Stationsschwester trägt mir die Tasche ans Auto.
Jetzt geh ich ins Bett. Weckt mich nicht vor Freitag, sonst hab ich die nächste Nachtschwester, die mir über den Weg läuft, doch noch auf dem Gewissen.