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Licht und Dunkelheit

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25.09.2009
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Licht und Dunkelheit

Licht und Dunkelheit

Kurz vor der Operation
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte in meine Glieder kriecht und mich zu lähmen beginnt.
Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens.
Ich gehe in die Stadt. Viele Menschen sind dort trotz des Regens, ich kann sie hören. Ich höre wie sie hastigen Schrittes den Weg entlang laufen, das Trommeln des Regens gegen ihre Regenschirme.
Ich nehme die Geräusche war. Die fröhlichen Stimmen und den Lärm, der aus den Häusern dringt.
Ich gehe weiter in die Einkaufsstraße und höre noch mehr Menschen. Ich spüre, dass sie mir verstohlene Blicke zuwerfen, die Augen auf meinen Blindenstab gerichtet.

Ich trete in ein Kaufhaus und werde den Menschen auf den Rolltreppen gewahr. Ich kann ihnen nicht in die Augen sehen, aber ich höre das Rascheln der Einkaufstaschen und das Knattern der Rolltreppe.
Ich spüre die Menschen neben mir, die sich schnell abwenden oder mich mit bösem Blick anzustarren scheinen. Doch ich kann sie nicht sehen und bereue es. Ich bin voller Furcht und Einsamkeit.
Ich höre Kinder rechts von mir, die wahrscheinlich die Schaufenster betrachten. Frauen, die glücklich auflachen. Ja, sie sind glücklich. Sie unterhalten sich in vertrautem Ton. Jeder kennt jeden und sie scheinen nur einen Zentimeter von ihrem Glück entfernt zu sein; dort mit ihren Kindern vor den Schaufenstern. Doch für mich ist es unerreichbar, weil es mir gestohlen wurde.

Erschrocken verlasse ich das Einkaufszentrum und wende mich der Straße zu. Die Ampel bewegt mich mit einem eindringlichen Piepton zum Weitergehen. Ein Schwall von Menschen kommt mir entgegen. Allesamt auf dem Weg zur Arbeit.
Ich höre viele Schritte. Hastige, schlürfende, klackernde durch hohe Schuhe verursachte und energische Schritte. So unterschiedlich sie auch sein mögen, gleichen die Menschen doch alle gehetzten Tieren.

Ich gehe schnellen Schrittes weiter und gelange in eine scheinbar kleine Straße. Außer ein paar aufröhrenden Motoren großer Autos ist kaum etwas zu hören. Zwei Männer scheinen auf einen anderen einzusprechen und weisen ihn an, ihr Grundstück zu verlassen. Doch ich vernehme keine Regung seinerseits, als sie auf ihn einreden.
Ich gehe weiter, immer weiter und gelange auf einen schlecht gepflasterten Weg. Ich höre zwei Jungen, die sich gegenseitig beschimpfen.
Ich fange nun an zu laufen, flüchte vor der Dunkelheit. Ich laufe zum Krankenhaus, wo mir das Augenlicht gegeben werden soll, damit ich wieder eine Zukunft habe. Ich gehe an einem Fenster vorbei und vernehme das Brummen eines laut gestellten Fernsehers.
Ich renne weiter. Ich laufe zu meinem Ziel, die Augen nun bald für die Welt geöffnet.
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte sich meiner Glieder bemächtigt und mich lähmt. Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens. Ich laufe auf die Straße zu. Es tut nicht gut, nur die Schwärze zu sehen. Ich höre das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, spüre wie der Weg unter mir eben wird.
Bald spüre ich die Türklinke des Krankenhauses zwischen meinen Fingern, bemerke einen starken Schmerz in den Augen, als die Operation beginnt und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt bald sehen werde.
Licht.


Ein Tag nach der Operation
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte in meine Glieder kriecht und mich zu lähmen beginnt.
Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens.
Ich gehe in die Stadt. Viele Menschen sind dort trotz des Regens, ich kann sie sehen. Ich sehe wie sie hastigen Schrittes den Weg entlang laufen, die Regenschirme schützend gegen den Regen gestemmt.
Ich nehme die Farben war. Triste graue Wände und bunt leuchtende Reklame.
Ich gehe weiter in die Einkaufsstraße und erblicke noch mehr Menschen. Ich bemerke, dass sie an mir vorbei hasten, ohne mich zu bemerken, die Augen auf den Boden gerichtet.

Ich trete in ein Kaufhaus und werde den Menschen auf den Rolltreppen gewahr. Ich kann ihnen in die Augen sehen. Apathisch, mit Einkaufstaschen bepackt, kommen sie in Massen wie Roboter hinabgefahren.
Alle gleich, gekommen, um zu konsumieren. Die bunten Taschen wirken abstoßend, das materielle Gut ist die Illusion von Glück und Freiheit.
Ich sehe den Menschen tief in die Augen und sie wenden sich ab oder starren mit bösem Blick zurück. Jetzt kann ich sie sehen und bereue es. Sie sind voller Hass, Furcht, Einsamkeit oder ganz ohne Ausdruck.
Ich sehe Kinder rechts von mir, die die Schaufenster betrachten. Frauen, die glücklich auflachen. Nein, sie sind nicht glücklich. Sie betrachten ein Plakat von Hochglanzzombies, die von einem Glück erzählen, welches mit Geld zu erreichen sein soll. Keiner kennt keinen, doch alle denken, sie sind nur einen Zentimeter von ihrem Glück entfernt; dort hinter dem Schaufenster, mit hellen Lichtern beleuchtet. Doch es ist unerreichbar, weil es ihnen gestohlen wurde.

