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Krone der Schöpfung

gox

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13.02.2004
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Krone der Schöpfung

Gesättigt sehne ich mich nach einem Schläfchen in der Sonne und lege mich auf die warme Wiese. Eine fette, grünglänzende Fliege umschwirrt meinen Kopf, nimmt dann aber auf einer verblühten Distel Platz und reibt die Vorderbeinchen aufgeregt aneinander. Brausend fegt eine Fahrzeugkolonne vorbei, ich habe die graue Autobahn im Blick. Ebenso die windschiefe, reetgedeckte Kate. Bauer Karl glaubt, als Krone der Schöpfung Herrscher der Welt zu sein und ich lasse ihm seinen einfältigen Glauben. Ich weiß alles, auch wenn er mich für blöde hält und nur im Befehlston mit mir spricht. Ich weiß, wie unflätig er seine nette Frau beschimpft, weil sie sich vegetarisch und vollwertig ernährt. Alte Kuh hat er sie genannt, nachdem sie wegen eines geschlachteten Kaninchens in Tränen ausgebrochen und kaum zu trösten war.
Karl ist ein gemeiner Mensch, der andere benutzt und nach Kräften ausbeutet. Kein schlechtes Gewissen plagt ihn jemals, aber des Lebens ungemischte Freude wurde ihm auch nicht zuteil. Dem vermeintlichen Glück in Form von Geld und Macht jagt er griesgrämig hinterher und erhascht es doch nie. Die Erde könnte anders aussehen, wenn alle, die sind wie ich, es wollten, denn wir sind nicht dumm, sondern stark. Aber ich will mich den Gegebenheiten des Daseins anpassen. Allerdings nicht der Fliege, die ihre Distel gelangweilt verlassen und mein rechtes Ohr dreist zum Landeplatz erkoren hat. Unwillig schüttle ich den Kopf und vertreibe sie.

Jetzt kommt Karl in dunkelgrünen, mistverdreckten Gummistiefeln aus dem Stall und eilt mit mürrischer Miene auf mich zu. Den Blick kenne ich. Ich weiß genau, was er heute mit mir vorhat, schließlich bin ich nicht die Erste. Oft musste ich in den letzten zwei Jahren die Schreie seiner willfährigen Opfer hören. Vielleicht ergötzt er sich daran.
Karl redet beruhigend auf mich ein, tätschelt mich und zieht mich in den Keller unter der Kate. Hier bin ich noch niemals vorher gewesen. Wehren? Warum?
In meinem Leben habe ich weder Hunger noch Schmerzen erfahren müssen und ich habe leichten Herzens ein gutes Gewissen. Ich könnte mich einfach losreißen und den kleinwüchsigen Karl zu Fall bringen. Aber schicksalsergeben gehe ich mit ihm. Mein Leben habe ich immer so akzeptiert, wie es war und nur deshalb bin ich zufrieden. Niemand kann mir etwas anhaben oder meine Freiheit nehmen.

Der Kellerraum strahlt weiß gekachelte Kälte aus. Sattes Grün hätte mir eher gefallen. Der Boden ist furchtbar glatt. Karl zerrt an mir und ich stolpere, kann jedoch einen Sturz abfangen. Er nimmt ein Tau, fesselt mich damit an einen graulackierten, quadratischen Metallpfosten. Wiederkäuend hoffe ich inständig, dass die Krone der Schöpfung mit ihrem Bolzenschussgerät umzugehen weiß.

 

Hallo gox,

nun habe ich diese Geschichte dreimal gelesen und habe mir dabei folgende Gedanken gemacht.

Sprachlich finde ich das ganze recht hochwertig. Es liest sich gut und bedient sich eines für dieses Forum verhältnismäßig umfangreichen Wortschatzes.

Vom Aufbau her liefert die Geschichte ein rundes Bild; einige geschilderte Überzeugungen des Ich-Erzählers bleiben in meinen Augen allerdings zu unbegründet und daher fragwürdig.

Zwei gegensätzliche Akteure und eine gleichnishafte Gestalt treffen aufeinander:
Der "ruhelose" Bauer Karl (hier fände ich noch eine Nachnamens-Gebung schön), sein offensichtlich Untergebener - der zugleich diesen kurzen Hergang aus seiner persönlichen Perspektive erzählt - sowie die "fette, grünglänzende Fliege".

