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Licht!

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28.12.2009
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Licht!

Wir trafen uns jeden Abend auf der Bank vor der katholischen Kirche. Wir rauchten selbstgedrehte Zigaretten, tranken warmes Dosenbier und erzählten alte Witze. Warum isst Stevie Wonder besonders gerne Mohnbrötchen? Na, weil da so tolle Geschichten drauf stehen natürlich!
Frank wird in sechs Wochen eingezogen und nach Darmstadt versetzt werden. Sie nannten das heimatnah, obwohl es mehr als hundertfünfzig Kilometer weit weg ist. An den Wochenenden werden wir ihn noch ein paarmal wiedersehen, gemeinsam einen Joint rauchen und er wird uns vom Bund erzählen, wie langweilig es ist und wie er sich alleine unter der Dusche einen runterholt und an ein Mädchen aus der Schule denkt, dessen Name er uns nie verrät. Irgendwann werden wir ihn aus den Augen verlieren, er verpflichtet sich als Berufssoldat und wird in eine Kaserne bei Flensburg versetzt. Zweimal telefonieren wir noch miteinander. Der Name von dem Mädchen war Chrisula, die Tochter eines Griechen, dem auf der Kaiserstraße eine Wäscherei gehörte, die explodierte, als wir in der achten Klasse waren. Frank wird eine Fortbildung beginnen, Instandsetzung von Flugzeugen. An irgendeinem Samstagnachmittag fährt er auf der Jägerstraße in einem grünen Golf I an mir vorbei und macht das Victory-Zeichen. Ein paar Jahre später treffe ich seinen Vater an der Kasse vom EDEKA, und als ich ihn nach Frank frage, senkt er den Blick und sagt, sein Sohn sei bei einem Autounfall verunglückt. Ich weiß noch, wie Frank geraucht hat, die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, wie eine Tunte haben wir gesagt, anfangs hat er auch nur gepafft, es aber immer abgestritten. Verunglückt. Damals hatten wir noch keinen Führerschein. Damals saßen wir auf der Bank vor der katholischen Kirche und rauchten und tranken und glaubten, uns gehöre die Welt. Wenigstens ein kleines Stück davon. Christian, den wir nur den Dicken nannten, hatte es noch nie gemacht, und damit zogen wir ihn auf. Wir wollten von unseren ersten Monatslöhnen zusammenlegen und ihm eine Nutte im Laufhaus spendieren, damit er endlich zum Schuss kommt. Christian würde eine Lehre als Koch beginnen und sie bald darauf abbrechen, weil er die Drogen für sich entdeckt hatte. Er würde auch nicht mehr sehr lange dick bleiben, er würde so sehr abmagern, dass ich ihn nicht mehr wiedererkenne, als er in der Fußgängerzone vor dem Kaufhof in seiner eigenen Pisse liegt und mit sich selbst spricht. Bald wird er zum Stadtbild gehören, ein Junkie, der am Marktplatz rumhängt, auf den Stufen beim Engel, das Gesicht voller weißer Schuppen. Irgendwann verschwindet er einfach. Einmal noch sehe ich ihn, wie er am Bahnhof mit einem leeren Becher von McDonald's im Regen steht und fremde Leute nach Kleingeld anbettelt.
Wir saßen auf dieser Bank vor der katholischen Kirche. Wir saßen nebeneinander auf dieser Bank und sprachen davon, im nächsten Sommer mit einem T2 nach Korsika zu fahren, wir hatten sogar schon die Zeiten für die Fähre in Genua in Erfahrung gebracht. Wir saßen auf dieser Bank, das war so, das muss so gewesen sein.
