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Kurts Geschichte
Kurt war kurz. Und ich sein Psychiater. Schon bei seiner ersten Sitzung war klar, hier musste ich nicht lange Bücher wälzen, Watzlawick abstauben oder Freud wiederbeleben. Es mag sehr kleine Menschen geben, aber es ist immer noch eine Sache der Ausstrahlung oder der Persönlichkeit wie sehr es einem auffällt. Und Kurt war, kurz gesagt, eben einfach kurz. Alles an ihm war kurz. Seine Statur, seine Haare, seine Socken, sogar seine Sichtigkeit.
Ich werde nie vergessen wie er das erste Mal auf meinem Sessel saß.
Die Füße baumelten kurz über dem Boden und meist trug er... Shorts!
So bat ich ihn zu erzählen wie alles anfing. Er fasste sich kurz.
Kurt war eine Sturzgeburt. Kurz darauf starb seine Mutter an dem Sturz.
Sein Vater begann zu trinken, meistens Kurze. Es kam wie es kommen musste.
Die Abstände zwischen den Kurzschlüssen seines Vaters wurden immer kürzer und so landete er kurzerhand im Heim. Viel besser erging es ihm dort wohl auch nicht. Unter seinen Mitbewohnern zog er dauernd den Kürzeren.
Später besuchte er dann das Isolde-Kurz-Gymnasium. Aber nur kurzfristig.
Kurts Zeitgedächtnis war wohl ein Kurzzeitgedächtnis, außerdem konnte er keine Brüche kürzen. So kam er dann auf die Hauptschule. Kurzzeitig wollte man ihn auch dort noch einen Kopf kürzer machen, aber wann genau, wusste er nicht mehr.
Mit Beendigung der Schule begann er kurzentschlossen eine Ausbildung in einem Kurzwarenhandel als Kurz...nein, als Großhandelskaufmann! Leider mussten sie dort bald Kurzarbeiten und Kurt kürzer treten.
Zu jener Zeit etwa begannen Kurts Depressionen. In der Folge machte er eine ganze Reihe von Selbstmordversuchen.
Das erste Mal - er saß in der Badewanne mit einem Kurzwellenempfänger, im Radio lief "short people" von Randy Newman, war wohl eine Kurzschlussreaktion...
Das zweite Mal nahm er Schlaftabletten, aber erbrach sich kurz danach.
Bei seinem nächsten Versuch legte er sich auf die Gleise, aber der Zug, auf den er wartete, fuhr in dieser Nacht nur Kurzstrecke.
Kurts vierter Anlauf war von einem Dach. Jedoch zu kurz, er fiel auf den Balkon gleich darunter und brach sich nur ein Bein.
Erhängen wollte er sich auf dem Dachboden, doch die Leiter war...nicht lang genug, vielleicht aber auch das Seil...was immer.
Darauf folgte die Sache mit dem Gewehr. Womöglich dachte er sich in der Kürze liegt die Würze. Aber er kam wohl nicht an den Abzug.
Kurz und gut. Es klappte nicht.
Ich bin heute nicht mehr sicher alle seine Versuche behalten zu haben,
aber woran ich mich gut erinnere, ist, als sein Leben eine entscheidende Wende nahm.
Er gönnte sich einen Urlaub. Ok, es war nur ein Kurzurlaub. Aber Kurts Urlaub
bescherte ihm kurz gesagt - die Frau seines Lebens. Karla Klein!
Kurt erzählte mir, als er mich kürzlich kurz besuchte, so gar nicht kurz und bündig wie sonst, sie wäre etwas kleinlich, mit dem Kleingeld etwas kleinkariert, wie Kleinbürgerliche nun mal so sind... Aber er sagte auch kleinlaut wie kurzsichtig es ist, sich von solchen Kleinigkeiten abhalten zu lassen. Schließlich wäre sie sein Kleinod, sein Leben hätte wieder einen Sinn und mit Karla Klein würde er sich großartig fühlen. Er wünsche sich über kurz oder lang auch etwas Kleines. Und weg war er.
Das Letzte, was ich von ihnen hörte, las ich in einer Tageszeitung:
Hyperaktives Kind schlug Wohnung kurz und klein!