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Licht und Dunkelheit
Kurz vor der Operation
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte in meine Glieder kriecht und mich zu lähmen beginnt.
Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens.
Ich gehe in die Stadt. Viele Menschen sind dort trotz des Regens, ich kann sie hören. Ich höre wie sie hastigen Schrittes den Weg entlang laufen, das Trommeln des Regens gegen ihre Regenschirme.
Ich nehme die Geräusche war. Die fröhlichen Stimmen und den Lärm, der aus den Häusern dringt.
Ich gehe weiter in die Einkaufsstraße und höre noch mehr Menschen. Ich spüre, dass sie mir verstohlene Blicke zuwerfen, die Augen auf meinen Blindenstab gerichtet.
Ich trete in ein Kaufhaus und werde den Menschen auf den Rolltreppen gewahr. Ich kann ihnen nicht in die Augen sehen, aber ich höre das Rascheln der Einkaufstaschen und das Knattern der Rolltreppe.
Ich spüre die Menschen neben mir, die sich schnell abwenden oder mich mit bösem Blick anzustarren scheinen. Doch ich kann sie nicht sehen und bereue es. Ich bin voller Furcht und Einsamkeit.
Ich höre Kinder rechts von mir, die wahrscheinlich die Schaufenster betrachten. Frauen, die glücklich auflachen. Ja, sie sind glücklich. Sie unterhalten sich in vertrautem Ton. Jeder kennt jeden und sie scheinen nur einen Zentimeter von ihrem Glück entfernt zu sein; dort mit ihren Kindern vor den Schaufenstern. Doch für mich ist es unerreichbar, weil es mir gestohlen wurde.
Erschrocken verlasse ich das Einkaufszentrum und wende mich der Straße zu. Die Ampel bewegt mich mit einem eindringlichen Piepton zum Weitergehen. Ein Schwall von Menschen kommt mir entgegen. Allesamt auf dem Weg zur Arbeit.
Ich höre viele Schritte. Hastige, schlürfende, klackernde durch hohe Schuhe verursachte und energische Schritte. So unterschiedlich sie auch sein mögen, gleichen die Menschen doch alle gehetzten Tieren.
Ich gehe schnellen Schrittes weiter und gelange in eine scheinbar kleine Straße. Außer ein paar aufröhrenden Motoren großer Autos ist kaum etwas zu hören. Zwei Männer scheinen auf einen anderen einzusprechen und weisen ihn an, ihr Grundstück zu verlassen. Doch ich vernehme keine Regung seinerseits, als sie auf ihn einreden.
Ich gehe weiter, immer weiter und gelange auf einen schlecht gepflasterten Weg. Ich höre zwei Jungen, die sich gegenseitig beschimpfen.
Ich fange nun an zu laufen, flüchte vor der Dunkelheit. Ich laufe zum Krankenhaus, wo mir das Augenlicht gegeben werden soll, damit ich wieder eine Zukunft habe. Ich gehe an einem Fenster vorbei und vernehme das Brummen eines laut gestellten Fernsehers.
Ich renne weiter. Ich laufe zu meinem Ziel, die Augen nun bald für die Welt geöffnet.
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte sich meiner Glieder bemächtigt und mich lähmt. Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens. Ich laufe auf die Straße zu. Es tut nicht gut, nur die Schwärze zu sehen. Ich höre das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, spüre wie der Weg unter mir eben wird.
Bald spüre ich die Türklinke des Krankenhauses zwischen meinen Fingern, bemerke einen starken Schmerz in den Augen, als die Operation beginnt und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt bald sehen werde.
Licht.
Ein Tag nach der Operation
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte in meine Glieder kriecht und mich zu lähmen beginnt.
Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens.
Ich gehe in die Stadt. Viele Menschen sind dort trotz des Regens, ich kann sie sehen. Ich sehe wie sie hastigen Schrittes den Weg entlang laufen, die Regenschirme schützend gegen den Regen gestemmt.