Ich bin siebzehn Jahre alt und glaube, ich werde irgendwann einer der besten Gitarristen der Welt, besser als Slash und Paul Gilbert, stattdessen schwängere ich in drei Monaten ein blondes Mädchen aus Kaldauen, breche meine Lehre nach dem ersten Jahr ab und arbeite im Lager von Reifenhäuser, wo ich als Ungelernter weniger verdiene als alle anderen. Ich halte mich für etwas Besseres, weil ich denke, das hier ist nur vorübergehend und bald spiele ich Gitarre in einer Band und werde berühmt und verdiene viel Geld. Meine Kollegen schneiden mich. Es ist mir egal. Später stellt mich mein Cousin in seinem Betrieb ein, Kernbohrungen und Abriss, ich mache viel schwarz. Meine Tochter sehe ich so gut wie nie. Sie heißt Karla. Aus der Mutter wird ein blondes Flittchen, die alle paar Wochen einen neuen Onkel mit nach Hause bringt. Wir reden schon lange nicht mehr miteinander. Mit Sechsundzwanzig bekomme ich einen Bandscheibenvorfall und beginne ernsthaft mit dem Trinken, weil ich den Schmerz nicht mehr spüren will. Das ist eine Ausrede. Ich will nichts mehr spüren, aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Entgiftung und LZT, nach dem zehnten Geburtstag meiner Tochter werde ich rückfällig, ich ziehe drei Tage durch die Gegend und wache halbnackt auf einem Maisfeld in Birk auf. Ein Bauer findet mich mit einer leeren Flasche Apfelkorn in der Hand. Die nächsten Jahre lebe ich wieder bei meinen Eltern, in meinem Kinderzimmer, die Poster von Guns 'n Roses und Mickey Rourke hängen noch an den Wänden. Ich rauche gestopfte Zigaretten, die mir meine Mutter bei Netto kauft, trinke Kaffee und schaue den ganzen Tag Serien. Mein Vater geht nach einem Herzinfarkt in Frührente. Wir sitzen bis Mittags vor dem Fernseher und füttern dann die Enten im Stadtwald. Eine Stelle bei Reifenhäuser wird frei, wieder im Lager, ich lasse mir einen Vollbart wachsen, aber von den alten Kollegen ist keiner mehr da. Ich ziehe in eine Apartment am Stallberg, meine Tochter macht mich zum Großvater, manchmal kommt sie mich besuchen, dann bringt sie mir Aktive mit. Den Kleinen bringt sie nie mit, ihr Mann hat etwas dagegen, er hält mich für einen Säufer und schlechten Einfluss. Nach der Arbeit koche ich mir Tütensuppen und schaue oft die gleichen VHS-Kassetten, Headbangers Ball, GNR in Paris '92, und wenn es ruhig ist im Haus, spiele ich leise auf meiner Akustischen.
Wir saßen auf der Bank vor der katholischen Kirche, und die Kreuzung war von den Lichtern der KEPEC so hell erleuchtet, das es nie richtig dunkel wurde, selbst nachts nicht. Beim Schichtwechsel fuhren die Arbeiter in ihren Autos los und vergaßen oft das Licht einzuschalten, dann sprangen wir halb betrunken von der Bank und schrien: Licht! Licht!, wir rannten ihnen auf der Straße hinterher, winkten und schrien so laut wie wir konnten, Licht!, Licht!, bis sie es endlich begriffen, und dann war es das Beste, wenn die Scheinwerfer endlich angingen, ein kurzer Moment, und du hast gesehen, was vor dir lag, du hast alles vor dir gesehen, alles lag im Licht, alles war hell.