Erschrocken verlasse ich das Einkaufszentrum und wende mich der Straße zu. Die Ampel springt auf Grün und ein Schwall von Menschen kommt mir entgegen. Allesamt auf dem Weg zur Arbeit. Männer in schicken Anzügen und Koffern in der Hand, müde aussehende Schüler, Frauen mit hochhackigen Schuhen und penibel, gestylten Haaren und Männer in Latzhosen, die Gesichter vom Wetter gegärbt. So unterschiedlich sie auch sein mögen, gleichen die Menschen doch alle gehetzten Tieren.

Ich gehe schnellen Schrittes weiter und gelange in eine gepflegte, kleinere Straße. Sie ist von prachtvollen Häusern gesäumt. Luxuskarossen verlassen die vollständig vom Unkraut befreite Einfahrt. Vor einer akkurat geschnittenen Hecke sitzt ein Mann in Lumpen, wie ein Schandfleck der Realität. Regungslos starrt er auf den Boden, als ich ihn mustere.
Ich gehe weiter, immer weiter und gelange in eine von Blockhäusern gesäumte und trist aussehende Straße. Dort streiten sich zwei Jugendliche und der eine holt zum Schlag aus. Der getroffene Junge stürzt und Blut spritzt auf den Boden. Sinnlose Gewalt, die nicht mehr mit Gameshows und Shopping betäubt werden konnte.
Ich fange nun an zu laufen, flüchte vor der Realität. Ich laufe an einem FDP-Plakat vorbei: „Mehr Bildung, mehr Zukunft“ und bezweifle, dass die Menschen, die hier leben, eine Zukunft haben. Ich blicke durch ein Fenster. Im Fernsehen läuft eine Realityshow und mir wird beim Anblick bewusst, wie zynisch die Realität dargestellt wird.
Ich renne weiter. Ich laufe ohne Ziel, die Augen nun vor der Welt verschlossen.
Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte sich meiner Glieder bemächtigt und mich lähmt. Ich höre die Autos auf der Straße hinter dem Wald, das unaufhörliche Plätschern des Regens. Ich laufe auf die Straße zu. Es tut gut, nur die Schwärze zu sehen. Ich höre das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, spüre wie der Weg unter mir eben wird.
Ich höre ein Schlittern von Reifen, spüre einen starken Schmerz in der Seite und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt nie wieder sehen werde.
Dunkelheit.

 

Morgen Kristina,

die Idee zu deiner Geschichte hat mir sehr gefallen, ich bin begeistert.
Du beschreibst, zeigst bildhaft, ich konnte mich einfühlen.
Den Aufbau mit seinen Wiederholungen, spüren und sehen, finde ich sehr gelungen.

Ich spüre den kühlen Sprühregen auf meiner Haut, wie die Kälte in meiner Glieder kriecht und beginnt mich zu lähmen.
(und mich zu lähmen beginnt)

Ich kann ihnen nicht in die Augen sehen (Komma) aber ich höre das Rascheln der Einkaufstaschen und das Knattern der Rolltreppe.

Ich höre Kinder, die in der Nähe von den Schaufenstern zu seien scheinen,
- anders formulieren ?


Erschrocken verlasse ich das Einkaufszentrum und wende mich der Straße zu. Die Ampel bewegt mich mit einem eindringlichen Piepton zum weitergehen.
- zum Weitergehen

So unterschiedlich sie auch sein mögen, gleichen sie doch alle gehetzten Tieren.
- die Schritte gleichen nicht gehetzten Tieren, die Menschen.

Ich gehe schnellen Schrittes weiter und gelange in eine scheinbar kleine Straßen.
- Straße

Doch er bleibt regungslos auf dem Boden sitzen, als sie auf ihn einreden.
- dass der Mann regungslos am Boden sitzen bleibt, kann er wohl nicht spüren

Ich bemerke, dass sie an mir vorbei hasten (Komma)ohne mich zu bemerken, die Augen auf den Boden gerichtet.

Keiner kennt keinen,
- das ist eine doppelte Verneinung, heißt dann jeder kennt jeden ?

die hier Leben
- leben

mir wird beim Anblick bewusst (Komma)wie zynisch die Realität dargestellt wird.

Ich höre ein Schlittern von Reifen, spüre einen starken Schmerz in der Seite und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt nie wieder sehen muss.
Dunkelheit.
Diesen "Hammer" hätte die Geschichte nicht nötig gehabt. (Aber ich versuche auch immer einen "Hammer" zu setzen.)
Der ehemals Blinde merkt, dass durch das Sehen seine Illusion zerstört wird, dass die Realität anders ist, als er sie sich vorgestellt hat.