Dabei fällt mir folgendes auf:

  • Die Fliege lebt völlig im Einklang mit ihrer Natur. Sie tut das, wohin sie ihre Instinkte treibt.
  • Der Untergebene lebt im Vergleich dazu nicht viel anders. Auch er versucht nach seinen eigenen Worten sich einfach "den Gegebenheiten des Daseins an[zu]passen". Zugleich distanziert er sich aber dabei von der genannten Fliege, die ihn umschwirrt. Zum Tier zumindest möchte er also trotz aller Anpassung nun doch wieder nicht werden.
  • Der Bauer Karl, der unzufriedenen mit seinem Dasein zu sein scheint, denn er übt (mitunter gar todbringende) Gewalt auf seine Mitmenschen aus.
So, weiter vermag ich zu erkennen: Der Untergebene behält es sich vor, über den Bauern Karl zu urteilen (darin unterscheidet er sich von der genannten Fliege). Er tut dies sogar recht ausführlich und ohne dabei zugleich an seinen Einschätzungen zu zweifeln. In dieser Hinsicht ist er also recht aktiv tätig.

Andererseits sieht er sich jedoch keinesfalls dazu veranlasst, gemäß diesen, seinen Einschätzungen zu handeln. Dabei wägt er aufgrund ausgesprochen egozentrischer Vorgaben ab. Er stellt seine ganz persönlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt und kommt u.a. anscheinend keine Minute lang auf die Idee, andere vor der Grausamkeit des Bauern Karl bewahren zu müssen (die mitunter sein Bedürfnis nach "Anpassung" wohl nicht im gleichen Maße teilen werden).

Beim Bauern Karl scheint es genau umgekehrt zu sein: Dieser handelt sehr viel, macht sich aber vermutlich nur wenig Gedanken über sein Tun. Das aber ist aus der Sicht des Lesers nicht sehr leicht zu beurteilen, da wir nur den subjektiven Standpunkt des Ich-Erzählers kennenlernen.

Der eine tötet also und der andere lässt töten. Die Geschichte endet damit für mich in einer Art Patt-Situation. Gewissenlos scheinen sie beide, jeder auf seine Weise, zu sein.


Jetzt noch ein paar Details.

reetgedeckte Bauernkate
Da musste ich erstmal in meinem Duden nachschauen, was das sein soll. Und siehe da: Es handelt sich bei beiden Wörtern um ausgewiesen norddeutsche Begriffe. Da kann ich als Süddeutscher natürlich nur raten, um was es sich dabei handelt. Außerdem ist laut Duden im Begriff "Kate" das bäuerliche bereits enthalten. Heraus kommt damit der Pleonasmus "Bauern-Bauernhaus".
Karl ist ein gemeiner und ruheloser Mensch,
Das finde ich etwas unglücklich ausgedruckt, da die Ausdrücke "gemein" und "ruhelos" nicht miteinander vergleichbar sind. So unmittelbar hintereinandergestellt erwartet man aber nun mal sinnverwandte Begriffe, was hier nicht der Fall ist (aus "gemein" folgt nicht so einfach "ruhelos" und umgekehrt). Besser wäre "ruchlos" - allerdings würde das praktisch dasselbe wie "gemein" bedeuten, ist also auch nicht so sinnvoll...
Die Erde könnte anders aussehen, wenn alle, die sind wie ich, es wollten, denn wir sind nicht dumm, sondern stark.
Hier wird ein philosophischer Anspruch erhoben zu dem sich im selben Atemzug jedoch sofort ein recht eigenartiger Vergleich gesellt: Klugheit heißt Stärke, Dummheit Schwäche? Der Nationalsozialismus bewies u.a. genau das Gegenteil.
Kein schlechtes Gewissen plagt ihn jemals,
Woher will der Ich-Erzähler das wissen? Dazu müsste er eigentlich hellsehen können.
Vielleicht urteilt dieser aber gerne und gewohnheitsmäßig aus einer Art emotionalem Affekt. Aber warum wird er sich dann im nächsten Moment bei einer Sache, die eigentlich viel leichter zu beurteilen sein müsste, wieder sehr unsicher:
Vielleicht ergötzt er sich daran.
?