 
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Gut, vielleicht übertreibe ich ein wenig mit meiner Häme, aber Jimmy warum schreibst du bei deinem Talent nicht über wirkliche Themen?

Nee, da hast du mich falsch verstanden. Die wirklichen Themen, wie joggende und Schiller lesende LKW-Fahrer, Helden, die Welt bereisende Omas, Fremdenlegionäre, Menschen in Kenia und unterdrückte Minderheiten im fernen Russland überlasse ich den begabteren Kollegen. Ich bleibe lieber bei der klein, klein Leben Kramerei.

Ich ebenfalls würde mich sehr freuen, mal hier überrascht zu werden und zwar nicht nur von der feinen Grammatik und Wortkunst, sondern auch von den starken lebendigen Figuren, die was drauf haben oder auch von wirklich(!) bewegenden Schicksalen.
Ich weiß nicht, aber vielleicht kennst du das noch, es gab früher so ein Heftchen, da hatte es so kleine Stories und Bildchen und auch immer ein Gimmick, ich glaube, das Heft hieß YPS. Vielleicht solltest du da mal reinschauen, wenn du dich überraschen lassen willst?

Gruss, Jimmy

 
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Ich bleibe lieber bei der klein, klein Leben Kramerei.
Kannst du machen Jimmy. Ich dachte nur, du willst mal besser werden.
Ich weiß nicht, aber vielleicht kennst du das noch, es gab früher so ein Heftchen, da hatte es so kleine Stories und Bildchen und auch immer ein Gimmick, ich glaube, das Heft hieß YPS. Vielleicht solltest du da mal reinschauen, wenn du dich überraschen lassen willst?
Habe die Hefte mal gegoogelt, ne nicht so mein Geschmack, weißt du. Ich bleibe lieber bei meinen Klassikern, Stefan Zweigs " Sternenstunden der Menschheit" zum Beispiel. Ein gutes Buch, vielleicht sollst du lieber sowas lesen?;)
Beste Grüße und guten Rutsch
Ruess

 

oder auch von wirklich(!) bewegenden Schicksalen
Servus @Ruess,

da sehe ich jetzt doch ein Problem.

Kannst du machen Jimmy. Ich dachte nur, du willst mal besser werden.
Das ist ganz klar dein subjektiver Standpunkt. Wie sollte es auch anders sein? Insofern hätte die Formulierung im besten Falle so lauten müssen: "Aus meiner Sicht hast du dich durch diesen Text nicht verbessert." oder so ...
Du hast es aber allgemeingültig formuliert. Dieser deiner Formulierung werden viele widersprechen, so auch ich. Weil sie ihre eigenen subjektiven Eindrücke und Bewertungen vornehmen.

Ich bin schon sehr lange hier und Jimmy ebenso. Aus meiner Sicht hat er sich im Laufe der Jahre sehr deutlich (bitte auf meine Formulierung achten) zu dem Jimmy entwickelt, der er möglicherweise schon immer sein wollte - und zwar der schreibende Aspekt in seinem Leben. Er ist auf "dem Pfad, den er sich ausgesucht hat und der ihm liegt", zu "seinem Stil". Er wählte weder Steinbecks noch Zweigs Weg. Und so soll es ja auch sein. Was auch heißt, dass "sein Blick auf das Leben" der von Jimmy ist. Nicht deiner. Die darin eingebetteten Schicksale sind weder klein noch groß sondern existent und immer beachtenswert. Was mich dazu führt zu fragen, was denn "wirklich bewegende Schicksale" sind? Die Sucht nach "wirklich großen Schicksalen" führt leider bei nicht wenigen Menschen zu einer Abstumpfung gegenüber "kleinen Schicksalen" kleiner, unbedeutender Menschen ... das ist ganz schön arrogant und ignorant. Nicht allen fällt ein Asteroid auf den Kopf. Das blendet die Individualität des "Schicksalempfindens" komplett aus. Ein gemächliches Leben führen und kurz vor dem Ende seinen Hund verlieren ... der Mensch wird Trauer empfinden und mangelnde Resilienz kann ziemliche Schwankungen in dessen Leben auslösen. Depressionen, denen er mangels Erfahrung nichts entgegensetzen kann. Natürlich wissen wir, dass dies nichts ist im Vergleich zu viel massiveren Schlägen, und doch ... wer sind wir, dies zu beurteilen?

Ich finde es sogar ausgesprochen gut, dass (Jimmy als Beispiel) Autor:innen den Blick auf den Menschen nicht verlieren, egal wo er mit welchem Schicksalsgrad angesiedelt ist. Mal davon abgesehen - und das kann ich aus meiner Arbeit berichten - steckt in wesentlich mehr Menschen enormes Potential, es wird nur nicht gefördert von Eltern, Schule etc. Dieses Potential zu verschenken, ist sehr tragisch, denn niemand weiß, ob in einem Dorfjungen aus der Eifel nicht doch der steckt, auf den alle warten.

Dein Kommentar ist persönlich. Er spielt sich nicht auf einer objektiven literarischen oder auch sozialen Ebene ab. Er generiert sich aus deinen persönlichen Ansichten. Somit fällt er in die "Schublade" die du Jimmy zugedacht hast: "Ich dachte, du willst mal besser werden".

