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Leben und Laster
"Karl!"
Eine Ohrfeige traf ihn hart an der Wange. Er keuchte und wand sich, als er ruckartig zur Besinnung fand. Sein Kopf schmerzte höllisch.
Etwas Klebriges rann ihm sein Gesicht hinunter. Er öffnete die Augen einen Spalt breit und kaltes Neonlicht brauste laut auf ihn nieder.
"Karl! Mein Jott, watt is´ nur passiert?! Komm schon zu dir!" Das Gesicht Anas füllte sein Blickfeld, als er benebelt ihre Latina-Bräune wahrnahm. Er stöhnte heiser, als er sich endlich nach Mühe der protestierenden Muskeln aufrichtete. Ihm wurde schwarz vor Augen und er klammerte sich schwer atmend am Waschbecken fest. Ein Glück, das er den Halt noch erwischt hatte.
Ja, was zum Teufel war geschehen?! Ihre Stimme hallte unerträglich laut in seinem Schädel und wollte einfach nicht abklingen. Der Streit, die Scheidung. Das lag noch keinen Tag zurück.
"Watt is´ passiert? Karl! Sag halt watt!" Klang ihre Stimme anfangs panisch, rang sie nun mit Tränen.
Seine Berta hatte ihn rausgeworfen, und das aus seinem Haus. Verübeln konnte er es ihr nicht. Er hatte sie betrogen, jahrelang mit eben jener Frau, die ihm nun den Rücken hielt.
Von Pein und Schuld getrieben und einem Koffer mit dem Nötigsten gerüstet, konnte er sich erst einmal nur in einem Hotel unterbringen. Wohl das normalste der Welt, wenn man nach neununddreißig Jahren Ehe mit einem Arschtritt vor die Türe gesetzt wird. Und irgendein innerer Zwang zog ihn geradewegs in das Hotel, in das sein "Latte Cowgirl" als "Putze auf Streife" war. So jedenfalls hätte es Berta formuliert.
Er war im Badezimmer jenes billigen Hotels, und wartete erschöpft, dass sich sein Tunnelblick lichtete. Das tat er dann auch.
"Ah, ich brauch das Handtuch da, am Halter."
Sie hielt es ihm schluchtzend vor seine Nase.
"Danke. Bin wohl irgendwo dran gestoßen." Er wischte sich das Blut und den kalten Schweiß aus dem Gesicht, als er sich nicht mehr halten konnte, ihr seinen gestrig durchlebten Albtraum zu schildern. Einfach Trost zu finden, denn das brauchte er jetzt. Warum das ausgerechnet an einem Ort wie diesem hier sein musste, wusste er selbst nicht recht.
Da stand er. Ein in die Jahre gekommener Mann, gekleidet nur in Unterhemd, Boxershorts und Wollsocken, stand einer sexy Latina mit starkem, kölschem Akzent gegenüber. Ihre Kurven waren unübersehbar an den richtigen Stellen und auch ihr Gesicht schien makellos. Geschmeidig, mit hohen Wangenknochen, wollüstigen Lippen, die sich in halbausgereiften Grübchen schmiegten, Stubsnase und tiefe, dunkle Augen, die die seinen gespannt beobachteten.
Doch noch ehe er das Wort hätte ergreifen können, platzte es aus ihr heraus:
"Isch liebe einen anderen."
Bäng. Er hätte sich eine Kugel geben können.
"Karl, isch kann nisch mehr mit dir sein. Isch bin fünwenzwanzisch. Und du bist auch nisch mehr der Jüngste."
Feinfühlig war sie ja nie gerade, doch war es für ihn die Ohrfeige, die innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden völlig unerwartet kam.
"Andrea-" Ihm versagte die Stimme, doch schluckte er den Klos rasch runter. "Wieso? ICH BRAUCH DICH JETZT!!" Er heulte laut auf und Tränen fielen ihm zu Boden.
"Das schaff ich nich mehr...", flüsterte er, mehr zu sich selbst. Sein Kopf dröhnte noch immer, wie im Vollrausch. Das durfte alles nicht war sein.
Natürlich war sie seines Geldes wegen bei ihm und nicht etwa, weil sein Bierbauch mit besonderer Straffheit gesegnet war oder er tatsächlich ihr Großvater hätte sein können. Diese Art von Liebe währe wohl verständlicher gewesen. Ein "Ich hab´ dich lieb Opi."
Sie besah ihn ein letztes Mal, angefangen bei den Socken, als sie aus dem Zimmer trat und er nur die Türe zufallen hörte.
Nach einiger Zeit klopfte er sich auf die kalten Schenkel, wischte sich sein Gesicht und ging bestimmt aus dem Bad und ins Nebenzimmer. Karl sah aus dem Fenster. Ein strahlender Sommertag neigte sich dem Ende zu. Dann zog er neben dem Schreibtisch aus der Vitrine eine Flasche Champanger, die er auch gleich ansetzte. Zwei, vier, acht Schluck. Es schmeckte herrlich und wusch den Schmutz von seiner Seele. Er lächelte müde in die Flasche hinein.