Niemand kann mir etwas anhaben oder meine Freiheit nehmen.
Das ist ein Fehlschluss und es nimmt sich etwas seltsam aus, dass der Erzähler das bei seiner Selbsteinschätzung nicht zu bemerken scheint. Der Bauer Karl kann ihm das Leben nehmen und ihm damit sehr wohl seiner Freiheit berauben. Jemand könnte ihm ein schlechtes Gewissen einreden und ihn damit in tiefe Zweifel darüber stürzen, was er unter "seinem Leben" eigentlich zu verstehen habe.
Der Boden ist furchtbar glatt.
Die Wände sind "gekachelt". Gut. Aber wie ist der Boden beschaffen? Er wird einfach nur als "glatt" beschrieben - ohne Begründung. Das ist mir zu wenig.


Alles in allem aber dennoch eine recht überzeugende kleine Geschichte! :thumbsup:

 

hello philosophische Ratte,

ich danke Dir herzlich für die viele Mühe, die Du Dir mit der 'Krone' gemacht hast, die sprachlichen Patzer habe ich sofort bereinigt.
'Die Wände sind "gekachelt".' habe ich allerdings nicht geschrieben, da steht 'Der Kellerraum strahlt weiß gekachelte Kälte aus' - Raum impliziert Boden.

Auch Deine Auslegungen finde ich sehr interessant - eine Patt-Situation sehe ich jedoch nicht. Es sein denn, man definiert 'Einer handelt - der Andere läßt gewähren' als Patt.
Gewähren-Lassen kann durchaus bewusstes Handeln und Zeichen von Stärke sein, wie in diesem Fall. Dazu gehört auch der selbstbewusste Satz:'Niemand kann mir etwas anhaben oder meine Freiheit nehmen.' Denn der Freiheitsbegriff beinhaltet, der Beendigung des eigenen Daseins zustimmen zu können. Und: Bedeutet das Lebensende ein Ende der Freiheit?

Allerdings werde ich die Geschichte in bestimmter Hinsicht noch verdeutlichen müssen, denn die Ich-Erzählerin ist eine Kuh.

 

gox schrieb:
Allerdings werde ich die Geschichte in bestimmter Hinsicht noch verdeutlichen müssen, denn die Ich-Erzählerin ist eine Kuh.

Hallo gox,

diese Information macht mir das Verstehen natürlich leichter :).

Alte Kuh nennt der Bauer seine Frau...vielleicht kannst du da die Verdeutlichung irgendwie einbauen?

gox schrieb:
Müde strecke ich die Glieder, sehne mich nach einem Schläfchen in der Sonne und lege mich auf die ausgetrocknete Wiese.

Zur Lehre der Kuh ;) :

Kühe strecken sich nicht wie zb Katzen. Allerhöchstens machen sie mal einen Buckel beim Pieseln :D .
Die Kuh(herde) will ich erleben, die auf einer ausgetrockneten Wiese noch ein Schläfchen macht. Du wirst ein Gebrüll ohne Ende erleben (deine Prot. beschreibt noch, dass sie nie Hunger hatte).

Das sind nun wirklich kleine Details, aber wenn du schon so offenläßt, wer deine Prot ist, muss sie wenigstens in ihren Eigenschaften richtig beschrieben werden ;).

Sehr symphatisch, dass du einer Kuh soviel Intellekt zutraust. Ich habe mich im Umgang mit ihnen immer über ihre Dummheit geärgert :D.

Lieber Gruß
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hello bernadette,

Dank für die Kritik und die Tipps! Aber Du unterschätzt die Weisheit der grossen Tiere! Und Du hast wohl recht, strecken tun sich eher Katzen, ich werde das mal modifizieren und sie vielleicht vernehmlich rülpsen lassen :D

Viele Grüsse vom gox

 

Allerdings werde ich die Geschichte in bestimmter Hinsicht noch verdeutlichen müssen, denn die Ich-Erzählerin ist eine Kuh.
Na großartig... Jetzt komm ich mir natürlich zum Narren gehalten vor. :bib:


Aber... dieser Interpretation - immerhin vom Autoren höchstpersönlich erdacht! - habe ich was gutes entgegenzusetzen.

Wittgenstein erklärte einmal in einem seiner Aufsätze sinngemäß

"Wenn Löwen sprechen könnten, würden wir sie nicht verstehen"

Zumindest in dieser Hinsicht geht mir Lesart, die Erzählerin wär allen Ernstes 'ne Kuh, kategorisch zu weit. Denn selbst wenn wir annähmen, dass Tiere über so etwas wie ein Sprachvermögen verfügen, müsste dort oben also im Falle einer Kuh eine Aneinanderreihung von Muh-Lauten stehen (was wir hier übrigens tatsächlich erst vor kurzem sogar einmal hatten - wurde aber gleich wieder von uns gelöscht...) und keine ausgesprochen menschlichen Begriffe und Sätze!