Morphin

 
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Hallo Morphin,
deine Moralkeule für Autoren wie Jimmy und kleine Schicksale ist sehr beeindruckend, aber wollen wir nicht lieber auf die Geschichte zurückkommen?
Und da sage ich zum letzten Mal, die Geschichte von Jimmy ist schlecht! Sie ist schlecht, weil sie mit billigen Rührseligkeiten daherkommt, weil sie nichts zeigt, sondern nur beschreibt. Ich brauche keine Literatur zu lesen, um zu wissen, dass Leben gemein sein kann. Das weiß ich auch selbst. Jeder von uns kennt diese Geschichten von Unfällen, und gescheiterten Existenzen.
Was ich aber wissen will ist, WARUM jemand an seinem Leben scheitert. Ich will es in kraftvollen, prägnanten Bildern vor mir sehen. Damit ich dieses Scheitern nachvollziehen und mit der Figur mitgehen, mitfühlen kann. Und da reicht es meiner Meinung nach nicht aus einfach Fakten aufzuzählen und auf die Tränendrüse zu drücken. Das ist mir zu billig!
Und ja, natürlich können es auch "kleine Schicksale" sein, aber, und da liegt wohl der Hacken, gerade die verlangen vom Autor viel mehr Können, viel mehr Sensibilität für das Wesentliche.
Ferdinand von Schirach kann das wunderbar. Auch seine Geschichten handeln von Menschen, die ganz unten sind, aber da wird mir nur in wenigen Worten offenbart, warum einer so oder so gehandelt hat, warum jemand trink oder warum jemand Drogen nimmt und das alles ohne falsche Dramatik.
Gut, das wäre es dann meinerseits.
Viele Grüße
Ruess

 

Mahlzeit @Ruess,

ich bin bei der Geschichte. Und da zunächst mal bei der Kategorisierung "Flash Fiction". Kann ich kurz und knapp etwas rüberbringen? Eine Geschichte? Das sind die Vorgaben.

... ohne auf klassische Elemente einer Kurzgeschichte zu verzichten, wobei diese jedoch aufgrund der limitierten Wort-Menge stark komprimiert und reduziert angelegt werden können.
So steht es als Einleitung zu FF. Aus technischer Sicht - oder sagen wir mal aus Sicht der Moderation - ist bei "Licht!" alles erfüllt für FF. Aus meiner Sicht des Erlebens kann ich berichten, dass alles haargenau so passierte, wie @jimmysalaryman es aufgeschrieben hat. Er ist in diesem Fall der Chronist eines oder vieler Leben unter 2.000 Worten. Die Geschichten dahinter entfalten sich in mir. Er hat also "Marker" gesetzt, Schlüsselworte, Schlüsselszenen, minimalistische Charakterschnipsel, die ich nur aus meiner Erinnerung abrufen musste, um meine Kumpels von damals zu erkennen. Eine Ära spielte sich vor meinem Auge ab. Mit all den Gefühlserinnerungen und gefühlten Erinnerungen darin. Es hatte ja einen Sinn, warum der Autor das unter Flash Fiction stellte. Ich schätze mal - so wie ich ihn kenne - um herauszufinden, inwieweit man reduziert, komprimiert und trotzdem noch Leser:innen erreicht - aber auch sich selbst. Das ist ungefähr so, als ginge man morgens über den Markt, nimmt für zwei Sekunden einen Duft wahr und es entfaltet sich ein halbes Leben in diesem Moment.

Aber ich gebe dir recht, dass es sicherlich Menschen gibt, denen ein solcher Reiz nichts sagt, nichts bringt. Ich gehöre zu den Lesern, für die sich durch die wenigen Worte ein altes, vergessenes Universum öffnete. Die Geschichte hat also ihre Wirkung getan. Bei mir.

Und da sind wir wieder bei: Du kannst es besser ... für mich war das eine Empfehlung wert. Für dich nicht. Aus diesem Grunde ist es immer gut vor die subjektive Meinung das "Aus meiner Sicht ..." zu setzen. Damit beziehst du nicht alle anderen in dein Urteil mit ein.

