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Leben

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12.08.2005
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Die kleine Sandra ist acht Jahre alt. Sie geht in die dritte Klasse. Spätestes in vier Jahren wird sie nicht mehr hier sein. Die Ärzte haben bei ihr eine sehr seltene Krankheit festgestellt. Sie wird von Tag zu Tag, langsam und allmählich ihr Gedächtnis verlieren und dann diese Welt verlassen, bevor sie irgendetwas festhalten konnte. Das wird also ihr Schicksal sein.

Sandra liebt ihr Leben, sie liebt diese Welt. Aber manchmal träumt sie, die Tür in einer seit Jahren vertrauten Gasse nicht mehr finden zu können. Sie weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat. Aber sie weiß, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt.

Sie lernt malen und auch Klavier spielen. Bald möchte sie Tanzunterricht bekommen. Dann will sie auch ein wunderschönes, fremdes Land kennen lernen. Dort leben ganz andere Menschen, von denen sie nur so wenig weiß. Aber das fasziniert sie, sie muss ständig an ein anderes Leben denken.

In Folge ihrer Krankheit, bei welcher es zu einer Störung des Nervensystems kommt, wird der Tagesrhythmus nicht mehr richtig wahrgenommen. Daher kann sie oft bis in die späte Nacht nicht einschlafen. Aber wenn sie doch einmal irgendwann einschläft und am nächsten Tag wieder aufwacht, kann sie sich an fast nichts mehr erinnern. Es ist nicht so, dass die auf einmal vergisst, wer und wo sie ist. Aber viele Einzelheiten des Ganzen sind wie aus dem Gedächtnis gelöscht. Das betrifft auch manche Augenblicke, die sie vorgenommen hatte, für immer in ihrer Erinnerung aufzubewahren. Sie sucht und sucht mit ihrem wirren, unscharfen inneren Auge. Denn sie weiß, dass da doch etwas da gewesen sein musste. Aber die Räume waren leer und trotz der übrig gebliebenen Spuren konnte sie keine ersehnte Gewissheit mehr finden.

An einem sonnigen Tag fand sie zwischen den Seiten eines Buches zufälligerweise ein Foto. Es war ein fremdes, kleines Mädchen mit einen sehr ernstem Gesicht. In ihren Augen sah man die Leere, oder war das die tiefe Verzweifelung? Seitdem bewahrte sie dieses Foto sorgfältig in einem kleinen Kasten auf. Aber sie wusste noch nicht, was es heißt, nichts mehr behalten zu können.

Ein halbes Jahr später fand sie in einem Papierkasten ein Foto von einem kleinen Mädchen. Sie wunderte sich darüber, wie es denn hierher kam. Dann versuchte sie sich zu erinnern, aber es ging nicht. Sie konnte den gleichen Weg nicht mehr zurückfinden.

Eines Tages, als ich neu in diese Stadt kam, sah ich auf einem Friedhof ein Foto, das auf einem kleinen Grabstein eingemauert war. Es war ein Foto ohne das geringste Lächeln. Aus dem noch zarten Gesicht sprach eine schmerzhaft stumpfe Gleichgültigkeit, die uns jeglichen Zugang von Außen verwehrte. Das konnte doch nicht das Gesicht eines Kindes sein, sagte ich mir. Das Gesicht eines achtjährigen Kindes, das in seinem kurzen Leben keinen Menschen liebte und vom niemanden geliebt worden war.

 

Hallo toonworld!

Bis auf den Schlußsatz hat mir Deine Geschichte recht gut gefallen. Eine schlimme Vorstellung, alles zu vergessen und sich zwischendurch dessen bewußt zu werden, noch dazu, wenn man noch so viel vor hatte.
Daß Du im Schlußsatz dann ein völlig neues Thema anschneidest, über das Du ja wesentlich ausführlicher hättest schreiben können, finde ich nicht gut. Ich würde den Schlußsatz entweder streichen oder bereits innerhalb der Geschichte zeigen, daß sie von niemandem geliebt wird. - So weiß ich jetzt nämlich gar nicht so richtig, wie ich mir das vorstellen soll.