Zu diesem erkenntnistheoretischen Problem käme es natürlich gar nicht erst, wenn du das Ganze in der dritten Person geschrieben hättest. Aber du wolltest es wahrscheinlich besonders persönlich schildern, nicht wahr?

 

Liebe Ratte,

ich gebe offen zu, nicht auf den Gedanken gekommen zu sein, dass jemand die Kuh nicht erkennt, sorry! Aber jetzt hast Du gelernt: Erst Erkenntnis, dann Interpretation! :D

Nehmen wir einmal an, Kühe wären wirklich so, wie ich sie beschrieben habe. Könnte es nicht ein Zeichen von Weisheit und ein Weg zur Zufriedenheit sein, so zu handeln, wie unsere Kuh handelt - oder eben nicht handelt?
Denn ihr ist es, zumindest subjektiv, immer gut gegangen, was man vom Leben der Menschen, zumindest subjektiv, so nicht behaupten kann. Und es stellt sich die Frage, ob es ihr besser ginge, wenn sie von ihrer Stärke Gebrauch machen würde und eine Kuh-Herrschaft errichtete. Ist Leben nur dann lebenswert, wenn die Ausfüllung des Lebens frei gestaltet werden kann? Mir ist im Laufe der Jahre aufgefallen, dass mich die Erfüllung eines Wunsches nicht unbedingt zufriedener gemacht hat...

Den Beweis, dass Kühe nicht so denken, fühlen und entscheiden, wie ich es beschrieb, wird niemand führen können - aber das ist bei fast allen Negativ-Beweisen so.

Natürlich verwendet die Kuh friesische Muh-Laute, aber für die vielen rinderfeindlichen Ignoranten und Kronen der Schöpfung hier habe ich mir gern die Mühe der Transliteration und Übersetzung gemacht! :D

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo gox,

mir ist die Geschichte zu Klischeebeladen: Der unsensible Bauer schlachtet Kühe und ist natürlich auch unfreundlich zu seiner Frau, diese ist nett, ernährt sich natürlich vollwertig. Die Fliege ist auch ganz possierlich (nicht etwas, dass sie ihre Eier in eine Wunde der Kuh legt), die Kuh ist ja ein richtiger Philosoph und „weiß alles, auch wenn er mich für blöde hält.“
Dann noch die Autobahn, als Gegensatz zur Fliegen-Kuh-Idylle, so idyllisch ist Natur aber nicht.

„Bauer Karl glaubt, als Krone der Schöpfung Herrscher der Welt zu sein und ich lasse ihm seinen einfältigen Glauben.“

Vielleicht glaubt Mr Bush, er sei Herrscher der Welt. Dass er Herrscher über die Kuh ist, ist nicht einfältig, sondern Tatsache (ganz gleich, ob man das gut findet oder nicht). Leider stimmt es, dass mit dem Aspekt „Krone der Schöpfung“ Missbrauch getrieben wurde, aber der selbe Missbrauch findet auch in Kulturen statt, die sich nicht auf diese biblische Aussage berufen (in der auch dazu aufgerufen wird, die Schöpfung zu bewahren und das erste bekannte Tierschutzgesetz steht - das aber nur nebenbei).


„und ich habe leichten Herzens ein gutes Gewissen.“

Warum leichten Herzens? Hat man schweren Herzens ein gutes Gewissen, dann ist es doch keins (mehr).

„Jetzt kommt Karl in dunkelgrünen, mistverdreckten Gummistiefeln aus dem Haus“

Da ist ‚aus dem Stall wahrscheinlicher’.


Philo hat ja schon treffend darauf hingewiesen:

„Niemand kann mir etwas anhaben oder meine Freiheit nehmen.“

Das ist unhaltbar.

Gut geschrieben ist der Text (ruhig, passend zur Sichtweise der Kuh) aber die oben genannten Aspekte haben mich doch ‚stolpern’ lassen. Leider diesmal keine besseren Nachrichten.