Guten Rutsch und gesundes 2022 wünscht
Morphin

 
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Sie ist schlecht, weil sie mit billigen Rührseligkeiten daherkommt, weil sie nichts zeigt, sondern nur beschreibt

Ich glaube, wenn dies nicht mein Text wäre, würde ich sogar ähnlich denken, ich würde nicht mit diesen kategorischen Aussagen arbeiten (das ist schlecht), denn das wäre mir persönlich intellektuell zu unterkomplex. Richtig ist aber, in diesem Text wird in diesem Sinne (Show, don't tell) nichts gezeigt, oder eher verborgen zwischen den Zeilen vermittelt und mit einem natürlichen Fokus auf den Erzähler, er ist ein überheblicher, sich selbst überschätzender Narzisst, der aufgrund seiner Apathie später im Leben nichts auf die Reihe kriegt. Er ist ein Passagier der Umstände. Wenn ich jetzt sage, neunzig Prozent meiner anderen Texte sind fast reines Show, dann klänge das nach einer Verteidigung, und ich empfinde es immer als unheldenhafte Schwäche, seine Texte verteidigen zu wollen. Ich kann mit Dissens gut leben. Hättest du dir allerdings die Mühe gemacht, die Kommentare und meine Antworten tatsächlich zu lesen, wäre dir aufgefallen, dass dieser Text eine Art Neuinterpretation eines anderen Textes ist, Lights von Stuart Dybek. Der ist in einem ganz ähnlichen Duktus gehalten, er funktioniert in etwa wie die Off-Stimme aus einem Film, am Ende oder am Anfang, wie ein Prolog, der einleitet oder ein Outro. In diesem Sound kann man eine ganz andere Stimmung transportierten, eine andere Art von Melancholie, die verknappter, aber auch vielleicht dadurch hintergründiger ist, weil der Text eben nicht alles verrät, die Fakten, wie du es nennst, erzählen dann eine andere Geschichte, eine zusammenfassende Zeitspanne, es wird eher eine gesamtes Resümee gezogen.

Kannst du machen Jimmy. Ich dachte nur, du willst mal besser werden.
Das ist richtig, deswegen habe ich auch diesen Stil hier ausprobiert, um ihn zu testen und zu schauen, wie er für mich und meine Sujets funktioniert.

Gruss, Jimmy

 
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Was bleibt von deinen Texten übrig, wenn man all die wirklich sehr lebhaften und sinnlichen Kulissen abzieht? Wo legst du den Menschen an sich frei, der eben auch Schönheit kennt und Glück und so weiter?
Ich glaube, du legst dir deine Argumente gerne so aus, wie es dir gerade passt. Du scheinst auch eine Vorliebe dafür zu besitzen, dir jeden Thread ganz narzisstisch unter den Nagel zu reißen um eine deiner Meta-Diskussionen zu führen, die den Autoren aber konkret nirgendwo hinführen. Das ist ersten respektlos und auch nicht sonderlich konstruktiv. Welche Motive jeder Autor hat, geht einen Leser erstmal nichts an. Warum er etwas wie schreibt und aus welchen Beweggründen. Du kannst dich an einer text-nahen Diskussion beteiligen, aber deine Intention hat ja eine andere Agenda. Zuerst ist es die Authentizität, die dir in den Texten fehlt, dann die "anderen Dimensionen" eines Charakters, dann passt dir insgesamt irgendwas an der Form der Kurzgeschichte nicht, dann fehlt dir eine "Lehre" … das kann man endlos weiterführen.
Mag es sein, aber was ist die Lehre, die Erkenntnis, die es mir vermittelt, die ich noch nicht habe oder die ich mir nicht selbst herleiten kann? Die Welt ist schlecht und ungerecht?
Mit einer positivistischen Sicht auf Kunst bist du bei mir sicher falsch. Wenn du Literatur lesen möchtest, die dir irgendwelchen Erkenntnisse bringt, die du vorher nicht hattest, dann suche dir diese und, tue mir den Gefallen, kommentiere dann bitte auch bei diesen Autoren.