Habe deine Geschichte sehr gerne gelesen.

Gruß

Kurtchen

 
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Hallo Kurtchen!
Danke für deine Antwort. Ich habe meine Geschichte weitesgehend verbessert. Noch zwei Anmerkungen zu deinem Kommentar: "Keiner kennt keinen" sollte erstmal der Kontrast zu "Jeder kennt jeden" darstellen. Durch das "Keiner" sind die Leute, wie soll ich sagen... "unwichtiger", kleine Leute, für die sich niemand interessiert, unbedeutend, der Mensch ist ein "Niemand" und wenn es dann auch Jeder kennt jeden bedeuten kann, heißt es auch, dass sich die unbedeutenden, gleichgeschalteten Menschen kennen, da sie eben alle gleich sind... ich hoffe das war jetzt einigermaßen verständlich. Ich finde aber auf keinen Fall, dass das irgendwie ein Widerspruch ist.
Das dramatische Ende wird auch auf jedem Fall so bleiben, da es wieder eine schöne Gegenüberstellung ist.
"bemerke einen starken Schmerz in den Augen, als die Operation beginnt und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt bald sehen werde.
Licht."

"spüre einen starken Schmerz in der Seite und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt nie wieder sehen werde.
Dunkelheit."

Gruß Kristina

 
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Hi Kristina!
Du wolltest Kritik zu dieser Geschichte, jetzt kannst du nicht mehr aus ;)
Gleich mal vorneweg: Mir gefällt die Geschichte besser als "Die Person im Spiegel". Man hat einfach das Gefühl hier ist etwas mehr dahinter. Trotzdem will ich meckern. ;)
Zuerst einmal: hast du recherchiert? Was für eine Augenkrankheit, hat dein Protagonist? Kann man da direkt nach der OP wieder sehen? Läuft man am Tag dannach wieder durch die Gegend? Sieht man vorher absolut nichts? Hat dein Protagonist vorher noch nie gesehen und das lässt sich so einfach beheben? Mir scheint (ich weiß es auch nicht) das etwas unlogisch.
Den ersten Absatz fand ich schön, einem wird langsam klar, was falsch ist mit dem Protagonisten.

das unaufhörliche Plätschern des Regens.
Das Asyndeton sagt mir nicht 100%ig zu. Und seit wann plätschert Sprühregen?
Ich nehme die Geräusche war.
Nur eine Wiederholung, meiner Meinung nach unnötig.
Ich spüre, dass sie mir verstohlene Blicke zuwerfen, die Augen auf meinen Blindenstab gerichtet.
Wie spürt man Blicke? Bei einem normalen sehenden Menschen hängt das (angeblich) damit zusammen dass er aus dem Augenwinkel den anderen sieht und das nur unterbewusst verarbeitet.
werde den Menschen auf den Rolltreppen gewahr.
klingt für mich etwas antiquiert
Ich höre Kinder rechts von mir, die wahrscheinlich die Schaufenster betrachten.
Ist sie jetzt im Kaufhaus, oder außerhalb? Wie hört sie innen die Leute die von außen (?) die Schaufenster betrachten?
Ja, sie sind glücklich.
den Satz finde ich unnötig
sie scheinen nur einen Zentimeter von ihrem Glück entfernt zu sein;
auch etwas was einen Zentimeter entfernt ist, kann auch unerreichbar sein. Den Gegensatz könnte man noch besser herausarbeiten (finde ich ;) )
Bald spüre ich die Türklinke des Krankenhauses zwischen meinen Fingern, bemerke einen starken Schmerz in den Augen, als die Operation beginnt und bin glücklich mit der Gewissheit, dass ich die Welt bald sehen werde.
1. kennst du irgendein Krankenhaus, was wirklich ein Türklinke hat?
2. Das mit der OP geht mir zu schnell, das ist so hingehuscht, du musst bedenken den Parallelismus kennt der Leser beim ersten Lesen nicht.
Doch es ist unerreichbar, weil es ihnen gestohlen wurde.
Ich finde das klingt ein wenig stereotyp
Dort streiten sich zwei Jugendliche und der eine holt zum Schlag aus. Der getroffene Junge stürzt und Blut spritzt auf den Boden.
Und dein Prot. geht weiter?!!!??? Einfach so?
Die Parallel aufgebauten Teile, finde ich nicht schlecht. An vielen Stellen ist alles etwas klischeehaft. Alle sind unglücklich, alles ist hohl. Solche Betrachtungen sind schon sehr oft da gewesen und du änderst sie kaum. Konsum ist schlecht, Jugendgewalt... Auch das Ende finde ich zu krass. Klar wenn du es änderst geht deine Parallelität verloren, aber ich finde der Inhalt sollte das Hauptanliegen bleiben und die Form darum herum gebogen werden ;)
Auch den Anfang finde ich nicht logisch: ich halte es für unwahrscheinlich, dass man sich blind so gut durch die Stadt bewegen kann.
Ich hoffe du kannst etwas mit meine Kritik anfangen.
Sonnige Grüße
Cathy

 

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