L G,


tschüß... Woltochinon


@ Philo

„Außerdem ist laut Duden im Begriff "Kate" das bäuerliche bereits enthalten. Heraus kommt damit der Pleonasmus "Bauern-Bauernhaus".“

Es gibt auch Fischerkaten, vielleicht ist das dem Duden entgangen?


L G,

tschüß... Woltochinon

 

Mein lieber Woltochinon,

ich danke Dir herzlich für Deine kritischen Bemerkungen!

Meinst Du nicht, dass aus Sicht einer Kuh ein kuhschlachtender Bauer ziemlich unsensibel wirkt? Und eine sich vegetarisch ernährende Bäuerin sehr sympathisch? Ob eine Kuh überhaupt weiss, was ein Klischee ist? :D

Ich bin für diese Geschichte davon ausgegangen, dass Kühe genau wissen, was mit ihnen geschieht und warum sie gehalten werden. Den Gedanken, nicht aufzubegehren, finde ich interessant, die philosophische Ratte wies ja bereits auf den Nationalsozialismus hin. In den Lagern liessen sich z.T. 100 Leute von nur 4 Mann erschiessen - ohne Gegenwehr.

Mit dem 'Stall' hast Du wohl recht.
Allerdings schreibt mein Duden auch etwas von bäuerlichem Haus für 'Kate'. Ich meine auch, dass es Fischerkaten und sogar Köhlerkaten gibt...

'Warum leichten Herzens? Hat man schweren Herzens ein gutes Gewissen, dann ist es doch keins (mehr)'
Die Kuh hat ja nie etwas Böses getan, daher leichten Herzens ein gutes Gewissen. Der Bauer schlachtet Kühe, was ein schlechtes Gewissen machen könnte. Mit etwas Mühe, er sagt sich, die Kuh lebte ja nur deshalb, weil ich sie schlachten wollte, kann er sich auch ein gutes Gewissen basteln. Das dann aber nicht mehr leichten Herzens.

Viele Grüsse vom gox

 
Zuletzt bearbeitet:

Schön. Die Unterhaltung hier gefällt mir persönlich immer besser und diese Geschichte bietet doch so einigen Stoff zum Weiterdiskutieren. Find ich gut.

Ausgehend von der Hauptintention von gox habe ich mir gerade noch so ein paar Gedanken zur Geschichte gemacht. Im Gegensatz zu Woltochinon, dem in erster Linie die Klischeelastigkeit des Textes - negativ - auffällt (was mich hier weniger stört), komme ich dagegen einfach nicht mit dem für meine Begriffe einfach unvereinbaren Vergleich zweier Seins-Kategorien zurecht. Nämlich der eines vernunftbegabten, zur Reflexion fähigen Wesens - dem Menschen - und der eines rein instinktorientierten, re-agierenden Wesens - dem Tier.

Ich käme besser mit der Geschichte zurecht, wenn mir diese von einem Raubtier (zB. einem Wolf) und seinem tierischen Opfer (der Kuh) erzählen würde.

Oder von einem Bauern und seinem Knecht.

So aber hat die Geschichte etwas unsinniges an sich: Die Kuh denkt wie ein Mensch, sie erzählt wie ein Mensch und sie philosophiert gar wie ein Mensch. Hey: Das ist ein Mensch!

Denn was macht einen Menschen denn wohl eigentlich aus? Dass dieser das Aussehen und vielleicht noch die typischen Verhaltensweisen einer Kuh vorweist?
Oder dass dieser alle wesentlich geistigen Merkmale eines Menschen zeigt? Ich würde eher sagen: letzteres.

Und darauf will die Geschichte ja auch ohnehin hinaus: Es geht ja gar nicht um die Kuh als ein Tier unter Tieren. Sondern darum, dass wir Menschen uns mit dieser Kuh vergleichen, identifizieren, distanzieren oder was auch immer. Daher ist diese Kuh nach meiner Auffassung selbst im Rahmen dieser Geschichte im Wesentlichen keine Kuh, sondern ein Mensch in der Gestalt eines Tieres.

Da aber nun sicher kein Mensch sich allen Ernstes mit einer Kuh vergleichen wird, stellt sich für mich die Frage: Was soll dann gerade dieser Vergleich? Warum werden stattdessen sinnvollerweise nicht besser gleich Menschen mit Menschen bzw. Tiere mit Tieren verglichen? zB. (weil es hier bereits angeklungen ist) Nazis (bzw. die Raubtiere) mit KZ-Häftlingen (dh. ihren willfährigen Opfern - im Tierkontext: Kühe meinetwegen).