Wenn ich Elend sehen will, muss ich nur aus dem Fenster schauen - das ist kein Witz.
In dem Text geht es nicht um Elend, sondern um Schicksal. Ich wiederhole mich: Es ist auch ein Experiment gewesen, inwieweit sich der Sound überhaupt eignet. Literatur ist für mich die Kompression eines Stoffs, die Gestaltung, eine Dramaturgie. Sonst wäre es einfach chronologisch und dokumentarisch. Außerdem schreibe ich nicht ausschließlich über "Elendscharaktere", das ist völliger Unfug.
Naja, ich fade mal aus. Macht mit meinem Kommentar, was ihr wollt ;-)
Du machst es dir ziemlich einfach. Stiehl dich mal nicht aus der Verantwortung. Den halben Thread vollballern und sich dann einfach so verdrücken. Mir geht es bei dir ähnlich wie mit dem Kollegen @Ruess - ihr habt einen fürchterlich anmaßenden Ton, der oft auch noch besserwisserisch ist. Man kann sich das erlauben, wenn man selbst schreibt wie ein junger Gott, aber auch in dem Fall würde gelten: Unsicherheit ist laut. Da das bei euch beiden aber nicht der Fall ist, überwiegt sozusagen das sehr reale, sehr authentische Bild einer mir unangenehmen Person, die mir erklären möchte, wie man das eigentlich macht, was eigentlich wirklich echte und gute Literatur ist, was eigentlich ein guter Stoff ist, was ich eigentlich schreiben sollte, dass Stories eigentlich vollkommen unterkomplex sind und sich für wirklich Großartiges gar nicht eignen. Das ist natürlich nur eine Vermutung meinerseits, denn vielleicht ist das auch alles ganz anders und ich übersehe bzw überlese hier etwas.

 

Was ich aber wissen will ist, WARUM jemand an seinem Leben scheitert.
Literatur, wie jede Kunst, stellt Fragen. Liefert sie mit Fragen auch Antworten, ist sie keine Kunst mehr, sondern Gebrauchsanweisung.

 
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Hi Jimmy,

Licht ist elementar fürs (Über)leben und genau das sagt der Text aus.
Licht ist immer positiv besetzt, egal ob von Autoscheinwerfern oder der Sonne oder einfach der Tatsache geschuldet, dass ein Haus viele Fenster hat, genauso wie eine Kerze, die eine heimelige Atmosphäre schafft. Die Scheinwerfer der aus der Schicht kommenden Arbeiter sind Sinnbild für das ganze Arbeitsleben - und bei denen ist die Lichtquelle leider oft aus.

Ohne jetzt altklug wirken zu wollen, denke ich schon, dass man zum Verständnis der einzelnen Schicksale ein paar Jahre auf dem Buckel haben muss, um diese Anhäufung von Dilemmas zu verstehen - und das kann sie geben, das ist keine Effekthascherei vom Autor, das kenne ich auch aus meinem Dorf und teilweise noch schärfer.

Ich lese deine Geschichten gerne, auch wenn sie manchmal trübselig sind und ich nicht mit jedem Protagonisten d'accord sein muss. Aber die Grundstimmung, der Fluss der Geschichte und deine Formulierungen sind einfach lesenswert und in so ein Genre muss man sich erstmal hineintrauen, ohne durch Klischees Schiffbruch zu erleiden. Man spürt, dass du diesen Menschen Auge in Auge beim Schreiben nahe stehst und das können sicher nicht viele Autoren mit deiner Qualität von sich behaupten. Besonders die Dialoge finde ich immer wieder bemerkenswert, (wennn in dem Text auch keine zu finden sind.)
Jetzt habe ich zwar nicht viel zu der Geschichte als solches gesagt, aber das wenigstens wollte ich loswerden.

Liebe Grüße
bernadette

 

Ohne jetzt altklug wirken zu wollen, denke ich schon, dass man zum Verständnis der einzelnen Schicksale ein paar Jahre auf dem Buckel haben muss, um diese Anhäufung von Dilemmas zu verstehen - und das kann sie geben, das ist keine Effekthascherei vom Autor, das kenne ich auch aus meinem Dorf und teilweise noch schärfer.

Hallo und danke dir für deinen Kommentar. Frohes neues Jahr noch!