Würde zu Beginn nicht das mit dem Arzt stehen, könnte die Geschichte auch im übertragenen Sinn gemeint sein, dann würde sich der Schlußsatz anders auflösen lassen. Dann könnte es um das innere Sterben gehen, um das Verdrängen, usw., weil sie eben nicht geliebt wurde, aber dann würde der Arzt ja nicht ihren Tod voraussagen können.

Auf jeden Fall hat mich die Geschichte jetzt eine ganze Weile beschäftigt. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 
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Meine Nachbarin war 11 Jahre quasi Tag und Nacht um ihren spastisch und geistig behinderten Sohn. Dann endlich gönnte sie sich vier Wochen Erholung, auftanken, mal loslassen. Als sie nach dieser Kur nach Hause kam, erkannte ihr Sohn sie nicht mehr.
Elf Jahre - vier Wochen. Auch alle Liebe kann das Hirn nicht aktivieren.

 

Hallo Toonworld,

Schon die ersten Sätze deiner Geschichte sind sehr trarurig und der Leser möchte gerne wissen, wie die Geschichte nach so einem Anfang aussgeht.
Du beschreibst daraufhin, wie schnell sich das Leben des kleinen Mädchens verändert, durch konkrete Ereignisse, wie das Finden und Vergessen des Fotos.

Den letzen Abschnitt verstehe ich allerdings auch nicht richtig, das Mädchen liebt doch ihr Leben und die Welt, kann man zu Beginn lesen.
Im letzten Satz allerdings:

toonworld schrieb:
Das Gesicht eines achtjährigen Kindes, das in seinem kurzen Leben keinen Menschen liebte und vom niemanden geliebt worden war.

Gruß
Lester

 

Hi Toonworld,

es fällt mir immer schwer eine Geschichte mit einem derart traurigen Inhalt angemessen zu kritisieren.
Natürlich macht deine Geschichte betroffen, natürlich findet man schrecklich, was ihr widerfährt und das sie über kurz oder lang alles vergessen wird.

Als Geschichte an und für sich hat sie mir jedoch nicht so gut gefallen. Zum Einen finde ich die Geschichte ist zu sehr auf diese Trauer ausgerichtet, die der Leser am Ende empfinden soll. Du schreibst die Geschichte in einer Art Zeitraffer, in das du ihr kurzes Leben hineinpresst - die beiden Einblicke in ihr Leben finde ich zwar gut, aber ich hätte mir viel mehr dieser Art gewünscht. Mich hätte interessiert, wie ihr Tagesablauf aussieht, was sie so macht, wie sie ihr eigenes Vergessen begreift (ob sie z. B. manchmal ihre Lehrerin nicht erkennt, ob ihr Kinder auf der Straße zuwinken, die sie nicht zuordnen kann). Das wäre für mich viel interessanter gewesen, als dieser Zeitraffer bei dem man am Ende einfach nur schockiert ist, weil ihr kleines Leben so traurig enden musste.
Den letzten Satz fand ich übrigens auch nicht so toll. Er passt irgendwie nicht dazu, er zeichnet nicht das Bild nach, das ich von diesem Mädchen bekommen habe.

LG
Bella

 

Erstmal danke für eure Kommentare. Zugegeben, das mit dem letzten Satz habe ich nicht ganz aufgeklärt. Denn dahinter steckt eigentlich eine weitere Geschichte bzw. eine Vertiefung. Da es den Lesern nicht auf dem ersten Blick klar sein kann, bleibt das Geheimnis vorerst bei mir. Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, werde ich euch auch noch die andere Geschichte liefern.

Grüße, toonworld

:)

 

Zugegeben, das mit dem letzten Satz habe ich nicht ganz aufgeklärt. Denn dahinter steckt eigentlich eine weitere Geschichte bzw. eine Vertiefung. Da es den Lesern nicht auf dem ersten Blick klar sein kann, bleibt das Geheimnis vorerst bei mir. Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, werde ich euch auch noch die andere Geschichte liefern.
Schöner wäre es ehrlichgesagt schon, wenn Du das in dieser Geschichte machst, denn sie sollte ja für sich stehen und nicht erst mit dem Hinweis auf eine andere Geschichte verständlich werden. Sie ist obendrein ziemlich kurz, also würde sie durch eine "Vertiefung" auch sicher nicht zu lang werden. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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