Wie gesagt: Auf der selben Ebene - der Vergleich von Tier zu Tier (Spiegelman hat das in seinem Comic "Maus" beispielsweise gemacht; die Nazis werden darin von Katzen verkörpert, die Juden von Mäusen) oder der Vergleich von Mensch zu Mensch - finde ich es völlig in Ordnung. Aber ein Quervergleich wie hier finde ich wenig sinnvoll.

 

Liebe Ratte (= Mensch?) :D

Es ging mir nicht um Kuh = Mensch.
Allen Menschen wohnt ja das Streben nach Glück, Zufriedenheit, nach schönen Gefühlen inne. Mit meiner Geschichte wollte ich anregen, zu einer fatalistischen Sichtweise zu gelangen.

Das Glück in die Hand nehmen, seines Glückes Schmied sein, nicht auf der faulen Haut liegen sind so menschliche Sinnsprüche, die implizieren, dass Glück - was immer das sein mag - erarbeitet werden muss und den Tüchtigen belohnt.
Im Gegensatz dazu gibt es bei Walt Disney den Glückspilz Gustav Gans, der sich, wenn er nicht weiter weiss, unter einen Baum legt und wartet, dass ihm das Glück in den Schoss fällt (was im Comic auch regelmässig funktioniert).

Es muss doch die Frage erlaubt sein, ob eine Kuh, mit geistigen Fähigkeiten ausgestattet wie in dieser Geschichte, sich wirklich, im Sinne ihres Lebensglücks, einen Gefallen täte, wenn sie gegen ihr Schicksal aufbegehrte. Wenn man zum Schluss kommt: So enorm viel würde es ihr wohl nicht bringen, stellt sich die nächste Frage, ob es für Menschen sinnvoll sein kann, gegen ihr Schicksal aufzubegehren und für oder gegen etwas zu kämpfen.

Viele Grüsse vom gox

 

gox schrieb:
Es muss doch die Frage erlaubt sein, ob eine Kuh, mit geistigen Fähigkeiten ausgestattet wie in dieser Geschichte, sich wirklich, im Sinne ihres Lebensglücks, einen Gefallen täte, wenn sie gegen ihr Schicksal aufbegehrte.

Mal gaaanz am Rande: ;)

Ich wohnte zeitweise in einer WG mit Landwirtschaft und "halbwilden" Kühen :D, da Ammenhaltung betrieben worden ist.
Wenn die im Frühjahr zum ersten Mal auf die Weide durften, sind sie uns trotz massivster Vorsichtsmaßnahmen immer wieder mal ausgebüxt.
Eine haben wir 5 Tage gesucht. Ob das die 5 schönsten Tage für sie waren? Das habe ich mich auch schon gefragt...*grübel*.

Viele Grüße
bernadette

 

Mal gaaanz am Rande: ;)...sind sie uns trotz massivster Vorsichtsmaßnahmen immer wieder mal ausgebüxt.
Eine haben wir 5 Tage gesucht. Ob das die 5 schönsten Tage für sie waren? ...

hello bernadette -
wieso ganz am Rande? Genau die Frage wollte ich mit der Geschichte stellen - allerdings nicht nur für Kühe. :D

Viele Grüsse vom gox

 
Zuletzt bearbeitet:

Aaalso, ich glaub', ich weiß jetzt, wo der Hase, ...ähm, ich meine die Kuh läuft!

Für die Kuh (oder für eine Gans wie Gustav) mag deine These, gox, ja funktionieren.
Der Mensch jedoch, jahaa, der kann sich Gedanken um seine Zukunft machen und der kann sich Illusionen hingeben. Was ist, wenn dieser nun zu dem Schluss kommt, dass sein gegenwärtiges Leben nicht das für ihn bestmöglich denkbare darstellt? Dann wird dieser wohl auch nicht zu dem Schluss kommen, dass es das Beste für ihn sei, sich einfach seinem Schicksal hinzugeben.

Beständiges Glück ist vielleicht nur möglich, wenn man seiner Vorstellungskraft beraubt wurde oder diese nie besaß und zugleich keine Erinnerung an ein ehemals, persönlich-subjektiv besseres Leben besitzt. Erst dann geht jeder Maßstab dafür verloren, was (noch mehr) Glück wohl bedeuten mag und dieser Begriff löst sich damit folgerichtig in Nichts auf. Es bliebe allenfalls noch die unbestimmte Angst, diesen gegenwärtigen Seinszustand wieder zu verlieren.


