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Leben, so leicht so schön
Kalt, bitter kalt ist es. Nur langsam, begleitet von hohlem Rauschen, beginnt die Eckheizung zu arbeiten. Gelächter aus einer anderen Wohnung füllt meinen Raum. Ich kenne die Stimmen nicht. Ich kenne meine Nachbarn nicht.
Das saftige Grün der Wiesen weckt meine schlafgetrübten Augen, strahlender Sonnenschein durchströmt meine Glieder, als würde er ein Teil von mir. Es ist schön, an schönen Tagen verbringe ich gern die Zeit auf dem Hof meines Onkels. Hinter mir plätschert friedlich der Fluss, vor mir ragen, nicht allzu weit entfernt, majestätisch die Berge. Schon als ich klein war liebte ich es sie stundenlang anzuschauen. „Sanfte, schlafende Riesen weit weg und doch greifbar nah“, sagte mein Vater immer. „Ich verstand nie ganz was er damit sagen wollte, schön fand ich sie trotzdem“.
Gewohnt leichtfüßig sehe ich meinen Neffen zwischen den Kühen spielen, er wird mir immer ähnlicher. Seiner Mutter gefällt das gar nicht: „ Michel lass das, wie oft muss ich dir noch sagen…“ Ein Martinshorn bricht die Idylle und bewahrt Michel vor größerem Ärger.
„Die Sonne? Ich sehe die Sonne nicht, aber das Stück Himmel sieht blau aus, der Rest ist grau, ich sehe es ja nicht“. Eine Straßenbahn dröhnt an meinem Fenster vorbei und nutzt die Gelegenheit auch das letzte Stück Geborgenheit gleich mit in die Stadt zu nehmen. „Vielleicht sollte ich Bilder aufhängen. Darf man hier sonntags bohren? Bestimmt nicht! Vielleicht sollte ich auch in die Stadt. Will ich überhaupt aufstehen? Vielleicht schlaf ich besser noch etwas. Ich schlaf doch immer länger. Dann werden die Beine auch nicht mehr so schwer sein.“
„Keine Sorge“, erwiderte mein Onkel, „wir schaffen das gemeinsam“.
Meine Mutter fand Vater erhängt in der Scheune, sie rief auch den Krankenwagen. Warum er das tat erfuhr sie erst Wochen später, von einem Bankangestellten. Sie sagte immer schon:“ ich mache zwar nur den Haushalt, aber ich trau diesen Leuten nicht“.
„Welcher Tag ist heute? Heiß! Mir ist heiß. Warum hab ich die Heizung nicht ausgemacht. Dann wäre mir nicht heiß. Warum mache ich das immer? Ich werd das Fenster aufmachen. Meine Beine sind so schwer. Wahrscheinlich hab ich wieder zu lange geschlafen, dass ist so wenn man zu lange schläft, dann ist man schwer. Muss ich heut nicht arbeiten?“ Mein Blick wandert zur Tür, „ich weis doch was ich will. Na los! Ich muss aufstehen. Was ist denn los. der Geist ist willig, aber das Fleisch ist. Schwachsinn! Ich hab keine Zeit für sowas, ich hab keine Zeit zu grübeln. Keine Zeit! Was ist das?“
Ich schrie verzweifelt: „Du kannst nicht ewig für uns Sorgen, ich muss die Verantwortung dafür übernehmen, ich muss was tun“
„Nix getan? Zwei Wochen gefehlt, nicht bescheid gesagt? Gefeuert, aber meine [Freizeichen]Mutter. Verdammt!"
„Ich kann dich nicht auch noch verlieren“, schluchzt sie , „ich hab doch nur noch dich“. „Wir werden den Rest auch noch verlieren, wenn ich bleibe.“ Antworte ich zornig. „Wir brauchen das Geld und sowieso, ich komm so oft es geht vorbei. Ach! Du weist das ich gehen muss, warum streiten wir immer. Lass mich in Ruhe, ich brauch einen Moment um meine Gedanken zu ordnen.“
„Mit einem Gewehr würde es bestimmt leichter gehen. Ob es weiter geht. Was denk ich da. Wenn ich es nur nicht jede Nacht träumen würde. Ich will heut nicht schlafen. Ich kann heut nicht schlafen. Warum denn schlafen?“
Meine Mutter trägt trotz des Verlustes Stolz im Gesicht:„es ist so traurig das du gehen musst, wer weis wann du Urlaub bekommst, du kleiner Karrieremacher.“ „Oh entschuldige, du wirst ja jetzt ein Mann“, sie schmunzelte etwas als sie das sagte. „Schau nicht so ernst, für mich bleibst du immer mein kleiner Junge der durch die Wiesen springt. Was hast du“? „Die Berge, sie verdecken die Sonne“, erwiderte ich. „Was sagst du denn da? Du liebst doch die Berge und überhaupt die Sonne steht da drüben, schaust nicht mal richtig hoch. Soll ich dir mit dem Gepäck helfen, du schläfst ja bald ein“. Ich hörte sie gar nicht, murmelte nur unverständlich „Ich brauch die Sonne, mir ist kalt.“
„Vor mir liegen die Berge, sie sind so majestätisch, die schlafenden Riesen. Meine Beine sind heut gar nicht schwer, leichtfüßig spring ich durch saftigen Wiesen. Sie sind leicht, endlich wieder leicht. Und die Berge, sie werden immer schöner, so greifbar nah. Es ist nicht kalt, nicht heiß, es tut nicht weh. In der einen Sekunde ist die Last gefallen und in der gleichen schwebe ich davon. So leicht. So schön."