Diese drei Schicksale sind bis auf eines, dass des Erzählers, alle authentisch. Die meisten meiner Texte wohnt ein realer Kern inne - der Arbeitsunfall des Bruders, der Jäger und die entfremdete Tochter etc. Es handelt sich hier um meinen persönlichen Erfahrungshintergrund, den ich bearbeite, deswegen interessiert es mich auch nicht, wie realistisch oder authentisch das andere Leser finden, ich weiß ja, dass es sich um eine komprimierte Form der tatsächlichen Welt handelt. Hier, explizit bei diesem Text, war es ja die extremste Form der Kompression, eine kurzer, prägnanter Abriss, der wie die Off-Stimme am Ende eines coming of age Films funktioniert - so habe ich mir das gedacht. Dieser Form sind natürliche Grenzen gesetzt, es ist eine etwas amputierte Version der Wahrheit, da sie sicher vieles offen oder unbeantwortet lässt. Für mich persönlich ist das kein Problem, wir haben da schon oft drüber diskutiert, ich mag es, wenn mich ein Text mit Transferleistung zurücklässt, wenn er sich nicht direkt erschließt, ich nicht mit Exposition erschlagen werden. Vielleicht ist es hier auch so, bei diesem Text, dass es um ein gewisses Gefühl geht, das ich vermitteln wollte, Jim Harrison nannte das immer saudade, eigentlich ein Wort aus dem Portugiesischen, das Sehnen nach einer vergangenen Welt, eine gewisse Form der Melancholie. Das ist auch etwas, dass ich in anderen Texten suche, Plot etc interessiert mich eigentlich nicht, auch nicht, was da passiert, sondern es geht um eine Resonanz, wenn ich die nicht nach den ersten zehn Sätzen spüre, lege ich das Buch weg. Hemingway hat es mal in guten Worten beschrieben, dass das Leben irgendwann jeden bricht, und es nur darauf ankommt, wie stark man sich danach dem Verfall entgegenstellt, wie man seinen Stolz und seine Würde behält und wie man nicht aufgibt. Das klingt existenzialitisch, und vielleicht ist es auch das auch, aber das ist alles, was mich an Literatur interessiert. Ich will nichts Neues lernen, keine neuen Erkentnisse (dann lese ich ein Sachbuch), ich möchte eine emotionalen Abgleich, eine Bestätigung, ein Wiederfinden, die Versicherung, nicht alleine zu sein auf der Welt mit diesem latenten Gefühl, dieser Grundtraurigkeit. So, jetzt erst mal rauchen! :D

Gruss, Jimmy

 

Hallo Dion,
erstmal wünsche ich dir ein gesundes und glückliches neues Jahr!
Jetzt aber zur Sache! Du schriebst:

Literatur, wie jede Kunst, stellt Fragen. Liefert sie mit Fragen auch Antworten, ist sie keine Kunst mehr, sondern Gebrauchsanweisung.
und das ist in meiner Augen falsch. Natürlich liefert die Literatur Antworten, deswegen lesen wir die ja! Aber sie tut es eben nicht in dem sie mir Statistiken, Studien oder Anweisungen vorlegt, sondern in dem sie mich emotional berührt.
Vielleicht als Beispiel, "Schuld und Sühne" von Dostojewski.

Hallo Morphin,
auch dir ein frohes neues Jahr!
Nun zu deinem Kommentar, du hast da viele Nebelkerzen gezündet aber keinen konkreten Beweis für die Richtigkeit deiner Aussagen vorgelegt. Einfach nur zu sagen, die Geschichte sei gut, weil dort alles richtig gemacht worden sei, ist mir ein bisschen zu wenig.

Grüße an Alle
Ruess

 
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Natürlich liefert die Literatur Antworten, deswegen lesen wir die ja!
Wenn ich Antworten benötige, lese ich ein Sachbuch oder eine Bedienungsanleitung. Wer von Literatur oder Kunst im Allgemeinen tatsächlich Antworten erwartet, ist meiner Meinung nach prinzipiell falsch gewickelt. Du hörst ja auch keine Oper, um etwas beantwortet zu bekommen.

Vielleicht als Beispiel, "Schuld und Sühne" von Dostojewski.
Ist ein wenig bezeichnend, aber natürlich auch durchschaubar, dass du in deinen Kommentaren fast immer irgendwelche Klassiker nennst. Gegen solche "Giganten" kann jeder neue Text eigentlich nur scheitern. Ich habe von den gängigen Klassikern zum Beispiel keinen einzigen gelesen und habe das auch noch nie als nötig empfunden. Ich habe mir meinen persönlichen Kanon erarbeitet. Was hat dir denn das Lesen von "Schuld und Sühne" beantwortet?