Jetzt sei bei dieser Gelegenheit einmal an Camus' Aufsatz "Der Mythos von Sisyphos" erinnert. In diesem vergleicht er das Schicksal des griechischen Helden Sisyphos mit unserem allgemeinen Schicksal des uns allen gegebenen Lebens. Sisyphos wurde wegen seines Hochmuts und einem Verrat an einigen Göttern von diesen dazu verdammt im Totenreich für ewig einen runden Fels einen steilen Hang hinaufzurollen. Kurz vor dem Erreichen des höchsten Punktes an diesem Hang entglitt ihm der Felsen jedoch immer wieder aufs Neue und dieser rollte ihm damit wieder unaufhaltsam den Hang hinunter bis hinab ins Tal. Daraufhin blieb ihm nichts anderes übrig, als kurz vor'm Ziel wieder den langen Weg hinab zu steigen und den Felsen erneut den Hang hinauf zu rollen. Und das in dem sicheren Bewusstsein darüber, dass er sein Ziel - die Spitze des Hanges - niemals erreichen wird, da ihm mit mathematischer Zurechnung der Felsen auch diesmal wieder erneut kurz vor seinem Ziel entgleiten und damit den Hang hinab rollen wird.

In diesem Sinne glaube ich, dass wir gegen unsere natürliche Bestimmung handeln würden, ließen wir genannten Felsen einfach im Tal liegen.
Wir würden jedoch auch gegen unsere Bestimmung handeln, würden wir uns einbilden, jemals so etwas wie die Spitze des Hanges zu erreichen. Diesen erreichen wir wohl erst mit unserem Todeszeitpunkt.

Damit wäre unser menschliches Leben von Natur aus tragisch und niemals vollendet. Alles andere erscheint mir als Lüge.

 

Hallo gox,

mir hat die Geschichte teilweise gefallen.
Sprachlich fand ich sie einwandfrei. Vermutlich auch, weil ich als Norddeutsche auch gleich wußte, was eine Kate ist. ;). Auch dass die Ich -Erzählerin eine Kuh sein sollte war mir gleich klar, weil mir das Bild der wiederkäuenden Kuh auf der Wiese am Straßenrand so vertraut ist. Vielleicht solltest du das Wiederkäuen mit einbauen, um jeden Zweifel auszuräumen. :D.

Inhaltlich kam ich nicht ganz mit der Aussage klar:

In meinem Leben habe ich weder Hunger noch Schmerzen erfahren müssen und und ich habe leichten Herzens ein gutes Gewissen. Ich könnte mich einfach losreißen und den kleinwüchsigen Karl zu Fall bringen. Aber schicksalsergeben gehe ich mit ihm. Mein Leben habe ich immer so akzeptiert, wie es war und nur deshalb bin ich zufrieden. Niemand kann mir etwas anhaben oder meine Freiheit nehmen.

Wenn man die Kuh als Schlachtvieh bezeichnet, dann nur, weil sie deswegen existiert. Es mag ihre Bestimmung sein. Diese Kuh ist aber außerdem vermenschlicht. Der Mensch kann in meinen Augen nicht glücklich sein, wenn es seine Bestimmung ist, wie Schlachtvieh zu leben. Die sogenannten glücklichen Kühe sind es vielleicht nur deshalb, weil sie nicht wissen, was ihnen bevorsteht. Menschen aber, die ihr Schicksal annehmen, obwohl es ihren Tod bedeutet sind erstarrt. Kein Motor treibt sie an. Weder Zuversicht und Hoffnung geben ihnen Lebensinhalte. Eigentlich sind sie schon tot. Und das ist wirklich tragisch.

LG
Goldene Dame

 

Nur mal so zur Info:

'Kühe sind sanftmütig, schwerfällig und - selbst im Vergleich zu anderen Nutztieren - von einem eher schlichten Gemüt. Mit diesem jahrhundertealten Vorurteil wollen Forscher an der Universität im britischen Bristol aufräumen: Offenbar fehlte es den Wiederkäuern bisher schlicht und einfach an Möglichkeiten, ihren hohen Intellekt unter Beweis zu stellen.