Ich nehme die Farben war. Triste graue Wände und bunt leuchtende Reklame.
Ich gehe weiter in die Einkaufsstraße und erblicke noch mehr Menschen. Ich bemerke, dass sie an mir vorbei hasten, ohne mich zu bemerken, die Augen auf den Boden gerichtet.
Ich trete in ein Kaufhaus und werde den Menschen auf den Rolltreppen gewahr. Ich kann ihnen in die Augen sehen. Apathisch, mit Einkaufstaschen bepackt, kommen sie in Massen wie Roboter hinabgefahren.
Alle gleich, gekommen, um zu konsumieren. Die bunten Taschen wirken abstoßend, das materielle Gut ist die Illusion von Glück und Freiheit.
Ich sehe den Menschen tief in die Augen und sie wenden sich ab oder starren mit bösem Blick zurück. Jetzt kann ich sie sehen und bereue es. Sie sind voller Hass, Furcht, Einsamkeit oder ganz ohne Ausdruck.
Ich sehe Kinder rechts von mir, die die Schaufenster betrachten. Frauen, die glücklich auflachen. Nein, sie sind nicht glücklich. Sie betrachten ein Plakat von Hochglanzzombies, die von einem Glück erzählen, welches mit Geld zu erreichen sein soll. Keiner kennt keinen, doch alle denken, sie sind nur einen Zentimeter von ihrem Glück entfernt; dort hinter dem Schaufenster, mit hellen Lichtern beleuchtet. Doch es ist unerreichbar, weil es ihnen gestohlen wurde.
Erschrocken verlasse ich das Einkaufszentrum und wende mich der Straße zu. Die Ampel springt auf Grün und ein Schwall von Menschen kommt mir entgegen. Allesamt auf dem Weg zur Arbeit. Männer in schicken Anzügen und Koffern in der Hand, müde aussehende Schüler, Frauen mit hochhackigen Schuhen und penibel, gestylten Haaren und Männer in Latzhosen, die Gesichter vom Wetter gegärbt. So unterschiedlich sie auch sein mögen, gleichen die Menschen doch alle gehetzten Tieren.
Ich gehe schnellen Schrittes weiter und gelange in eine gepflegte, kleinere Straße. Sie ist von prachtvollen Häusern gesäumt. Luxuskarossen verlassen die vollständig vom Unkraut befreite Einfahrt. Vor einer akkurat geschnittenen Hecke sitzt ein Mann in Lumpen, wie ein Schandfleck der Realität. Regungslos starrt er auf den Boden, als ich ihn mustere.
Ich gehe weiter, immer weiter und gelange in eine von Blockhäusern gesäumte und trist aussehende Straße. Dort streiten sich zwei Jugendliche und der eine holt zum Schlag aus. Der getroffene Junge stürzt und Blut spritzt auf den Boden. Sinnlose Gewalt, die nicht mehr mit Gameshows und Shopping betäubt werden konnte.
Ich fange nun an zu laufen, flüchte vor der Realität. Ich laufe an einem FDP-Plakat vorbei: „Mehr Bildung, mehr Zukunft“ und bezweifle, dass die Menschen, die hier leben, eine Zukunft haben. Ich blicke durch ein Fenster. Im Fernsehen läuft eine Realityshow und mir wird beim Anblick bewusst, wie zynisch die Realität dargestellt wird.
Ich renne weiter. Ich laufe ohne Ziel, die Augen nun vor der Welt verschlossen.
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte sich meiner Glieder bemächtigt und mich lähmt. Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens. Ich laufe auf die Straße zu. Es tut gut, nur die Schwärze zu sehen. Ich höre das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, spüre wie der Weg unter mir eben wird.
Ich höre ein Schlittern von Reifen, spüre einen starken Schmerz in der Seite und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt nie wieder sehen werde.
Dunkelheit.