Nun zu deinem Kommentar, du hast da viele Nebelkerzen gezündet aber keinen konkreten Beweis für die Richtigkeit deiner Aussagen vorgelegt.
Um einen Text zu mögen braucht man keinen Beweis. Es ist vor allem eine Geschmacksfrage. Zudem habe ich (und Morphin noch viel ausführlicher) in der Antwort zu deinem Kommentar etwas zur Statik und Struktur des Textes an sich gesagt, aber das scheint dich nicht sonderlich zu interessieren. Du siehst die Dinge so, wie du sie sehen willst. Eine weitere Diskussion hat sich erübrigt. Ich denke, du möchtest einfach nur provozieren, deswegen würde ich dich bitten, diese persönlichen Animositäten nicht mehr unter meinen Texten auszutragen. Ich hoffe auch, dass die Moderatoren hier bald eingreifen.

 

Hallo jimmysalaryman!

Sicherlich kann ich kaum mehr Neues anführen, kaum noch Denkanstöße geben zu deinem feinen Stück, noch kann dir sagen, was besser geht. Will ich auch gar nicht.

Ich habe die Geschichte (man scheut sich fast, von einer Geschichte zu sprechen, aber ein Text ist es sicherlich) sehr atemlos gelesen. Sie ist ja auch beinahe ohne Absätze geschrieben, die Form bietet sich an, durchzurutschen, alles im Stück zu begreifen. Ich denke, das ist schon Absicht.

Die auf- und abspringenden Zeiten (kann man das so sagen?) sind dem Tempo ebenso zuträglich, ich fühlte mich, als säße ich auf der Bank vor der katholischen Kirche und hörte dir zu.

Der letzte Abschnitt, natürlich, der war ganz besonders eindringlich, er passt m.M.n. auch nur da hin, an den Schluss, das gibt dem Ganzen eigentlich seinen Sinn. Obwohl das Bild, wenn ich es recht verstanden habe, nicht von dir ist. Schade, das gefällt ganz außerordentlich.

Einzig mit der Steigerung des Elends hatte ich so meine Probleme. Es reicht nicht, dass jemand die Drogen für sich entdeckt, abmagert, in der Fußgängerzone in seiner eigenen Pisse liegt. Er muss auch das Gesicht voller Schuppen haben, und schließlich betteln.
Und das passiert bei jedem. Insofern kann ich Ruess ein bisschen verstehen, wenn er das moniert.
Ich würde das aber als Details kennzeichnen, die in Nuancen geändert werden könnten, ohne dem Charakter des Textes zu schaden.

Mindestens ebenso viel Spaß wie das Stück an sich macht es, die Kommentare zu lesen, vor allem deshalb, weil ich nicht gezwungen bin, mich auf die eine oder andere Seite zu stellen oder sagen wir, eine konkrete Meinung zu haben. Ich kann lesen, schmunzeln und mich ganz in Ruhe und nur für mich selbst positionieren. Das nenne ich privilegiert.

Es war also anregend für mich, erhellend, sehr spannend.
Danke dir!

Grüße von meiner Seite!

 

Er muss auch das Gesicht voller Schuppen haben, und schließlich betteln.

Hallo Hanniball,

danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit.

Die Schuppen sind ja ein Sympton, eine Begleiterscheinung der Drogensucht, es kann auch eine Nesselsucht sein. Im Gesicht kratzen etc, da entstehen dann diese dicke weiße Schuppen. Also das ist jetzt zwar vielleicht im Text eine Steigerung des Elends, oder wird so wahrgenommen, aber es ist jetzt nicht so beabsichtigt, sondern es gehörte für mich quasi zu diesem einen gesamten Komplex dazu. Ich verstehe aber, was du meinst, wenn man das nuancierter und auch reduzierter macht, wirkt es nicht so komprimiert auf einer Stelle. Ich arbeite dran.

Es ist glaube ich auch schwer, diesen Text alleine zu lesen, für mich würde der mehr Sinn in einer Story-Sammlung machen, so als Interlude, das wirkt ein wenig wie ein filmisches Off, finde ich, mit diesem Intent habe ich das geschrieben, ob das so ankommt, ist natürlich immer die Frage.

Obwohl das Bild, wenn ich es recht verstanden habe, nicht von dir ist. Schade, das gefällt ganz außerordentlich.
In der Story von Dybek ist es etwas anders dargestellt und auch in einem anderen Kontext, ich habe das Bild sozusagen adaptiert und angepasst, aber es ist schon richtig, die grundsätzliche Idee habe ich von diesem sehr guten Text übernommen, ich würde das auch bei einer Veröffentlichung angeben.

Gruss, Jimmy

 

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