Professor Donald Broom bewies an Hand der Gehirnwellen, dass Kühe durch geistige Herausforderungen stimuliert werden. Sobald sie ein Problem lösen, zeigen sie Erregung, eine höhere Herzfrequenz, einige sprangen sogar vor Freude in die Luft. "Wir nennen das den Eureka-Moment", so Broom.

Liebe und Hass in der HerdeAuch das Sozialleben der Rinder ist viel komplexer als bisher angenommen: Innerhalb der Herde gibt es Freundeskreise von zwei bis vier Kühen, die viel Zeit miteinander verbringen, sich gegenseitig belecken und Fellpflege treiben. Umgekehrt kann eine Abneigung zwischen zwei Kühen Monate oder sogar Jahre anhalten. Neid und Trauer, sogar Zukunftsängste gehören ebenfalls zum Gefühlsrepertoire der Unpaarhufer.'

Quelle: tagesschau.de vom 6.3.05

 

Hallo gox,

da hast du es nun wirklich schwer: Mir gefallen die Klischees nicht, Philo mag die denkende Kuh nicht...

“Meinst Du nicht, dass aus Sicht einer Kuh ein kuhschlachtender Bauer ziemlich unsensibel wirkt? Und eine sich vegetarisch ernährende Bäuerin sehr sympathisch? Ob eine Kuh überhaupt weiss, was ein Klischee ist?“

Natürlich, die Sicht der Kuh ist folgerichtig. Doch das, was die Kuh sieht, hast du vorgegeben (die Kuh muss also keine Ahnung von Klischees haben). Mich stört nur, dass der Bauer, weil er schlachtet, auch einer ist, der seine Frau grob behandelt. Kann sein, muss nicht. Mir kommt es als ein Klischee vor, dass das Ziel hat (weil der Bauer schlachtet), ihn allgemein als bösartig hinzustellen.

„Den Gedanken, nicht aufzubegehren, finde ich interessant“

Das ist er. Nach einem Perspektivwechsel erinnert er an den Spruch: Die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlachter selber.

Vielleicht geht deine Geschichte auch in Richtung ‚Schicksalsergebenheit’.


Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

@ Goldene Dame,

hab Dank für Deine Kritik! Endlich mal jemand, der die Kuh auf Anhieb erkennt ;-)

Der Tod eines Menschen ist gewiss - hinsichtlich einer 'Erstarrung' wäre es aber doch einerlei, ob er als Schlachtvieh oder eines natürlichen Todes endet. Will sagen: Nur, weil ich weiss, dass ich sterben muss, erstarre ich doch nicht und bin ohne Motor?

@ Woltochinon

ja, ich habe Schicksalsergebenheit gemeint. Persönlich meine ich die Erfahrung gemacht zu haben, dass die Dinge am Besten laufen, wenn man sich vom Schicksal treiben lässt. Wenn man etwas unbedingt will - und es vielleicht auch bekommt - bringt es oft nicht die Befriedigung, die man sich erhoffte.

Viele Grüsse vom gox

 

Tach und Hallo gox,

ich muss gestehen, dass ich zu Beginn ein wenig verwirrt war. Dein Prot war für mich ein junges Mädchen, das von dem Bauern missbraucht wurde. Das sich aber nicht wehrt, weil es alles bekommt was es will, bzw. braucht. Daher war ich von deiner Geschichte zuerst nicht wirklich angetan, weil ich nicht wusste, was du dem Leser eigentlich vermitteln wolltest. Nun, da ich weiß, dass es eine Kuh ist, sieht die Sache ganz anders aus. Unglaublich, dass sich soviel hinter diesen großen, schwarzen Augen abspielt...
In Anbetracht dessen, kann ich sagen: hat mir gefallen. Eine kleine Geschichte für Zwischendurch.

Noch eine Sache:
In meinem Leben habe ich weder Hunger noch Schmerzen erfahren müssen und und ich habe leichten Herzens ein gutes Gewissen.
- da ist ein und zuviel


Einen lieben Gruß...
morti

 

Bemerkenswert, dass du in dem Prot spontan ein "junges Mädchen" erkennen willst. Für mich war es von Beginn an ein Junge. Weiß aber selbst nicht so wirklich, wie ich darauf komme.

Oder anders gesagt: Die Kuh ist für mich eher ein Ochse, als sein weibliches Gegenstück.

 

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